Marion Gräfin Dönhoff
in DIE ZEIT 26. August 1966Utopismus als Drang nach dem Ort, den es nicht gibt, jedoch geben sollte, erkennt in seiner gefährlichen Form als -ismus den Menschen als Wurzel allen Übels und fordert also dessen Erneuerung. Das kann erfolgen mit Blick auf das Schlechte im Menschen oder mit Blick auf das Gute, das es zu entwicklen gilt. Beides scheint in Umbruchzeiten konzeptionell entworfen zu werden:
Baldassare Castiglione
1527 in seinem Buch Il Libro del cortegiano beschrieb: der erfahrene und galante Mensch tritt insbesondere als Adliger höfisch auf, erkennbar an Kleidung, Sprache, Etikette und überzuegt durch Selbstdisziplin und Belesenheit (eruditio) als Mann von Welt.Als ursächlich gelten die sieben Todsünden:
Superbia | Hochmut | Stolz, Eitelkeit, Übermut |
---|---|---|
Avaritia | Geiz | Habgier, Habsucht |
Luxuria | Wollust | Ausschweifung, Genusssucht, Begehren, Unkeuschheit |
Ira | Zorn | Jähzorn, Wut, Rachsucht |
Gula | Völlerei | Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Unmäßigkeit, Selbstsucht |
Invidia | Neid | Eifersucht, Missgunst |
Acedia | Faulheit | Feigheit, Ignoranz, Überdruss, Trägheit des Herzens |
Todsünden sind so beständig, weil sie menschlich sind. Das Gute gibt es nur, weil auch das Böse in der Welt ist. Weiß benötigt schwarz, sonst wäre alles grau. Dann aber ist das Versprechen des Neuen eine Lüge, die wirken kann, weil jedem Aufbruch ein Zauber innewohnt, während das Alte fade geworden ist. Dass sich etwas verändert ist nur möglich, wenn es aus dem Bestehenden geformt wird, also in weiten Teilen auch bestehen bleibt. Die Sehnsucht nach dem neuen treibt an, aber das Neue als Gegenteil des Alten zu fordern, führt zu Terror.
Ernst Bloch
Peter Iden
Marion Gräfin Dönhoff
in DIE ZEIT 26. August 1966