Von Khartoum bis Bangui

Nach den Tagebucheinträgen vom 20. Januar bis 19. März 1984

Norbert Lüdtke

Am Freitag, den 20. Januar 1984 fahren wir über den Libyschen Markt und Omdourman in Khartoum ein, erst am 5. Februar werden wir Richtung Bangui aufbrechen, aber das ahnen wir zu dieser Zeit noch nicht, weil wir den Südsudan durchqueren wollen. Alex und Eliane, die hier zusteigen und ihren Jahresurlaub an Bord des Faun verbringen wollten, warten seit dem 5. Januar in Khartoum und werden wieder heimfliegen, ohne die Stadt verlassen zu haben.

Kurzer Rückblick: Am 23. Dezember waren wir in Asiut in Ägypten mit vier deutschen Konvoipartnern verabredet: einem MAN, einem Magirus, einem Unimog, einem Toyota Landcruiser. Das Treffen klappte nicht, in der Oase El Kharga trafen wir sie dann zufällig. Gemeinsam starteten wir in die Libysche Wüste, Kurs Süd Richtung Sudan, Selima-Oase, doch bereits am ersten Tag waren sie außer Sicht. Fünf Tage später hatten wir sie wieder eingeholt – für einen Abend. Jetzt in Khartoum erfahren wir, dass der Unimog als erster der fünf vor vier Tagen hier angekommen ist. Wir wurden bei der Deutschen Botschaft als vermisst gemeldet, jetzt gab es Entwarnung, die Suchaktion wurde abgeblasen.

Dafür haben wir neue Probleme zu lösen: Unser Hauptziel, der Südsudan, ist seit kurzem für Reisende gesperrt. Grund: Präsident Numairi will seit langem den Südsudan islamisieren und setzte ihn ab September 1983 unter islamisches Recht (Scharia). Die dortigen Völker sind jedoch überwiegend Christen, etwa ein Viertel gehört afrikanischen Religionen an, nur 2% sind Muslime. Außerdem wurden im Süden reiche Erdölvorkommen entdeckt und man hatte mit dem Bau des Jonglei-Kanals begonnen, der das Nilwasser schneller nach Norden führen sollte. Ende 1983 gründete John Garang die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA), der zwanzig Jahre anhaltende Bürgerkrieg begann mit dem Ende der Regenzeit im Dezember. 1984 gab es 956 Tote 1). Und wir standen vor der Tür.

In meinem Tagebuch steht: »20.01.: An der Grenze zu Äthiopien wird gekämpft. 21.01.: Im Deutschen Club [in Khartoum] wurden 150 Kisten Bier beschlagnahmt und in den Nil geschüttet. Viele Pesttote an der Grenze Kenia/Tansania. 23.01.: Im Südsudan sollen vier Amerikaner erschossen worden sein. 24.01.: Jetzt sind auch Flugverkehr und Schiffsverbindungen in den Südsudan eingestellt worden. Zwei Australier haben es geschafft herauszukommen und sind nun in Nyala. In Uganda wurden drei Schweizer und ein Brite, Entwicklungshelfer, erschossen.« Nur der Weg nach Zentralafrika ist offen.

Wir sind gut beschäftigt, Visa für den Sudan zu beantragen. Dass wir illegal eingereist sind, macht es nicht einfacher. Jetzt brauchen wir auch noch Visa für Zentralafrika und den Kongo sowie ein Permit im Sudan für den Abschnitt bis Nyala. Der Faun ist in der Mercedes-Werkstatt. Bei einer Probefahrt des Mechanikers gibt es einen Unfall mit Todesfolge, der Wagen wird einige Tage beschlagnahmt. Das ist erst mal nicht so schlimm, schließlich gibt es auch keinen Diesel zu kaufen. In El Obeid sitzen die Lkw schon seit sieben Tagen fest, kein Treibstoff. Am 5. Februar gibt es endlich Diesel. 95 Kilometer südlich von Khartoum finden wir ein Straßenbaucamp der Firma Wayß & Freitag. Hier gibt es Ersatzteile, Diesel, Lebensmittel und vor allem werden wir freundlich aufgenommen von Peter Mehlen aus Garzweiler.

Bei Kosti setzten wir über den Nil, es folgen 3.000 Kilometer Piste bis Bangui. Die Ladefläche des Faun ist gebrochen, so dass sie sich links und rechts absenkt, Spriegel sind gerissen. Der Dieselfilter muss täglich gereinigt werden, die Treibstoffleitungen setzen sich immer wieder zu. Der Luftpresser verliert Öl und raucht. Eine Hydraulikleitung ist undicht. An der Riemenscheibe der Lichtmaschine reißen drei Schrauben ab. Ein Simmering an der Motorwelle ist undicht. Ersatzteile gibt es nicht, also werden sie aus einem Kran ausgebaut und passend gemacht: Riemenscheibe abdrehen, Saug- und Druckleitungen neu verlegen, Grundplatte bauen. Neun Tage verbringen wir in einem Straßenbaucamp der Firma Held & Francke nahe der Grenze zum Tschad und arbeiten in sengender Hitze. Ohne Franz, den Mechaniker, hätten wir das nie geschafft. In diesem Camp treffen wir auch wieder auf den MAN und den Toyota, unsere Konvoipartner aus Ägypten.

Auf zentralafrikanischer Seite wird es grüner, also nasser, und die Flussdurchfahrten häufen sich, immer wieder sehen wir Hippos. Die Bäume kommen tiefer, schon drei Spriegel wurden abgerissen. Die wenigen Dörfer sind afrikanisch, wie man sich das so vorstellt. Die Menschen offen, herzlich, gut drauf, die Versorgung ist für uns schlecht, weil sich alle selbst versorgen. Die Brunnen in den Dörfern sind nicht sehr ergiebig, das Wasser trüb. Häufige Kontrollen an roadblocks mit Schlagbaum, aber unproblematisch – jedenfalls bis zur Einfahrt in Bangui. Dort wird der Führerschein beschlagnahmt, weil ein Blinker nicht funktioniert.

Die wenigen Fahrzeugreisenden campieren sieben Kilometer außerhalb, also heißt die Anlage »Centre d‘Accueill Touristique«, kurz: kilometre sept. In deren Restaurant machen wir neue kulinarische Erfahrungen: Am 9.3. gibt es dort serpent boa, am 10.3. Elefantenrüssel, am 11.3. Affe und Schuppentier (pangolin), am 15.3. kriecht eine Schlange durchs Restaurant. Der Kellner erschlägt sie mit einem Besen und bringt sie in die Küche.

Das Camp wird bewacht, von einem Wächter mit Pfeil und Bogen. Vielleicht wäre ohne ihn noch mehr gestohlen worden, nahezu jeder hat Verluste zu beklagen: Nun stellt man ja auch seinen Rucksack nachts nicht vors Zelt, aber auch alle Staukästen des Faun wurden ausgeräumt: Wagenheber, Ersatzteile und Werkzeuge sind weg. In der Stadt vereiteln wir zwei Diebstahlversuche etwas grob, die Diebe sind empört. Ein dritter meint, es sei doch völlig normal zu versuchen an Geld zu kommen. »Wenn Du auf deine Bananen nicht aufpassen kannst, gehören sie allen«, sagt man.

Dann treffen wir Paul wieder, der sich in Khartoum von uns getrennt hatte und mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiter wollte. Er saß drei Wochen in Kosti am Nil fest und wartete auf eine Fähre nach Süden. Die kam dann, wurde jedoch hinter Malakal von der SPLA mit Maschinengewehren beschossen. Der Pontonverband zerfiel, einige Einheiten brannten, die Schubeinheit trieb mit Paul, Siggi und 18 Verwundeten an Bord nilabwärts. Am übernächsten Tage wurden sie vom Militär aufgelesen und ausgeflogen. Wieder landete Paul in Kosti, wartete eine Woche auf einen Lkw Richtung Zentralafrika und verbrachte 3.000 Kilometer mit 14 anderen auf einer vollgepackten Ladefläche. Auf der Deutschen Botschaft in Bangui erfahren wir, dass die Grenzen des Sudan für Ein- und Ausreisen komplett dichtgemacht wären, im Süden herrsche Buschkrieg.

1)
Nicholas S. Hopkins, Saad Eddin Ibrahim
Arab Society: Class, Gender, Power, and Development.
American University in Cairo Press, 1997, S. 465, Tab. 4