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wiki:wanderpoeten

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wiki:wanderpoeten [2021/08/20 13:18] norbertwiki:wanderpoeten [2021/11/12 05:58] norbert
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 ====== Wanderpoeten ====== ====== Wanderpoeten ======
-Ein Sammelbegriff für wandernde Textkünstler, die in ältesten Zeiten nicht nur das kulturelle Gedächtnis der Gemeinschaft bewahrten und verbreitetensondern dieses auch mit den spirituellen Vorstellungen verbandendenn in allen frühen Geschichten ist das Handeln der Menschen mit den Göttern eng verwoben:+Hier verwendet als Sammelbegriff für wandernde Textkünstler, idealtypisch überhöht in der [[wiki:trickster#Der Trickster als der Dritte|Trinität]] von: 
 +  * //Erzähler// (griechisch [[wiki:rhapsodos|rhapsodos]]) wie etwa ''Thamyris'' der Thrakier, eine Figur bei Homer (Ilias 2, 597-598), die Überlieferungen, Tradiertes, Erzählungen als `oral history´ textgenau bewahrten, erkennbar am [[wiki:stab|Stab]] (griechisch rhapdos), der das Rederecht symbolisiert. 
 +  * //Dichter// (griechisch poiētḗs), also Textschmiede von Geschichten, die aktuelle Ereignisse und Personen einbandenlobend oder schmähend wie etwa ''Homer''
 +  * //Sänger// (griechisch aoidós)die ein Instrument benutzen wie die Harfe oder Leier, und damit Texte und Töne verbanden wie etwa ''Orpheus''
 +Diese drei Eigenschaften werden in den ältesten Quellen zwar unterschieden, korrespondieren jedoch nicht eineindeutig mit immer denselben Personen. So mag je nach Fähigkeiten, Situation und Funktion ein Wanderpoet von einer Rolle in die andere gewechselt haben; ''Michaela Esser'' nennt sie Wortprofessionisten:
   * griechische [[wiki:rhapsodos|Rhapsoden]] und der Mythos von ''Orpheus'';   * griechische [[wiki:rhapsodos|Rhapsoden]] und der Mythos von ''Orpheus'';
-  * keltische //Barden// ‘praise-maker’ im Unterschied zu Druiden und Seher (vātes) ((Strabo, Geogr. Buch IV)) +  * keltische //Barden// ‘praise-maker’; 
-  * norwegische //Skalden// +  * norwegische //Skalden//; 
-  * englische //scop// +  * englische //scop//, später //gleeman// nach dem Instrument; 
-  * indische //kuśīlavas, sūtas, māgadhas// und der Mythos der drei ''Ribhus'' (Sanskrit: ऋभु, ṛbhu). +  * indische //kuśīlavas (traveling bard, dancer, newsmonger ((Monier Williams: A Sanskrit-English Dictionary: Etymologically and philologically arranged. Oxford University Press 1872 S. 243)) ), sūtas (Geschichtenerzähler und Wagenfahrer ((Mahābhārata )) ), māgadhas (Sänger)// und der Mythos der drei ''Ribhus'' (Sanskrit: ऋभु, ṛbhu); 
-  * vedisch //k rú//, ein wandernder Lobsänger und singender Priester+  * vedisch //k rú// (> guru), ein wandernder Lobsänger und singender Priester.
  
-Solche Wanderpoeten brachten `Kunde´verbreiteten also Nachrichten ähnlich wie [[wiki:bote|Boten]] oder Herolde, waren jedoch im Unterschied zu diesen nicht im Auftrag eines Herrn [[wiki:sendung|ausgesandt]]. Der griechische Herold [[wiki:sendung#Im Auftrag des Herren|Keryx]] ist erkennbar an seinem [[wiki:stab|Stab]] [[wiki:stab#Kerykeion und Dikanikion des Patriarchen von Konstantinopel/Byzanz|Kerykeion]], und der Keryx war ursprünglich ein Opferpriestermykenisch ka-ru-ke ((idg. gʷer(ə)-4 ` `die Stimme erheben'bes. `lobenpreisenwillkommen heißen'aber auch `schelten; jammern'´ : LobliedPreisliedLobgesang ai. jaritár- `AnruferSängerPreiser', davon abgeleitet auch lat. gratiaair. bard `Barde´ s. [[https://indogermanisch.org/pokorny-etymologisches-woerterbuch/index.htm|Pokorny]], die Zusammenhänge sind sehr ausführlich beshrieben in ''Essler'': //ZauberMagie und Hexerei// s.u.)).+Solche Wanderpoeten brachten `Kunde´ und verbreiteten Nachrichten ähnlich wie [[wiki:bote|Boten]] oder Herolde, jedoch im Unterschied zu diesen nicht als [[wiki:sendung|Gesandte]] eines HerrnDie Fähigkeitenihre Kenntnisse erfolgreich bewahren und zu verbreitenmachte sie vordergründig zu RezitatorenBardenDichternTroubadorenSängernindem sie HeldeneposRuhmesliederHymnenLobgesänge schmiedetenaber auch SpottliederSchmähreden und Satiren.\\ 
 +Damit waren sie jedoch sowohl darauf angewiesen, als [[wiki:gast|Gast]] aufgenommen zu werden als auch auf das Wohlwollen des Publikums: //»Wes Brot ich essdes Lied ich sing//«Die Suche nach einem Patron als »Sponsor« zieht sich durch die griechischen Erzählungen und spätestens die höfischen Poeten dienten der PropagandaDas setzt jedoch die Wertschätzung des Wanderpoeten voraus. Als [[wiki:einzelne|Einzelner]] ist es einfacher solche Wertschätzung zu erlangen.
  
-Ihr Wissen über die Vergangenheit, über die Mythen, über das Land und die Menschen erlaubten tiefere Einsichten, gründlichere Urteile und differenzierte Wertungen, also Fähigkeiten von `Sehern´ oder `[[wiki:voelva|Seherinnen´]].+Als Erzähler bewahrten sie in ältesten Zeiten vor Einführung der Schrift das kulturelle Gedächtnis der Gemeinschaft, den Kitt gemeinsamer Werte und Vorstellungen. Verknüpft waren diese Glaubenseinstellungen mit Geschichten, in denen `richtiges Handeln´ gemessen wurde an [[wiki:held|Heroen]] als Vorbildern und [[wiki:reisegoetter|Götter]] als Richter. Mit dieser Schnittstelle zur Spiritualität wurden die Wanderpoeten auch Teil des »Kultpersonals« (s.u. Bernhard Maier), zu dem auch Opferpriester und Seher(innen) gehörten: 
 +  * Das [[wiki:wissen|Wissen]] über die Vergangenheit, über Mythen und Götter, über das Land und die Menschen ([[wiki:kosmopolit|Kosmopoliten]]) erlaubten tiefere Einsichten, gründlichere Urteile und differenzierte Wertungen, aus denen sich Handlungsempfehlungen ableiten ließen, also Fähigkeiten von `Sehern´ oder `[[wiki:voelva|Seherinnen´]]
 +  * Der Name des [[wiki:sendung#Im Auftrag des Herren|Keryx]] - griechische Opferpriester - stammt vom  mykenischen //ka-ru-ke// `die Stimme erheben, loben, preisen, willkommen heißen´, aber auch `schelten, jammern´ und verbindet sich etymologisch mit dem altirischen //bard// und ist bedeutungsgleich mit dem altindischen //jaritár//- `Anrufer, Sänger, Preiser´ ((aus idg. Wurzel gʷer(ə)-4, Loblied, Preislied, Lobgesang, davon abgeleitet auch lat. gratia, air. bard `Barde´ u.a. [[https://indogermanisch.org/pokorny-etymologisches-woerterbuch/index.htm|Pokorny]], die Zusammenhänge sind sehr ausführlich beschrieben in ''Essler'': //Zauber, Magie und Hexerei// s.u.)). Der Stab des Opferpriesters [[wiki:stab#Kerykeion und Dikanikion des Patriarchen von Konstantinopel/Byzanz|Kerykeion]] kennzeichnet bis heute den Patriarchen von Konstantinopel. 
 +  * Wanderpoeten brachten also einerseits Altes und Bewährtes, schufen andererseits auch etwas [[wiki:neugier|Neues]], dabei nutzt die Sprache [[wiki:liste_von_reise-metaphern|Metaphern]] mit handwerklich-technischem Bezug: Verse schmieden oder drechseln, Geschichten spinnen, die Rhapsoden `nähten´ ihre Vorträge. Der englische scop und der griechische poiētḗs sind bedeutungsgleich als Former, Gestalter, Erschaffer im ursprünglichen Sinne von [[wiki:techne|techne]]. 
 +  * Priester und Poet brauchen gleichermaßen das Publikum zum Feiern; in den germanischen Erzählungen erfordern heroische Taten immer auch einen ekstatischen Zustand, eine Berauschtheit, also Tanz und Trunkenheit, diesen Zustand bezeichnet protogermanisch //wōþuz// `Wut´ > besessen, außer-sich-sein. Die keltischen Seher vātes (< *wātis) sind verwandt mit den lateinischen //vates// und wurzeln im protoindogermanischen *(H)ueh₂t-i- `Seher´ (([[https://indogermanisch.org/pokorny-etymologisches-woerterbuch/index.htm|Pokorny]]: u̯āt-1, besser u̯ōt-; dazu auch cymr. gwawd `Gedicht´; got. wōds `besessen´, ahd. wuoten, alts. wōdian `wüten, rasend´, ags. wōþ `Gesang, Laut, Stimme, Dichtung´)).
  
-Zusammen mit der Fähigkeit, ihre Kenntnisse zu verbreiten wurden sie vordergründig zu Rezitatoren, Barden, Dichtern, Troubadore, Sängern, indem sie Heldenepos, Ruhmeslieder, Hymnen, Lobgesänge schmiedeten, aber auch Spottlieder, Schmähreden und Satiren. +Vereinfacht als idealtypische Trinität zeigt sich grob folgende Struktur:
- +
-Damit waren sie jedoch sowohl darauf angewiesen, als Gast aufgenommen zu werden als auch auf das Wohlwollen des Publikums//»Wes Brot ich ess, des Lied ich sing//«. Die Suche nach einem Patron als »Sponsor« zieht sich durch die griechischen Erzählungen und spätestens die höfischen Poeten dienten der Propaganda.+
  
 +^Kultperson   ^ Poet ^ Opferpriester ^ Seher/in^
 +^ Verfahren | translation | transformation | transfer |
 +^ Methode | [[wiki:techne|techne]] | Ritual | Ekstase| 
 +^ Wert | Können | Gesetz | Schicksal |
 +^ Symbol | [[wiki:stab#Der Stab als Auszeichnung, Rechtssymbol und Insigne|Rednerstab]] | [[wiki:stab#Kerykeion und Dikanikion des Patriarchen von Konstantinopel/Byzanz|Kerykeion]] | [[wiki:stab#
 +Der Stab bei den Germanen; Seiðr-Stab, Gandr|Zauberstab]] |
 +| | | | |
 +| keltisch | bard | druidēs | vates |
 +| griechisch | ῥαψῳδός | δρυΐδης | οὐάτεις |
 +| germanisch | Skalden | (Goden) | [[wiki:voelva|Völva]] |
 +((Strabo, Geogr. Buch IV))
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-  * ''Essler, Michaela''\\ //Zauber, Magie und Hexerei//\\ Eine etymologische und wortgeschichtliche Untersuchung sprachlicher Ausdrücke des Sinnbezirks Zauber und Magie in indogermanischen Sprachen.\\ 283 S., Diss. Universität Münster 2017\\ Abschnitt 7.3: Priester, Seher, Dichter - die Wortprofessionisten.\\ Ergebnis: Zum Sinnbereich //Zauber und Magie// gehören die jeweils ambivalenten Begriffsfelder //heilen & vergiften//, //binden und bannen// sowie //sprechen, schreien & singen//. Damit ergeben sich Bedeutungsüberschneidungen zu Wanderpoeten und [[wiki:voelva|Seherinnen]]. Schwächer ausgeprägt erscheinen weitere Begriffsfelder um //angreifen & unrein & Übeltat//. Diese erscheinen eher bivalent: Zum einen geht schlechter Zauber von anderen Gruppen aus (die Anderen, die Fremden?), zum anderen ist der Missbrauch der Zauberei innerhalb der eigenen Gruppe gemeint.+  * ''Essler, Michaela''\\ //Zauber, Magie und Hexerei//\\ Eine etymologische und wortgeschichtliche Untersuchung sprachlicher Ausdrücke des Sinnbezirks Zauber und Magie in indogermanischen Sprachen.\\ 283 S., Diss. Universität Münster 2017\\ Abschnitt 7.3: Priester, Seher, Dichter - die Wortprofessionisten.\\ Ergebnis: Zum Sinnbereich //Zauber und Magie// gehören die jeweils ambivalenten Begriffsfelder //heilen & vergiften//, //binden und bannen// sowie //sprechen, schreien & singen//. Damit ergeben sich Bedeutungsüberschneidungen zu Wanderpoeten und [[wiki:voelva|Seherinnen]]. Schwächer ausgeprägt erscheinen weitere Begriffsfelder um //angreifen & unrein & Übeltat//. Diese erscheinen eher bivalent: Zum einen geht schlechter Zauber von anderen Gruppen aus (die Anderen, die [[wiki:der_fremde|Fremden]]?), zum anderen ist der Missbrauch der Zauberei innerhalb der eigenen Gruppe gemeint.
   * ''Hunter, Richard; Ian Rutherford''\\ //Wandering Poets in Ancient Greek Culture//.\\ Travel, Locality and Pan-Hellenism.\\ Cambridge 2011: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/CBO9780511576133.   * ''Hunter, Richard; Ian Rutherford''\\ //Wandering Poets in Ancient Greek Culture//.\\ Travel, Locality and Pan-Hellenism.\\ Cambridge 2011: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/CBO9780511576133.
   * ''Larsson, S.; af Edholm, K.'' (eds.)\\ //Songs on the Road//.\\ Wandering Religious Poets in India, Tibet, and Japan.\\ Stockholm 2021: Stockholm University Press. DOI: https://doi.org/10.16993/bbi   * ''Larsson, S.; af Edholm, K.'' (eds.)\\ //Songs on the Road//.\\ Wandering Religious Poets in India, Tibet, and Japan.\\ Stockholm 2021: Stockholm University Press. DOI: https://doi.org/10.16993/bbi
   * ''Maier, Bernhard''\\ //Die Religion der Kelten//\\ Götter, Mythen, Weltbild.\\ München: Beck, 2001. Kapitel Kultpersonal, S. 153-164   * ''Maier, Bernhard''\\ //Die Religion der Kelten//\\ Götter, Mythen, Weltbild.\\ München: Beck, 2001. Kapitel Kultpersonal, S. 153-164
 +  * ''Hopkins, Edward Washburn''\\ //The Great Epic of India//\\ Character and Origin of the Mahabharata.\\ Indien: Motilal Banarsidass, 1993.\\ U.a. S. 365-367 Zu kuśīlavas, sūtas, māgadhas mit Hinweis auf `seers´; Zusammenhang von Rhapsoden und Kuru (366).
 +  * ''Bachvarova, M.''\\ //From Hittite to Homer//\\ The Anatolian Background of Ancient Greek Epic.\\  Cambridge University Press 2016. doi:10.1017/CBO9781139048736\\ Verweis auf kursa (auch: Kuskurša heth., gr.), eine Jagdtasche aus Schaffell, die als Kultgegenstand dient, und verglichen wird mit dem Goldenene Vlies.
 +  * ''Bawanypeck, Daliah''\\ //Die Rituale der Auguren//.\\ Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 2001 u.d.T.: Bawanypeck, Daliah: Die Rituale der Vogelkundigen. (=Texte der Hethiter 25) XV, 396 S., Bibliogr. S. 380-396 Heidelberg Winter 2005
 +  * ''Finnegan, Ruth H.''\\ //Oral poetry its nature, significance and social context//.\\ Bloomington [u.a.]: Indiana Univ. Pr. 1992.\\ Kapitel 4: The poet as seer
  
wiki/wanderpoeten.txt · Zuletzt geändert: 2024/03/29 15:12 von norbert

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