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Reisesammlungen

engl. Collections of Voyages and Travels, Travel Collections; franz. Recueil, Compilations des récits géographiques; niederl. reiscollectie; ital. compilazione storico-geografica, lat. Itinera collecta im Unterschied zu Itinera singularia; Collectiones Peregrinationum

Der nachfolgende Korpus von Reisesammlungen enthält (Oktober 2025) rund 260 Werke mit rund 3.000 dazugehörigen Bänden.
Die Tabelle zeigt die Länder in der Reihenfolge des erstmaligen zeitlichen Auftretens eines entsprechenden Druckortes mit allen Bänden.
Nur ausnahmsweise wurden unberücksichtigt: unterschiedliche Ausgaben, Parallelausgaben, Ausgaben für die Jugend, verschiedene Druckorte, weitere Auflagen und Raubdrucke.
Wegen des Umfangs sind die Reisesammlungen auf vier Unterseiten nach Jahrhunderten verteilt; die umfangreichsten Titelverzeichnisse sind auf eigenen Seiten ausgelagert.

Zeitleisten der Reisesammlungen des …
16. 17. 18. 19. Jahrhunderts
Unterwegs im 16. 17. 18. 19. Jahrhundert
n (Titel) 21 33 116 94
n (Bände) 84 88 955 1867
Italien 1504 4 2 2
Portugal 1506 2 1
Deutschland 1508 7 5 47 42
Schweiz 1532 1 1 1
England 1555 3 6 34 15
Frankreich 1556 1 6 13 14
Philippinen 1584 1
Holland 1598 1 11 7 3
Spanien 1601 2 2 1
Schweden 1667 1 2 5
Dänemark 1749 4 1
Rußland 1755 1
Irland 1759 1 1
Schottland 1766 1 1
Tschechien 1784 1 2
USA 1787 1
Österreich 1800 4
China 1877 1

Vorbemerkung

Reisende bringen Dinge zurück und Geschichten; die einen werden ausgestellt (→ Liste der Ausstellungen), wenn sie sehenswert sind, die anderen gedruckt, wenn sie lesenswert sind. Aus der Masse des Geschriebenen und Gedruckten heben sich solche Inhalte ab, die besonders ausgewählt wurden und erhalten Relevanz zu dieser Zeit und und zur gewählten Absicht.

Reisesammlungen werden hier aufgefasst als gedruckte Reiseliteratur, deren Autoren erkennbar sind und die mindestens zusammengestellt, oft bearbeitet, manchmal mit Anmerkungen versehen herausgegeben sind. Im Unterschied zu anderen Formen der Wissensspeicherung sind ihre Merkmale:

Reisesammlungen in Form von Manuskripten können durchaus in Archiven zu finden sein, weil sie eben nicht öffentlich werden sollten, etwa

Reisesammlungen: geographisches Wissens und koloniale Expansion

Reisesammlungen speicherten geographisches Wissen, bevor es eine geographische Wissenschaft gab. Solche Speicher gab es vor dem Buchdruck in Form von Land- und Seekarten, Portolankarten, Periploi, Itineraren. Auch die mittelalterlichen Sammelcodices (etwa das Speculum historiale als Teil des Speculum maius 2) von Vinzenz von Beauvais im 13. Jahrhundert) verarbeiteten geographisches Wissen, benannten jedoch selten die Quellen 3). Geographisches Wissen zu erfassen war bereits die Aufgabe der Bematisten in der griechischen Antike, es zu sammeln soll bereits Aufgabe der Bibliothek von Alexandria gewesen sein und auch die antiken Geographen und Historiker (Herodot, Strabon …) beriefen sich auf Berichte von Reisenden und verarbeiteten deren Wissen.
Das Reisen wurde ab dem 17. Jahrhundert zur Methode der Geographie, des Entdeckens und Erforschens. Damit setzte langsam die Unterscheidung zwischen Unterhaltung und Wissenschaft ein, zwischen Laien- und Fachpublikum:

Bemerkenswert ist, dass Reisesammlungen ihre Wurzeln in Italien haben, weder in Portugal noch in Spanien, und dass sie insbesondere in englischer, deutscher und französischer Sprache erfolgreich wurden. Den engen Zusammenhang der frühen Reisesammlungen (Hakluyt, de Bry, Hulsius …) mit der europäischen Expansion und den kolonialen Ideen beschreibt:

Reisesammlungen zwischen Reisen und Literatur

Reisesammlungen stehen den formal strengen Bibliographien zur Reiseliteratur diametral gegenüber, indem sie die Inhalte in den Vordergrund stellen und bewerten.
Sie stehen aber auch in einem Verhältnis zu Reiseanleitungen (Apodemiken), da die ausgewählten Reisen und damit das Verhalten dieser Reisenden zum einen vorbildhaft erscheinen, zum anderen aber auch zum Nachdenken über deren Art des Reisens anregen, auch zu Optimierungen.

Die Voraussetzungen für das Entstehen einer gedruckten Reisesammlung sind:

  1. dass Reisende als Augenzeugen zum Autor werden, das Ergebnis kann ein Tagebuch, Logbuch, Brief, Reisebericht, eine Karte … sein (Authentizität). Der Fokus des Augenzeugen bestimmt den Informationsgehalt.
    Das Publikum dieser Autoren ist jedoch nicht das Publikum der Reisesammlungen.
  2. dass Sammler Zugang zu solchen Quellen/Netzwerken haben;
  3. dass der Informationsgehalt eine Schnittmenge mit den Interessen des Sammlers und seines Publikums aufweist.

Die Verarbeitung des Rohmaterials erfordert zuerst eine Selektion, also Kriterien hinsichtlich der Relevanz und der Neuheit und eventuell hinsichtlich des Unterhaltungswertes. Dieser Verarbeitungsprozess ist weitgehend intransparent. Die dazu nötigen Funktionen erfordern (oft in Personalunion) die Eigenschaften von:

Herausgeber von Reisesammlungen mussten sich mehr oder weniger mit ihren Vorläufern und Konkurrenten auseinandersetzen und haben ihre Ansichten manches Mal im Vorwort dargelegt, dabei meist betonend, was sie besser machen würden. Im Vorwort zu den Reisesammlungen wird mehr oder weniger deutlich formuliert, welche Interessen die Herausgeber dabei verfolgen und welche Kriterien sie zugrunde legten, siehe beispielhaft Preface (Knox: A new collection of voyages, 1767) sowie die Vorworte von Green 1745 und Kerr 1811 (Band 18: 1824 William Stevenson). Dadurch erlauben die Reisesammlungen einen zeittypischen Blick auf die Rezeption der Reisen. Eine umfassende Untersuchung dazu scheint es nicht zu geben, siehe den Übersichtsartikel von Goldman (2025), Ansätze finden sich bei:

Reisesammlungen und Publikum

Die gedruckten Reisesammlungen richteten sich zunächst an ein elitäres Publikum mit Geld und Weitblick, boten faktenbasierte und nutzenorienierte Inhalte.

Im Laufe der Zeit differenzierten sich die Zielgruppen:

Thematisch übergreifende Literatur zu Reisesammlungen

Literatur zu einzelnen Titeln siehe in den Zeitleisten der Reisesammlungen

1)
etwa: Nicolas & Guillaume Sanson
Tabulae geographicae, quibus universa geographia vetus continetur, e multis authoribus collectae
ex Typ. Seminarii, Patavii, 1699
2)
Speculum quadruplex, naturale, doctrinale, morale et historiale liegt als Manuskript in Paris und wurde erstmals 1473-1476 gedruckt, in der Officin von J. Mentelin zu Straßburg; darin befinden sich u.a. ein Auszug aus der Historia Mongalorum von Johannis de Plano Carpini und das Itinerarium Simonis de Sancto Quintino
3)
Ridder, Klaus
Wissen erzählen. Zur volkssprachlichen Enzyklopädistik des späten Mittelalters.
S.317-334 in: Anna Grotans, Heinrich Beck; Anton Schwob (Hg.): De consolatione philologiae: Studies in Honor of Evelyn S. Firchow. Göppingen 2000. (GAG 682/I) [zusammen mit Jürgen Wolf] Online
Baumgärtner, I.
Weltbild und Empirie. Die Erweiterung des kartographischen weltbilds durch die Asienreisen des späten Mittelalters.
Journal of Medieval History, 23.3 (1997) 227–253. DOI
4)
1716, Band 3, S. 311–312
5)
1742, Band 1.1, S. 430‑440
6)
Betrachtungen über die neuesten historischen Schriften, Band 1, S. 359–360
7)
St. Petersburg/Leipzig 1840: Weigel Eggers, Band 1: XXIV, 480 ; 2: VIII, 430 S.