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1810 Beckmann: Über Reisesammlungen

  • Johann Beckmann
    Litteratur der älteren Reisebeschreibungen
    Nachrichten von ihren Verfassern, von ihrem Inhalte, von ihren Ausgaben und Uebersetzungen; nebst eingestreuten Anmerkungen über mancherley gelehrte Gegenstände.
    Göttingen 1810: Röwer Online
    Zeitleiste Reisesammlungen

Beckmann zeigt in Kap. 15, S. 199, ein Sammelwerk an (Voyages par Bergeron, 1684-1729-1735), das ihm Anlass gibt, grundsätzliche Gedanken über Sammelwerke und zum Anspruch an Übersetzungen zu formulieren:

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Weil die einzelnen Ausgaben der meisten alten Reisebeschreibungen bereits selten sind, so ist es nothwendig, die Samlungen zu kennen, in welcher die, welche man zu brauchen wünscht, zu finden ist. Deswegen kan man mit Recht in der Litteratur der Reisebeschreibungen auch von diesen Samlungen Nachrichten erwarten; aber ich werde mich wohl hüten, sie oft anzubringen.

Denn jede einzelne Reise muß doch ihren besondern Abschnitt erhalten, und in diesem kan man die Anzeige ihres Inhalts und Werths, ihrer Ausgaben und Uebersetzungen und andere dahin gehörige litterarische Dinge, durch Auszüge und Einschaltung kleiner Anmerkungen, annehmlicher machen.

Aber was bleibt denn zur Anzeige der Samlungen mehr übrig, als ein mageres einförmiges Verzeichniß der darin enthaltenen Stücke, und wie läßt sich dabey Ueberdruß verhüten? Die nutzbarsten Samlungen würden solche seyn, worin jede Urschrift volständig, mit critischer Genauigkeit, und allenfals mit Erläuterungen dunkler Stellen, geliefert würde. Allein schwerlich würde die Anzahl der Käufer so groß seyn, daß sie den Verleger auch nur schadlos halten könnte.

Mehre Liebhaber finden Uebersetzungen; aber sollen diese nicht bloß denen, welche nur zur Verkürzung der Zeit, nicht zum Unterrichte, lesen wollen, sondern auch

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Gelehrten dienen, so mussen sie volständig, so richtig und zuverlässig als möglich seyn. Weis man, oder muß man besorgen, daß der Uebersetzer sich erlaubt hat, dasjenige auszulassen, was ihm nicht brauchbar schien, oder was er nicht zu übersehen verstand, oder zu übersehen nicht Lust hatte, so kan man einem solchen Stückwerke nie trauen, und man muß, um sicher zu seyn, dennoch die Urschrift selbst lesen. Was der eine nicht zu brauchen versteht, das kan einem andern unentbehrlich seyn.

Auch kan man den Vorwand nicht billigen, die Auslassungen wären beliebt worden, um den Preis der Samlung zu mindern. Allemal ist diese Erspahrung viel zu klein, gegen den Schaden, welcher dadurch für eine große Klasse der Leser entsteht; und immer bleibt es noch zweifelhaft, ob mehre Käufer durch die kleine Verminderung des Preises, da oft die Auslassung nicht ein Paar Bogen, nur wenige Groschen, beträgt, angelockt, oder mehre Käufer durch die Beschneidung abgeschreckt werden.

Wie wäre es, wenn man lieber nichts ausließe, und nur den Leserinnen oder ungelehrten Lesern, durch eine veränderte Schrift oder durch Zeichen am Rande, mit dem Martial, zuriefe:
Huc eft vsque tibi scriptus, matrona, libellus.

Alsdann konte man auch das liefern, was sonst den Dilettanten lange Weile oder Ekel machen könte.

Auch die Vorenthaltung der Kupferstiche ist selten unschädlich. Wunderlich! ehemals ließen die Verleger, um Käufer anzulocken, den Uebersetzungen Kupferstiche machen, wenn die Urschrift keine hatte; und jetzt entzieht man in gleicher Absicht, den Uebersetzungen die Kupfer der Urschrift. Inzwischen kan zuweilen die Auslassung

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unschädlich seyn, wenn sie nämlich nur Erdichtungen, oder Nachstiche längst bekanter Zeichnungen, oder leere Verzierungen sind, aber Vorsicht ist nöthig, und dem Leser muß nicht verschwiegen werden, was man ihm entzogen hat. Ohne hier die Eigenschaften einer guten Uebersetzung volständig anzugeben, will ich nur noch wider ein Paar Fehler warnen, welche jetzt vom Gebrauche und Ankaufe mancher Uebersehung abschrecken.

Man ändere nicht leichtsinnig die Namen der genanten Länder, Oerter, Flüsse und der Naturalien, sondern gebe sie so an, wie sie in der Urschrift vorkommen. Sind sie fehlerhaft oder unverständlich, so verbessere und erkläre man sie, in kentlichen Zusätzen. Freylich stat Legborn der Engländer mag man ohne Bedenken Livorno setzen, anstat manche Uebersetzer, aus Unwissenheit, jenen Namen, so wie Tannenzapfen stat Ananas, haben beybehalten müssen. Aber wo irgend eine Ungewißheit wegen der Namen seyn kan, da ist es Pflicht, sie aus der Urschrift beyzusetzen.

Die Erklärung der Namen der genanten Naturalien, durch Beysetzung der systematischen Namen, verdient Dank, aber nur, wenn dagegen die Namen aus der Urschrift nicht ausgelassen sind. Sehr oft ist es mißlich, den rechten systematischen Namen zu bestimmen, auch wenn man mit dem Systeme ganz wohl bekant ist. Auf diese Weise hat Martini in seiner Uebersetzung der Adansonschen Reise nach Senegal oft gefehlt.

Eben dieß gilt von den Kunstwörtern der Schiffahrt, der Handlung, der Handwerke und Künste. Da wird ein gewissenhafter Uebersetzer allemal das Wort, was er übersetzt hat, anzeigen. Wenn er nicht weis, was die

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Englander the hulk (1) nennen, und wer kan alles wissen! der wird lieber das Wort beybehalten, als daraus, wie einst ein Recensent, Galeren machen, welche England nicht hat, und nicht brauchen kan.

Stellen, deren Sinn der Uebersetzer nicht faßt, müssen den Lesern ganz geliefert werden; vielleicht verstehn diese sie. Es verräth keine große Gelehrsamkeit, wenn man sich einbildet, alles zu verstehn, oder alles verstehn zu müssen. Die geschicktesten Uebersetzer entsehn sich nicht, sich merken zu lassen, was ohnehin jeder kluge Leser weis, daß sie nicht alwissend und untrüglich sind.

Noch eins! Man lasse die Ordnung der Urschrift ungeändert, auch wenn man sich eine Verbesserung zutrauet, die man vom Ueberseher zu fodern nicht Recht hat. Sonst kan durch Versetzung mancherley Nachtheil entstehn, auch erschwert sie die Vergleichung mit der Urschrift, welche doch oft nöthig wird, und welche nur ein schwacher Ueberseker scheuet, dagegen mancher gute sie, durch Beysetzung der Seitenzahlen der Urschrift, erleichtert, und dafür Zutrauen und Dank erhält.

Wer sich durch ein Beyspiel von den Schwierigkeiten überzeugen will, welche durch Versetzungen und Umarbeitungen einer Reisebeschreibung entstehen, der nehme des Hrn. Groskurd teutsche Ausgabe von Thunbergs Reise, welche in 2 Bänden in Berlin gedruckt ist. Sie ist mit großem Fleiße und vieler Geschicklichkeit gemacht, aber wer Urschrift und Uebersetzung vor sich hat, der versuche einmal eine Stelle der einen in der andern aufzufinden;

(1) Alte Fahrzeuge oder Schiffe, worauf Züchtlinge verwahrt werden; also Zuchtschiffe stat Zuchthäuser.

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zufinden; er wird bald ermüden; zumal da die erste nur ein gar mangelhaftes und letztere gar kein Register hat. Man sehe physikal. ökonomische Bibliothek. XVIII. S. 287.

Daß keine Uebersetzer gewaltsamer mit Reisebeschreibungen der Ausländer umgehn, als die Franzosen, das ist bekant genug; deswegen sind auch ihre Uebersetzungen meisten Theils nur für den Putztisch oder zur Verscheuchung der langen Weile gut genug, nicht zum Unterrichte. Uebel genug, wenn man sie aus Noth zu einem ernstlichen Gebrauche nehmen muß!

wiki/1810_beckmann_litteratur_reisesammlungen.txt · Zuletzt geändert: von norbert

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