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Künstlerreisen
Die »Künstlerreise« findet sich zuerst als spöttische Metapher für Handwerker, die reisend ihre Künste anbieten müssen (→ Liste der Wanderarbeiter), um Arbeit zu finden 1) und »der zerprügelt, hungrig, lahm/ von seiner Künstlerreise kam« (Campe).
Der Künstler auf der Gesellenwanderung von Meister zu Meister kommt der Wirklichkeit näher, doch ist dieser vielmehr ein Handwerkerkünstler (→ Ausstellung 1981 Fahrendes Volk: Spielleute, Schausteller, Artisten). So aber wird das Reisen zur beschwerlichen Wanderung durch die Unbilden der Natur.
Kurmann, Peter
Mobilité des artistes ou mobilité des modèles?
Á propos de l'atelier des sculpteurs rémois au XIIIe siècle.
Revue de l'art / Ministère de l'Education Nationale, de la Recherche et de la Technologie; Centre National de la Recherche Scientifique. 1998 Publ. Sous L'égide du Comité Français d'Histoire de l'Art, Avec le concours du Ministère de la Culture. 23-34.Aleksandra Lipińska
„On the move“ in Central and Northern Europe : trends and methods in the research on artist migration
S. 160–178 in: Anna Ancāne (Hg.) The migration of artists and architects in Central and Northern Europe 1560-1900. Riga 2022: Art Academy of Latvia, Institute of Art History.Ramey, Lynn Tarte
Minstrels and other itinerant performers as travelers.
S. 401-402 in: Friedman, John Block;Mossler, Kristen
(Hg.): Trade, travel, and exploration in the Middle Ages: an encyclopedia. New York 2000Schallaböck, Thomas
Reisende Musiker im Mittelalter.
S. 44-61 in: Salzburg. Sounds of Migration. (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Universität Mozarteum Salzburg, 8) 2016
Der Künstler reist
»Das Reisen«, sagte er zu sich selber, »ist ein herrlicher Zustand, diese Freiheit der Natur, diese Regsamkeit aller Kreaturen, der reine weite Himmel und der Menschengeist, der alles dies zusammenfassen und in einen Gedanken zusammenstellen kann: – o glücklich ist der, der bald die enge Heimat verläßt, um wie der Vogel seinen Fittich zu prüfen und sich auf unbekannten, schöneren Zweigen zu schaukeln. Welche Welten entwickeln sich im Gemüte, wenn die freie Natur umher mit kühner Sprache in uns hineinredet, wenn jeder ihrer Töne unser Herz trifft und alle Empfindungen zugleich anrührt. Ja, ich glaube, daß ich einst ein guter Maler sein werde, da mein ganzer Sinn sich so der Kunst zuwendet, da ich keinen andern Wunsch habe, da ich gern alles übrige in dieser Welt aufgeben mag. Ludwig Tieck (1773 - 1853) Franz Sternbalds Wanderungen, 3. Kapitel
Der Topos der Künstlerreise (engl. itinerant artist, frz. artiste itinérant, ital. artista itinerante) scheint im Alltag vertraut und weckt ein Vorverständnis, das zwar nicht erklärt werden muss, jedoch vielfältig interpretierbar (→ Die Reise als des Künstlers Muse, → Ausstellungsliste Künstlerreisen) und zudem vor dem 19. Jahrhundert nicht als eigene Reiseform nachweisbar ist. Als Protagonist wird meist Albrecht Dürer
(1471— 1521) herangezogen. Das romantische Stereotyp begründeten:
Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
1798 (Handlungszeit ab 1520)Wackenroder, Wilhelm Heinrich
Ehrengedächtniß unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers
von einem kunstliebenden Klosterbruder
Ein Aufsatz aus dem Journal Deutschland VII. Stück. pag. 59-73; nebst einer vorausgeschickten kurzen Erzehlung der wichtigsten Umstände, aus den Leben dieses vaterländischen Künstlers. Nürnberg 1797: [s.n.]
Das Reisen, sagte Faber, ist dem Leben vergleichbar. Das Leben der meisten ist eine immerwährende Geschäftsreise vom Buttermarkt zum Käsemarkt; das Leben der Poetischen dagegen ein freies, unendliches Reisen nach dem Himmelreich. Leontin, dessen Widerspruchsgeist Faber jederzeit unwiderstehlich anregte, sagte darauf: Diese reisenden Poetischen sind wieder den Paradiesvögeln zu vergleichen, von denen man fälschlich glaubt, daß sie keine Füße haben. Sie müssen doch auch herunter und in Wirtshäusern einkehren und Vettern und Basen besuchen, und, was sie sich auch für Zeug einbilden, das Fräulein auf dem lichten Schlosse ist doch nur ein dummes, höchstens verliebtes Ding, das die Liebe mit ihrem bißchen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lüfte treibt, um dann desto jämmerlicher, wie ein ausgeblasener Dudelsack, wieder zur Erde zu fallen; auf der alten, schönen, trotzigen Burg findet sich auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier usw. Alles ist Einbildung. Joseph von Eichendorff (1788 - 1857), Ahnung und Gegenwart (1815), Kapitel 5
Die Ziele der Künstlerreise sind Italien und das Mittelmeer, Griechenland, Orient, Japansehnsucht im 19. Jahrhundert, Tunesien … Ein sehr differenzierte Betrachtung des Themas breitet Claudia Caesar
aus und betont, dass sich noch niemand in der Breite mit diesem Thema beschäftigt habe, wenngleich die Arbeiten zu Detailaspekten Legion seien:
Caesar, Claudia C.
Der „Wanderkünstler“: ein kunsthistorischer Mythos.
Diss. Universität Kassel, 2006. Berlin 2012: LIT Verlag. 522 S. Inhalt:- „Wanderkünstler“ : der Begriff
- Der „Wanderkünstler“ der Kunsthistoriker
- „Wanderkünstler“ : Fallstudien
- „Wanderkünstler“ heute
- Index wandernder Künstler
Reisende Auftragsmaler
Dekorationsmaler gab es bereits in der Antike, aber im christlichen Europa entstanden mit zehntausenden Kapellen, Kirchen, Klöstern … Baustellen allerorten, die nur reisend erreichbar waren.
Die Kartenzeichner der Portolankarten verarbeiteten dagegen vertrauliche Informationen, da sie mit Schifffahrt und Handel verbunden waren. Reeder und Kapitän, Steuermann und Kartograph und Kompassbauer gingen im Mediterraneum aus derselben Familie hervor, mehrere Funktionen verschmolzen oft in einer Person (→ Kartographie im 13., 14., 15. Jahrhundert, Fernhandelsnetzwerke ). Die Berufsangaben der Kartographen umfassen in den Quellen (meist Notarakten) die Begriffe buxolerius (Kompassbauer), Maler (pictor) sowie mestre de cartes de navegar, magister cartarum navigandi, illuminator cartarum navigandi; die Kartographenfamilien waren bereits vorher als Händler und Seefahrer bekannt gewesen. Entstehungs- und Verwendungszusammenhang fallen in diesen Tätigkeitsfeldern zusammen.
Die Marinemalerei als Genre entstand im 16. Jahrhundert und setzt einen seereisenden Maler voraus.
Scholl, L. U.
Marinemalerei am Deutschen Schiffahrtsmuseum: ein Überblick über 30 Jahre Forschung.
Deutsches Schiffahrtsarchiv, 25 (2002) 363-382. Online
Seit dem 18. Jahrhundert hat sich der Typ des Expeditionsmalers ausgebildet, der weder ein Wanderkünstler ist noch sich auf einer Künstlerreise befindet und dessen Hauptfunktion auf der Dokumentation lag.
Literatur
Bianchi, Paolo
Atlas der Künstlerreisen
Ruppichteroth: Verlag Kunstforum. 491 S. Kunstforum international, Bd. 137 (1997) Juni/AugustCastelnuovo, Enrico
„L' artista itinerante è l'equivalente dell'esperimento di laboratorio (P. Frankl)
qualche considerazione in margine ai viaggi degli artisti“.
Vie Del Medioevo / Centro Studi Medievali, Università Degli Studi Di Parma … 2000. A Cura Di Arturo Carlo Quintavalle. 319-322.Travis Elborough
Unterwegs Die Reisen großer Künstlerinnen und Künstler.
224 S. 70 Abb., 100 Fotos. Stuttgart 2024: Kosmos.
30 Reiserouten von Künstlern, u.a.: Basquiat, Cézanne, Duchamp, Dürer, Gustav Klimt, Hockney, Jansson, Kahlo, Kandinsky, Matisse, Munch, Noguchi, O'Keeffe, Paul Klee, Picasso, Van GoghFeitsch, Diana Lucia
;Jaeger, Susanne
Künstler unterwegs in Sachsen und Europa im 17. Jahrhundert.
Saxorum. Blog für interdisziplinäre Landeskunde in Sachsen, 2024-02-13 Online
Ein Beitrag zum Projekt „Migration von Künstlern nach, in und aus Sachsen im 17. Jahrhundert“ des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) im Rahmen des Verbundprojekts DIKUSA. Die Datenbank umfasst mehr als 600 Künstler und Künstlerinnen verschiedener Professionen aus den bildenden und darstellenden Künsten mit ihren Reisen zu Ausbildungsstätten, Studienreisen und Arbeitsaufenthalten.Johann Wolfgang von Goethe
[1749-1832]
Wilhelm Meisters Lehrjahre 1795/96
Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden 1821/29Marx, Petra
Orient Teil 1: Fremdes und 'Gelobtes' Land
Pilgerfahrten und frühe Künstlerreisen in den Orient. Orte der Sehnsucht
LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Westfälisches Landesmuseum. Hrsg. Von Hermann Arnhold. Mit Beitr. von Andreas Beyer, Gerd Dethlefs. 2008, 192-197.Plagemann, Volker
Tod in Bologna: Hans Cranachs Reise 1537
Zur Frühgeschichte der Künstlerreisen nach Italien.
Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte / Hrsg. Von F. Stuttmann [U.a.]. 2002, 37-155.Pechlaner, Harald, Elisa Innerhofer
Künstler unterwegs. Wege und Grenzen des Reisens.
186 S. Baden-Baden 2018: Nomos. Inhalt u.a.:- Andreas Kolb
Der spirituelle Road-Trip des Komponisten Mark Andre - Claudia Caesar
Wanderer – Reisender – Nomade und mehr: Ein künstlerisches Selbstverständnis im Wandel - Heike Biedermann
„Fort von dem, was unser war, wir wollen Neues, Fremdes, Wunderbares, wir wollen Ägypten und Afrika!“ −Max Slevogt
– Die Reise nach Ägypten 1914 - Pablo Schneider
Bernini
in Paris. Die Reise des römischen Bildhauers und Architekten an den französischen Hof 1665 - Thomas Roessler
Vom Versuch, mit einem geborgten Auge zu reisen.Rosemarie Dalberts
Expedition ins Zwischenreich
Raby, Julian
Venice,Dürer
and the Oriental mode.
103 S. London 1982: Islamic ArtSeybold, Dietrich
.
Leonardo da Vinci
im Orient
Geschichte eines europäischen Mythos.
368 S.Köln 2011: Böhlau Verlag.
Ein Überblick über Diskussionen der These (seit 1881), Leonardo sei in den Orient gereist.Tacke, Andreas
et al. (Hg.)
Künstlerreisen. Fallbeispiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart
(Kunsthistorisches Forum Irsee, 7) Konferenzschrift 12.04.2019-14.04.2019 Irsee 243 S. Petersberg 2020: Michael Imhof . InhaltTrauth, Nina
Mit den Augen der Maler betrachtet
Künstlerreisen in den Orient vonGentile Bellini
[um 1429 - 1507] bis zum Ägypten-Feldzug Napoleons. Auf der Suche nach dem Orient. Paul Klee: Teppich der Erinnerung / Katalog, Hrsg.: Zentrum Paul Klee, Bern 2009. Red.: Michael Baumgartner, Carole Haensler Und Marianne Keller. 40-67.Wenzel, Kai
Reisende Architekten und Baumeister in Spätmittelalter und Früher Neuzeit: Konrad Pflüger, Ezechiel Eckhardt und Johann Christoph von Naumann
S. 106-113 in: Müller, Winfried; Steinberg, Swen (Hg.): Menschen unterwegs: die via regia und ihre Akteure. Essayband zur gleichnamigen Ausstellung. Dresden 2011Conrad Wiedemann
(Hrsg.)
Rom – Paris – London
Erfahrung und Selbsterfahrung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen.
739 S., DFG-Symposion 1985 Stuttgart 1986. Darin u.a.:- Conrad Wiedemann:
„Supplement seines Daseins“? Zu den kultur- und identitätsgeschichtlichen Voraussetzungen deutscher Schriftstellerreisen nach Rom-Paris-London seit Winckelmann. - ders.: Zur hermeneutischen und geschichtlichen Problematik des Gegenstands.
- Manfred Beller:
Typologia reciproca. Über die Erhellung des deutschen Nationalcharakters durch Reisen. - Erich Kleinschmidt:
Die Ordnung des Begreifens. Zur Bewußtseinsgeschichte urbaner Erfahrung im 18. Jahrhundert - Horst Günther:
Reisen in die Zeitalter der Welt. - Peter Boerner:
Rom, Paris und London aus der Ferne gesehen: Beobachtungen über den Interessen- und Erfahrungshorizont Nicht-Reisender, dargestellt am Beispiel Goethes - Ralph-Rainer Wuthenow:
Reisende Engländer, Deutsche und Franzosen - Karl Riha:
Großstadt-Korrespondenz. Anmerkungen zur Zeitschrift „London und Paris“. - Helmut Kiesel:
Das nationale Klima. Zur Entwicklung und Bedeutung eines ethnographischen Topos von Renaissance bis zur Aufklärung - Wolfgang Griep:
Die reinliche Stadt. Über fremden und eigenen Schmutz - Jörg Jochen Berns:
Peregrinatio academica und Kavalierstour. Bildungsreisen junger Deutscher in der frühen Neuzeit.