Norbert Seitz
Grenzen. Die Geschichte des ZusammenlebensDies ist eine alte Version des Dokuments!
Inhaltsverzeichnis
Grenze
»Grenze« wird allgemein und zunächst verstanden als Grenze zwischen Herrschaftsbereichen, die sich auf der Karte als eine feste Linie darstellt und in der Wirklichkeit meist ebenso scharf als Zaun, als Paßhöhe, als Fluss hüben und drüben deutlich trennt. Das ist aber nicht immer so und das war früher eher ausnahmsweise der Fall.
- Die Mark: In den Waldgebieten Europas wurden Herrschaftsbereiche lange Zeit durch bewaldete Wildnis voneinander getrennt, in der eben keine klare Linie auszumachen war. Diese »Marken« wirkten als Grenzbereiche.
- The Frontier: Insbesondere im nördlichen Amerika schob der Treck nach Westen im Laufe der jahrhundertelangen Kolonisation die »Grenze« vor sich hin - sie konnte jedes Jahr woanders liegen. »Grenze« war Kampfgebiet, Front eben.
- Granitza: In den osteuropäischen Steppengebieten dagegen ließen sich Grenzen (von altslawisch: granica) meist deutlich festlegen und kennzeichnen.
Das unterschiedliche Verständnis von Grenzen bestimmt das Denken und Verhalten der Menschen unbewusst bis heute 1):
Wilfried von Bredow Grenzen Eine Geschichte des Zusammenlebens vom Limes bis Schengen Konrad Theiss Verlag, 192 Seiten
Kontrolle & Erlaubnis
Für Reisende stehen Staatsgrenzen im Vordergrund, denn für das Übertreten sind Regeln (z. B. Zoll) zu beachten, es werden * Dokumente benötigt (z.B. Reisepass, Fahrzeugpapiere), es ändern sich Vorschriften und * Gesetze. Hier übt der staatliche Souverän seine Macht aus, zeigt militärische Stärke, politisches Selbstbewußtsein, wirtschaftliche Zwänge (»Grenzregime«). Das Kontrollbedürfnis an der Schranke ist dem * Staat seit zumindest in der Neuzeit zu eigen »So wie man an der Grenze Personen, Bücher, Gedanken beobachten muss, so auch Waren; denn sind sie einmal im Staatsgebiet verteilt, so kann man sie nicht mehr mit Sicherheit kontrollieren.« 2)
Das Innen und Außen
Das Auflösen einer Grenze führt aus heutiger Sicht zu einem Naturzustand, der die Ordnung auflöst und * Wildnis zulässt; * Grenzgänger werden misstrauisch beobachtet. Der Begriff »Grenze« wurde erst ab dem 12. Jahrhundert ins Deutsche übernommen; er stammt aus den slawischen Sprachen und bezeichnet dort eine Grenzlinie wie sie in den ostmitteleuropäischen Steppengebieten üblich war.
In Westeuropa dagegen bildeten die Wälder zwischen den Rodungsdörfern einen Grenzbereich ohne deutliche Linie; Grenzen wurden bis dahin als »Marken« bezeichnet und als Flächen gedacht, die oft gemeinsam genutzt wurden. 3) Natürlich entstanden daraus Konflikte. Wenn es aber weder physisch noch als Denkfigur die Grenze gab, so konnten Lösungen nur durch Konsens im Miteinander gefunden werden - man war gezwungen, etwas Gemeinsames zu finden. Der Denkfigur der Grenze kam die Hecke am nächsten, diese war jedoch durchlässig und verband das Innen und Außen. Die Spezialistin für die Kommunikation zwischen Innen und Außen war die Heckenreiterin, die Hagazussa, kurz: die Hexe. In vielen Kulturen finden sich Grenzgottheiten (liminal deities), die als * Reisegötter oft heute noch die Reisenden beschützen.
* Grenze zwischen Leben und Tod
Dieter Kreutzkamp, Rupert Heigl Mitten durch Deutschland Auf dem ehemaligen Grenzweg von der Ostsee bis zum Böhmerwald 2. Auflage, München: Frederking & Thaler 1999 19,5x26: 192 Seiten, 39 farb. und 77 SW-Abb.
Grenzgänge sind etwas ganz Besonderes. Ihnen haftet die Gefahr an und die dabei verspürte Unsicherheit ähnelt jener, die man spürt bei den Großen Reisen ins Unbekannte …
1400 Kilometer folgte Dieter Kreutzkamp
der ehemaligen Grenze BRD/DDR, dem betonierten Plattenweg, quer durch Deutschland und nennt ihn »die einsamste Straße Deutschlands« – nur eine Ortsdurchfahrt, kein Gegenverkehr, keine Verkehrsschilder und gleichzeitig die stillsten und schönsten Naturregionen Deutschlands.
Die Wanderabschnitte bestimmen die Gliederung. Die Etappen werden in der Art eines Reiseberichts beschrieben. Die zu befürchtende Tristesse einer tagebuchähnlichen Struktur wird vermieden, denn Hintergründe, Begegnungen und kleine Anekdoten machen die Lektüre interessant. Jedem Kapitel folgt ein Infokasten mit Adressen und Hinweisen zu Abstechern, Campingplätzen, Karten, Literatur. Hin und wieder deuten Skizzen den Wegverlauf an, eine Karte kann das aber nicht ersetzen. Und gerade hier liegt der Nachteil des Buches: Zu groß, zu schwer und dennoch nicht ausreichend für eine Wanderung.
Literatur
Bärmann
, F.
Haus, Stadt, Grenze
Wuppertal: Bergische Universität Gesamthochschule Wuppertal 1992Bauer
, M/Rahn, Th. (Hg.)
Die Grenze: Begriff und Inszenierung Berl
In: Akademieverlag 1997Böckler
, S.
Grenze: Allerweltswort oder Grundbegriff der Moderne?
In: Archiv für Begriffsgeschichte 2003, 45: 167 - 220Haubrichs
, W./Schneider, R. (Hg.)
Grenzen und Grenzregionen
Saarbrücken: Saarbrücker Druckerei und Verlag 1993Haushofer
, K.
Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung
Berlin-Grunewald: Kurt Vowinckel Verlag 1927Helmolt
, H. F.
Die Entwickelung der Grenzlinie aus dem Grenzsaume im alten Deutschland
In: Historisches Jahrbuch 1896 XVII 235 - 264Karp
, H.-J.
Grenzen in Ostmitteleuropa während des Mittelalters
Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Grenzlinie aus dem Grenzsaum.
Köln: Böhlau 1972Kolb
, H.
Zur Frühgeschichte des Wortes ‘Grenze’
In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 1989, 226, 344 - 356Marchal
, G. P. (Hg.)
Grenzen und Raumvorstellungen
Zürich: Chronos 1996Medick
, H.
Zur politischen Sozialgeschichte der Grenzen in der Neuzeit Europas
In: Sowi. Sozialwissenschaftliche Informationen1991, 3: 157 - 163Makropoulos
, M.:
Grenze und Horizont. Zwei soziale Abschlußparadigmen
In: Honegger/Hradil/Traxler (Hg.) 1999, 387 - 396Pfister
, M.
Grenzbezeichnungen im Italoromanischen und Galloromanischen
In: Haubrichs/Schneider (Hg.) 1993, 37 - 50Scattola
, M.
Die Grenze der Neuzeit
Ihr Begriff in der juristischen und politischen Literatur der Antike und Frühmoderne.
In: Bauer/Rahn (Hg.) 1997: 37 - 69Schmale
, W.: „Grenze“ in der deutschen und französischen Frühneuzeit
In: Ders./Stauber (Hg.) 1998, 50 - 75Schmale
, W./Stauber, R. (Hg.)
Menschen und Grenzen in der Frühen Neuzeit. Berl
In: Berlin Verlag A. Spitz 1998Schneider
, R.
Lineare Grenzen vom frühen bis zum späten Mittelalter.
In: Haubrichs/Schneider (Hg.) 1993, 51 - 68Sieber-Lehmann
, C.
„Regna colore rubeo circumscripta.“
Überlegungen zur Geschichte weltlicher Herrschaftsgrenzen im Mittelalter.
In: Marchal 1996, 79 - 91
<html><img src=„https://vg09.met.vgwort.de/na/dd6f9ca50166467d8306ea24113b593f“ width=„1“ height=„1“ alt=„“> </html>
M. J. Fraenzi
: Über Zölle, Handelsfreiheit und Handelsvereine … Wien 1834, S. 78, zit nach E. Saurer
: Straße, Schmuggel, Lottospiel. Göttingen 1989Christoph Motsch
: Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat… Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2001