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Inhaltsverzeichnis
Balconing
Daheim muss man wohl bewandert sein. Wer bleibt daheim, stösst nicht die Schuhe und bricht kein Bein. Was einer daheim hat, das braucht er nicht aussen zu suchen. Deutsches Sprichwörter-Lexicon, Karl Friedrich Wilhelm Wander
Formen des pseudomobilen Daheimbleibens
Abgeleitet von »Urlaub auf Balkonien« und modisch verdenglischt als Kategorie für pseudomobiles Daheimbleiben. Solcher Trieb des Daheimbleibens verbindet balconing offensichtlich mit Heimarbeit (home office), und auf den zweiten Blick auch mit Arbeitsnomaden (digital nomads), wenn diese lediglich ihren Lebensmittelpunkt verlagern. Keine ausgeprägten Reisestile, sondern eher Weniger-Reisen-Reisestile sind etwa:
- Armchair travelling mit coffee table books
- Couch potatoe
- Echokammern
- Flugscham
Balconing als Vermeidungsstrategie
Balconing vermeidet die typischen Konflikte von Reisenden:
- Fremdem zu begegnen
- Neues wahrzunehmen und Ungewohntes zu bewältigen
- Overtourism: selbst als Fremder abgelehnt zu werden
- der Sprache nicht mächtig zu sein
Die Piefke-Saga ein vierteiliger Fernsehfilm, 1990 und 1993 (Teil 4) produziert von NDR und ORF, Regie Wilfried Dotzel
und Werner Masten
(Teil 4), Drehbuch Felix Mitterer. Gegenstand sind Begegnungen im Urlaub zwischen deutschen Touristen (Piefkes) mit Österreichern, die als Komödie angelegt sind, satirisch bis absurd überhöht und manchmal provozierend, weil sie im »Heuhaufen wohlerworbener Klischees« (ORF) über »den Deutschen« und »den Österreicher« bedienen.
Felix Mitterer
Die Piefke-Saga.
Komödie einer vergeblichen Zuneigung.
Haymon Verlag, Innsbruck 1991, ISBN 978-3-85218-089-2.
Nicht-Reisen als Wert
There is nothing to look at any more Everything is seeing to death D.H. Lawrence (1885–1930), englischer Schriftsteller Tourists (Complete Poems 1977, 660) In not-looking, and in not-seeing comes a new strength and undenieable new gods share their life with us, when we cease to see Travel is over (Complete Poems 1977, 662)
Die glaubhaftesten Helden in Road-Movies sind solche, die gar nicht reisen wollen. Weil sie in den Konflikt zwischen Innenwelt und Außenwelt geraten, beobachten wir auf der Leinwand, wie die Persönlichkeit des `Helden´ unterwegs gestretcht wird: die Schale der couch potatoe bekommt Risse. Das kann spannend sein und unterhaltsam, zeigt Himmel und Hölle der Landstraße, lässt den Reisenden wachsen oder zerbrechen.
Das christliche Denken des Mittelalters lehnte die currendi libido ab; manch einem galt das Laufen als »böse, ansteckende Krankheit« 1). Die Neugier galt als Laster und als eitel galt, wer stolz seine Erlebnisse und Erfahrungen vortrug. Stattdessen galt die stabilitas loci als erste Regel in vielen Klöstern.
Auch im Zuge der Globalisierung verlor das Reisen-an-sich seinen Wert, obgleich sich die Masse der Reisebewegungen von Rekord zu Rekord steigerte und als Folge des Overtourism fühlt man sich mancherorts nicht mehr willkommen. Diese Reisebewegungen sind jedoch in erster Linie der weltweiten Ökonomie geschuldet, denn:
- Der Tourismus dient der Erholung von der Arbeit.
- Multilokales Leben verteilt die Arbeit auf weit voneinander entfernte Lebensmittelpunkte.
- Mobile Freizeitgestaltung dient der Selbstoptimierung im Erwerbsleben.
Als Gegenpol dazu erscheint nicht mehr das Reisen, sondern der Rückzug in abgeschlossene Räume. Wolf Schneider
und Christoph Fasel
polemisierten in ihrem Buch Wie man die Welt rettet und sich dabei amüsiert (1995), dass nur eine Gesellschaft aus Stubenhockern die Welt retten könne, weil deren Ressourcenverbrauch sich auf Kühlschrank und Fernseher beschränkte. Dieser Lebensstil (FFF) wird seit Anfang der 1980er Jahre als Cocooning bezeichnet. Heute führt er in direkter Linie zum Internet-Autisten, der in einer Filterblase voller Illusionen abtaucht.
Literatur
Es gibt zahlreiche Gründe, daheim zu bleiben. Furchtbare Reiseerfahrungen aus aller Welt finden sich zuhauf, wie etwa die folgenden Bände zeigen:
- 2021
Light, Duncan; Brown, Lorraine
Exploring bad faith in tourism.
In: Annals of Tourism Research 86, 103082. DOI: 10.1016/j.annals.2020.103082. Dazu auch:
Boris Holzer
Soziologie des Reisens: Die scheinbare Freiheit des Touristen. FAZ 03.08.2021 - 2020
Groebner, Valentin
Ferienmüde
Als das Reisen nicht mehr geholfen hat.
150 S., Essay Konstanz University Press 2020
Inhaltlich mit Bezug auf `Coronistan´: Werde zum Entdecker / Zeug am falschen Ort / Wunderwaffe Bildermachen / Selbsterforschung / Am Ziel der Träume / Entlassung aus der Pflicht Stiegler, Bernd
Reisender Stillstand: Eine kleine Geschichte des Reisens im und um das Zimmer herum. S. Fischer Verlag, 2017.- 2016
Stiegler, Bernd
Reisender Stillstand
Eine kleine Geschichte des Reisens im und um das Zimmer herum.
Frankfurt am Main Fischer 2016 - 2014
Löffler, Falko
Bin ich blöd und fahr in Urlaub?
Zuhausebleiben ist der beste Trip.
München Goldmann 2014 - 2012
Mortimer, Favell Lee 2), Todd Pruzan
Die scheußlichsten Länder der Welt: Mrs. Mortimers übellauniger Reiseführer
(=Clumsiest people in Europe, or, Mrs. Mortimer's bad-tempered guide to the Victorian world)
München: Piper - 2008
Bittrich, Dietmar
Dann fahr doch gleich nach Hause!
Wie man auf Reisen glücklich wird.
München Zürich Piper - 2007
O'Rourke, P. J.
Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen
Frankfurt am Main: Eichborn - 1995
Ror Wolf
Miszelle über die Schrecklichkeiten des Reisens
in: Glaser, Horst A., R. Glaser: El Condor Pasa: Unterwegs mit reisenden Scholaren: Festschrift Für Horst Albert Glaser. Frankfurt am Main: P. Lang - 1995
Hans Magnus Enzensberger
(Hrsg.)
Nie wieder! Die schlimmsten Reisen der Welt
(=Die andere Bibliothek) Frankfurt/M.: Eichborn, 349 S. - 1995
Schneider, Wolf
,Christoph Fasel
Wie man die Welt rettet und sich dabei amüsiert.
Reinbek bei Hamburg Rowohlt - 1993
Landgrebe, Christiane, Sabine Brandt
Bad Trips
Berlin Byblos - 1993
Praetorius, Friedrich-Karl
Reisebuch für den Menschenfeind: die Freuden der Misanthropie
Frankfurt am Main: Suhrkamp - 1992
Andrea Wöhrle, Lutz-W. Wolff
(Hrsg.)
Erstes Allgemeines Nicht-Reise-Buch
München: dtv 11299, 253 S. - 1991
Hans Christian Kosler
(Hrsg.)
Warum in die Ferne? Das Lesebuch zum Daheimbleiben
Frankfurt/M.: Insel, 286 S. - 1756
Mittelberger, Gottlieb
Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750 und Rückreise nach Teutschland im Jahr 1754.
Enthaltend nicht nur eine Beschreibung des Landes nach seinem gegenwärtigen Zustande, sondern auch eine ausführliche Nachricht von den unglückseligen und betrübten Umständen der meisten Teutschen, die in dieses Land gezogen sind, und dahin ziehen.
Frankfurt / Leipzig - 1617
Hall, Joseph
Quo vadis?
A just censure of travell as it is commonly vndertaken by the gentlemen of our nation.
By Ios. Hall D. of Diuinitie. 100 S. London: Edward Griffin for Henry Fetherstone. - 1494
Brant, Sebastian
Czu schyff zu schyff brud'
Eß get es geth Das Narrenschiff Gen Narragonien.
mit besünderē fleiß mü vnd arbeyt. gesamlet ist. durch Sebastianū Brant. Nürnberg: Peter Wagner.