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Vagabund

Bleib im Lande und nähre Dich redlich.
Das biblische Sprichwort (Psalmen 36, 3)
findet sich in mehreren Sprachen.
Deutsches Sprichwörter-Lexicon von Karl F.W. Wander

Das Wort Vagabund hat zwar dieselbe lateinische Wortwurzel vagari `umherschweifen´ wie der Begriff Vagant, verengt die Bedeutung jedoch bereits Anfang des 15. Jahrhunderts auf `Landläufer > Landstreicher´: »vagus vel vagabundus lantlauffel« 1). Darin spiegelt sich das neuzeitliche Aufkommen einer neuen mobilen Bevölkerungsgruppe zwischen Stadt und Land. Aus dem Altfranzösischen kommend erscheint es ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts im Schriftdeutschen und verdrängt Vagant bis zum 19. Jahrhundert zunehmend. Bereits 1693 gibt es ein ius vagabundorum und es scheint, als sei der Begriff vorzugsweise als rechtlicher Sammelbegriff erfolgreich geworden, der letztlich dem Zweck der Abschiebung diente, denn der volkstümliche und bedeutungsgleiche Begriff des (Land-)Störtzers wurde rechtlich nicht genutzt. Die Zuordnung als Vagabund bedurfte einer Befragung:

Die ausgrenzende Bedeutung wandelte sich um 1848, als die Vagabunden zu revolutionären Rittern der Landstraße wurden, zu Helden des Proletariats. Dieses neue Selbstbewußtsein unterschied sie in ihrer Haltung von Handwerkergesellen, Fahrendem Volk, Gaunern - bis 1933.

17. Jahrhundert

​Rechtlich bezeichnet Vagabund eine Person ohne festen Wohnsitz, die den größten Teil des Jahres auf der Landstraße von Ort zu Ort zieht. Als umherziehende Lebensart ist dies weder moralisch verwerflich noch sträflich, sondern als Wanderarbeiter, Saisonarbeiter oder Tagelöhner Teil des Erwerbslebens. Die Mühsal der Arbeit einerseits und das selten sorgenfreie Leben auf der Landstraße andererseits erzeugen einen gewissen Druck, sich Vorteile zu verschaffen. Also wird der Vagabund zum Trickster, damit er satt wird, eine Unterkunft findet, sich trocken und warm kleiden kann. Je nach Talent und Trick werden solche Lebenskünstler erfolgreiche Bettler, Glücksritter, Gaukler 10), Marktschreier, Taschenspieler, Gauner, Trickdieb, Schauspieler oder Musiker, die die Menge brauchen, also von Jahrmarkt zu Messen und sonstigen Attrationen ziehen, wahrgenommen von außen als Landstreicher.
Das Preußische Allgemeine Landrecht befahl den Dorfschulzen unbekannte Personen, ohne Pässe und Zeugnisse nicht im Dorfe zu dulden, sondern dieselben als Landstreicher zu verhaften und an die Behörde abzuliefern. Weder durften fremde Landstreicher ins Land gelassen noch darin geduldet werden, sondern sollten unverzüglich abgeschoben werden bei Androhung einer zweijährigen Festungshaft, sollten sie zurückkommen, namentlich »vagabunde Ziegeuner, Jauner, und anderes Herrloses Gesindlein, welche dem armen Land-Mann viele Ungemach und Schaden zum öfftern zuzufügen« 11)

​19. Jahrhundert

Es finden sich noch im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in den deutschen Ländern Dutzende von Verordnungen, Übereinkünften, Erklärungen, Konventionen zum rechtlichen Umgang mit Vagabunden, meist deren Abschiebung betreffend. Nach den revolutionären Erhebungen 1848 ist damit Schluss.

20. Jahrhundert

1927 waren 70.000 Menschen auf den Straßen Deutschlands unterwegs, sechs Jahre später waren es bereits wieder 450.000. Die Wanderungsbewegungen folgten den sich zyklisch wiederholenden Wirtschaftskrisen und verstärkten die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Unsicherheit in Europa und in Amerika.

Charlie Chaplin spielte mit seiner Rolle als Tramp den Trickster, den Anti-Helden zum Bürgertum. Sein Widerstand war nicht aggressiv, sondern romantisch verklärt mit Wanderstab und Bettelsack, er war der melancholische Sisyphos der Landstraße und damit nicht alleine. Auch Jack London und B. Traven trafen mit ihren Büchern den Nerv der Zeit.

Karl Raichle, Theodor Plivier, Gregor Gog trafen sich nach dem Ersten Weltkrieg in Urach am Rande der schwäbischen Alb: „das schon vor dem Krieg ein Treffpunkt für Wanderprediger und Tippelbrüder, Lebensreformer und Naturapostel war und sich nach 1918 zum süddeutschen Zentrum der lebensreformerischen Bestrebungen entwickelte.“ 14) Die drei bildeten den Matrosenkreis: „im Ahasver, im ewigen Juden erkannte man sich wieder. Gottsucher waren sie, namenlose Männer des dämmernden Morgens, wie Plivier 1919 in einer Selbstanzeige des neugegründeten Verlages der Zwölf schrieb.“ 15)

Künstler und Intellektuelle gingen aus ideologischen Gründen auf die Landstraße. Gustav Brügel, Landstreicher und Schriftsteller aus Balingen bei Stuttgart, gab 1927 die erste Zeitschrift der Vagabunden, den „Kunden“, heraus, Gregor Gog (»König der Vagabunden«) übernahm nach der ersten Nummer. Gog gründete die „Bruderschaft der Vagabunden“. Zusammen mit Pfarrern, Dichtern, Anarchisten und Malern, Träumern und Wanderpredigern, Jugendbewegten und Asozialen, alle auf der Landstraße, baute man Kontakte zu den Berliner „Anarcho-Syndikalisten“ und der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ auf. Sie alle trugen zum „Kunden“ bei. 1928 fand der erste öffentliche Vagabundenabend in Stuttgart statt, weitere folgten in Berlin, Mannheim, Hamburg, Dortmund. Pfingsten 1929 gab es dann das erste große Vagabunden-Treffen in Stuttgart mit 600 Teilnehmern aus Deutschland, Österreich, Böhmen, Polen, Dänemark, Finnland, Ägypten - jedoch niemand aus Frankreich. 1930 wird erstmals ein Vagabundenfilm gedreht, an dem Gregor Gog und zahlreiche andere Vagabunden teilhaben 16). Im gleichen Jahr gibt es in Deutschland acht Ausstellungen von Vagabundenkünstlern. 1933 wird Gregor Gog verhaftet, kommt in mehrere KZs und kann Ende 1933 in die Schweiz fliehen. Die Bücher der Vagabunden werden verboten, das gesamte Archiv abtransportiert.

Der Vagabund in den Medien: Lied, Theater, Literatur, Reisebericht (Auswahl)

Im 20. Jahrhundert wird der Vagabund ebenso wie seine amerikanischen Pendants Tramp und Hobo sowie der russische zum Protagonisten von road movies wie: Charly Chaplins Tramp von 1915; Robert und Bertram 1915, Der Vagabund 1930, The Vagabonds' King 1930 (R Ernst Lubitzsch) Sullivan‘s Travels 1941; Das Fräulein und der Vagabund 1949, Emperor of the North Pole 1973. Die Online-Filmdatenbank OFDB liefert rund 20 Filmtitel 1913 bis 1991 17)

Literatur

Sieha auch Literaturliste Fahrendes Volk

1)
DiefenbGl. 605b Artikel Landläufel, zit. nach DRW
2)
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 330-331
3)
NürnbRatsverl. II 242 Artikel Schottenkrämer,zit. nach DRW
4)
VD17 23:677021U
5)
VD17 547:621490M
6)
VD17 23:299866H
7)
VD17 12:140696K
8)
Beier,Hdw Gesell. 61 Artikel Irrwagen; zit. nach DRW
9)
VD17 23:680908F
10)
Seltsames Beginnen reisender Gaukler in einem Weinhause nebst hinlänglicher Prügel im 6. Kapitel von E. T. A. Hoffmanns Meister Floh
11)
VOn Gottes Gnaden Johann Philipp, deß Heil. Röm. Reichs Fürst, Bischoff zu Würtzburg, und Hertzog zu Francken, [et]c. Demnach von einer gesambten Löblichen Fränckischen Crayß-Versamblung ein allgemeiner Schluß dahin concertirt und abgefasset worden, daß die vagabunde Ziegeuner, Jauner, und anderes Herrloses Gesindlein, welche dme armen Land-Mann viele Ungemach und Schaden zum öfftern zuzufügen pflegen, auß dem gantzen Crayß verbannet und auff B[etretten] mit Leib- und Lebens-Bestraffung angesehen werden sollen … : Datum in Unserer Stadt Würtzburg den 20. Februarij 1714.
12)
Alexandre Zévaès
Sur l'écran politique. Ombres Et Silhouettes,
éditions Georges Anquetil, 1928, S.50
13)
Bulletin de la Société d'histoire et d'archéologie de l'arrondissement de Provins. Frankreich: Imprimerie Ch. Louage, 1920, S. 100
14) , 15)
Trappmann, S. 12
16)
Sergej Tretjakow, Der König der Vagabunden in: Trappmann, S. 329
17)
Lustigen Vagabunden, Die [Kurzfilm] (1913) Vagabund, Der [Kurzfilm] (1916) Vagabund und das Kind, Der (1921) Knox und die lustigen Vagabunden (1935) Lumpacivagabundus (1936) Robin Hood, König der Vagabunden (1938) Lustigen Vagabunden, Die (1940) Vagabund von Texas, Der (1945) Vagabund-Käfer, Der [Kurzfilm] (1947) Fräulein und der Vagabund, Das (1949) Südsee-Vagabunden (1950) Sadko, der Vagabund (1953) König der Vagabunden (1956) Lachende Vagabund, Der (1958) Vagabund in tausend Nöten (1976) Seevagabunden auf großer Fahrt (1978) Rasmus und der Vagabund (1981) Vagabunden wie wir (1987) Max Ernst: Mein Vagabundieren - meine Unruhe (1991)