Künstlerreisen

Der Topos der Künstlerreise (engl. itinerant artist, frz. artiste itinérant, ital. artista itinerante) ist im Alltag vertraut und weckt ein Vorverständnis, das zwar nicht erklärt werden muss, jedoch vielfältig interpretierbar ist und zudem vor dem 19. Jahrhundert nicht als eigene Reiseform nachweisbar ist. Als Protagonist wird meist Albrecht Dürer (1471 - 1521) herangezogen. Das romantische Stereotyp begründeten:

Das Reisen, sagte Faber, ist dem Leben vergleichbar. Das Leben der meisten ist eine
immerwährende Geschäftsreise vom Buttermarkt zum Käsemarkt; das Leben der Poetischen
dagegen ein freies, unendliches Reisen nach dem Himmelreich. 
Leontin, dessen Widerspruchsgeist Faber jederzeit unwiderstehlich anregte, 
sagte darauf: Diese reisenden Poetischen sind wieder den Paradiesvögeln zu vergleichen, 
von denen man fälschlich glaubt, daß sie keine Füße haben. Sie müssen doch auch 
herunter und in Wirtshäusern einkehren und Vettern und Basen besuchen, und, 
was sie sich auch für Zeug einbilden, das Fräulein auf dem lichten Schlosse 
ist doch nur ein dummes, höchstens verliebtes Ding, das die Liebe mit ihrem bißchen 
brennbaren Stoffe eine Weile in die Lüfte treibt, um dann desto jämmerlicher, 
wie ein ausgeblasener Dudelsack, wieder zur Erde zu fallen; auf der alten, schönen, 
trotzigen Burg findet sich auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier usw. 
Alles ist Einbildung.

Joseph von Eichendorff (1788 - 1857), Ahnung und Gegenwart (1815), Kapitel 5

»Künstlerreise« findet sich zuerst als spöttische Metapher für Handwerker, die reisend ihre Künste anbieten müssen, um Arbeit zu finden 1) und dort mit Verweis auf Campe: »der zerprügelt, hungrig, lahm/ von seiner Künstlerreise kam«. Der wider den Stachel löckende Außenseiterkünstler auf der Suche nach dem Abenteuer ist ein Mythos. Der Künstler auf der Walz von Meister zu Meister kommt der Wirklichkeit näher, er ist vielmehr ein Handwerkerkünstler. So aber ist das Reisen eine beschwerliche Wanderung durch die Unbilden der Natur und wurde erst im 19. Jahrhundert zum genußreichen Reisen hin zur Natur verklärt.

»Das Reisen«, sagte er zu sich selber, »ist ein herrlicher Zustand, diese Freiheit
 der Natur, diese Regsamkeit aller Kreaturen, der reine weite Himmel und 
 der Menschengeist, der alles dies zusammenfassen und in einen Gedanken 
 zusammenstellen kann: – o glücklich ist der, der bald die enge Heimat verläßt, 
 um wie der Vogel seinen Fittich zu prüfen und sich auf unbekannten, schöneren 
 Zweigen zu schaukeln. Welche Welten entwickeln sich im Gemüte, wenn die 
 freie Natur umher mit kühner Sprache in uns hineinredet, wenn jeder ihrer Töne
 unser Herz trifft und alle Empfindungen zugleich anrührt. 
 Ja, ich glaube, daß ich einst ein guter Maler sein werde, da mein ganzer Sinn 
 sich so der Kunst zuwendet, da ich keinen andern Wunsch habe, da ich gern 
 alles übrige in dieser Welt aufgeben mag.
 
 Ludwig Tieck (1773 - 1853) Franz Sternbalds Wanderungen, 3. Kapitel

Ein sehr differenzierte Betrachtung des Themas breitet Claudia Caesar aus und betont, dass sich noch niemand in der Breite mit diesem Thema beschäftigt habe, wenngleich die Arbeiten zu Detailaspekten Legion seien:

Literatur