Gefahr
»In the long run we are all dead.«
John Maynard Keynes
Das, wovor man sich fürchtet, ist selten das, woran man stirbt. Bei abenteuerlichen Reisen stehen als tödliche Gefahren im Vordergrund: Unterkühlung, Ertrinken, Höhenkrankheit, Lawinen, Skorbut, Hitzschlag, Sturz, Killertiere, Taucherkrankheit, Malaria tropica und Dehydratation.
Allgemein wird ein Zustand, Umstand oder Vorgang, durch den ein Schaden an einem Schutzgut entstehen kann, als Gefahr bezeichnet (engl. hazard, peril).
Technisch definiert man Gefahr als »eine Sachlage, bei der das Risiko größer als das Grenzrisiko ist« 1). Vorausgesetzt wird, dass es keine Null-Risiko-Sachlage gibt, sondern vielmehr ein allgemeines und toleriertes Risiko (Grenzrisiko):
Jeder nimmt am Straßenverkehr teil, ungeachtet des Risikos durch Unfälle.
Jeder verlässt im Spätherbst das Haus, ungeachtet des Risikos durch eine Grippe-Infektion.
Gefahren in Verkehrsmitteln
Die größte Gefahr im Straßenverkehr sind Autos,
die schneller fahren als ihr Fahrer denken kann.
Robert Lemke (1913–1989)
Der Flug von Frankfurt nach Nairobi hat zwar ein berechenbares Risiko als Flugzeugabsturz, aber dieses ist geringer als das Unfallrisiko für einen Fahrradfahrer in Frankfurt. Beides gilt als gefahrlos, weil beide Risiken im gesellschaftlich tolerierten Bereich liegen.
Die Teilnahme am Straßenverkehr in Nairobi birgt jedoch ein statistisch belegtes höheres Risiko als diejenige in Frankfurt. Als Deutscher befinde ich mich damit im Gefahrenbereich.
Ein Kenianer befindet sich nach obiger Definition aber nicht im Gefahrenbereich, da das Unfallrisiko in Kenia dort ebenfalls gesellschaftlich toleriert wird.
Mit der Teilnahme am Straßenverkehr werden über Unfälle hinaus weitere Gefahren akzeptiert, etwa:
smash-and-grab, stoning, hi-jacking, carjacking.
Gefahren für die Gesundheit
Verändertes Klima, ungesunde Morastluft, Speise und Trank, Verfälschung des Weins,
fremde Sitten und Gewohnheiten, einheimische Krankheiten gewisser Gegenden,
Verschiedenheit der Jahrszeiten, das Fahren und Reisen bey der Nacht,
Unvorsichtigkeit in der Auswahl der Wirthshauser, besonders der Schlafzimmer und
Bettungen, die Gefahren in bevölkerten Poftwägen, in engraumigen Wohnzimmern
auf Schiffen, die Nachtheile der Seeluft selbst, Umgang mit unreinen
Weibspersonen, alle diese Krankheitsursachen sind gefährliche Klippen,
an welchen die Gesundheit eines auch stammhaften Reisenden scheitern kann.
S. 21-42 Gesundheitstipps für Reisende, Fußgänger, Reiter und Schiffreisende in:
Johann Christoph Friedrich Schulz: Neuster Wegweiser durch ganz Europa; ...
Berlin 1787: Arnold Wever.
Vorsorge ist in begrenztem Umfang möglich, etwa in Form von Hygiene. Dies ändert weder die Gefahren noch das Risiko, kann aber dazu beitragen durch richtiges Verhalten den Schaden nicht zu vergrößern und wieder aus dem Schlamassel herauszukommen.
H. Peltola
, H. Kyrönseppä
, P. Hölsä
Trips to the South—a health hazard. Morbidity of Finnish travelers.
Scandinavian journal of infectious diseases, 15 (1983) 375
2665 zufällig ausgewählte Finnen, die zuvor nach Inselspanien, Afrika, Thailand gereist waren oder oder eine Weltreise unternommen hatten, wurden über ihren Gesundheitszustand im Ausland befragt:
Ein Drittel (33 %) war krank; 48 % hatten gesundheitliche Beschwerden, die bei 93 % zwei Wochen oder weniger anhielten. Die häufigsten Gesundheitsprobleme waren
Durchfall (18 %),
Sonnenbrand (10 %),
Symptome der oberen Atemwege mit oder ohne Kopfschmerzen oder Fieber (10 %),
Insektenstiche (3 %), meist vermeidbar durch richtiges Verhalten, Folgen können sein:
Malaria und Denguefieber durch Mücken
> Schutz durch Kleidung und DEET (Diethyltoluamid)-haltige Mittel, Dämmerung meiden
Borreliose durch Zeckenbisse
> Schutz durch Stiefel und Mittel, die Zanzarin oder DEET enthalten
übermäßiger Alkoholkonsum (1,5 %),
7 % hielten es für möglich, an einer Geschlechtskrankheit erkrankt zu sein, also
Die Furcht vor Tierbissen (Hunde > Tollwut, Schlangen) ist zwar begründet, das Risiko jedoch gering.
Unterwegs-sein beeinflusst unmittelbar das körperliche und seelische Gleichgewicht überfordern:
→ Literatur und verwandte Themen siehe Liste der Krankheitsbilder des Unterwegs-Seins
Touristen als Opfer
Je bekannter Gefahren sind, desto eher werden sie akzeptiert. Die Selbstverständlichkeit, mit der ein Elektriker mit dem gefährlichen Strom oder ein Chemiker mit der tödlichen Blausäure umgehen, entspringt der gelernten Souveränität: Beide kennen die Gefahr und haben Respekt vor Strom bzw. Blausäure. Sie kennen jedoch auch das Verhalten zum sicheren Umgang damit. Angstgesteuerte, panische Reaktionen wären nicht nur fehl am Platz, sondern würde den sicheren Umgang beeinträchtigen und damit das Risiko erhöhen. Zum Opfer wird man durch falsches Verhalten, nur bedingt durch Schicksal. Was man durch überlegtes Verhalten minimieren oder gar vermeiden kann:
Gefahren beim Schwimmen »marine hazards«:
Touristen als Ziele von Schleppern (»Honorar«, KO-Tropfen)
Touristen als Ziele von Kleinkriminellen (Diebstahl), also Taschendiebstahl an belebten Orten,
Überfall an unbelebten.
Touristen als Ziele von gelangweilten oder korrupten Beamten (Bakschisch).
-
Technische Katastrophen:
Eisenbahn entgleist; Schiff geht unter; Flugzeug stürzt ab; Gasexplosionen; Chemieunfälle
Naturkatastrophen (
Robinson-Situationen):
Wettersturz, Unwetter & Sturm, Hochwasser, Schlamm- & Schneelawinen, Erdbeben, Tsunami, Vulkanausbruch
Literatur
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Backpackers’ risk perceptions and risk reduction strategies in Ghana.
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Gefahren unterwegs für spätantike Reisende im westgotischen Spanien, deren Schutz und Rechte.
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Unveiling al-Isfar an ukm al-asfar: Structural Analysis of a Fifteenth-Century Medical Manual for Travellers
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Tanta malitia itineris, avagy Az utazásnak veszedelmes voltáról a középkori utazó a müvelödéstörténész és a mentalitástörténész szemével. S. 10-31 in: Jankovics, József (Hg.): Klaniczay-emlékkönyv: Tanulmányok Klaniczay Tibor emlékezetére. Budapest 1994.
Online
Pottier, Bruno
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DOI
Der Autor untersucht die Problematik anhand von Quellen des 4. und frühen 5. Jahrhundert und findet regionale und zeitlich begrenzt besondere Gefahrenlagen in Thrakien 378, um Rom 382-383, bei Antiochia 385-387, um Isaurien 390-391. 365 wurde in Kampanien der Einsatz von Pferden und Waffen begrenzt, 391 wurde es Reisenden erlaubt, Angreifer uneingeschränkt zu töten.
Rohr, Christian
Unfälle, Räuber und Lawinen. Verletzungsgefahren reisender Pilger und Kaufleute im Mittelalter .
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Les dangers du voyage au Moyen Age. Problèmes et solutions.
Siècles, Cahiers du centre d´histoire. Espaces et cultures 25 (2007) 51-66.
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Wittich, Thomas
Reisegefahren und Urlaubsängste. Die touristische Erfahrung von Bedrohung und Unsicherheit als Gegenstand narrativer Darstellungen
(=Internationale Hochschulschriften, 427) 413 S. Münster 2004: Waxmann.
Inhalt
Mit Gefahr und Risiko umgehen
Gefahren bringen ein erhöhtes Risiko mit sich, wenn
wir uns ihnen aussetzen (Exposition);
wir sie nicht als Gefahr wahrnehmen (Unwissen);
wir damit nicht vertraut sind (mangelnde
Erfahrung);
wir vertraute Gefahren ignorieren (Leichtsinn).
An all diesen Schrauben können wir drehen und damit das Risiko managen, auch wenn die Gefahren bleiben.
Ein Zustand lässt sich mit einem Lagebild erfassen, das mindestens beschreibt:
Schutzgut
Gefahr
Handlungsmöglichkeiten
Hilfemöglichkeiten
Zusätzliche Informationen können helfen eine Veränderung des Zustands zu erkennen. Im Auto wären das während der Fahrt beispielsweise:
siehe auch
* Grenze zwischen Leben und Tod
* Abenteuer
* Pucker Factor
* Micromort