Balkonien

Ursprünglich spöttische Bezeichnung des Reiseziels, weil man nicht verreisen darf (eingeschränkte Reisefreiheit), kann (Leere im Portemonnaie) oder will (Oknophilie) und daher aus der Not eine Tugend macht, während alle anderen verreisen. Damit wird Balkonien zum trotzigen Distinktionsmerkmal der Unvermögenden, der auch durch den Spaziergang nicht ersetzt werden kann; als neuer Trend seit den 1990er Jahren erscheint balconing.

Der Begriff dürfte in der Weltwirtschaftskrise in Berlin entstanden sein und findet sich erstmals dort 1933 in der Presse 1) neben Sommerfrische und Laubenkolonie, 1964 als Gedichttitel 2) sowie später als Nische für »Heimat« in der DDR 3) neben Schrebergarten und Kleintierzüchter, also als Teil kleinbürgerlicher Lebensformen. Zu Corona-Zeiten wurde Balkonien zum Urlaubsort, während der Klimakrise zum Standort des Balkon-Kraftwerks 4).


siehe auch
Liste der unübersetzbaren reiserelevanten Begriffe

1)
Berliner Lokal-Anzeiger vom 10. August 1933, siehe: Hans Schulz, Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch 2. A. de Gruyter, Berlin/New York 1996, Stichwort »Balkon, Balkonien«
2)
Berndal, Franz. Det kann nur een Berliner sein Gedichte. Dannemaier Karlsruhe 1964
3)
Zehn Jahre danach: Bildungswesen und Erziehungswissenschaft in Deutschland und Polen in vergleichender Perspektive. 2004. Münster: Waxmann, S. 244
4)
Sarah Obertreis: Flucht aus Balkonien: Wenn selbst Geranien verboten sind. FAZ 24.05.2023