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Picknick

»coldtonguecoldhamcoldbeefpickledgherkinssalad
frenchrollscresssandwichespottedmeatgingerbeer
lemonadesodawater ...«
Kenneth Graham: Wind in the Willows 1908, Kap. 1

Formal benennt »Picknick« eine Mahlzeit, die im Freien eingenommen wird (→ Liste der Mahlzeiten im Freien). Das ist aber zu kurz gesprungen, denn nicht jedes Pausenbrot, jeder Stehimbiss mit Proviant, jede Vesper auf dem Feld gilt als Picknick. Es muss nicht mit Grillen verbunden sein und erst recht ist keine Kochstelle nötig. Auch ein Picknick allein, bei schlechtem Wetter oder im Winter erscheint befremdlich. Da muss also mehr dran sein.

Entstehung

Der Begriff Pique-Nique erscheint erstmals 1649 in der anonymen Satire Les Charmans effects des barricades, ou l’amité durable de la compagnie des freres Bachiques de Pique-Nique als Personenname des übergewichtigen und verfressenen »Helden« als Anführer eines Aufstandes in der Zeit der Fronde in Frankreich, womit zwar der Bezug zur Sprache, zum Essen und zu Waffen hergestellt wäre, die Vorstellung eines pique-nique in späterer Zeit jedoch nur unzureichend möglich ist.

1694 wird pique-nique bereits definiert als eine gesellige Mahlzeit, zu der alle ihren Teil beitragen 1), aber »ce mot n'est pas ancien dans notre lange & il est inconnu dans la pluspart des nos provinces«. Der Begriff könnte entstanden sein aus dem Verb piquer `picken, stechen´ und `nique´ im Sinne von `Kleinigkeiten ohne großen Wert´ - bewiesen ist das nicht, jedoch plausibel wenn man sich das Gemälde von François Lemoyne (1688 - 1737) anschaut: piquenique durante a caçada (um 1730, Alte Pinakothek, München). Vorläufer solch geselliger Mahlzeiten unter freiem Himmel finden sich bereits Jahrhunderte zuvor auf Malereien, Jagdgesellschaften schmausend auf Decken zeigend, mit Jagdbeute, Hunden und Waffen, jedoch ohne Frauen. Die Vorstellung eines solchen Vergnügens als locus amoenus ist dann durchaus alt und interkulturell zu finden:

»Ah, würde es einen Laib Brot als Kost geben,
einen Lammbraten, einen Krug mit seltenen Jahrgängen,
und du und ich in der Wildnis lagerten -
Kein Sultans Vergnügen konnte es mit unserem vergleichen.
Quatrain 16 im Rubaiyat von Omar Khayyam, übersetzt von Ahmad Saidi (1904–1994)

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird der Begriff zunehmend genutzt, wenn bürgerliche oder adlige Kreise zu einer geselligen Zusammenkunft einladen (»Salons«), zu der jeder etwas beiträgt; Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778) traf sich in Paris des öfteren mit dem Abbé de Condillac »tête à tête en pique-nique« und gemeinsam mit seiner Frau, Joseph-François Foulquier und seinem Freund Benoit besuchten sie ein Restaurant »en manière de pique-nique … chez la dame Vacassin, restauratrice«. Vielleicht haben wir es Rousseaus »Zurück zur Natur« und seinem Wanderblut 2) zu verdanken, dass sich das Picknick im 19. Jahrhundert hinaus in die romantische Natur verlagerte, verstärkt durch archetypische Vorstellungen des Paradieses. Zur Verbreitung trug jedenfalls bei, dass die bürgerlich-adlige Schicht Frankreichs in den Revolutionsjahren in die Nachbarländer floh und ihre Gewohnheiten beibehielt. 1801 entstand in London die »Pic Nic Society«. Wer was mitzubringen hatte, wurde ausgelost, Pflicht waren sechs Flaschen Wein pro Nase.

Merkmale und Attribute

Als wesentliche Merkmale dieser bürgerlichen Praktik erscheinen rückblickend:

Die Bilder des pique-nique gleichen sich über 150 Jahre hinweg: Männer und Frauen in gelöster Stimmung, Völlerei und Wein im Überfluss, lockere Atmosphäre und selbst der Picknickkorb erscheint bereits 1776 auf dem Bild, während die Attribute der Jagd verschwinden. Alles erscheint harmonisch, die Lebenslust wird sichtbar, alles Strenge fehlt, während das Spielerische, Vertraute, Erotische aufscheint:

Die Form des Picknicks entstand also vermutlich unter dem Einfluss der neuzeitlichen Veränderungen von Freizeit und Arbeit, Naturromantik (Landschaftsgärten) und Wildnis und steht dann im Zusammenhang mit Phänomenen wie dem Spaziergang oder dem Flaneur, dem Spiel mit der bukolischen Einfachheit. Deren Attribute - Picknickkorb, Sonnenhut, Sonnenschirm, Spazierstock - zeigen sich bis in die Gegenwart und dienen als Gepäck für die Reise eines Nachmittags. Auch der Nachmittag hat sich als eigene Tageszeit erst neuzeitlich entwickelt und wird mundartlich oft nach der dann üblichen kleinen Mahlzeit benannt: Kaffee-/Teezeit, Vesper, Jause - bei den Engländern ergänzt durch Sandwich und Tea Time, andere bevorzugen Baguette oder Smørrebrød, gerne mit Stoffservietten. Solcherart vertraute Vorstellungen zeigt aus anderer Perspektive das Gemälde Past Times von Kerry James Marshall von 1997 in dem eine schwarze Familie beim Picknick zu sehen ist, mit Kofferradios, Golf, Motorboot und weiteren Mittelklasse-Attributen.

Sprachen

Die ureigene Form des Picknicks wird auch deutlich, weil es weltweit in in die global language übernommen wurde. Soweit es sprachliche Alternativen gibt, so ist deren Bedeutung vergleichbar, jedoch nicht deckungsgleich, wie etwa:

Picknicktypische Dinge

Literatur

Ausstellung

1)
Gilles Ménage
Dictionnaire etymologique de la langue françoise, ab 1650, S. 580
2)
Christiane Landgrebe
Zurück zur Natur? – Das wilde Leben des Jean-Jacques Rousseau. Beltz, Weinheim 2012