© Norbert Lüdtke
, https://reisegeschichte.de, November 2020, etwa 130.000 Anschläge
Ein guter Stock ist das beste Recept vor böse Hunde. K.F.W. Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexicon
Seit frühester Zeit greifen Reisende bevor sie aufbrechen zu Stab und Beutel, Hut, Sandalen und Gürtel. Mehr Reisegepäck zeugt von Luxus, weniger weist auf Bettler oder Asketen hin; im hebräischen Altertum trug `Mann´ eben einen Stab 1). Diese einfache Ausrüstung entspricht auch den Attributen der Reisegötter wie etwa Hermes
. Den Wanderstab soll jedoch der Gott des Weines Bacchus
eingeführt haben.
Im alten germanischen Recht war nur derjenige voll geschäftsfähig, der sich »ungehabt und ungestabt« fortbewegen konnte. In der Neuzeit wurde dagegen der Spazierstock zum Symbol der bürgerlichen Freizeit, des Nicht-Arbeitens. In den heutigen städtischen Gesellschaften hat der Stab allerdings abgewertet und ist als Krückstock nicht erstrebenswert. Nur wer die Stadt verlässt, greift gerne zum (Teleskop-)stock fürs Wandern, für Nordic Walking, Skifahren, Trailrunning.
In den Bergen oder im afrikanischen Busch gehört der Stock dagegen zur Standardausstattung, dient stützend als drittes Bein, zum Tasten oder zur Abwehr. Stock und Stein sind die ältesten Werkzeuge und Waffen. Ungeformt liegen sie bereit. Erkennt man ihren Nutzen, so sind sie verfügbar. Mit dem Stein lässt sich schlagen; er verstärkt die Faust. Mit dem Stock lässt sich stoßen; er verlängert den Arm. Das können auch Primaten. Zeigt man im afrikanischen Busch mit einem Stock auf einen Pavian, so zieht sich dieser zurück. Er versteht das Konzept und erkennt die Macht des Stocks. Löwen und Antilopen reagieren nicht so.
Der Haselstecken ist ein Wunderding, er macht den Rücken geschmeidig und die Hände flink. K. F. W. Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexicon
Aus einem Zweig lässt sich eine Rute anfertigen, aus einem Ast eine Keule, aus einem Haselnussstämmchen ein Wanderstock, doch alle bestehen aus Handhabe (Griff), Schuss (der gerade Teil) und Zwinge (Endstück, die Kapsel darauf engl. ferule). Dabei ist jeder Stab anders, wenn er optimal an seinen Zweck und seinen Nutzer angepasst ist, denn er
Als natürlich zuhandene Ausgangsmaterialien dienen Zweige, Äste, junge Stämmchen, Wurzeln, Rohrstängel. Als objektive Auswahlkriterien lassen sich heranziehen:
Darüber hinaus basieren subjektive Auswahlkriterien auf Tradition, Symbolik, persönlichem Geschmack 3):
Der beste Wanderstab ist der Buchstab. Peter Rosegger: Nixnutzig Volk, 1914
Amors
bestehen daraus. Er ist Attribut von Merkur
, war dem Hades
und der Kybele
geweiht.Zeus
geweiht.Thor
rettete sich mit Hilfe einer Eberesche aus dem Fluss, sie symbolisiert den Blitz 8).Hekate
.Chiron
, mit dem Achilles
in der Schlacht von Troja Hektor
tötete. In der germanischen Mythologie wird aus der Esche der Mann (Ask), aus der Ulme die Frau (Embla) gezeugt. Der Weltenbaum Yggdrasil ist eine Esche.Germanus
aus dem 8. Jahrhundert besteht daraus.Vergils
Aeneis trägt die Kriegerin Camilla
»selber den lykischen Köcher … und den Myrtenholzspeer der Hirten mit eiserner Spitze« 21).Joseph von Arimathäa
24). Theophrast
und Plinius
genau beschrieben 25) Die Namen von Kornelkirsche, Hasel, Esche und Mistel verweisen mit ihrer indogermanischen Sprachwurzel auf ein Alter von mindestens 3.000 Jahren 26). Tatsachenerfahrungen wurden leichter tradiert, wenn sie in Geschichten weitergegeben werden konnten. Das Wissen zu speichern war Sache von Druiden oder weisen Frauen. 27). Umfangreiche vorwissenschaftliche Erfahrungen wurden in der Kultur verankert als Vorstellungen über die spirituelle »Kraft«, in Erzählungen und Mythen. So oder so: Die technische Analyse oder das Anwenden traditioneller Methoden führen zu ähnlichen Ergebnissen.
Guter Spiess will auch einen guten Stiel. K.F.W. Wander, Deutsches Sprichwörterlexicon ...
Geeignete Äste oder Stämmchen suchen, also ohne Astansätze und rißfrei, mit oder ohne Knorren, Knoten oder Zwiesel. Entrinden und die Bastschicht entfernen, das Kernholz nicht verletzen. Im Griffbereich ist ein verbleibender Durchmesser von maximal etwa 2-4 cm nötig, für die Länge etwa Schulterhöhe, kürzer schneiden kann man später. Mindestens ein Jahr trocken und flach liegend lagern, über Wasserdampf formen. Schließlich in gewünschter Länge schneiden (im Griffbereich muss der Durchmesser handgerecht sein), polieren, ölen, wachsen und am dünneren Ende mit einer metallenen Spitze, Kapsel oder Rohrstück gegen Abnutzung schützen; siehe auch:
Georg von Viebahn
Krafteinleitung | Handlung | Eigenheit | Primär-Werkzeug | Beispiel |
---|---|---|---|---|
Zug | Furchen | Haken | Grabstock | Wühl-, Furchen-, Pflanzstock |
Zug | Führen | Krümme | Krummstab | Hirtenstab |
Zug | Tragen | Biegemoment | Tragstange | Alpenstange, Tragjoch |
Zug & Druck | Tragen | Gleitreibung | Kufe | Stangenschleife |
Druck, stat. | Stützen | Festigkeit | Krücke | Wanderstab, Hagelstecken Berg-, Spazierstock |
Druck, dyn. | Stoßen | Härte, Form | Stange | Stecken |
Druck, dyn. | Stechen | Spitze | Spieß | Partholz, Rinderstachel Ochsenstecken |
Druck, dyn. | Stechen | Doppelspitze | Gabel | Furca |
Druck, dyn. | Stechen | Dreifachspitze | Dreizack | Heugabel |
dynamisch | Schlagen | Masse | Keule | Mörserkeule Knoten-, Schlagstock Knüttel, Knüppel, Prügel |
dynamisch | Schlagen | Elastizität | Rute | Lebens-, Zuchtrute |
dynamisch | Werfen | Auftriebsform | Wurfholz | Lagobolon, Bumerang |
dynamisch | Werfen | Flugform | Wurfspieß | Hasta |
Der auf seine Handhabe reduzierte Stab kann zum Träger eines neuen Werkzeugteiles werden; allerdings eignen sich auch Knochen als Schaft, so dass diese Idee nicht stabimmanent ist. Der Stab wird durch das Schäften zum kurzen Griff oder zum langen Stiel. Diese Techniken entstanden in einer späten Phase des Altpaläolithikums, werden jedoch hier nur angedeutet und nicht weiter betrachtet. Technisch gesehen ist dies eine schöpferische Leistung im Sinne einer Erfindung, da etwas Neues entsteht, mit dem sowohl bekannte Ziele effektiver erreicht werden als auch neue Ziele erreichbar werden.
Zusammengesetzte Werkzeuge setzen Fügetechniken voraus, also Zusammensetzen, An- und Einpressen, Umformen, Kleben, textiles Fügen, die für die beabsichtigte Kraftübertragung ausgelegt sind.
Die Bedeutung dieser Erfindungen für die Menschen ist erkennbar, da diese Werkzeuge zu Kultgegenständen und Attributen von Göttern aufgewertet wurden.
Krafteinleitung | Handlung | Vorform | Schaft plus … | Werkzeug |
---|---|---|---|---|
Zug | Furchen | Grabstock | Spitze | Sauzahn |
Druck & Zug | Schneiden | Klinge | Messer, Schaber, Kratzer | |
dynamisch | Werfen | Spieß | Spitze | Speer |
dynamisch | Schlagen | Grabstock | Gabel, Keil | Hacke |
dynamisch | Schlagen | Keule | Klotz | Hammer |
dynamisch | Schlagen | durchbohrter Keil | Axt | |
dynamisch | Schlagen | Keil | Beil |
Kraft ist bei diesen Werkzeugen nur Mittel zum Zweck, denn in erster Linie wird Information erzeugt, gespeichert oder weitergegeben. Das Vergleichen ist die Vorstufe des Messens. Die Lehre speichert Information.
Krafteinleitung | Handlung | Eigenheit | Primär-Werkzeug | Beispiel |
---|---|---|---|---|
Formschluß | Tasten | Abstand | Stock | (Blinden-)stock |
Formschluß | Vergleichen | Länge | Richtscheit | Schieblehre, Lineal |
Formschluß | Vergleichen | Länge | Strickholz | Netze |
Formschluß | Führen (Lehre) | Form | Leitholz, Seilerlehre | Warbelholz, Lochstab |
Formschluß | Führen (Modell) | Bogenradius | Lehrgerüst | Bau, Archit. |
Kraft dient hier dazu, Energie über einen Stab als Welle zu übertragen und durch Energieumwandlung etwas Neues zu erzeugen: Butter, Feuer, Löcher, Töpfe. »Die verschiedenen Formen von Spindel samt Behelfen zur Rotation werden, ohne Spitze versehen, ausnahmslos auch zur Feuererzeugung verwendet.« Die einfache Spindel erscheint als Quirl und Drehstab. 28)
Krafteinleitung | Handlung | Eigenheit | Primär-Werkzeug | Beispiel |
---|---|---|---|---|
Drehmoment | Rühren | Form | Quirl | Butterstab |
Drehmoment | Reiben | Härte, Form | Drehstab auf Unterlage | pramantha |
Drehmoment | Reiben | Härte, Form | Drehstab mit Bogen | (Feuer-)bohrer 29) Nabastock |
Drehmoment | Hebeln | Hebelgesetze | Stange mit Drehpunkt | Brechstange, Wippe, Waage |
Drehmoment | Antreiben | Welle | Stab-Rad | Töpferscheibe |
Druck, Zug, Drehmoment | Übertragen | Skelett- bauweise | Felge, Speiche, Nabe | Schöpfrad > Wagenrad |
Speichenräder wurden in der Bronzezeit entwickelt. Die Idee dahinter ist sehr komplex, denn das (massive und biegesteife) Einscheibenrad wird zerlegt in ein Tragwerk aus Druck- und Zugstäben. Die Felge als äußerer, druckbelasteter Ring steht im Kräftegleichgewicht über die (biegeweichen) Speichen als innere, zugbelastete Träger, deren Kräfte über die Nabe als Druckstab ausgeglichen werden. Das Produkt ist widerstandsfähiger als seine Bauteile und dabei erheblich leichter als das robuste Einscheibenrad. Es gewinnt sozusagen durch »maximale Entmaterialisierung« und wird zum Skelett. 30)
Kraft dient hier dazu, schwere Massen zu bewegen, indem der Stab als Achse den Energieaufwand verringert, weil der Widerstand durch Rollreibung geringer ist als der bei Haftreibung. Dabei kann die Achse stillstehen, während sich die Räder auf ihr drehen oder sie wird zur drehenden Achse mit starr verbundenen Rädern. Letzteres vermindert die Gleitreibung.
Ziehen & Schieben | Rollreibung | symmetrische Stange | Walze | |
---|---|---|---|---|
Ziehen & Schieben | Rollreibung | Achse mit Rad | Stangenschleife mit Rad Schubkarre |
|
Ziehen & Schieben | Rollreibung | Eine Achse mit 2 Rädern | Karre | |
Ziehen & Schieben | Rollreibung | Zwei Achsen mit 4 Rädern | Wagen |
Daß die wichtigsten Dinge durch Röhren gethan werden. Beweise ernstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schießgewehr, ja was ist der Mensch anders als ein verworrenes Bündel Röhren? Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799) Sudelbuch E
Der natürliche Rohrstock pseudoverholzender Gewächse heißt in vielen Sprachen cane (engl.), canne (frz.), canna (lat.) bis hin zur indogerman. Wurzel kanna. Erstaunlicherweise hat er in den semitischen Sprachen ebenfalls die Wurzel q-n 31) immer als `Rohr, Schilfrohr´ und verweist damit auf ein sehr hohes Alter 32). Dem entspricht griechisches calamos mit indogermanischer Wurzel und lateinisches arundo, für das altägyptische Entlehnung möglich erscheint (arum > Aronstab).
Ein solches Rohr unterscheidet sich vom Stock durch besondere Eigenschaften, denn:
In den Trockengebieten zwischen Marokko und Zentralasien gibt es keinen Bambus. Dort eignen sich die Stängel der Steckenkräuter (Ferula, z.B. Riesenfenchelstängel) als leichte Stäbe, da sie recht stabil sind, extrem leicht und bis zu vier Meter lang. Genutzt wurden sie als Stütze (Jes. 36:6), Tischbein, Messstab (Off. 11:1, 21:15,16), Behälter, getrocknet und eingeweicht zum Flechten, als Zuchtrute und Spielwaffe, als Räucherware und Medizin. In Abbildungen deuten gerader Wuchs und Rohrknoten auf solche Stäbe. In Indien, wo Sprecher indogermanischer Sprachen auf den unbekannten Bambus trafen, übernahmen sie aus einer Mundasprache den Begriff Daṇḍa für Stock, behielten aber वैतस vaitasa für den Rohrstock, weil sich beider Eigenschaften grundsätzlich unterschieden.
» ... der Erfindung des Mechanikus Eckler in Berlin, war; denn [der Reisestock] enthielt erstens: sich selbst, nämlich einen Reisestock; zweitens: nochmals sich selbst, einen Malerstock; drittens: nochmals sich selbst, einen Meßstock; viertens: nochmals sich selbst, ein Richtscheit; fünftens: nochmals sich selbst, ein Blaserohr; sechstens: nochmals sich selbst, ein Tabakspfeifenrohr; siebentens: nochmals sich selbst, einen Angelstock; darin aber waren noch ein Stiefelknecht, ein Barometer, ein Thermometer, ein Perspektiv, ein Zeichenstuhl, ein chemisches Feuerzeug, ein Reißzeug, ein Bleistift und das Brauchbarste von allem, eine approbierte hölzerne Hühneraugenfeile, angebracht; das Ganze aber war so eingerichtet, daß man die Masse des Inhalts durch den Druck einer Feder aus diesem Stocke, wie aus einer Windbüchse, seinem Feind auf den Leib schießen konnte. Clemens Brentano Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter, 1817
Die Komplexität des Werkzeugs nimmt zu, wenn der Stab nurmehr zum Schaft oder Stiel wird, also zum Werkzeugträger für etwas. Den einteiligen Stab gedanklich in seine drei Teile zu zerlegen und neu zu erfinden, führt letztlich zum »Systemstock« als multifunktionalem Werkzeug, als Stock »mit Seele«, dessen »Innenleben« etwas verbirgt und oft zur Waffe wird wie etwa
Für die nachfolgende Typologie von Stöcken und Stäben findet sich in der Fachliteratur kein Anknüpfungspunkt und so ist dies der vielleicht erste Versuch einer systematischen Analyse dieses Gegenstandsfeldes. Dieser Versuch fokussiert auf Stöcke, die dem »Wesen« des Stabes als Werkzeug und Waffe entsprechen, indem sie tragbar sind und die mechanischen Grundfunktionen (s. Typologie 1) ermöglichen: Stützen, Schlagen, Stoßen; die meisten solcher Stäbe reichen bis in Brusthöhe, plus minus einem halben Meter und lassen sich bequem mit der Hand umfassen. Überlange Stöcke (z.B. Lanzen wie die hasta sanguinea), überschwere (z.B. Mast), kurze (z.B. Zeigestab) und ortsfeste (z.B. Pfosten, Stangen wie das pilum murale) bleiben hier unbeachtet.
Entwicklungsgeschichtlich sind Stöcke und Stäbe wesentlich durch die natürlichen Eigenschaften und Wuchsformen verholzender (Bäume, Sträucher, Stauden) und pseudo-verholzender (Steckenkräuter, Bambus) Gewächse bestimmt. Es ist daher anzunehmen, dass die frühe Nutzung von Stäben durch »function follows form« geprägt wurde, gefolgt von einer durch die Erfahrung geprägte Optimierung natürlicher Formen und spielerisch erprobter Zweckentfremdung (»exaptation«), bevor es zu Erfindungen wie der Schäftung kam, bei dem sich technisches Denken in »form follows function« spiegelt 33).
Dabei können Knochen, Hörner und Geweihstangen Vorbild nicht nur für Formen geliefert haben, denn was sich mit einem Gehörn alles bewerkstelligen lässt, zeigen wilde Tiere dem Beobachter kämpfend, im Boden wühlend, stoßend und reibend.
Mineralstäbe gibt es in Form von Fulguriten, zerbrechlichen glasartigen Blitzröhren, die im Sand durch Blitzeinschlag entstanden. Auch manche Minerale (insbesondere Quarzite und Calcite) können stabähnliche Kristalle bilden wie etwa Bergkristall.
Daher spiegelt sich in der Typologie die Annahme, dass diese Stöcke und Stäbe im Laufe der Zeit vielfältiger wurden, weil neue Entwicklungsstufen hinzukamen, nämlich:
Kategorie | Kennzeichen | Beispiele | Bezüge | ||
---|---|---|---|---|---|
oben | Schuss | unten | |||
Wuchsform | 1 | n | 1 | ||
Stange lat. pertica | gerade | ḫaṭṭu, šibirru | Babylons Könige | ||
Spieß lat. stimulus | gerade | 1-spitzig | Partholz, Schweinespieß | Viehhirten ind. Lokapala |
|
Rohrstock lat. ferula | hohl, Knoten regelmäßig | Thyrsos, Narthex Ferula, Kerykeion | Bacchus, Dionysos Papst, Patriarch |
||
Rute lat. ferula | biegsam, dünn | Gerte, Zuchtrute Lebensrute | Ruprecht, Perchta Nerthus, Herta |
||
Knotenstock | verdickt | ungleichmäßig | Stenz Ziegenhainer | Wanderburschen Studenten |
|
Keule lat. fustis | dicker werdend | verdickt | Kolben, Shillelagh Knobkierie | ind. Lokapala Wilder Mann, phön. Melkarth, Baal, gr. Herakles heth. Berggötter |
|
bearbeitet | |||||
Keule lat. pilum | dicker werdend | Griff mittig | dicker werdend | Mörserkeule vajra (Donnerkeil) | ind. Lokapala Zeus, Salii, Silvanus Ritus `pilo ferire´ |
Zwieselformen | n | 1 | n | ||
Grabstock | ungleichmäßig | ᴧ-Form | spitzer Haken | Jäger & Sammler | |
Lagobolon | dünner werdend | ᴧ-Form verdickt | Pan, Wurfstock, Amtsstab | etrusk., griech. | |
(Ast-)gabel lat. furca | ∪-Form | Heu-, Mistgabel | phön. Moloch | ||
Dreizack lat. tridens gr. θρῖναξ | Ψ-Form | ind. Trishula | ind. Lokapala, ägypt. Serapis gr. Poseidon, Triton, röm. Neptun |
||
»Blitz« lat. fulmen, fulgur | Astform | ℘ gezwirbelt | Vorform für Caduceus | etrusk. Turms Blitzsymbol |
|
Wünschelrute lat. virgula divina | Y-Form | ||||
??? | r-Form | Kultstab 34) | Etrusker | ||
Schächerkreuz | Y-Form | Tragstange Furca, Deichsel | Legionäre | ||
Krummstäbe | gebogen | ||||
Heqa- | ∩-Form | Versatz | Hekat-Zepter | Pharao, Magier | |
Krümme lat. curvatura | ∩-Form | Gamlu(m) | akkad. Könige, Exorzist | ||
Hirtenstab lat. virga, pedum baculum pastorale | ∩-Form | Auet-Zepter | Pan, Faunus, Thaleia, Hirten Abt, Bischof |
||
Volutenstab | ∩-Form spiralig | Abt, Bischof | |||
Baselstab | ∩-Form | 3-spitzig | Baslerstab | Bischof | |
Lituus | ∩-Form spiralig | Kalmuš Lituus | Hethiterkönig Etrusker, Auguren röm. Könige |
||
Stab mit | Erweiterung | ||||
Tau-Stab, lat. crux commissa | T-Form | gegabelt | Was-Zepter ägypt. Kreuz | Pharao, Antonius Eremiten |
|
Henkel lat. crux ansata | Anch-Aufsatz | kopt. Kreuz | kopt. Christen | ||
Kugel | O-Aufsatz | Zepter | röm. Herrscher scipio eburneus |
||
Kugel | O-Ende | Streitkolben | |||
Knoten | 1 | verbindender Nodus | |||
Knoten | min. 3 | Rohrstock | Ferula, Bambus | ||
Eisenspitze | 1-spitzig | Speer | |||
Ferule | Metallkapsel | ||||
Stab mit | Halbkreis-Kreis | ||||
Sichel | ∪-Aufsatz | Mondsichel | Hekate | ||
Schlangen Mond-Sonne | ∪ auf o ∪ auf oo | Was-Zepter, Caduceus Kerykeion, Dikanikion | Hermes, Äskulap Patriarch |
||
Dreieck | ∇-Aufsatz | Hacke `marru´? | babyl. Marduk, Schäfer | ||
Korb | Metall/Bronze | Seiðr-Stab | germ. Seherinnen völva | ||
Attribut | |||||
Bänder, Tuch | Pannisellus, sudarium | Bischof-, Abtstab | |||
Laub & Zweige | Efeu, Wein | gr. Apollon, Bacchus röm. Fidius |
|||
Pinienzapfen | Thyrsos | gr. Dionysos | |||
(Seil-)Ring | kippatu | babylon. Stadtgott Bel-Marduk mit Ring & Stab hattu |
|||
daNDapAza | Stab danda & Seil von Yama, hind. | ||||
petîlāh | Seil & Stab/Siegel hôtām, hebr. Hira, Judas |
||||
Vogel | röm. Fidius, Juno |
Stämmchen oder Äste, die nicht gerade gewachsen sind, ermöglichen neue Werkzeuge, etwa als zwei- oder dreizinkige Gabel (ahd. gaffel, lat. furca) für Heu 35) oder für Wünschelruten, als Tragstange oder Folterinstrument 36). Solche gestörten Wuchsformen heißen allgemein Zwiesel (z.B. im 12. Jh.: furca zvisela, furgca haggo vel zuisilla).
V-förmige Gabelungen sind instabil und neigen zum Spalten; U-förmige Zwiesel sind stabil. Solchen Gabelformen wurden oft magische Eigenschaften zugeschrieben, vielleicht weil die Gabel als abstrakte Form des menschlichen Körpers erscheint wie das chinesische Zeichen 人 rén für Mensch. Solche Vorstellungen spiegeln sich in Bezeichnungen wie Alpruthen oder niedersächsich Marentakken. So wird die krüppelig wachsende und immergrüne Stechpalme zwar sachlich zum Zwieseldorn, englisch aber zum Holly-tree (Baum der Frau Holle), dänisch zu Maretorn. Auch die immergrüne Mistel wächst wild als Zwiesel, ist pharmazeutisch wirksam und zeigt im Volksmund als Albranke, Donnerbesen, Druidenfuß, Hexenbesen ebenfalls den Glauben an übernatürliche Kräfte 37).
Hexenbesen (auch: Donnerbesen) sind buschartige Wucherungen von kurzen, dünnen Zweigen an Bäumen, die an die früher gebräuchlichen Reisigbesen erinnern. Meist durch Schlauch- oder Rostpilze wie Taphrina-Arten verursacht, zeigen sich solche Phänomene besonders an Birken (mit T. betulina), Kirschbäumen (T. Cerasi), Pflaumenbäumen (T. insititiae), Hainbuchen (T. Carpini), Erlen (T. epiphylla), Berberitzen (Aecidium magelhaenicum), Akazien (Uromyces).
Der Begriff »Knoten« wird mehrdeutig verwendet. Beim Knotenstock ist der Knoten eine natürliche Verwachsung, die sich als Verdickung zeigt. Als Knoten wird aber auch der Übergang des Stabes zur Wurzel oder des Astes zum Stamm bezeichnet. Botanisch korrekt werden mit Knoten (engl. node) die Stellen am Rohrgewächs bezeichnet, an denen die Blätter sprießen und die sich als ringförmige Verdickung zeigen. Solche auf Abbildungen von Stäben dargestellte Knoten können also auf ein natürliches Rohrgewächs hinweisen oder sie erinnern an ein solches, indem sie tradiert sind, dekorativ oder als verbindendes Element konstruktiv bedingt sind.
Diese Typologie differenziert nach den Formen des Stabes, daher zeigen sich ursprüngliche Eigenschaften des Materials oder der Kräfte nur angedeutet oder indirekt. Äußerlichkeiten wie Krümme oder Knoten lassen ursprünglich auf ein biegsames Material oder ein hohles Rohr schließen, sie können jedoch auch konstruktiv bedingt sein, etwa indem eine Krümme auf ein Rohr aufgesetzt wurde.
Griechischer Kerykeion 38) und römischer caduceus 39) sind im Prinzip identisch, werden jedoch über die Jahrhunderte äußerst unterschiedlich dargestellt. Je nach Genauigkeit einer Darstellung ist es schwer oder auch unmöglich ähnliche Symbole zu unterscheiden: zwei Spitzen könnten Triebe sein, eine Mondsichel, stilisierte Schlangen 40). Die Darstellung mit zwei Schlangen - bis heute Zeichen der heilenden Berufe - ist die jüngste und vieldeutigste, sie vereint: den Äskulapstab, den Patriarchenstab Kerykeion, den Bischofstab von Otto von Bamberg
, den Caduceus von Hermes, Merkur, Turms, die Stäbe von Moses und Aaron, die Stäbe der ägyptischen Pharaos und Magier. Ob der Schlangenstab in Ägypten (dem Mutterland der Magie und Chemie) wurzelt oder in Mesopotamien 41) sei dahingestellt. Allerdings ähnelt das Keilschriftzeichen für Schlange (BU) dem WAS-Zepter; die gegabelte Spitze stellt deutlich eine doppelzüngige Schlange dar.
Ältere Darstellungen zeigen Halbkreise und Kreise, die sich als Sichel, Mond, Sonne oder Acht deuten ließen. Die Vielzahl der Caduceus-Formen hat de Waele
zusammengestellt und geordnet 42) und führt die abstrahierten geometrischen Formen letztlich zurück auf den `gegabelten Ast´, dessen lange Zweigspitzen mehr oder weniger gekrümmt, gebogen, verzwirbelt wachsen oder so geformt werden. Stäbe, denen diese natürliche Form des Astes noch anzusehen ist, führt der etruskische Reisegott Trums
und selten sind sie auch in griechischen Motiven zu finden 43). Die verzwirbelte Astgabel dient oft auch als Symbol für den Blitz 44).
Eschenholz wird für die Stiele von Schaufeln, Hacken und Hämmer verwendet, also für große Kräfte. Aus leichtem Lindenholz werden Stiele für Besen, Rechen und andere Geräte mit geringem Krafteinsatz gefertigt. Linde, Buche, Esche eignen sich nicht für den ständigen Einsatz im Außenbereich. Krafteinleitung, Ergonomie und Materialeigenschaften führen zu zweckoptimierten Formen und Dimensionen sowie zu unterschiedlichen Schäftungen.
Hinweise zur Tabelle:
D Durchmesser, Maße in mm, Knopf: Verdickung der Handhabe, Konus: Verdickung im Schuss
Werkzeugstiel | Handhabe | Schuss | Zwinge | Länge | D Handhabe | D max |
---|---|---|---|---|---|---|
Druck & Zug | ||||||
Besenstiel | gerade | stumpf | 1.600+-200 | 24 | 24 | |
Gerätestiel | Knopf | (Konus) | gespitzt | 1.800+-400 | 28 | 28 |
Heben | ||||||
Schaufelstiele | Knopf | gebogen | stumpf | 1.400+-100 | 40 | 40 |
Druck & Heben | ||||||
Gabelstiele | Knopf /T | gebogen | gespitzt | 1.600+-200 | 36+-3 | |
Spatenstiele | Knopf/T | (gebogen, Konus) | 1.000+- 50 | 40+-2 | ||
Schlagen | ||||||
Beilstiele | Knopf | fast gerade | Kuhfussform | 450+-50 | 25+-3 | 55+-5 |
Axtstiele | Knopf | fast gerade | Kuhfussform | 800+-200 | 28+-2 | 60+-5 |
Spaltaxt | Knopf | fast gerade | Kuhfussform | 850 | 40+-4 | 65+-5 |
Hammerstiel 100-400 g | Knopf | geschweift | oval | 290+-30 | 11+-2 | 20+-3 |
Hammerstiel 500-1.000 g | Knopf | geschweift | oval | 340+-20 | 17+-2 | 28+-2 |
Fäustelstiel 1-2 kg | Knopf | geschweift | oval | 280+-20 | 20+-2 | 34+-3 |
Vorschlaghammer 3-15 kg | Konus | 750+-150 | 29+-5 | 50+-8 | ||
Kreuzhacke | Knopf | Konus | verdickt | 1.000+-50 | 40+-5 | 70+-5 |
Begriffe, Beschreibungen, Abbildungen und untersuchte Artefakte beleuchten Stäbe mehr oder weniger vollständig, so dass sich die Quellen gegenseitig ergänzen müssen. Die Begriffsfelder enthalten semantische Informationen, die den Stab in unterschiedlichen Relationen bezeichnen:
Bei allen Übergängen zeigt im Deutschen `Stock´ ältere Wortwurzeln und verweist in der Regel auf natürliche rohe, grobe, Formen. Der Stock bleibt in seiner ursprünglichsten Form erkennbar, wenn Nebenbedeutungen auf Holz, Stamm, Wurzel, Ast, Zweig, Schößling verweisen (s.o.). Das hebräische ʽez/ʽes bedeutet Baum, aber auch Schaft und Speer; das griechische xýlon bedeutet Holz, aber auch Knüppel; das hebräische maqqel bedeutet Ast, aber auch Stab.
Mit dem Bezeichnen des Primärzwecks - also etwa der ortsfesten Verwendung als Stecken, dem Schlagen mit Keule oder Knüttel, dem Stützen mit der Stange, dem Stoßen mit Spieß, Gabel, Speer - ist eine Bearbeitung als Werkzeug zu erkennen; der Stab unterscheidet sich damit sachlich und begrifflich vom rohen Stock. Zugespitzt ließe sich formulieren: das Begriffsfeld um den Stock ist botanisch bestimmt, das Begriffsfeld um den Stab dagegen handlungsorientiert und zweckgerichtet, also technisch.
Der Gebrauch der Lebensrute als Mittel, die Kraft der Pflanze zu übertragen, findet sich auch in anderen Begriffen für Stäbe:
Sprache | Begriff | ig. Wurzel | Bedeutung | |
---|---|---|---|---|
Deutsch | Stock | (s)teu-1 *(s)teug- | `stoßen, schlagen; Stumpf abgeschlagener Ast, Stamm´ | |
Deutsch | Stecken | steig- | stechen | ortsfest wie Pfahl, Pfosten |
Deutsch | Stange | (s)teg-2 | die Länge betonend | |
Deutsch | Stab | steb(h)- | stützen, stemmen, stampfen starr, festwerden, halten, hindern | Kraft, Stärke, Gewalt |
Deutsch | Rute | u̯(e)rād- u̯erəd-, u̯rəd- | Zweig, Rute, Wurzel | |
Deutsch | Keule | *geu-, gū- | biegen, krümmen, wölben | > Kugel |
Deutsch | Knüttel | gn-eu-t- | etwas verdicktes | > Knotenstock |
Deutsch | Krücke | ger-3 > greu-g- *krukjō(n) | `drehen, winden´ sich krümmen, kriechen | > Krummstab |
Deutsch | Gabel | ghabh(o)lo- | Astgabel, Gabelung, Gabel | > Dreizack |
Deutsch | Ger | *ĝhaiso > *gaiza | antreibend > Gerte Speer, Wurfspieß |
|
Deutsch | Speer | (s)per-1 | verspreizen, stützen stemmen, sperren | > Sparren |
Latein | Baculum | bak- | stützen, stechen, stoßen, schlagen | als Gegenteil von schwach, zerbrechlich Pegel als Maßstab |
Latein | Fustis | bhā̆u-1 | schlagen, stoßen | > Strunk, Knorren, Stumpf |
Latein | Pertica | perth- | Stange, Schößling | Weinstock |
Latein | Pedum | pē̆d-2, pō̆d- | Fuß, gehen, fallen | Fuß als Maß |
Latein | Stimulus | ĝhasto-1 | Rute, Stange | > Hasta, Gerte, Meßrute |
Latein | Virga | Hirtenstab |
Deutsch | Engl. | Franz. | Latein | Griech. | Russ. | Norw. | Hebräisch |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Stock | stick | canne | scēptrum | σκῆπτρον skêptron | ски́петр skípetr | stock | מַקֵּל maqqél 1Mo 30:37 1Sa 17:43 shärvet, schévet 3Mo 27:3 |
Stecken | stake | bâton | radius | τρίστεγον tristegon | прут prut | pinne | motil > Metajel (Wanderer) > `Last, beladen´ |
Stange | rod | rondin barre | pertica | δορᾰ́τιον | стержень stérženʹ | stang | mot(ah) `Tragstange´ 1Kön 8,8 מטּה mattéh `Stamm´ Jes 28:27 |
Stab | staff | bâton | baculum | ῥάβδος rhabdos βάκτρον bactron | брусок brusok | stav | שֵׁבֶט ševæṭ 2Sa 18:14; 21:19 mischʽéneth Ri 6:21, 2Kö18:21 |
Rohrstock | cane | canne rotin | canna | νάρθηξ narthex | камышо́вая трость tróstʹ | kjepper | קנה kane shot, s(h)vot |
Rute | ferule | verge | virga | νάρθηξ narthex | прут prut | ris riset | זנב zanáv |
Keule | club, bat | batte massue | clava | ῥόπαλον robalon | дубина dubína | klubba | תּוֹתָח tôtāḥ > `zerlegen´ |
Knüttel | cudgel | gourdin massue | fustis | σκύταλον skutalon | дуби́на dubína | knoke | Matt. 26:47, 55 |
Krücke Krummstab | crook | crosse | lituus | ῥάβδος rhabdos | клюка́ kljuká | krykke | kaw, auch Hohlmaß, 1-2 l |
Gabel | fork | fourche | vara, furca | ζυγός zygos | вилка vílka | gaffel | masleg, kilschon `Heugabel´ |
Dreizack, -zahn | trident | trident | tridens fuscina | Τρίαινα Thrinakíe | Трезу́бец | trefork | טריידנט Trident 2Sa 18:14 |
Spieß | goad, pike | pique | stimulus | λόγχη logchē | копьё kopʹjó | spyd | כִּידוֹן kîdôn, kajn 1 Sam 17,6-7-45 |
Speer | spear | lance | hasta | δόρυ dory | копьё kopʹjó | spjut | חֲנִית ḥǎnît רֹמַח1 Sam 26,16 romaḥ 1 Chron 12,8 hastate |
Ast | branche | branche | ramus | φρύγανον phrýganon | сук súk | gren | onaf |
Zweig | twig | brindille | ramus | τρίβος tribos | ве́тка vétka | kvist | Chotär > `hacken´ |
Schilfrohr | reed | roseau | calamus arundo | κάλαμος kalamos | камы́ш kamýš | takrør | קנה kanäh Ssuf |
Für das hebräische maqqel finden sich 18 Belege im Alten Testament 49):
Informationen | durch | Beispiel |
---|---|---|
… erfassen | Tasten | Langstock |
… erfassen | Vergleichen | Elle, Jakobsstab/Stephanom, Meßstab Gewichtsteine mit Balkenwaage |
… erfassen | Messen | Setzwaage (gr. diabetes, auch: Zirkel) lat. radius `Stecken´ gr. tornos (Kreisstift) mit Messschnur (gr. stathme) babyl. (Seil-)Ring kippatu und Stab hattu hebr. 50) Seil petîlāh in V 18; petîlîm in V 25; Stab mataeh, Siegel hôtām |
… erfassen | Skalieren | Lineal (gr. kanon), Zollstock, Messlatte |
… anzeigen | Vereinbarungen | Schulzenstab als Einladung mit Kerben als Zeichen des Erhalts |
… anzeigen | Systemwissen | Zeiger, Polstab (Sonnenuhr) Skiotherikós Gnomon Richtungsweiser … |
… verarbeiten | Systemwissen | Abakus |
… speichern | Systemwissen | Buchstabe, Runenstab, Eibenstäbe mit Ogham-Schrift, Kerbholz (lat. festuca, -notata) |
Beim Vergleichen ist zunächst der Mensch selber das Maß aller Dinge; es entstehen Faustregeln wie Klafter, Elle, Fuß usw.
Wird das Vergleichen mit Zahlen kombiniert, so wird aus einem regelmäßigen Abzählen ein Messen. Spätestens beim Verteilen von Feldern und beim Bauen wird ein systematisches Messen und die Organisation des Wissens erforderlich 51). Das ausgewachsene Rohr stabiler pseudoverholzender Gewächse (Steckenkräuter, Papyrus, Bambus) wird durch Knoten regelmäßig unterteilt in abzählbare Abschnitte, deren Länge zum Vergleichen genutzt werden kann.
»Und es wurde mir ein Rohr gegeben, einem Messstab gleich, und mir wurde gesagt: Steh auf und miss den Tempel Gottes und den Altar und die dort anbeten.« 52) »Und der mit mir redete, hatte einen Messstab, ein goldenes Rohr, um die Stadt zu messen und ihre Tore und ihre Mauer. Und die Stadt ist viereckig angelegt und ihre Länge ist so groß wie die Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohr: zwölftausend Stadien. Die Länge und die Breite und die Höhe der Stadt sind gleich. Und er maß ihre Mauer: hundertvierundvierzig Ellen nach Menschenmaß, das der Engel gebrauchte.« 53) Geplante Siedlungen mit Bauten und Feldern bedürfen der vorherigen Ausmessung. Die indischen Veden (2. Jahrtausend v. Chr.) kennen ursprünglich vier Richtungsgottheiten (Dikpala, Lokapala) wie Agni
(Süden, āgneya), Kubera
(Norden, uttera), Yama
, Indra
. Zu deren Attributen gehören auch Stäbe (danda, shakta) und Seile (pasam, pasa), die sich als Messwerkzeuge deuten lassen. Auch der babylonische Gott Marduk
trägt Messseil und Messstab 54), wobei das Messseil durch Knoten in Abschnitte unterteilt wurde 55).
Das sumerische `gin´ mit dem Ideogramm »Halm« war ein (Schilf-)rohr als Längenmaß mit einer definierten Länge von etwa drei Metern, gelangte über das akkadische qanu und das hebräische קנה (kane, als Messrute von 6 Ellen in Hesekiel 40,5) ins Griechische xaváv und schließlich als kanon ins Griechische (`Lineal´) und Lateinische mit der bis heute gleichbleibenden Bedeutung, nämlich als verbindlicher Maßstab, als strenge Vorgabe 56). Als canna blieb es bis in die Neuzeit ein italienisches Längenmaß von etwa 2 m und als canne ein französisches Längenmaß etwa 2,3 m.
Die Rohrabschnitte wurden als Behälter für Flüssigkeiten genutzt, etwa als `Kanne´. Ein Riesenfenchelstängel von 3 Metern Länge und mit 4 Zentimetern Innendurchmesser hat ein Volumen von 3,7 Litern, darauf könnten alte Maße beruhen: z.b. altägyptisches Heqat 4,75 l; hebräisches הִין hîn etwa 3,7l 57).
Mit Stab und Seil wird das Unterteilen von Flächen möglich 58); mit dem Stab als Polstock lässt sich ein Kreis schlagen; mit dem Stab als Schattenstab eine Sonnenuhr konstruieren und die Himmelsrichtungen festlegen (siehe Lituus). Der älteste Schattenstab (Gnomon) für astronomische Messungen wurde in Taosi (China) ausgegraben und auf ca 2.3000 vor Chr. datiert 59).
Bis ins 19. Jahrhundert ersetzten Zeichen und Riten das Lesen und Schreiben. Wollte der Dorfschulze die Gemeinde zusammenrufen, so ließ er einen geschälten Weidenast von Haus zu Haus gehen, in den jeder seine Hausmarke bestätigend einritzte: »De Knüppel geit um« 60). Dieser Brauch scheint uralt zu sein, denn er findet sich von Litauen bis Island 61) als:
Seine Bedeutung hat er als Botenstab, weil er ein Gebot darstellt, doch mahnt er durch seine bäuerlich-derbe Form auch an Gewalt. Als »kafli« verweist er auf eine Urform `Kiefer´, die sich in den gekrümmten Formen von Kringel und Kriwule erhalten hat 64). Als Amtszeichen wurde er zum baculus nuntiatorius oder tabellarii, zum Kerykeion und Caduceus.
Wer das Symbol deutet, tut es auf eigene Gefahr. Oscar Wilde (1854 - 1900)
Die »Kommandostäbe« 65) oder Lochstäbe aus Knochen 66) wurden vielfach, jedoch meist wenig überzeugend interpretiert als Trommelstock, Pfeil-, Speerstrecker, Gerät zum Korbflechten oder Leder bearbeiten, Schleudergriff, Gewandschließe, Spitzhacke 67), Jagdwaffe.
Sofern jedoch zum einen keine wesentlichen Spuren mechanischer Nutzung erkennbar sind und zum anderen Zeichen auf dem Stab eingeritzt sind, ist die Nutzung wahrscheinlich über die Zeichen zu deuten. Bei dieser Art von Stäben geht es nicht um Kraft, Hebel oder Drehmoment. Diese Art von Werkzeug setzt Regeln und Normen in einer Gruppe voraus; diese festzusetzen und durchzusetzen erfordert Herrschaft; sie zu verstehen erfordert Bildung. Das mechanische Stabwerkzeug kann jeder mehr oder weniger gut handhaben; das informationstechnische Stabwerkzeug erfordert kognitiv Abstraktionsvermögen und sozial einen Zugang, eine gemeinschaftliches Übereinkommen, ein Vorwissen oder ein hermetisches Wissen.
Ein informationstechnisches Werkzeug kann Informationen erzeugen (wie der Zeiger der Sonnenuhr), Informationen verarbeiten sowie Informationen speichern (Kerbstab). Es kann als ein Zeichen erscheinen (wie der Schulzenstab) und kann zum anderen Zeichen tragen. Das Wort `Zeichen´ 68) meint ursprünglich `sehen´ verbunden mit Aufmerksamkeit, Einsicht, Verstehen, also ein Schauen hinter das oberflächlich Gesehene, das ein Denken auslöst und zum Erkennen führt. Das Zeichen ist mehrschichtig 69):
Index sind beispielsweise
Als Symbol ist die Deutung nur möglich, wenn die soziale Konvention bekannt ist. Je weniger Symbolgehalt den Zeichen zugeschrieben werden kann, desto wahrscheinlicher speichern die Zeichen jedoch Informationen 76):
Kelley, D. H.
, Milone, E. F.
In der griechischen Mythologie schenken die Musen dem Hirten Hesiod
einen Krummstab zum Führen und Lenken 78). Die griechische Göttin Athene
schenkt dem blinden Theiresias
einen Krummstab als Blindenstock 79). Das σκῆπτρον skeptron (> Zepter) der griechischen Sänger legitimerte deren Auftritt vergleichbar dem rhabdos der Barden (rhapsodos). Jesus befahl den Aposteln ihren Stab zu nehmen und sandte sie in die Welt hinaus den Glauben zu verbreiten (»Aussendung«). Die Nachfolger der Apostel waren über Jahrhunderte hinweg »Gesandte Gottes« 80), also Wanderprediger, die »per pedes apostolorum« den Stab als Wanderstock führten, bis die stabilitas loci zur Seßhaftigkeit rief und der Wanderstab in die Ecke gestellt wurde. Die irischen Wandermönche des Mittelalters führten den Krummstab und verbreiteten dieses Symbol in weiten Teilen Europas 81).
An Stäben war erkennbar, ob jemand zu einer bestimmten Gruppe gehörte oder auch nicht. Dann dient der Stab als Kennzeichen im Sinne einer reinen Information über den Stabträger:
Danda
`Stock´ als Kennzeichen indischer Wandermönche `Dandin´In manchen Sprachen findet sich ein expliziter Begriff für `Stabträger´ 84) . Dann ist der Stab mehr als ein Kennzeichen und eine Auszeichnung mit Rechten oder eine Ausgrenzung mit Rechtlosigkeit. Die Gültigkeit der Zuordnung leitete sich dabei von einer hierarchisch höheren Macht ab; der Stab ist daher Insigne, die gegeben und entzogen werden kann.
Als Zepter wird der Stab zum Zeichen für die oberste weltliche Macht von Herrschern, Priesterkönigen und Gottkönigen. Einerseits zeigte das Zepter die Aufgabe des Königs sein Volk wie ein Hirte zu behüten. Andererseits wurde davon die delegierte Macht (»im Namen des Herrn«) abgeleitet und gleichfalls durch (geringere) Stäbe als Insignien symbolisiert. Indem sich der Besitz eines Zepter von einem höheren Wesen ableitet, wird es schwer, dessen Gültigkeit anzuzweifeln. Derart verbinden sich weltliche und geistige Macht und deren Machtinhaber (engl. rulers & dignitaries).
Der Begriff Zepter ist ein Lehnwort aus dem Griechischen σκήπτω `stützen´ und σκίπων, σκῆπτρον skeptron `Stab´. Wie die deutschen Begriffe `Schaft´ und `schaben´ führt dies zurück auf indogermanisches `(s)kā̆p-´, also `mit scharfem Werkzeug schneiden, spalten´, hier im Sinne eines abgeschnittenen Astes als Stab. Seine Bedeutung als Zeichen für absolute Macht im Sinne von `Zepter´ erfolgte in Europa in der römischen Antike, wo zuerst das `scipio eburneus´ 87) als Insigne der `viri triumphalis´ erscheint, hatte sich also bereits vor 2.500 Jahren als elfenbeinerner Stab weit entfernt von einem ursprünglichen Ast.
Älter ist das Zepter in den altorientalischen Gesellschaften. Herrschaft bedeutete zwischen Nil und Euphrat den Zugang zum Wasser zu kontrollieren. Ägyptische Göttinen tragen ein Papyruszepter mit glatten Blütenrändern, Götter einen Lotosblütenstab mit gezackten Blatträndern, weil die Wasser-Hieroglyphe gezackt ist. Auch die Bibel weist ein breites Spektrum von Insignien und Zepter auf 88). Gab man jemandem aber ein Zepter aus Rohr, so machte man ihn lächerlich 89).
In den europäischen Waldgebieten konnte es ein solches zentrales System nicht geben. Der Herzog oder König zeigte hier stattdessen das eiserne Schwert und der nordische Gott Thor
führt den Hammer als geschäftetes Werkzeug und Waffe.
Vor den Eiben kein Zauber kann bleiben. K.F.W. Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexcon
Auf Glaubenssysteme und spirituelle Aspekte weisen Handlungen in unterschiedlichem Grade hin, etwa:
Athene
verwandelt Odysseus in einen Bettler 96);
Dieses Spektrum spiegelt eine Hierarchie der Benutzer:
Eine Lebensrute kann sich jeder suchen und damit sein Vieh schlagen;
die Grabbeigabe wird von den Glaubensvorstellungen der Gemeinschaft geprägt;
das kultische Instrument setzt Zugehörigkeit zum Kult sowie Kenntnis der und Teilhabe an den Riten voraus;
der erfolgreiche Einsatz der Wünschelrute setzt eine gewisse Disposition des Benutzers voraus;
aber nur Berufene wie Hohepriester, Seherinnen, Schamanen in Zentralasien und Nordamerika (Poro) 99) können über den Zauberstab verfügen, wie dies in Goethes Zauberlehrling sehr anschaulich geschildert wird.
In der »weißen« Magie ist der Zauberstab kein Zeichen, an ihm hängen keine Rechte und er steht auch nicht für Macht, denn die magische Wirkung ist dem Stab nicht immanent, sondern dieser vermittelt lediglich zwischen seinem Benutzer und höheren Mächten, setzt also Glaube, Fähigkeit und Bereitschaft voraus. In der Bibel tadelt Gott den Moses, weil er den Stab für ein Wunder nutzt, wo doch seine Hand genügt hätte.
Daher ist der Zauberstab auch nicht heilig und kein Gottesstab, sondern ein in der Natur verfügbarer, der sich jedoch durch besondere Eigenschaften auszeichnet und in ritualisierter Weise gefunden, geschlagen, hergestellt wird 100).
Als älteste nachweislich religiöse Ikone Amerikas gilt der »Stabgott«, der vielfach in den Anden zu finden ist und dessen ältester Beleg - ein Kürbisfragment - auf 2.250 BC datiert wurde.
Mathieu Viau-Courville
^ Kultur^ Archetyp^ ^Ur-Funktion^ Stab^ Merkmale^ Vorläufer ^
ägyptisch | Osiris | Vegetationsgott | Krummstab | Wedel | ||
phönizisch | Astarte | |||||
hebräisch | Aaron | Hohepriester | Schlangenstab Aronstab | Ferula blühender (Mandelholz)stab | ||
etruskisch | Turms | Bote | Astgabel | |||
griechisch | Asklepios | Heiler | Äskulapstab | Schlangen | ||
griechisch | Chronos | |||||
griechisch | Circe | Zauberin | Zauberstab | |||
griechisch | Hermes | Bote | Botenstab | |||
Iris | ||||||
römisch | Bacchus | Weingott | Thyrsos | Fenchelstängel | ||
römisch | Merkur | Marktschützer | Caduceus | Hermes | ||
römisch | Janus | liminal deitie | Stab | Schlüssel | ||
römisch | Urania | Muse der Sternenkunde | Zeigestab | Himmelskugel | ||
christlich | Christophorus | Träger | ||||
germanisch | Hertha | Erdgöttin | Baldrianrute | Blüte, hohl | Frau Holle | |
Der Wanderstock gehört zu den selbstverständlichen Dingen; er kann dem Einzelnen bedeutsam sein, aber er scheint nirgends als Wanderstab kulturelle Bedeutung erlangt zu haben. Mag er als individuelles Werkzeug noch so nützlich gewesen sein, so bekam er nur als Pilgerstab vorübergehend eine weitgehend wertneutrale, kennzeichnende Bedeutung.
Individueller Nutzen begründet anscheinend keine kulturelle Bedeutung. Der Stab des Hirten ist jedoch nicht nur individuelles Werkzeug, sondern Kennzeichen einer Berufsgruppe, die als Hüter des Viehs Verantwortung für Gruppe und Gemeinschaft übernimmt. Der krumme Hirtenstab wurde von seiner Erfindung vor rund 11.000 Jahren zum ägyptischen Herrscherstab und schließlich zum heute weltweit bekannten christlichen Symbol.
Älter könnte das Zepter sein, als Waffe des Herrschers und als Zeichen seiner Macht: `Es kann nur einen geben´.
Auch esoterisches Wissen wurde von einer Minderheit gehütet und war mit Macht verbunden. Sofern diese Gruppen kennzeichnende Stäbe trugen, sollten sich diese auch als Werkzeug deuten lassen. Da Riten und Kulte eher im Verborgenen stattfanden, führen solche Deutungen zu Vermutungen und Hypothesen, etwa:
Ein den antiken Herrscherstäben in seiner Bedeutung vergleichbarer Stab ist bei den keltischen und germanischen Völkern nicht zu finden, auch kein »Gottesstab«: Thor führte den Hammer, die Könige das Schwert. Der Stab war dabei ein profaner Stiel.
Außergewöhnliche Stäbe kennzeichneten jedoch die germanischen Seherinnen, die daher auch als völva `Stabträgerin´ bezeichnet wurden.
Sprachlich verwandt damit ist der altfriesische walu-berа `Stabträger´ 101), ein »Fahrender Mann, Wanderer, Pilger, Wallfahrter« oder Waller, daher auch `Wallfahrt´. `vǫlr´ und got. walus `Stab´ führen zu einer gemeinsamen indogermanischen Wurzel `u̯el-7, also ´rollen´ > `runder Stab' 102).
Der ostfriesische wālrīder, wōlrīder, der im Saterland als weibliche walriderske und in Westfalen als walrieske ist analog zu walubera ein 'stockreiter', ein Nachtgespenst.
Häufig aus Metall und durch ihre Formen ungeeignet als Alltagswerkzeug, zu kurz und zu schwer, taugten die Stäbe der völr eher als Waffe, dienten als Symbol und magisches Instrument. Die Saga von Erik dem Roten erwähnt im dritten Kapitel eine Seherin mit einem bemerkenswerten »Stab mit Knauf, Kupfer und Steinen«. Ein außergewöhnliches Frauengrab der Frühlatènezeit wurde in Reinheim gefunden. Ein darin enthaltenes fünfteiliges Objekt mit Bernsteinperlen und Silberketten mit Klapperperlen wurde als Stab einer Seherin gedeutet und verglichen mit einem spindelförmigen Gerät aus Bronze und Eisen aus Dürrnberg bei Hallein sowie zahlreichen weiteren ähnlichen Objekten 103). Die meisten 104) dieser Stäbe in Frauengräbern sind aus Eisen, 45 bis 82 Zentimeter lang, mit Bronzebeschlägen und zum Käfig aufgeweiteten Korb. Es liegt nahe, dass dort Seherinnen bestattet wurden 105). 2005 wurde eine Statue gefunden, die von manchen als Völva interpretiert wird 106).
Materiell findet sich ein Ringstaf oder Klingerstaf 107) noch bis in die Neuzeit im Schwedischen als Hirtenstab:
»Außerdem führeten sie [die Kühehirten] auch einen besondern Hirtenstab in der Hand, welcher nicht wenig das Vieh in Furcht regte. Dieser Hirtenstab, der hier wegen der an ihm befindlichen Ringe, Ringstaf genannt ward, war eine halbe Elle lang, und besteht aus einem Stocke, oder hölzernen Schafte, mit einer umgebogenen und gedreheten Eisenstange, welche am Ende und in der Mitten festsaß. An dieser Stange hiengen fünf eiserne Ringe, welche ein Gerassel an der Stange machten.« 108) sowie in Ostpreußen 109) und Westfalen als Klingelstab 110).
Mehr als dreitausend Goldbblechfiguren »guldgubber« aus Schweden, Dänemark und Norwegen zeigen Männer und Frauen in unterschiedlichen Positionen - das häufigste Attribute ist der gerade Stab, 474 Exemplare zeigen Stabträger, meist Männer, meist mannshoch, selten kurz. Nur einmal hält eine Frau einen kurzen Stab 111). Ratke vergleicht die Symbolik mit anderen Quellen wie Brakteaten, Literaturquellen, Abbildungen aus dem Sachsenspiegel und Kenningars un dkommt zu interessanten Ergebnissen:
Die einfachste Erklärung wäre allerdings, den langen, einfachen Stab als Wanderstab zu deuten und die ihn betreffenden Goldgubben in einen entsprechenden Deutungszusammenhang zu stellen: als Amulett, als Opfer vor der Reise.
Der Lituus des römischen Kaisers war ein stark gekrümmter bis spiralförmig endender Kultstab ohne Knoten mit leicht verdickter Handhabe 114). Dieser Stab stand für weltliche Herrschaft aber auch für die Eigenschaft des Herrschers als Augur 115) zur Deutung des Vogelflugs 116). Unter Kaiser Augustus wurde er zum häufigsten religiösen Symbol und verdrängte den Thyrsos 117). Etymologisch wird `lituus´ auf `krümmen, biegen´, aber auch `verbergen´ zurückgeführt 118). Der Sage nach soll der Stadtgründer Romulus damit die Bezirke der Stadt gekennzeichnet haben 119). Tatsächlich übernahmen die Römer diesen Stab von den Etruskern, deren Wurzeln zu den Hethitern führen 120). In der etruskischen Religion diente der Lituus als Kultstab zum Bestimmen der Himmelsrichtungen, nach denen die Tempel und Felder ausgerichtet wurden. Er könnte dabei als Werkzeug gedient haben. Die Lituus-Funde in Kalkriese könnten so gedeutet werden 121).
Im Hethitischen wird ein dem Lituus ähnlicher Stab als `Kalmus´ bezeichnet. Im Hieroglyphenluwischen (wie das Hethische zur anatolischen Sprachengruppe gehörig) ist der Lituus als Hieroglyphe HH 378 eines der frühesten Zeichen 122). Das Zeichen selbst ist ungedeutet, findet sich jedoch beteiligt an den Begriffen für Auge, Pupille, beobachten, bewachen, kennen, finden, sehen und wird mit den Hieroglyphen für Oculus (Auge), Caelum (vom Himmel), Avis (Vogel) kombiniert, dann vereinzelt mit Bezug auf Augenheilung und den Sturmgott 123).
Es gibt keinen Hinweis, dass sich der Lituus von einem Hirtenstab ableiten lässt: als funktionales Werkzeug ist er dafür zu kurz und die Krümme ist zu stark. Etymologisch sind Name und Hieroglyphe sehr stabil und weisen gleichermaßen auf eine Bedeutung um `Vorhersehen, Deuten, Erkennen´.
Spekulieren ließe sich über einen instrumentellen Einsatz als Gnomon (Schattenstab), allerdings nicht für eine Sonnenuhr, denn für diese genügt ein einfacher Stab, der ortsfest und geneigt durch die Richtung des Schattenwurfs auf einer Skala die Tageszeit anzeigt. Komplexere Anwendungen wie den Umgang mit Gnomon und Polos sowie die 12-Stunden-Teilung des Tages haben die Griechen von den Babyloniern übernommen 124).
Mit dem Lituus wurden jedoch die vier Himmelsrichtungen festgelegt, auch als Grundlage für das Anlegen von Siedlungen und Feldern 125) Himmelsrichtungen sind nicht naturgegeben, sondern ein Denkmodell, das den Stand der Sonne und der Sterne zugrundelegt. Überall dort, wo Gräber, Megalithbauten, Tempel, Pyramiden sehr genau nach den Himmelsrichtungen angelegt wurden, muss es auch ein präzises Messverfahren gegeben haben. Ein solches ist als »indischer Kreis« aus der späten Antike überliefert und nutzt auch einen Schattenstab 126). Eine entsprechende Anlage scheint auf der türkischen Insel Kekova erhalten zu sein 127).
In seiner einfachsten Form kann dieses Verfahren überall im Laufe eines sonnigen Tages durchgeführt werden; die Optimierungen steigern die Genauigkeit. Ziel ist es, vormittag und nachmittags die beiden Punkte zu markieren, an denen das Schattenende des Stabes exakt auf einem Kreisradius um den Stab liegt.
Die Auswertung ist einfach: Die beiden Schnittpunkte des Stabendes mit dem Kreis werden durch einen Strich verbunden. Diese Sekante verläuft in Ost-West-Richtung; die senkrecht darauf stehende Winkelhalbierende verläuft in Nord-Süd-Richtung.
Die ältesten Darstellungen von Stäben zwischen Anatolien und Zweistromland werden immer Herrschern und Göttern zugeschrieben. Ihre Bezeichnungen klingen verwandt, unterscheiden sich jedoch etymologisch ebenso wie ihre Formen und ihre Ursprungsfunktionen.
Der Kalmuš ist Attribut der hethitischen Könige von Hattuša und des Sonnengottes 129); etymologisch gedeutet als `Holzscheit´ aus einem indogermanischen `schlagen, hauen, schneiden 130) und wird meist mit dem Lituus gleichgesetzt, weil er stärker gekrümmt ist als der Gamlum. Krummstab (kalmus) und Krummschwert (engl. scimitar) waren die Attribute der hethitischen Herrscher. Beide wurden auch in Westschweden gefunden, als Felszeichnung in Bohuslän, und werden dort von einem Sonnenwagen getragen 131). Die ersten Götterstäbe (von Rasap, Hadda, Ilam, Kamis) werden im Kult von Ebla erwähnt, danach im Kult von Hattusa sind sie belegt für mehrere Wetter-, Schutz-, Berg- und Kriegsgötter 132).
Der hethitische Kalmi, Kalmar wird dagegen als `Feuerholz´ im Sinne eines Narthex gedeutet, also als ein Rohr (griechisch κάλαμος kalamos `Rohr´), in welchem Glut bewahrt wurde 133).
Ein kurzes gekrümmtes Wurfholz diente als Hilfsmittel bei der Jagd mit Falken; der Name ist unbekannt, ein Vergleich mit dem etruskischen Lagobolon möglich.
Zu den fünf königlichen Insignie der babylonischen Herrscher gehörten neben Krone und Bogen drei Stäbe: eine Keule, ein Zepter (ḫaṭṭu) und ein einfacher, langer und gerader Stab (šibirru) 134).
Der akkadische Gamlu, Gamlum (sumer. gam, zubi, zubu) war zwar auch Zeichen für Herrscher und für Götter, gleichzeitig aber auch Waffe und Werkzeug. Ein Siegel zeigt das Symbol kalbum, einen Hund mit Krummstab `gamlu´. Dieser zeigt zwar die typischen Knotenringe des Rohrstabes und am Übergang von Krümme und Schuss einen (verbindenden?) Doppelring, doch bedeutet akkadisch gamlu `Krummholz´. Das Symbol steht für magische Kraft, weil die Heilgöttinnen (z.B. Nininsina oder Ninkarak) auch als Beschwörerinnen auftraten; der Hund mit Stab ist das Symboltier der Gula und des Marduk 135). Der Gamlu kennzeichnet Exorzisten, die mit ihrem Gamlu als ğiš-búr erlösend wirken. Sehr eingehend werden die vorderasiatischen Krummstäbe von Ambos & Krauskopf
diskutiert und mit den etruskischen verglichen 136).
Der Stab mit Krümme (lat. volute, curvatura) ist ursprünglich ein Werkzeug und seiner Herkunft nach ein Hirtenstab (baculum pastorale), dessen Krümme dazu diente, die Tiere an den Beinen oder Hörnern zu halten und zu lenken. In der Heraldik ist der Schäferstab eine »Gemeine Figur«. Etwa mannshoch zeigt er als Funktionsteil eine Schaufel und einen abgerundeten Haken zum Ziehen. Die Ziege als ältestes Nutztier wurde im Zagrosgebirge (Iran/Irak) vor rund 11.000 Jahren aus der Bezoarziege domestiziert; das Schaf aus dem armenischen Mufflon vor rund 8.000 Jahren; dort dürfte also auch der Hirtenstab als Werkzeug entwickelt worden sein. Als solcher wird er in der Bibel erwähnt 137) und auch zum Zählen des Viehs genutzt (3 Mos. 27:32).
Lore-Marie Liebert
Als auet-Zepter (heqa, ḥq3) ist der Hirtenstab altägyptische Insigne seit dem Alten Reich (2707–2216 v. Chr.) bekannt 138) und steht für die Bedeutung des Hirten als Vorbild eines Herrschers und des Viehs als wirtschaftlicher Basis. heqa ḥq3 ist die altägyptische Bezeichnung für Herrschaft und bezeichnete ursprünglich als `Hyksos´ ausländische Herrscher der Hirtenvölker aus dem vorderasiatischen Raum 139).
Das mit heqa fast identische Zeichen heka ḥk3 steht für `Magie´ und wird durch das was-Zepter symbolisiert, einen »Schlangenstab«, wie er seit etwa 3.600 v. Chr. belegt ist. 140). Seiner Funktion nach (Schlangen fangen) ist er älter als der Hirtenstab (Ziegen fangen).
Die Bibel erhöht den Krummstab vom Herrscherstab zum Gottesstab beim Kampf von Moses und Aaron gegen die pharaonischen Magier vor dem Auszug aus Ägypten. Die Bibelexegeten sind sich uneins, wie viel Stäbe dabei nun eigentlich im Spiel waren; die Bibelübersetzer zogen sich meist aus der Affäre, indem sie die hebräischen Umschreibungen meist als `Stab´ vereinheitlichten. Dennoch zieht sich ein erkennbarer Dualismus der Stäbe von den ägyptischen Stäben Ober- und Unterägyptens über Moses und Aaron zu den jeweils zwei Stäben der zwei Oberhäupter der christlichen Kirchen:
Unterägypten | Oberägypten | |
heqa ḥq3 | heka ḥk3 | |
auet-Zepter | was-Zepter | |
Krummstab | Taustab | |
Herrschaft | Magie | |
rulers | dignitaries | |
Pharao | Magier | |
Jannes | Jambres | |
Moses | Aaron | |
Bischof | Papst | |
Virga pastoralis | Ferula | |
(Krummstab) | Kerykeion Dikanikion |
Hirtenstab und Ferula finden ihre biblischen Vorbilder in den Stäben von Moses
141) und Aaron
142), die mit ihren Stäben gegen die beiden ägyptischen Zauberer Jannes
(der von Gott Gesandte) und Jambres
(der Widerspenstige) (2 Tim., 3,8) und deren Stäbe kämpfen. Alle vier haben ähnliche Eigenschaften, sind vergleichbar stark und können ihre Stäbe in Schlangen verwandeln und zurück 143). Moses ist wie Jannes von Gott gesandt, Aaron und Jambres sind `widerspenstig´. Alle vier treten als Magier auf, also als `Wissende´, Heiler, Priester. Letztlich siegt Moses mit dem von Gott erhaltenen Hirtenstab (2 Mose 4,2-5). Dieser ist stärker als die `heidnischen´ Schlangenstäbe der Magier 144).
Zwar siegt der Gottesstab (Hirtenstab, virga) des Moses über die Magierstäbe (Schlangenstäbe), doch führt Aaron weiterhin den Magierstab als Hohepriester: Herrscher und Hohepriester besetzen zwei Ämter. Der Stab des Pharao wurde nach seinem Tod vor dem Sarkophag abgelegt. Der Stab des Hohepriesters Aaron wurde vor der Bundeslade abgelegt; die Stäbe von Papst (Ferula) und Patriarch (Kerykeion) werden ihnen vorangetragen - anders als der Krummstab. Der Vorgang lässt sich so deuten, dass die Personalunion von Herrscher und Hohepriester, die der Pharao verkörpert, getrennt wird: Der gekrümmte Hirtenstab kennzeichnet den Herrscher und Beschützer, die hohle Ferula den Magier und den Hohepriester.
Nach dem Tod des heiligen Patrick von Irland
(461 oder 493) entstand die Legende, er habe mit seinem Stab die Insel von Schlangen befreit, eine Metapher für die Vertreibung des heidnischen Glaubens.
Der älteste erhaltene Abtsstab 145) ist ein Krummstab aus der Tradition der iroschottischen Wandermönche, der Stab des Heiligen Germanus von Trier
(612 - 675), Abt des um 640 nach den Regeln des Columban von Luxeuil
gegründeten Klosters Moutier-Grandval (Münster-Granfelden). Columban verließ als erster irischer Mönch mit einigen Begleitern die Britischen Inseln mit dem Ziel, auf dem Kontinent den christlichen Glauben zu verbreiten. Nach seinem Tod 615 vermachte er seinen Krummstab dem Gallus
146), wie er ein irischer Wandermönch, der Sankt Gallen gründete. Die damit eingeleitete iroschottische Mission ging nicht vom Papst in Rom aus, sondern orientierte sich an der peregrinatio als Lebensform und stand damit auch im Gegensatz zu den Klostergründungen nach der regula benedictio.
Ein in der christlichen Kirche liturgisch verwendeter Stab wird erstmals 623-633 erwähnt 147) und entwickelte sich langsam zum heutigen Krummstab als Abt- und Bischofsstab 148); er steht für `lenken, aufrichten, strafen´ 149) und zeigt mit seinen Namen - oft mit dem Zusatz pastoralis - :
33 Tau-Stäbe europäischer Herkunft zwischen Portugal und Skandinvien sind erhalten und stammen aus de 8. bis 12. Jahrhundert 153).
Die vielen reisenden irischen Wandermönche dürften den Krummstab im fränkischen Raum bekannt gemacht haben. Erst danach erscheint der Krummstab kirchlich und päpstlich, während die Lebensform der Wandermönche verdrängt wird von der stabilitas loci. Danach kam der Krummstab der Äbte und Bischöfe vom Papst. Der Papst der römischen Kirche hat wie der Patriarch der Ostkirche ursprünglich zwei Stäbe geführt.
Der Stab des Papstes wird im 10. Jahrhundert»ferula quam manu gestabat« 154) genannt und ist kein Hirtenstab wie ihn die Bischöfe tragen sondern eine Ferula „ex apparatu imperiali“, also vom römischen Kaiser übernommen. Der Papst bedient sich des Bischofsstabes nur dann, wenn er sich auf dem Gebiet der Diözese Trier befindet, also dort wohin der Legende nach Petrus
seinen Hirtenstab an Eucharius
- den ersten Bischof von Trier - übergeben hat. Dieser Petrusstab wird heute im Limburger Domschatz aufbewahrt 155). Tatsächlich nutzte der Papst den Krummstab noch bis um 1200 156).
Statt des Krummstabes ist die »Ferula« (lat. Gerte, Rute, Stock) gerade und in den ältesten Darstellungen oben kugelförmig verdickt 157) - so wie der Petrusstab. Zum Kreuzstab wurde die Ferula erst später, zumal das Kreuzzeichen als christliches Symbol sich erst im angehenden Mittelalter entwickelte. Formal entspricht die Ferula des Papstes als Oberhaupt der Westkirche dem Kerykeion des Patriarchen als Oberhaupt der Ostkirche. Beide sind Rohrstöcke, weil sie ursprünglich aus einer pseudo-verholzenden Pflanze hergestellt wurden, etwa aus Riesenfenchel (ferula communis) 158).
Die altgriechische Stabbezeichnung Kerykeion (κηρύκειον kērýkeion) leitet sich mythologisch ab von einem Priestergeschlecht Kerykes, das von Keryx
abstammt, dem Sohn des Hermes
(daher auch κῆρυξ kēryx `Herold´) und der Pandrosos
und bezeichnete ursprünglich das Amt der Opferschlächter 159). Der Stab des Hermes ist der `Caduceus´, also ein Tau-Stab; auf den ältesten Abbildungen noch ohne die später typischen Schlangen.
Die griechische Stabbezeichnung Dikanikion verweist vielleicht auf Dike
, die Göttin der Gerechtigkeit, die ihren Stab zum Züchtigen einsetzte 160), ist vielleicht auch zu verstehen über angelos = diakonos. Diesen »Stab des Patriarchen« - also des Oberhauptes der Ostkirche - führte dieser neben dem Hirtenstab 161). Dieser Stab zeigt (Abb.) oben zwei gegeneinander gerichtete Schlangen (die oft auf eine T-Form reduziert sind) 162) sowie sechs »Knöpfe« (Verdickungen, Knoten) auf seiner ganze Länge, die auf einen Rohrstock wie die Ferula hinweisen.
Seit dem 18. Jahrhundert dient Ferula als Gattungsname der `Steckenkräuter´ in der Familie der Doldenblütler (Apiaceae) mit mehr als 150 Arten zwischen dem Mittelmeerraum und Zentralasien. Ursprünglich bezeichnete `Ferula´ lediglich die Fenchelpflanze `sesel´ und ist in diesem Sinne wahrscheinlich ein Lehnwort aus dem Arabischen `fiyārlah´ 163).
Der Riesenfenchel (heute: ferula communis) lieferte einen hohlen Stab, gerade gewachsen und mit den typischen Verdickungen (Knoten) eines Rohrstängels oder Rohrstocks.
Theophrast
164) beschreibt diese Ferula communis, den bis zu drei Meter hohen und gelb blühenden Riesenfenchel mit einem zwar hohlen, doch stabilen Stängel, dieser heißt bei ihm Narthex (griechisch νάρθηξ) oder Thyrsos 165). Auch Euripides
benutzt in seiner Tragödie die Bakchen die Bezeichnungen Thyrsos und Narthex synonym für Fenchelstängel.
Ferula, Thyrsos und Narthex sind fremde Lehnworte im Griechischen, weil sie mit Eigenschaften verbunden sind, die den Griechen neu waren. Es sind drei verschiedene Namen, weil hinter der gleichen Pflanzenart drei verschiedene Zwecke stehen. Der Stängel dieser pharmazeutisch und ökonomisch wertvollen Pflanze 166) wurde zum Symbol für die Macht des Heilens und zum Kennzeichen der Magier. Beschränkt auf den medizinischen Aspekt wurde er zum Äskulapstab (Caduceus) mit den zwei Schlangen und als hohler Rohrstängel (Ferula) zum Behälter (Narthex) für Arzneien (Galbanum) und Bücherrollen; in einer solchen bewahrte Alexander der Große
seine Ilias von Homer auf 167). Und `Narthex´ hießen auch die medizinischen Werke von Heras
, Cratippus
, Soranus
.
Die Rute zum Züchtigen der Kinder und Sklaven wird bereits im Alten Testament erwähnt 168) und im Persischen 169); es gab sie bis in die Neuzeit, wahrscheinlich in den meisten Haushalten; mit dem »Tatzenstecken« gab es Schläge auf die Handflächen oder Fingerspitzen, in Deutschland noch bis 1970.
Die Ferula war in der römischen Antike das mildeste Werkzeug zum Strafen und Züchtigen für Sklaven ebenso wie für Kinder und insbesondere in der Schule als »Zepter der Pädagogen« 170). »Warte nur, die Ruthe ist schon eingeweicht.« 171), denn der getrocknete und wieder eingeweichte Rohrstängel der Ferula wurde elastisch und die Schläge waren schmerzhaft; trocken zerbrechen sie extrem laut ohne weh zu tun, solche Schläge waren scherzhafter Natur. Im deutschen Dialekt gab es das `Batzenferl´ 172) und im Englischen heißt der Rohrstock heute noch ferule im Sinne von `Zuchtrute´; fachsprachlich ist die Ferrule eine Metallhülse am Stabende. Vor diesem Hintergrund wird Ferula wird oft von lateinisch ferire `schlagen´ hergeleitet. Das klingt belastbar, wird aber etymologisch abgelehnt 173).
Seltsamerweise wird auch die Vorhalle von Kirchen architektonisch mit Narthex und Ferula bezeichnet. Diese Vorhalle war für die Büßenden vorgesehen, die die Kirche nicht betreten durften und stattdessen angesichts eindringlicher Bilder - oft sind dort die drei Jünglinge im Feuerofen abgebildet - büßen sollten. Im Sinne von Narthex würde dort das Feuer aufbewahrt, im Sinne einer Ferula wäre es plausibel, dass sich die Büßenden hier möglicherweise mit der Ferula schlugen und sühnten 174). Die Selbstgeißelung als Buße und Sühne ist alt, denn »Flagellanten« gab es bereits im jüdischen Glauben, bei den Dionysien und im Isis-Kult.
Architektonisch vergleichbar ist der Gawit 175) bei armenischen Kirchen. Dieser ist als Ort der Rechtsprechung belegt 176) und als Ort für Unterricht; in den Wandnischen wurden Bücher aufbewahrt.
Dem entspricht der Litai der byzantinischen Architektur. Litae Λιταί sind in der griechischen Mythologie 177) Töchter des Zeus mit heilenden Kräften die durch die Gebete der reuigen Sünder wirksam werden.
Mit diesem Stängel konnte man zwar schlagen, aber kaum verletzen und so wurden solche Rohrstöcke zum scherzhaften Schlagen beim wildem Feiern (Bacchanalien, Dionysien, Karneval) eingesetzt, dann aber meist Thyrsos genannt, weil dieser Name das hohle Rohr in seiner Nutzung als Trinkgefäß für `(neuen) Wein´ (hebr. j'ajin chadash für kultische Zwecke) bezeichnet und aus dem Ugaritischen und Hethitischen ins Griechische gelangt ist 178). Teile des Kultes haben sich im Brauchtum bis heute erhalten. Auf der Insel Naxos stellen die Hirten (koudhounáti) aus dem Riesenfenchel »sómbes« her, die den Thyrsos-Stäben genau gleichen und tanzen damit beim Karneval lärmend durch die Straßen von Apíranthos. Der heutige Karneval soll auf die Dionysien zurückzuführen sein.
Nach Isidorus Hispalensis
(ca. 560 - 636) hat der römische Weingott Bacchus
(gr. Bakchos, Βάκχος) den Stab (baculus) eingeführt 179). Die Bacchanten (auch: Narthekophoren, Thyrsophoren) nutzten den »Bacchos« bei den eleusinischen Mysterin ebenso wie Anhänger des griechischen Weingottes Dionysos den Thyrsos bei den Dionysien 180) und feierten die Hochzeit von Dionysos und Ariadne. Beide Kulte zeichneten sich aus durch zügellose Ausgelassenheit, im Sinne von `Wein, Weib und Gesang´ 181).
Als Narthex
182)
wird die Bedeutung der Ferula als Behälter (Akkadisch > talm. nastik und nartik `Büchse´, hebr. nār >Licht, Lampe) für Feuer (arabisch `nar´)
183)
betont, denn der Sage nach soll Prometheus
den Menschen das Feuer in einem Fenchelstängel gebracht haben: »Iápetos’ Sohn (Prometheus), der berühmte, stahl dem allweisen Zeus nun dieses zurück für die Menschen in einem hohlen Narthex, dem Donnerfrohen verborgen.« 184).
Tatsächlich läßt sich das trockene innere Mark entzünden und glimmt dann stundenlang ohne das Rohr zu beschädigen. So diente es unter anderem den Seeleuten als Feuerzeug.
185).
Dies zeigt an, dass der Narthex etwas Neues war, das die üblichen griechischen Begriffe für `Behälter´ nicht vermittelten, also etwa der Rohrstängel als Glutbehälter: »Zu den Wundern Ägyptens gehört ein Kraut, das man al Dis 186) nennt. … es wird wie die Kerze angezündet, dann löscht man es aus und es bleibt so die ganze Nacht. Wollen sie es benutzen, so nehmen sie sein Ende und drehen es um wie ein Michrâq (miḫrāq, Spielschwert) und es brennte« 187). Schon die vorchristlichen hebräischen Schriften wie Talmud und Targum erwähnen wiederholt den Narthek als `Lichtbehälter´, δηπη 188). »Das Sumerogramm GIBIL6, bestehend aus GI „Rohr“ und BIL „Brennen“ wird auch als Götternamen d-GIBIL4 gelesen und als das vergöttlichte „brennende Rohr“, „das brennende Schilf“ gedeutet« 189).
Das Galbanum (auch: Galmum) der Bibel (Ex 30:34; Sir 24:27) ist ein Harz, das aus »Silphium« gewonnen
190) wurde. Die Silphiumpflanze ist aus antiker Zeit als Ferula überliefert und durch Abbildungsvergleiche als solche bestätigt worden 191).
Deren Saft war wohlriechend (odos), wohlschmeckend und neutralisierte viele Gifte
192).
Als »Mutterharz« wurde es bei Frauenkrankheiten verwendet und erleichterte die Geburt; wahrscheinlich wurde auch ein Verhütungsmittel daraus hergestellt
193),
ebenso Abtreibungsmittel 194). Im Judentum durfte es nur innerhalb des Jahwe-Kults - dessen Hohepriester Aaron
war - als Räucherwerk benutzt werden, formal also dem Weihrauch vergleichbar. Bei den Touareg galt es als »Enthexungsmittel« und wurde bei exorzistischen Riten als Räuchermittel verwendet 195).
Die Region um Cyrene wurde damit reich, denn das Harz wurde nach Plinius
mit Silber aufgewogen. Der Stängel dieser pharmazeutisch und ökonomisch wertvollen Pflanze wurde so zum Symbol für die Macht des Heilens und zum Kennzeichen der guten Magie. Beschränkt auf den medizinischen Aspekt wurde er zum Äskulapstab (Caduceus) mit den zwei Schlangen und als hohler Rohrstängel (Ferula) zum zylindrischen Behälter (Narthex) für Wein, Arzneien (Narthecium), gerollte Dokumente und als Feuerzeug; er diente zur Vertreibung böser Kräfte insbesondere nach dem Ende des Winters in Bacchanalien, Dionysien und im Karneval, war Lebensrute und Zuchtrute.
Das antike Wundermittel Silphium wuchs ausschließlich in der heutigen libyschen Provinz Kyrenaika an der Grenze zu Ägypten. Hier lebten Berber, es herrschten Phönizier, Griechen und Ägypter; diese Kulturen nutzten die Pflanze. Nach dem Aussterben dieser Pflanze suchte man nach Pflanzensäften und Harzen bei verwandten Arten, auch solchen aus entfernteren Regionen wie Syrien, Iran und Pakistan, etwa Ferula gummosa
199),
so dass zwar weiterhin Galbanum angeboten wurde, jedoch waren diese Sorten nicht identisch mit dem antiken Galbanum
200).
Es ist daher nicht offensichtlich, welche Bezeichnungen sich wann und wo auf welche Ferualaart oder welches Harz beziehen
201).
Die Vieldeutigkeit gab es bereits in der Antike. Bereits Theophrast
202) verwies darauf, dass es im syrischen Raum die Pflanze Magydaris 203) gäbe, die zwar kein Silphium sei, jedoch auch so genannt würde. Diese Verhältnisse haben sich in Algerien erhalten204):
Die vielen Ferulaarten im arabischen Sprachraum 205) führen zu einer kaum überschaubaren Begriffsvielfalt mit arabischen, persischen und berberischen Wurzeln 206):
In der Gegenwart finden sich für die ferula communis die Bezeichnungen 210):
Identisch bei wechselhafter Schreibung erscheinen:
Identisch bei unterschiedlichen Sprachwurzeln sind :
Name | identisch mit | Produkt | Botanisch |
---|---|---|---|
Anedjouane انجعان | Angudān Anjudān | Blätter? | Ferula assa-foetida L., Apiaceae Teufelsdreck, Devil's Dung |
Hantita | Hiltīt, Hinetite حينطيط | Harz | Ferula Asa foetida |
`ud ar-riqqa | Mahrāt | Wurzel | Silphium? Ferula Asa foetida? |
Kalh (1) | Kelakha كلخة | Pflanze | Ferula communis L., Apiaceae Riesenfenchel, Giant Fennel |
L-fasuh | Fassoukh | Harz, »falsches gummi arabicum« | Ferula communis aus dem Maghreb |
sukk | Parfum, »mixture employeé en magie« 215) | Oberbegriff? | |
zarī´ aθu `il kalhu | sīsālīyus? | Same | Kalh |
Kelkh(a) | berb. Zekelak | der trockene Stängel | |
Kalh (2) | qinna‘, qanna | Harz, Galbanum | Ferula narthex, Apiaceae |
Tsamkh-n-echaderi | Pflanze | Ferula tingitana L., Apiaceae (aus Tingis = Tanger) | |
(w)uschschaq | wuššaq (g), uššaq, atmag | `Ausscheidung´ Harz, Ammongummi | Oberbegriff? Dorema ammon. Ferula tingitana L. u.a. |
Pers. سكبينج sakbīnaj | Sikbinadsch, Sagapenon | Harz | Ferula persica, Apiaceae Gummi arabicum? |
(tal-)bārzad, bāzard | pers. bīrzad tabari | Harz | Ferula galbaniflua B.& B., Apiaceae Harz von ماطونیون mātūniyūn? |
Besbâs h'arami Besber-Ar'ami | arab. basbās pers. رازیانج rāziyānaj | Pflanze | Fenchel Foeniculum vulgare |
besbas | Fenchel | ||
hārmākaraht | ein indisches Heilmittel | ||
Touf(f)alt | tūfālt | Pflanze | Thapsia villosa L., Apiaceae |
zarira | Pflanze | Acorus calamus, Kalmus | |
zawfirrāh | zūfarā | Pflanze | Echinophora tenuifolia (Umb), Apiaceae |
ilk | `ilk | Harz | Oberbegriff |
kašam kunğah | kundur, χόυδρος | Weihrauch | Oberbegriff |
Alltagstätigkeiten drehen sich primär um Nahrung, Wärme, Schutz gegen Umwelteinflüsse wie Wind, Regen, Kälte, Hitze sowie Fortplanzung und Schutz der Gemeinschaft vor Bedrohungen. Nahrung bedeutete ursprünglich sammeln mit dem Grabstock, jagen mit dem Spieß, zerkleinern von Wurzeln mit der Mörserkeule usw. Die aus dem Stock entwickelten Stabwerkzeuge zeigen die Entwicklung der Menschheit vom Sammler und Jäger über nomadische Viehtreiber zum sesshaften Hirten und Ackerbauern. Die Stabwerkzeuge ermöglichten das Hüten, Jagen, Strafen, Transportieren und Feuermachen, und später getreidewirtschaftlich das Dreschen und Stampfen. Die Nutzung im Alltag bestimmte die primäre Gestalt des Stabwerkzeugs. In einem techniktheoretischen Raster decken auch die frühesten Stabwerkzeuge alle Bereiche ab:
Wandeln Verändern | Transportieren Übertragen | Speichern | |
---|---|---|---|
Stoff | Mörserkeule Grabstock Spieß | Tragstange | Korb aus Weidenruten Rohr |
Energie | Feuerbohrer | Narthex | Narthex |
Hebel Quirl | Handspindel Töpferwelle Bogenspannung > Pfeil | Hebel m. Gegengewicht (Brunnen-)schwengel Schwingbaum Stabfeder (Bogenspannung) |
|
Information | Pegel(-stange) Schattenstab | Botenstab | Kerbholz Richtscheit |
Der Stab als einfaches mechanisches Werkzeug
… verhalf zu Nahrung und sicherte das Überleben. Der bessere Stab und die bessere Technik im Umgang damit brachten Vorteile, also war der Stab gleichzeitig Zeichen für Überlegenheit. Die Quelle dieser Überlegenheit musste höheren Mächten zugeschrieben werden, solange der Verstand keine technische Analyse der Zusammenhänge erstellen konnte. Die Vielfalt der unterschiedlich geeigneten Materialien und die zahlreichen daraus erstellbaren Formen ermöglichten immer wieder neue technische Anwendungen. Im praktischen alltäglichen Anwenden werden Werkzeuge seit je ergonomisch erprobt und nachfolgend optimiert, denn ein Werkzeug das denselben Nutzen mit geringerem Aufwand liefert, wird bevorzugt. Aristoteles ( 384 bis 322 v. Chr) zählt als mechanische Hilsmittel auf 216):
Der Stab als Transporthilfe:
Nahrung ist manchmal im Überfluss verfügbar, etwa durch Obsternte, Pilzschwemme, große Jagdbeute. Dann sind Behälter für das Sammeln, Transportieren und Lagern erforderlich: ein Tierbalg, ein Bastnetz, ein Korb usw. machen den Menschen zum Lastenträger.
Im nächsten Schritt bilden Stäbe und Behälter eine neue Einheit, das »Gepäck« und führen zu Tragestangen, Stangenschleife und Schlitten, zu Kiepe und Rucksack, zu Walze und Rolle.
Der ergonomische Transport höherer Lasten durch erweiterte Tragetechniken ermöglicht eine höhere Mobilität und Vorsorge durch das Horten von Vorräten, das machte den Menschen seit je auch zum Homo Portans.
Ferdinand Mongin de Saussure
1787 zeigt. Die hohe praktische Bedeutung brachte den »Alpenstock« als Fremdwort ins Italienische, Englische, Französische, Spanische - er war nicht nur Stütze am Hang, sondern Sicherungsmittel an Spalten, Sonde im Schnee, »gehendes Geländer« (barrière ambulante), diente zum Ziehen und Schieben, als Hebel beim Springen und half steuernd und bremsend beim Abfahren 217). Der Langpickel verdrängte die Alpenstange etwa ab 1870.
Der Stab zur Energieerzeugung:
Die Kunst, mit einem Drehstab Feuer durch Reibung auf einer hölzernen Unterlage zu erzeugen, ist weltbekannt, die Anforderungen an das dazu nötige technische Verständnis sind minimal: einmal gesehen, sofort verstanden. Der Vorgang muss die Menschen tief beeindruckt haben, denn in den indischen Veden wird dieser Drehstab Pramantha genannt; pra math bedeutet `stehlen´; pramathyu-s ist der `Dieb´. Der griechische Prometheus
soll so seinen Namen erhalten haben, denn er stahl im Mythos dem Zeus das Feuer für die Menschen. Dieselbe Geschichte findet sich in den Veden; dort heißt der Dieb Mātariśvan
218).
Technisch betrachtet wird das übertragene Drehmoment maximal in Reibungswärme umgewandelt. Als optimiertes Gerät erhält der Drehstab eine Führung, mehr Druck durch eine Last und einen stärkeren Antrieb über die Sehne eines Bogens. Dieses Gerät war nicht nur Feuerbohrer sondern erweiterte die technischen Möglichkeiten durch einen neuen Werkzeugtyp. Durch die Wahl eines härteren Drehstabes und einer anderen Unterlage konnten runde Löcher gebohrt werden, etwa zur Herstellung von Spinnwirteln.
Der Stab zur Energieübertragung:
Das Verzwirbeln von Fasern erzeugt Fäden, aus Fäden oder Rindenbast können Seile gedreht werden, dabei vereinfachen spezielle Stäbe - Seilerlehre, Handspindel mit Spinnwirtel - die Herstellung. Im Unterschied zu anderen Stabwerkzeugen kommt es hier auf gleichmäßige Rotation an. Dabei wird das Produkt geformt, indem ein Drehmoment zerstörungsfrei übertragen wird.
Eine höhere Drehmomentübertragung findet auch auf der drehbaren Töpferscheibe statt, wenn eine stabförmige Welle mit der runden trägen Scheibenmasse form- und kraftschlüssig verbunden ist; in der Vorform dreht sich die Scheibe auf einer stabförmigen Achse ohne Energieübertragung.
Drehmomentübertragung plus Transporthilfe plus Behälterkonstruktion ermöglichen die Idee des Wagens.
Die ursprünglichsten Werkzeuge wurden zu den ersten Waffen. Die Stäbe konnten das Leben vereinfachen, zu wirtschaftlichem Erfolg führen oder zu mehr Macht verhelfen. Dasselbe Gerät konnte nützliches Werkzeug sein oder tödliche Waffe. Gerät, Waffe und Tätigkeit wurden in archaischer Zeit als Einheit gedacht. Das griechische όπλα und das lateinische arma bezeichnen sowohl `Gerät´ (Armatur) als auch `Waffe´ (Armee) und leiten sich ab von der kraftausübenden Tätigkeit des Armes (lat. armus). Es scheint, als diente jedes Alltagswerkzeug auch als Waffe, so in der griechischen Mythologie:
Dionysos
bringt den Giganten mit einem efeuumrankten Stab um 219).Echelatos
schlägt mit dem Pflugstab 220).Rāma
mit dem Pflug Samvartaka und der Mörserkeule Saunanda 222).
Es waren jedoch hölzerne Stabwerkzeuge des Alltags, die im Ausnahmezustand zu Waffen wurden. Anders verhält es sich, wenn von eisernen Stäben die Rede ist. Biblisch droht Jesus
damit, die Völker `mit eisernem Stab´ zu hüten (Off 2:27; 12:5; 19:15). Da der schwere Eisenstab offensichtlich als Hütewerkzeug ungeeignet ist, wurde er als Waffe hergestellt, die eindeutig Gewalt verkörperte und nicht ambivalent war wie das hölzerne Werkzeug. Der umgekehrte Gedanke wird ebenfalls in der Bibel beim Propheten Micha
( Mi 4,1–4 LUT) geäußert und bis heute als Gedanke des Friedens zitiert: »Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.« Dann stellt sich die Frage, weshalb im nördlichen Europa metallene Stäbe und Metallwaffen sich als Zeichen der Macht durch Gewaltandrohung durchsetzten, während es in Nordafrika und dem Vorderen Orient eher der hölzerne Stab war, etwa als hütender Hirtenstab. Auch im Osten, jenseits des Indus, trafen indoarische Metallstäbe (vajra) auf südostasiatische Bambusstäbe (danda).
Sprichwörter belegen, dass auch der Volksmund im Alltag eher an Gewalt und Kampf dachte, wenn es um Stöcke ging 223):
Die Vielfalt der Formen lässt erkennen, dass jeder Stab sich als Werkzeug optimierend von seiner natürlichen Gestalt (z.B. als Ast) entfernt. Als Alltagsobjekt bemisst sich sein Wert an der praktischen Nutzung. Je mehr diese Handlungen allgemeine Anerkennung erfahren, wird der Stab zum Zeichen für etwas. In abstrahierter Form verliert er seine primäre Funktion und wird zum anerkannten Symbol, das seinem Träger Rechte einräumt; letztendlich als Abzeichen, Insignie, Zauberstab oder Zepter 224).
Umgekehrt sollte sich also jede Stabform auf eine ursprüngliches Werkzeug zurückführen lassen.
Wiederholt lässt sich beobachten, wie sich ein einfaches Werkzeug über eine vielfach optimierte Waffe zum Symbol und zum Kultstab ausdifferenzierte:
Die symmetrische Mörserkeule mit der Handhabe in der Mitte war ein Werkzeug vornehmlich der Küche und der bäuerlichen Selbstversorgung 225) und perfekt zum Stampfen der Getreidekörner 226), daher auch dem Hausgott Pilumnus zugeordnet. Dennoch wurde sie auch zur archaischen Waffe der Salii. Werkzeug und Waffe hießen `pilum´ 227), ebenso wie der spätere Kurzspieß der römischen Legionäre 228). Schließlich wurde das pilum zum Kultstab im Geburtsritus `pilo ferire´ zur Abwehr des Waldgottes Silvanus
229).
Die Mörserkeule Saunanda ist eine Waffe des Rama, die vom Himmel gefallen war (Meteoreisen? siehe oben), eine Keule (gada) in Form eines Pistills (musala) mit dem Beinamen Khetaka (von khit `erschrecken´); musalin heißt `Bewaffnet mit einer Mörserkeule´.
Die römische hasta war in ihrer ursprünglichen Form nichts weiter als ein einfacher, kurzer Viehspieß zum Steuern des Viehs, zum Stochern oder als Partholz zum Ärgern, also ein vorne angespitzter Stock, die `hasta pura´ und begründete eine Waffengattung:
Mit im Feuer gehärteter Spitze wurde sie zur hasta praeusta und mit einer Eisenspitze zur hasta ferrata. Längere Lanzen hießen hasta longae, solche zum Werfen hasta velitaris und als Speerschleuder hasta amentata.
Die Hasta galt als sagenhafte Waffe des Romulus
, die aus einer Cornusart hergestellt war, vielleicht als virga sanguinea (Kornelkirsche oder roter Hartriegel) und wurde über diese mythische Überhöhung zur frühesten Insigne der römischen Könige und zur Auszeichnung für Tapferkeit bei den Legionären.
Mit der hasta fetiale erklärten die Priester (Fetialen) den Krieg, indem sie sie auf Feindesland warfen.
Mit einer aufgestellten hasta zeigte die Obrigkeit das Recht auf Verkäufe (hasta frumentaria), Versteigerungen und Plünderungen (hasta cruenta) oder Gerichtsverhandlungen (hasta judicium) an.
Die Haare einer Braut mussten mit der hasta coelibaris gekämmt werden, einer Lanze, mit der bereits getötet worden war 230).
Der Krummstab bestand ursprünglich aus krumm gewachsenen Holz mit Ast- oder Wurzelansatz, denn dass Holz sich formen lässt, muss erst gelernt werden. Als Werkzeug muss er an seinem geraden Ende gehalten werden und die Krümme darf weder zu stark noch zu schwach sein. In jedem Fall ist er so alt wie das Halten von Nutztieren.
Formen mit nur angedeuter Krümme (r-Stab), spiralförmiger Volute (Lituus) oder verkürztem Krummholz (Lagobolon) zeigen diese Werkzeugfunktion nicht; für sie wäre ein anderer funktionaler Ursprung zu vermuten 231), also etwa als Messwerkzeug zum Bestimmen der Himmelsrichtungen (Lituus) sowie als aus dem Grabstock entstandener Jagdwaffe, dem Wurfholz (Lagobolon).
Den Künsten des Kampfes und des Handwerks ging die Suche nach dem richtigen Stab voraus und führte in das Reich der Pflanzen. Das Wissen über deren Eigenschaften - auch als Nahrungsmittel oder Pharmaka oder Gifte - lag bei Schamanen, Magiern, Hohepriestern oder weisen Frauen, die den Kriegern die Waffen brachten wie es die Walküren taten - der Stab war das Symbol ihrer Kraft. Weltliche Macht musste sich also auch aus dieser höheren Macht ableiten lassen und verband diese über Erzählungen, Mythen, Kulte und Rituale mit den der Pflanze innewohnenden Mächte, die heilsam waren oder tödlich wie die vergifteten Eibenpfeile der Germanen. Die Ambivalenz beim Herstellen und Verwenden von Stäben spiegelt sich in Bedeutungspaaren wie etwa:
Werkzeug | Waffe | |
Hirten | Helden | |
Leben | Tod | |
Kraft | Schwäche | |
Lebensrute | Zuchtrute | |
Zugehörigkeit | Ausgrenzung | |
gerade | krumm | |
hart | hohl | |
sichtbar | verborgen | |
oben | unten | |
Wipfel | Wurzel | |
Himmel | Erde | |
Mit dem Lituus wurden die Himmelsrichtungen bestimmt. Ein in der Antike bekanntes Verfahren der »indische Kreis« könnte angewandt worden sein. Wie machte man das? Welche Rolle spielte dabei seine Krümme? Das wäre ein geodätisches Thema für experimentelle Archäologie.
Etymologisch zu prüfen wäre ein möglicher Zusammenhang zwischen dem etruskischen Turms, dem armenischen Tirs, dem Twaschtir, dem himmlischen Zimmermann der vedischen Religion, ein Feuergott, und dem Thyrsos über das indogermanische ter-4 `hinübergelangen, hindurchdringen; überqueren, überwinden, überholen, hinüberbringen, retten' im Sinne eines Fährmanns, Psychopompos.
Eine vergleichende Übersicht der Stäbe in den germanischen Frauengräbern - der möglichen Seherinnen-Stäbe - fehlt trotz ihrer nach Material und Form völlig isolierten Stellung innerhalb der Stäbe.
Die Bibel ist eine wesentliche Quelle für hebräische Begriffe rund um `Stock, Stab, Rute´ und als solche nicht ausgewertet. Die spezifischen hebräischen Begriffe 232) für die Stäbe der Bibel wurden weitgehend durch die Oberbegriffe `Stock, Stab, Rute´ übersetzt, vermutlich um Diskussionen zur Exegese zu vermeiden, beispielsweise 233):
Die Literatur über die Stäbe der Kirche ist widersprüchlich:
Eine semiotische Untersuchung der kulturell bedeutsamen Stäbe in verschiedenen Sprachräumen.
Dieter W. Banzhaf
Romuald Bauerreis
Joseph Braun
SJFranziska Dick
Dieck, A.
Catherine Dike
Frederick Feulner & Sönke Hartz
Frederick Feulner
Friedrich Focke
David Grant; Edward Hart
Ali Hassan
Hoi, K.
Klauser, Theodor
Ulrich Klever
Larcher, M.
Laßnig, O.
Leitner, E.
Lind, Carl
Hans Nebel, Dieter W. Banzhaf
Nersinger, Ulrich
Nersinger, Ulrich
Kurt Pieper; Adolf Rühe
Anne Viola Siebert
Salomon, Pierre
Sybille Schneiders
Adolf Leopold von Wolfskron
Zappert, Georg
G. A. Fintelmann
Bürgy, Ingrid
Ernst Stahl
Biancamaria Aranguren
etal.Karl Dietrich Adam
Griffin Murray
F. Hageneder
E. Zürcher
etalEduard Hoffmann-Krayer
Adalbert Kuhn
Tacitus
, Germania Richard Schröder
Thomas Hamilton Haddington
(6th earl of)Helmut Henne, Georg Objartel
Antxon Aguirre Sorondo
Ebeling
Siegfried Seligmann
Claudia Schülke
Wolfgang Habermann
Frank Trommer, Angela Holdermann
Max Höfler
Stefan Steinbrecher
M. Beuchert
S. Fischer-Rizzi
H. E.Hengel
D. Laudert
Vincenz Jacob von Zuccalmaglio
Walter Hirschberg
Christoph Palmen
Mohammad Ali Hajouz
Isaac Mozeson
Ronald A. Finke, Thomas B. Ward, Steven M. Smith
Ymär Daher
Hermann Ferdinand Hitzig
: FurcaGottfried v. Straszburg
Tristan 2938 BFranz Beotzkes
Franz Boetzkes
F. Nork
Percy Preston
A.L. Frothingham
Ferdinand Joseph M. de Waele
Adad
auf einem nicht datierten babylonischen Rollsiegel, siehe:Charles J. Ball
Anneliese Peschlow-Bindokat
Hermes
mit Astgabel in einer sehr archaischen Szene, bei der Persephone
aus dem Boden wächst und Pane
tanzenBonnechère, Pierre
1964-K. D. White
Romain Garnier
Frevel, Christian
1962-Jürgen Renn, Wilhelm Osthues, Hermann Schlimme
Fritz Scheidegger
Uwe Sievertsen
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Carlo Ginzburg
Ippolito Marmai
Wilhem Mannhardt
O. Weise
Thomas Köves-Zulauf
R. Meringer
Georg Sauer
Marie Delcourt
Hugo Gressmann
Walter Puchner
Thomas Köves-Zulauf
Hans-Günter Buchholz
Christa Stahl
Klaus von See
u.a.Helmut Birkhan, Otto Gschwantler
Bettina Sommer, Morten Warmind
Ratke, Sharon
Rudolf Simek
Neil S. Price
Ibn Fadlan
: siehe Klaus Düwel
: Runenkunde, 3. A. Stuttgart 2001: Metzler, S. 130Erika Simon
Günter Neumann
Edwin Flinck
Victoria Györi
Rosemarie Lühr
(Hg.)Gertraud Breyer
Claus Ambos, Ingrid Krauskopf
S. Alp
S. Alp
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Dieter Lelgemann, Eberhard Knobloch, Andreas Fuls, Andreas Kleineberg
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Volkert Haas
Elisabeth Rieken
Jaan Puhvel
Lisbeth Bredholt Christensen, Olav Hammer, David Warburton
Jaan Puhvel
Walther Sallaberger und Katharina Schmidt
Elisabeth Rieken
Aïcha Rahmouni
Gisela Stiehler-Alegría
Manfried Dietrich
Claus Ambos, Ingrid Krauskopf
Satzinger, Helmut
1938-Manfred Bietak
Frank Förster
William J. Cherf
\\ The Function of the Egyptian Forked Staff and the Forked Bronze Butt. A ProposalKlaus Magnoli, Franka Foresti
Carl Friedrich Keil
Heinrich Valentin
W.H. Propp
Hans Egli
Karl-Heinz Hunger
Heinrich Valentin
Andreas Staehelin
Stékoffer, Sarah
Bruno Krusch
, Monumenta Germaniae Historica, Scriptorum Rerum Merovingicarum 4. Hannover 1902; hier: Kap. 26, 270f.Franz Xaver Kraus, Joseph Sauer
Josef Höfer, Karl Rahner, Michael Buchberger
Franz Bock
Brinkmeyer
Dąbrowska, E.
Le Tau — Un Attribut ou un Insigne Liturgique?Franz Xaver Kraus, Joseph Sauer
Rolf Lauer
Franz Bock
Philippe Depreux
Franz Xaver Kraus, Joseph Sauer
Pierre Salmon
Pierer
Otto Adalbert Hoffmann
Pausanias
5, 18, 1Heinrich August Pierer
Frank Kämpfer
Ernst Benz
Andreas Karbstein
J.F. Murr
Plinius
Hist. nat. 7.29Oskar Jäger
Christian Hünemörder
u.a.Helmut Genaust
Jules Gailhabaud
José-Ángel Zamora
Jean Charles Balty
Ingrid Krauskopf
Otto Rank
Walter Hatto Groß
Werner Hartke
Ferdinand-Gaudenz von Papen
Paulus Stephanus Cassel
Hesiod
, Werke und Tage; 567; Plinius
Nat. 7,198Fritz Hommel
Fortson, Benjamin W.
Dougherty, Carol
Eilhard Wiedemann
Ibn al Faqih
beschreibt die Eigenschaften des Narthex als Rohr, Feuerzeug und zum Schlagen, ist aber vermutlich holprig übersetzt.Paulus Stephanus Cassel
Mohammad Ali Hajouz
Else Strantz
G.A. Zwanziger
Macé, Antonin
J.L. Tatman
Riddle, John M., Amigues, Suzanne
A.C. Oerstedt
K. Sprengel
zur Naturgeschichte der Gewächse von Theophrast Teil 2, Hammerich Altona 1822, S. 224 - 228 sehr ausführlichEstes, J. Worth
Louis Lewin
Hans Ritter
Ludwig August Kraus
Helmut Genaust
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, Dictionnaire TouaregM. Mahboubi
ʻAbd Allâh ibn Aḥmad al-Mālaqī Abū Muḥammad Ibn al-Bayṭār; Joseph von Sontheimer
Helga Venzlaff
Franz Stuhlmann
Harald Othmar Lenz
Jacobus Jacobi
etal.Theophrast
Jean-Odon Debeaux
Abū al-Walīd Marwān Ibn Janāḥ; Gerrit Bos; Fabian Käs; Mailyn Lübke; Guido Mensching
Alfred Siggel
Andreas Karbstein
'Abd Allāh ibn Aḥmad Ibn al-Bayṭār
Nsekuye Bizimana
Noursaid Tligui
Mohammad Ali Hajouz
Theodor Beck
Martin Scharfe
Christoph Höbenreich
Fortson, Benjamin W.
George S. Williamson
Carol Dougherty
Adalbert Kuhn
Euripides
Ion 215 f.Sophokles
Oid. T. 801 f.K.F.W. Wander
, Deutsches Sprichwörter-LexiconHildebrandt, B., Veit, C.,
& Universität MünchenMarcus Porcius Cato
, Censorius; Paul Thielscher
Adolf Schulten
Gerhard Kropatscheck
Thomas Köves-Zulauf
Groddeck, Georg
Johann Samuel Ersch; J. G. Gruber
Charles Burney
Claus Ambos, Ingrid Krauskopf
Fraenkel, Meir