»Oysters are alive. I don't eat live food. I want my food dead. Not sick, not wounded. Dead.« Woody Allen: Don’t Drink the Water. 1969
Dass der Appetit beim Essen kommt, ist unterwegs nur eingeschränkt richtig (→ Kochen und Essen). Da entscheiden zuerst die Augen, dann die Nase und schließlich die Einstellung. Nutzer eines touristischen Systems - also Clubreisende ebenso wie Backpacker in ihren Hostels - sind nach dem ersten Blick in die Speisekarte gut dran, aber die wenigsten entkommen Montezumas Rache. Über die Ursachen kann man spekulieren, doch scheint Undefinierbares aus der Garküche am Straßenrand besser bekömmlich zu sein als vertraut Erscheinendes aus dem Warmwasserbad (Weird Food & Strange Food from Around the World).
d’Errico, R., Magagnoli, S., Scholliers, P., & Atkins, P.J.
(Hg.)Friedl, Ellen
Hans Frosch
Donald W. George
Angela Huber
Kivela, J. J.
, Crotts, J. C.
Hélène Morlier
James Oseland
(Hg.)Ranke, Karl Ernst
Simmel, Georg
Wirz, Albert
Reisende, die unterwegs keine Probleme mit dem Essen haben, sind vermutlich
Zum Problem wird das Ekelgefühl, das sich bei Unbekanntem häufig breitmacht, ausgelöst von Aussehen, Geruch und oft auch nur von der Phantasie. Nun hat man ja meist die Wahl, aber es ist das Schlechteste nicht, sich mit dem Ekelgefühl auseinanderzusetzen. Dazu lädt das Disgusting Food Museum in Berlin ein und lockt mit »Ekel macht Spaß!«, überreicht als Eintrittskarte jedoch eine Kotztüte. Immerhin kann man lernen, mit diesem grenzverletzenden Gefühl umzugehen. Wie weit die Toleranz zur Nahrungsaufnahme sich dadurch erweitern lässt, steht auf einem anderen Blatt. Alle angebotenen Speisen und Getränke sind hier echt, genießbar und original zubereitet: die Mäuseessenz aus Südchina, der Schnaps aus eingelegtem Robben-, Hirsch- und Hundepenis, der Schlangenschnaps Habushu aus Japan, fast heimatlich der sardische Pecorino mit lebenden Maden, die ihren Käse verteidigen.
Köstlin, Konrad
Menninghaus, Winfried
Michael Owen Jones
Simoons, Frederick J.
Mit der englischsprachigen Ausgabe Germany des Reiseführer-Giganten Lonely Planet unterwegs in Deutschland fährt man mitnichten ins unbekannte Deutschland. Wenn die darin angepriesenen Ziele im Niveau den Empfehlungen für Germany's most delicious dishes (Lonely Planet Editors, 12 October 2020) entsprechen, dürfte sich nicht jeder angesprochen fühlen:
Das ist natürlich ein Klischee, denn die geheimen Vorlieben der Deutschen sind völlig anders, wie die begeisterten Kommentare unter dem Beitrag der ZEIT vom 24.02.2021 Wir lieben Tiefkühlkost zeigen:
Caldicott, C., Caldicott, C., & Merell, J.
A. Erman
Irina Georgescu Carpathia. Eine kulinarische Reise durch Rumänien Ars Vivendi Cadolzburg 2020. 224 S.
In der rumänischen Küche finden sich Einflüsse der griechischen, türkischen, slawischen und österreichischen Küche. Das kommunistische Wirtschaftssystem erforderte eine Art Subsistenzwirtschaft: man musste möglichst viel selbst herstellen. Die Rezepte der rumänischen Küche gehen daher von einer radikalen Einfachheit aus: man nimmt, was man hat. Das führt zu interessanten, urwüchsigen Rezepten mit Zutaten aus einem Bauerngarten des Balkans: Auberginen, Knoblauch, Bohnen, Linsen, Speck, Brennesseln, Kürbis, Ziegenkäse, Huhn, Obst usw.
Dursteler, Eric R.
Yotam Ottolenghi Simple. Das Kochbuch Dorling-Kindersley-Verlag, München 2018. 320 S.
»Simple« bedeutet hier nicht primitiv, stattdessen lassen sich die Kriterien für die von der israelisch-arabischen Küche geprägten Rezepte auf das Kochen im Reisemobil übertragen:
Marie Fadel, aufgezeichnet von Rafik Schami Damaskus. Der Geschmack einer Stadt (=Oasen für die Sinne), Sanssouci im Carl Hanser Verlag München 2002 Pappband 11,5x21 cm: 208 Seiten, Textabb., mit Register
Rafik Schami
lebt und schreibt in Deutschland. Die Bitte des Verlages, ein Buch als kulinarisch-kulturellen Spaziergang über seine Heimatstadt Damaskus zu schreiben stieß daher auf eine grundsätzliche Hürde für den Exilanten. So entstand dieses Buch auf eine beinahe kuriose Art und Weise. Rafiks Schwester Marie Fadel
lebt in Damaskus; sie spazierte mit ihren Verwandten durch die Stadt, besuchte Leute und ließ sich deren Lieblingsgerichte vorkochen. Dann kochte sie diese Gerichte nach und notierte die Rezepte. Daraus und aus telefonischen Erzählungen der Schwester erstellte Schami das Buch.
So entstanden Kapitel wie „Die Freude oder Von heiligen, verwinkelten Gassen und gut gelaunten Salaten“. Ein solches Kapitel ist thematisch dreigeteilt: plaudernd wird die Kulturgeschichte eines Viertels, einer Straße, eines Hauses erzählt und mündet ein in die familiären oder freundschaftlichen Beziehungen von Rafik Schami und Marie Fadel zu diesem Ort. Abschließend wird ein Gericht episodisch eingebunden und schließlich dessen Rezept detailliert beschrieben.
So erschließt sich vom Osttor, dem Bab Scharki, das Ostviertel. Flanierend führen die Autoren ein in das Metier eines dort lebenden Teppichflickers, erinnern sich dabei an den Schreck, als daheim ein Funke den teueren Perserteppich ruinierte und beenden den Spaziergang in der Wohnung ihrer Tante Salime
, die in der Familie für den besten Salat, Tabbuleh, bekannt war.
Dieses langsame Verfertigen des Salates beim Denken muß man mögen. Schami hat sein Handwerk im Griff und doch ist die Gratwanderung zwischen Poesie, Kochbuch und Essay ständig spürbar. Das so entstandene Werk spricht eher den Flaneur an als den Reisenden.
Die Rezepte sind sorgfältig beschrieben, ohne Mengen und Garzeiten allzu genau zu präzisieren. Wer häufig und gerne kocht, benötigt solche Angaben auch nicht. Ein Register enthält die Rezepte unter ihren Grundzutaten, man findet also Falafel unter dem Stichwort Bohne, Tabbuleh unter Karotte. Das setzt bereits einiges Wissen voraus. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)
Q-Textur (Hokkien khiū, Chinesisch 𩚨) ist ein kulinarischer Begriff vergleichbar dem italienischen Al Dente, der im Englischen auch mit chewy, springy, bouncy übersetzt wird, also den Widerstand der Speisen gegen den Biss beschreibend. Weniger kulinarisch ausgedrückt liegt die Konsistenz also zwischen zäh und elastisch und ermöglicht eine Bandbreite zwischen Q und QQ. Bei Nudeln (jian mian 碱面) erreicht man das durch Zugabe einer Lauge, bei Fisch- und Fleichbällchen mit Stärke oder durch Tapioka für Boba-Balls.
Clarissa Wei
Sean Sherman, Beth Dooley Der Sioux-Chef Indigen kochen. Aus dem Amerikanischen von Sabine Franke. 232 S., Kanon-Verlag 2023
Der indianische Spitzenkoch vom Volk der Ogalala-Sioux suchte nach den traditionellen Nahrungsmitteln und Zubereitungen seiner Vorfahren. Diese hat er zeitgemäß aufbereitet und in neue Rezepte integriert - ohne Gluten, ohne Milch, ohne Raffinadezucker. Das liest sich lecker, ohne sich ideologisch gesund zu präsentieren. Vorbilder für dieses Buch gibt es kaum, so dass vieles an indianischen Kochstellen recherchiert wurde:
Manches gilt es neu zu entdecken und einzuordnen. Geschmorte Sonnenblumenköpfe (oder Topinambur) schmecken wie Artischocken. Und aus Mais lässt sich mehr machen als Maisbrei. Das indianische Verfahren, Maiskörner mit Holzasche und Wasser einzuweichen, macht die Maisstärke nicht nur besser bekömmlich, sondern schließt Vitamine (Niacin, Vitamin B3) und Kleber auf (Nixtamalisation).
Waheenee
, Gilbert Livingstone Wilson
Youssou N’Dour Senegal. Die Küche meiner Mutter Aus dem Französischen von Helmut Ertl. München: Christian 2004 Pappband mit Umschlag 20 x 25,5 cm: 192 Seiten, durchgehend farbig illustriert
Der bekannte Musiker beschreibt in 53 senegalesischen Rezepten die Küche seines Landes. Er entstammt einer Familie von Griots, den Überlieferern der Landesgeschichte. Ebenfalls überliefert sind die hier vorgestellten Gerichte, die er seiner Mutter abgeguckt hat, also mit Zutaten vom Markt und mit haushaltüblichen Mitteln zuzubereiten.
Und so erinnert sich der Autor einleitend ausführlich an seine Kindheit, erzählt von Mutter und Familie, vom Dorfleben und vom Markttreiben, bevor ein Glossar die Besonderheiten der senegalesischen Küche erläutert. Das alles ist mit sehr schönen Fotos illustriert, die den Text stellenweise in den Hintergrund drängen. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)
Kazuko Winter Wir kochen afrikanisch Afrikanische Kochrezepte von Afrikafreunden in Bayreuth 82 S., Rüdiger Köppe Verlag Köln 1989 ISBN 3-927620-75-0 Rezepte aus 22 afrikanischen Ländern, die ein großer Freundeskreis zusammengetragen hat: ollof Rice, Hammelgulasch, Rindfleisch mit Okra, Maiskuchen, Ingwer-Bananen, Bohnenpüree, Spinat mit Räucherfisch, Erdnuß-Huhn, Kürbisbrei, Fleisch mit Bananen und andere
Dorah Sitole Afrika Kochbuch Die 160 besten Originalrezepte vom Kap bis Kairo 144 S., Christian Verlag München 2002 ISBN 3-88472-826-1
»Schlangen, Heuschrecken oder Krokodile: sehen sie denn abstoßender aus als etwa Weinbergschnecken, Austern oder Tintenfische? Rohe Eier, aus dem Leib der Schlangen entnommen, Ameisen besonderer Art, in Schokolade eingeschmolzen, Haifischmagen ... das alles sind heute schon begehrte Delikatessen vieler Menschen«
Werner Fischer
präsentierte 18 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg der deutschen Upper Class die Spezialitäten des Restaurants Ritz 1), die diese sicher nicht bestellten, weil es nichts anderes gab: Steinechsen-Suppe, Haifischflossen, Alligator, Bärentatzen, Elefant, Klapperschlange in der Lehmform, Kudusteak mit Honigbienen und anderes mit exakten Zubereitungshinweisen, so wird etwa der Seehund drei Tage in fließendem Eiswasser gereinigt, dann weitere 4-5 Tage in Rotwein mit Cognac eingelegt.
Peter Lund Simmonds The Curiosities of Food Or the Dainties and Delicacies of Different Nations Obtained from the Animal Kingdom 357 S. London 1859
Jaacki Passmore Genießer unterwegs: China Rezepte & kulinarische Notizen (=Genießer unterwegs …) Aus dem Englischen von Helmut Ertl. München: Christian 2003 Pappband mit Umschlag 21,5x33 cm: 256 Seiten, durchgehend farbig illustriert. Übersichtskarte, Glossar, Register
„In einem bacchantischen Roman aus dem 16. Jahrhundert schmaust die Konkubine mit ihren Lotosfüßen in Reiswein eingelegte Entenfüße.“ (S. 61)
Mit diesem Bild vor Augen hätten mir 1986 sicher auch die Entenfüße im Zug von Kanton nach Wuhan geschmeckt.
So allerdings verfüge ich über drei miteinander unvereinbare Vorstellungen der chinesischen Küche: einmal die von mir in vielen Monaten bei mehreren Reisen erlebte Küche in China (die immer nahrhaft, oft gewöhnungsbedürftig, doch selten berauschend war), zum zweiten die chinesische Küche in deutschen China-Restaurants (die ich eher vermeide) und zum dritten die idealisierte Vorstellung einer chinesischen Hochküche, die ich bislang nur selten in China und nie in Deutschland gefunden gefunden habe – außer etwa in diesem vorliegenden Buch. Die Bilder sind klasse, die Beschreibungen lassen mir das Wasser im Mund zusammen laufen: Ja, das will ich … jetzt … aber wo kriegt man sowas?
Dann lese ich auf Seite 80: »Das Fleisch spülten sie mit Unmengen Kumiss hinunter, einem alkoholischen Getränk aus vergorener Stutenmilch. Glaubt man Marco Polo, ähnelte das Gebräu in Farbe und Qualität gutem Wein.«
Kumiss gibt’s in Kirgisistan aus Ziegenbälgern am Straßenrand oder auf dem Markt aus Plastikeimern. Letztere haben den Nachteil, die bräunliche, von schmierigen Blasen bedeckte Flüssigkeit allzu offensichtlich anzupreisen, die überdies auf Fliegen sehr attraktiv wirkt. Sicher gibt es eine Phase, in der Wein ähnlich aussieht. So ein Federweißer in der Straußenwirtschaft mag ja auch den Tag retten – doch bis zum vin jaune ist’s ein weiter Weg.
So sind auch die hier vorgestellten Rezepte sehr kultiviert und verlangen danach, zubereitet zu werden. Doch idealisiert, wie sie sind, werden sie im Alltag schwer zu finden sein. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)
Butkus, Günther
Heidi Peter-Röcher
Lebek, Wolfgang D.