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wiki:herberge

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Herberge

wirt unde heim sint zwêne unschamelîche namen:
gast unde hereberge muoz man sich vil dicke schamen.
Walther von der Vogelweide: 31,23-32. An Otto IV. 

Eine Einrichtung, die den Bedürftigen Schutz verspricht, sich jedoch auf das Wesentliche beschränkt als Bleibe, Unterkunft, Kundenpenne - ein Gasthaus oder Hotel bietet mehr. Bedürftig kann sein, wer heimatlos ist oder reist, alt oder krank. Solcher Schutz gewährt Ruhe, Erholung, Entspannung, indem schlechtes Wetter ebenso abgewehrt wird wie zudringliche Menschen oder wilde Tiere im Unterschied zum Stellplatz oder Camp im bush, die erheblichen Aufwand erfordern, solchen Schutz selbst zu gewährleisten.

Der Beherbergungsbetrieb (amtsdeutsch) bezeichnet den Kunden euphemistisch als Gast, die Beziehungen beider zueinander werden jedoch über Geld und Leistung verglichen, während es im Gastrecht um den Austausch von Geschenken geht; allerdings ist der Gaststatus zeitlich eng befristet. Die Idee der Gastfreundschaft wurzelt im Nomadentum und hebt den Status des Fremden als Feind befristet auf, sie ist Teil der tradierten Kultur.

Die Idee der Herberge als Institution hat dagegen einen sozialen Charakter, weil sie der Gemeinschaft nützt indem sie das Wohl des Einzelnen bedenkt anstatt ihn der Wildnis zu überlassen, auch wenn dies in sehr unterschiedlichen Formen geschieht. Historisch zu beobachten ist das seit der christlichen Antike, in der als »Werk der Barmherzigkeit« Einrichtungen gestiftet wurden wie Xenodochien oder Hospize, die gleichzeitig in verschiedenen Abteilungen Pilger, Reisende, Kranke, Alte beherbergen konnten. Heute ist diese Grundidee zerfallen in:

  • das Hotel als primär geschäftliches Unterkunftsangebot;
  • die Herbergen zur Heimat als primär wohltätige Einrichtung für Obdachlose;
  • das Hospital als primär heilende Einrichtung;
  • das Hospiz als palliative Einrichtung;
  • den »Beherbergungsbetrieb« als Kategorie für alle Formen vom Campingplatz über den Wohnmobilstellplatz bis zur Nobelherberge.

Die Herberge institutionalisiert die ältere griechische Gastfreundschaft (engl. „guest-friendship“), xenia und wurzelt als Institution im griechischen πανδοχεῖον Pandocheion `das alle aufnehmende´, findet aber keine institutionelle Entsprechung im lateinischen Raum.

  • Sie verbreitete sich jedoch in den semitischen Sprachen des Mediterraneums und fand als funduq/fondaco Eingang in die lingua franca als internationale Geschäftssprache, synonym zum persischen (khān, Karawane, Karawanserei und arabischen (wakāla), hebräischen pundak (פונדק‎). Der Ursprung des italienischen Fondaco führt ebenso wie spanisches alfóndiga/alhóndiga und arabisches funduq (فندق) zum griechischen phoundax `Warenhaus´, dem Bedeutungskern über die Sprachen hinweg. Die Institution bedient also die Interessen des fahrenden Händlers, die Rastplätze benötigten und zudem eines gesteigerten Schutzes ihrer Waren und ihres Vermögens bedurften.
  • Khān und Wakāla wurden vor allem im (ägyptischen) Mamlūkenreich ab dem 13. Jahrhundert betrieben; Wakāla auch im ottomanischen Raum.
  • Ebenfalls aus dem griechischen Raum stammt das spätere Xenodochium `Fremde aufnehmend´, das sich von dort jedoch im lateinischen und späteren fränkischen Raum als Hospital verbreitete und die Interessen von Bedürftigen bediente.
  • Basierend auf Texten antiker Autoren und archäologischen Befunden werden römische Unterkünftssysteme für Gäste und Reisende rekonstruiert, die ab dem 1. Jahrhundert BC als Domunculae oder Hospitalia bekannt waren. Im Unterschied dazu waren die Deversoria genannten Bauten ausschließlich aristokratischen Gästen vorbehalten. Die Autoren identifizierten 31 Deversorien in 28 Residenzen, überwiegend im Raum Spanien, Großbritannien und Gallien, vom 1. bis zum 7. Jahrhundert BC. 1).

Literatur

  • Böhnisch, Tomke
    Hier war Tag und Nacht was los… Die Gasthäuser.
    in: Stubenvoll, Willi (Hg.), „Die Straße“, S. 243-258.
  • Olivia Remie Constable
    Housing the Stranger in the Mediterranean World.
    Lodging, Trade and Travel in Late Antiquity and the Middle Ages.
    XII, 427 S., Bibliographie 362-404, Cambridge 2003: Cambridge University Press
    Mit Hinweisen zu den aufgeführten Beherbergungsvarianten. Rezension: Kathryne Beebe, Journal of the Oxford University History Society JOUHS 2004. Inhalt:
    • 'Accepting all comers': a cross-cultural institution in late antiquity
    • The transition from Byzantium to the Dar al-Islam
    • Commerce, charity, community, and the Funduq
    • Colonies before colonialism: western trade and the evolution of the Fondaco
    • Conquest and commercial space: the case of Iberia
    • Fondacos in Sicily, South Italy, and the crusader states
    • Changing patterns of Muslim commercial space in the later middle ages
    • Christian commerce and the solidification of the Fondaco system
    • The Fondaco in Mediterranean Europe.
  • Herbert May, Andrea Schilz (Hg.)
    Gasthäuser. Geschichte und Kultur.
    348 S. Petersberg 2004: Imhof
  • Potthoff, Ossip Demetrius, Kossenhaschen, Georg
    Kulturgeschichte der Deutschen Gaststätte, umfassend Deutschland, Österreich, Schweiz und Deutschböhmen
    Nachdruck der Ausgabe Berlin 1933, Hildesheim, Zürich, New York 1996
  • Rauers, Friedrich
    Kulturgeschichte der Gaststätte
    Schriftenreihe der Hermann–Esser–Forschungsgemeinschaft für Fremdenverkehr. 2 Bde. 1516 S. Berlin 1942.
  • Schrader, Otto
    Neuhochdeutsch Wirt (hospes).
    Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins. Reihe 5, H. 32 (1910) 63-66.
  • Severin, Hans-Georg
    Pilgerwesen und Herbergen.
    in: Ernst Dassmann – Josef Engemann (Hrgs.), Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22.-28. September [= JbAC Ergänzungsband 20 (1995-1997)], S. 329-339
  • Wallner, Ernst M.
    Von der Herberge zum Grandhotel. Wirtshäuser und Gastlichkeit. Geschichte, Wirtshausnamen, Wirtshausschilder.
    Konstanz 1970.
  • Weber, Walter
    Von Wirtshäusern, Reisenden und Literaten.
    Eine kleine Chronique scandaleuse des Wirtshauslebens. in: Bausinger, Hermann / Beyrer, Klaus / Korff, Gottfried (Hgg.): Reisekultur 1991, S. 82-90.
  • Wehner, Donat, Anke Wesse
    Rasthäuser - Gasthäuser - Geschäftshäuser: zur historischen Archäologie von Wirtshäusern.
    220 S. Bibliogr. 195 -220 Bonn 2015: Habelt. Inhalt u.a.:
    • Donat Wehner
      Methodische Überlegungen zum Nachweis mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Wirtshäuser
    • Fritz Jürgens
      Rasthäuser an langer Straße. Studien zu Lage und Verbreitung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Wirtshäuser
    • Stefan Vasiliadis
      Damit der Gast sich wie zu Hause fühlt. Zu Struktur, Grundriss und Typen von Wirtshäusern
    • Sabrina Autenrieth
      Zum gebaaschten Dragoner. Entwicklung und Symbolik von Wirtshausauslegern in Mitteleuropa
    • Steffen Berger und Nina Krischke
      Durchgehend warme und kalte Küche. Nahrungszubereitung und Küchenutensilien in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtshausküche
    • Till Kühl
      In fremden Betten. Von Unterkunft und Obdach in Gasthäusern seit dem Mittelalter
    • Marc David Bieler
      Austern, Tauben, Schafsköpfe. Von Speisen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtshäusern
    • Fritz Jürgens, Florian Rinser und Donat Wehner
      Am Becher erkennt man den Zecher. Trinkgefäße und Alkoholgenuss in Wirtshäusern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
    • Till Kühl
      Da war der Wurm drin… - Entsorgung und Hygiene in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtshäusern
    • Katharina Ostrowski
      Nach der Mess' die Maß - Zu Devotionalien und religiösen Objekten als Zeichen von Frömmigkeit und Religiosität im Wirtshaus des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
    • Florian Fuchs und Donat Wehner
      Gewerbe und Handel. Das Wirtshaus als Geschäftszentrum
    • Christina Schubert
      Wirtin, gebt mir noch ein Bier! Rollenverteilung von Mann und Frau im Wirtshaus
    • Janna Kordowski und Nils Wolpert
      Fürsten, Bürger, Bauern - Von armen und reichen Wirtshausbesuchern im 16. Jahrhundert
    • Janna Kordowski und Donat Wehner
      Katalog archäologisch und bauhistorisch erfasster Wirtshäuser des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
1)
J.-Ph. Carrié
Le deversorium dans les villae occidentales tardives: éléments pour une identification archéologique.
Antiquité tardive 18 (2011) 277-296 DOI
  • Wer einem institutionellen System angehörte, konnte dieses nutzen, also fanden wandernde Kleriker und Scholaren Unterschlupf im Kloster oder in Pfarrhäusern; für wandernde Gesellen auf der Walz gab es ab dem Mittelalter Gesellenherbergen.
  • Als sprachliche Wurzel der Herberge erscheint althochdeutsches heriberga als `Ort, wo das Heer lagert´ und enthält damit die Komponenten von Schutzmacht und Geborgenheit (`bergan´). Die Bedeutung verschiebt sich aber schon im Mittelhochdeutschen auf den `Ort, wo der Fremde nächtigt´ und betont mit den synonymen lateinischen Ausdrücken hospitium, casa, tabernaculum die Aspekte von Gast, festem Haus, Schutz.
  • Mit dem Errichten von Herbergen als Geschäftsbetrieb wurden diese zum Gasthaus, Wirtshaus und bedienten auch die erweiterten Bedürfnisse ihrer Kunden üder das Schlafen und Essen hinaus mit Trinken und Beischlaf.
Die spezifischen Eigenschaften der unterschiedlichen Institutionen spiegeln in unterschiedlichen Kulturräumen auch das Reiseverhalten: »The existence of the funduq and fondaco in the Muslim world encouraged European traders to visit Islamic ports, while the lack of comparable institutions in European cities mean that Muslim merchants rarely journeyed to European markets« ((s.Constabel, S. 110
wiki/herberge.1686802922.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/06/15 04:22 von norbert

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