23. März bis 20. April 1984 mit einem Magirus Mercur
In Bangui stellte sich dieselbe Frage wie in Khartoum: Wie geht es weiter? Nach Hause fliegen war für mich keine Option, auch nicht der Weg nach Norden, übrig blieben:
• Mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Kongo/Brazzaville? • Eine Piroge (Einbaum) kaufen und über den Ubangui zum Kongo bis Kinshasa? • Den Faun reisefertig machen?
Geprüft haben wir alle Alternativen. Am 11. März fuhren wir zum Hafen und liehen uns von einem einheimischen Bootsführer eine Piroge. Jeder durfte mal eine halbe Stunde auf dem Ubangui sein Glück versuchen, den sechs bis acht Meter langen Einbaum staken und rudern. Im ruhigen Wasser erwies sich das als nicht so schwierig. Richtig motivierend ist es zu wissen, dass die Flüsse voller Krokodile sind. Schwieriger wurde es nach dem Anlegen am Ufer: Wir wären soeben illegal eingereist, meinten die Polizisten. Hahaha.
Anderntags gingen wir zu deutschen Botschaft. Laut Tagebuch meinte der Beamte: »Erfahrungen mit Flussfahrten gibt es keine – weder gute noch schlechte.« Zwar gibt es einen regulären Einbaumverkehr zwischen Bangui und Zongo (kostet eine DM). Aber er empfiehlt, nicht am Zaire-Ufer anzulegen, das diesseitige Ufer sei zivilisierter. Über Land in Kongo-Brazzaville einzureisen sei meist nicht möglich. Offen wäre zur Zeit der Weg durch Zaire (Kongo-Kinshasa).
Aus dieser Richtung kam gestern Manfred Müller
. Nur acht Tage hat er von Nairobi bis hierher benötigt – in einem 2CV namens Difty. Er wolle seine Weltreise beenden. Auf meine Frage, wann er denn in Deutschland losgefahren sei, antwortet er: »1964 in Bremerhaven, mit dieser Ente. Aber ich bin in den USA hängengeblieben.« Manfred singt sich mit seiner Gitarre durch die Welt und zeigt uns einen dicken Aktenordner mit Presseberichten und Empfehlungen aus der ganzen Welt. Und wenn er mit seiner Ente und seiner Geschichte bei einer Citroën Niederlassung vorfährt, ist kostenloser Service meist garantiert. Offroad-Probleme gibt es nicht. Mit 560 Kilogramm Leergewicht kann man den Wagen aus jedem Loch rausheben. Übrigens kam Manni damit in das Guiness-Buch der Rekorde, fuhr 1999 mit Difty nochmals um die Welt und rief mich 2014 an, um von seinem Buch zu erzählen, http://www.around-world.de .
Am 13. März fährt ein Magirus Mercur auf den Platz, ein deutsches Pärchen aus Hamburg steigt aus. Die wollen den Wagen verkaufen – 11.000 DM - und müssen zurück nach Deutschland. Am 19. März kaufen wir Michael den Wagen ab, Harald und ich teilen uns die Kosten, außerdem nehmen wir noch Leute mit. Am 23. März verlassen wir Bangui. Das Leben dort war teuer und hat mich täglich sieben US-Dollar gekostet.
Vier Tage später erste Schweißarbeiten, der Aufbau reißt. Am nächsten Tag reißt der Ersatzreifen ab. Seit einiger Zeit regnet es jede Nacht heftig. Nichts trocknet, das Zelt wird morgens nass eingepackt, alles stinkt. In Bangassou erreichen wir die Grenze zum Kongo. Ein Carnet de Passage haben wir nicht, doch unsere wohl vorbereiteten Unterlagen werden nach Diskussionen und Gebühren akzeptiert. Der erste Stempel ist der schwierigste, die nächsten drei Monate stempeln alle Grenzer das Papier, das wir ihnen vorlegen.
In Zaire wird der Regen stärker, der Dschungel dichter, die Flüsse breiter und die Sitten rabiater. Wer über den Fluss will, muss fünf Liter Treibstoff abgeben und eine Batterie mitbringen, sonst geht gar nichts. Die tägliche Suche nach einem Übernachtungsplatz ist schwierig. Links und rechts der Straße ist meist Sumpf. Dort, wo es trockener ist, liegen Dörfer, also ist man abends die Attraktion des Dorfes. Mit etwas Glück taucht nachmittags eine Mission auf: gigantische Ziegelsteinkirchen mit zahlreichen Wirtschaftsbauten, oft verlassen. Ich erinnere mich an meine Oma. Die bekam immer die „Stadt Gottes“ mit den Berichten über die neu erbauten Kirchen bei den Heiden und spendete eifrig.
40 Kilometer vor Buta blieben wir auf einer Plantage, da gab es Bier! Der Checkpoint in Buta sei die Pest, erzählte man uns wiederholt, die Polizei plündere alle Durchreisenden. Man empfiehlt die Nacht zum Durchfahren, da seien alle betrunken.
Für einen Ortsunkundiger ist das ein bißchen blöd. Man passiert einen Ort im Dschungel, in dem es kein elektrisches Licht gibt und natürlich auch keine Schilder, denn alle kennen sich ja aus. Navi gab es noch nicht. Also fährt man nach Gefühl und Kompass, denn fragen kann man niemanden, weil im Dunkeln keiner rausgeht und wer dann doch draußen rumläuft, den sollte man besser nicht fragen. An einer Kreuzung, auf der eine schlanke Pyramide steht, sollen wir rechts abbiegen, hat man uns beschrieben. Das ging natürlich schief. Wir mussten wenden und versenkten den Magirus ganz nach dem Gesetz der größtmöglichen Gemeinheit in einem gemauerten Straßengraben vor dem Immigration Office.
Mit Schaufel und Brechstange sollte der Graben zur Rampe werden. Bis Mitternacht hatten wir vier Meter Graben aufgerissen und kamen immer noch nicht raus. Um halb zwei nachts kam der Lkw von Encounter Overland vorbei (die gibt es immer noch: https://encounteroverland.info), weil die auch die falsche Abzweigung genommen hatten. Die hatten wir schon des öfteren getroffen: Halli, Hallo, wohin des Wegs? Abschleppseil raus, Gas geben – Wusch: erstes Drahtseil gerissen. Mit dem zweiten Seil klappte es dann – Danke noch heute an Brian
und Gibb
! Vier Stunden hatten wir in Buta auf der Straße richtigen Lärm gemacht – und nicht eine Tür öffnete sich in den Häusern. Man hörte Stimmen, Lachen, Schreien – sah jedoch niemanden. 30 Kilometer hinter Buta legten wir uns endlich schlafen.
In der Steppe ist es meist einfach, in den bush zu fahren. Die etwas erhöht gebauten Dschungelpisten werden dagegen von verschlammten Gräben gesäumt, die zu meiden es sich empfiehlt. Wo das Gelände flach, trocken und bewohnbar ist, wird es meist auch bewohnt. Einen einsamen und sicheren Schlafplatz zu finden ist schwierig in diesen Regionen. Also halten wir nachmittags schon früh Ausschau, ideal sind »quarries« oder verlassene Straßenbaucamps, seltener finden wir eine Mission, ganz selten eine Plantage oder Farm. Um 18 Uhr wird es dunkel, dann sollte das Camp stehen. Mit der Dämmerung kommen die Insekten zum Licht. Unsere Petromax steht daher auf der Wassertonne auf dem Wagendach und wir bewegen uns weit entfernt am Rande des Lichtscheins. Trotzdem finden viele Insekten den Weg ins Essen, dann knackt es und schmeckt etwas bitter, ist aber wegen des Chininpanzers gut gegen Malaria. Sich der Petromax zu nähern heißt eine schwirrende Insektenwolke zu durchqueren. Am nächsten Morgen schaufeln wir die toten Insekten rings um die Lampe fort.
Wasser gibt es überall, aber frisches Trinkwasser ist sehr selten. Nur: man hat keine Wahl. Wir waren abwechseln, doch pausenlos krank: Amöbenruhr, Malaria, Durchfall. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist eintönig, in den Dschungeldörfern wird mal dies mal jenes angeboten, immer in kleinen Mengen: Maniok, Bananen, Kürbisse, Papaya, Ananas, Eier. Brot gibt es nirgends. Will man ein Huhn, wird eines gefangen und geköpft. Manchmal sieht man bushmeat, dann schaukelt bei der Einfahrt in ein Dorf schon mal ein schwarz geräucherter Affe an einem Ast, den Schwanz durchs Genick vorn aus dem Maul gezogen, als Öse zum Aufhängen. Den riecht man, bevor man ihn sieht. Bei Affen kommt man zum schwierigsten Teil der Mahlzeit, wenn man so ein kleines Händchen auf dem Teller liegen hat. Besser ist es, man isst »bushmeat« ohne zu wissen, was es ist.
Bei der Fahrt auf den Mount Hoyo gab es viele Begleiter: rund ein Dutzend Pygmäen hingen außen am Wagen, Pfeil und Bogen auf dem Rücken, und jauchzten bei jedem Schlagloch. Die sind einfach gut drauf. Ihr Insektenschutzmittel (Fett plus Asche) wird allerdings schnell ranzig und so riecht man ihre Anwesenheit.
Der Mount Hoyo ist nur etwa 1400 Meter hoch, dennoch blicken wir über die Wolken. Die nächste Fahretappe bringt uns zum vergletscherten Ruwenzori, mit der ganzen Vulkankette ein Teil des Virunga-Nationalparks. Dies waren vermutlich die Mondberge, von denen Ptolemäus
in der Antike berichtete. Deren westliche Seite speist die zahlreichen Nilquellen, die östliche entwässert in den Kongo – alles ist üppig grün. Über den Kaffee- und Bananenplantagen kommen Gummibäume, dann Bambus, dann Farne, die erste Hütte (Kilonga) liegt auf 2.100 Metern, die zweite über 3.000 Meter. Alles ist nass, trockenes Feuerholz gibt es nicht. Man versinkt in tiefgründigen Moosen, rutscht über glitschige Wurzeln, meterlange Flechten hängen von den Ästen – eine außerirdische Landschaft. Pflanzen, die wir als Topfplanzen kennen wie Erika oder Lobelien, werden hier bis zu acht Metern hoch und wachsen noch auf fast 4.000 Metern Höhe. Die Luft wird zwar dünner, bleibt jedoch tropisch stickig. Alpinistisch ist der Ruwenzori das anspruchsvollste Hochgebirge Afrikas.
Zwar kommen wir mit heilen Knochen wieder runter, stellen aber am Magirus fest, dass die Hauptlage der Blattfeder vor dem Herzbolzen gebrochen ist. Das heißt, dass der Wagen bevorzugt im Kreis fahren möchte. Also ausbauen, schweißen lassen und umgedreht wieder einbauen.
Die Ausläufer der Berge weiten sich zur Steppe voller Elefanten, Wasserbüffel, Antilopen bis hin zum Idi-Amin-Dada-See, der heute wieder Edward-See heißt. Die Landschaften Ostafrikas werden nahezu unisono als paradiesisch empfunden. Manche vermuten deswegen, dass unser »genetisches Unterbewußtsein« eine archaische Erinnerung an die Herkunft der Menschheit bewahrt hat. Die Idylle am Horizont wird leider gestört durch die zahlreichen Uniformierten am Straßenrand. Ob hinter der Uniform ein Rang und ob in dem Gewehr Munition steckt, erschließt sich nicht so einfach. Jeder winkt und möchte wohl, dass wir halten. Wir winken zurück und möchten nicht halten. Hinterherschießen können sie ruhig, wir haben ja die Stahlplatten des Wassertanks im Rücken. Bei Goma überqueren wir die Grenze nach Ruanda. Willkommen in der Zivilisation. Im Tagebuch steht:»Eine Gegend wie am Genfer See: Häuschen und Villen, Allee, gepflegte Gärten, Promenade am See, schmaler Strand und Wasser bis zum Horizont.« Der zivilisatorische Firnis ist jedoch dünn. Zehn Jahre später wurde jeder zehnte Ruander ermordet, Völkermord an den Tutsi.