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wiki:weltanschauung

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wiki:weltanschauung [2019/04/21 08:35] norbertwiki:weltanschauung [2024/03/19 06:35] (aktuell) – [Selbst reisen & sich verwirklichen] norbert
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   ist die Weltanschauung der Leute,    ist die Weltanschauung der Leute, 
   welche die Welt nicht angeschaut haben.«    welche die Welt nicht angeschaut haben.« 
-Dieses Bonmot von ''Alexander von Humboldt'' (1769 bis 1859) basiert auf der Einsicht: //Erkenntnis bedarf der Erfahrung.//+Dieses Bonmot von ''Alexander von Humboldt'' (1769 bis 1859) basiert auf der Einsicht: //Erkenntnis bedarf der Erfahrung// und solche gewinnt man reisend.\\ 
 ''Kurt Tucholsky'' (1890 bis 1935) schlußfolgerte daraus:  ''Kurt Tucholsky'' (1890 bis 1935) schlußfolgerte daraus: 
   »Man sollte jedem Deutschen noch fünfhundert Mark dazu geben,   »Man sollte jedem Deutschen noch fünfhundert Mark dazu geben,
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   Er würde sich manche Plakatanschauung abgewöhnen,   Er würde sich manche Plakatanschauung abgewöhnen,
   wenn er vorurteilslos genug ist, die Augen aufzumachen.«   wenn er vorurteilslos genug ist, die Augen aufzumachen.«
 +Solche »Plakatanschauungen« heißen heute vornehm //»ideologischer Bias«//. Dabei wird die [[wiki:welt|Welt]] angeschaut durch die Brille des //»Was nicht sein darf, das nicht sein kann.«// In Echoräumen und Filterblasen kann solche Weltanschauung funktionieren - unterwegs fällt man damit auf die Nase. Die [[wiki:wahrnehmung|Wirklichkeit]] ist unerbittlich, auch schöne Geschichten und Fake News überleben dort draußen letztlich nicht. Dass sie überhaupt funktionieren liegt daran, dass sie erstens überraschen (sie wecken das Staunen), zweitens faszinieren (weil sie schön erzählt sind, [[wiki:euphemismus|Euphemismen]] fördern [[wiki:illusionen|Illusionen]]) und drittens subtil das Publikum in seinen Einstellungen und Glaubensrichtungen bestätigt (Einstellungs-Bias: Hab ich schon immer gewusst!).
  
 ==== Lob & Tadel des Reisens ==== ==== Lob & Tadel des Reisens ====
-Von Dichtern, Schriftstellern, Philosophen finden sich zahlreiche solcher Bonmots, die das * [[wiki:reisen|Reisen]] loben. Dagegen wird es selten grundsätzlich verdammt, wie etwa von ''Blaise Pascal'' (1623-1662): //»Alles Unglück des Menschen kommt daher, daß er nicht ruhig in einem Zimmer verweilen kann.«// Viel häufiger sind die Warnungen vor der Ambivalenz des Reisens. Viele stimmen darin überein, dass die Disposition des Reisenden zur Reise darüber entscheidet, ob der * [[wiki:reisende|Reisende]] bereichert zurückkehrt. Wer das Reisen lobt, lobt daher immer auch sich selbst und zweifelt daran, dass jeder es ihm gleich tun könne. Diese Überheblichkeit kontern Sesshafte skeptisch: //»Je weiter die Geschichte fliegt, je mächtiger sie lügt«// ((Das Voltaire zugeschriebene Bonmot »Wer von weit her kommt, hat leicht lügen.« ist älter und lässt sich als Sprichwort bereits im Althochdeutschen finden: »Sô fremdin mære ie verrer fliegen, sô diu liute ie mêre geliegen.« Sprichwörter der germanischen und romanischen Sprachen vergleichend zusammengestellt. Ida Freifrau von Reinsberg-Düringsfeld, 1872 H. Fries Leipzig)) 
  
-Für ''Laurence Sterne'' (1713-1768) war nur der »empfindsame« Reisende in der Lage zu reisen, nicht aber die Masse der aus //»Hochmut, Neugierde, Eitelkeit ...«// Reisenden ((Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien\\ London 1768)). Wie man die Welt dagegen richtig anschaut, erklärten die zahlreichen [[wiki:apodemik|Apodemiken]] des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, die die richtige Weltanschauung zur »Wissenschaft« machen wollten.+Von Dichtern, Schriftstellern, Philosophen finden sich zahlreiche solcher Bonmots, die das [[wiki:reisen|Reisen]] loben. Dagegen wird es selten grundsätzlich verdammt, wie etwa von ''Blaise Pascal'' (1623-1662): //»Alles Unglück des Menschen kommt daher, daß er nicht ruhig in einem Zimmer verweilen kann.«// Viel häufiger sind die Warnungen vor der Ambivalenz des Reisens. Viele stimmen darin überein, dass die Disposition des [[wiki:reisende|Reisenden]] zur Reise darüber entscheidet, ob der [[wiki:reisende|Reisende]] bereichert zurückkehrt. Wer das Reisen lobt, lobt daher immer auch sich selbst und zweifelt daran, dass jeder es ihm gleich tun könne. Diese Überheblichkeit kontern Sesshafte skeptisch: //»Je weiter die Geschichte fliegt, je mächtiger sie lügt«// ((Das ''Voltaire'' zugeschriebene Bonmot// »Wer von weit her kommt, hat leicht lügen.«// ist älter und lässt sich als Sprichwort bereits im Althochdeutschen finden: //»Sô fremdin mære ie verrer fliegen, sô diu liute ie mêre geliegen.«//\\ ''Ida Freifrau von Reinsberg-Düringsfeld''\\ //Sprichwörter der germanischen und romanischen Sprachen vergleichend zusammengestellt.//  H. Fries Leipzig 1872)) 
 + 
 +Für ''Laurence Sterne'' (1713-1768) war nur der »empfindsame« Reisende in der Lage zu reisen, nicht aber die Masse der aus //»Hochmut, Neugierde, Eitelkeit ...«// Reisenden ((//Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien//\\ London 1768)). Wie man die [[wiki:welt|Welt]] dagegen richtig anschaut, erklärten die zahlreichen [[wiki:apodemik|Apodemiken]] des [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 16. Jahrhundert|16.]][[wiki:reisegenerationen#Ab dem 17. Jahrhundert|17.]] und [[wiki:reisegenerationen#18. Jahrhundert|18. Jahrhunderts]], die die richtige Weltanschauung zur »Wissenschaft« machen wollten.
  
 ==== Selbst reisen & sich verwirklichen ==== ==== Selbst reisen & sich verwirklichen ====
-Die Einigkeit darüber ging im 19. Jahrhundert verloren und spätestens für ''Herrmann Graf Keyserling'' (1880-1946) war die Welt nur Mittel zum Selbstzweck: //»Was mich hinaustreibt in die weite Welt, ist eben das, was so viele ins Kloster getrieben hat: die Sehnsucht nach der Selbstverwirklichung.«// ((Reisetagebuch eines Philosophen. 1919)) Das Motiv kommt bei Laurence Sterne noch nicht vor, behauptet sich aber im 20. Jahrhundert und findet erst im 21. Jahrhundert seine Grenzen. 
  
-Die [[wiki:lebensreisestil|Lebensreisestile]] des 20. Jahrhunderts durchliefen etliche [[wiki:reisegenerationen|Reisegenerationen]], deren gemeinsames Bemühen darin bestand, Massen, Klassen und Konventionen zu überwinden. Das ist so gründlich gelungendass sich die Selbstverwirklicher heute fragen müssenWie kann ich einzigartig reisen, wenn alle einzigartig reisen? Selbstverwirklichung beim Reisen bedeutet im 21Jahrhundert, die Welt nicht anzuschauen, sondern als Kulisse zu benutzen für Selfies:// »Hier bin nur Ich«.// Das Smartphone wird zum Spiegel des modernen Narzissdie Weltanschauung ist 4.096 Pixel breitDer Zusammenhang zwischen dem Posten von Selfies in sozialen Netzwerken (SNS) und der »dark triad« (Narzissmus, Macchellianismus, Psychopathie) ist nachgewiesen ((''Jesse Fox, Margaret C. Rooney''\\ //The Dark Triad and trait self-objectification as predictors of men's use and self-presentation behaviors on social networking sites//\\ in: Personality and Individual Differences, Volume 76, 2015,Pages 161-165,ISSN 0191-8869, https://doi.org/10.1016/j.paid.2014.12.017\\  http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0191886914007259)). Nur Selbstanschauung ist Weltanschauung.+Die Einigkeit über die richtige Weltanschauung verlor sich im [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 19. Jahrhundert|19. Jahrhundert]] und spätestens für ''Herrmann Graf Keyserling'' (1880-1946) war die [[wiki:welt|Welt]] nur noch Mittel zum Selbstzweck für den [[wiki:einzelne|Einzelnen]]: //»Was mich hinaustreibt in die weite Welt, ist eben daswas so viele ins Kloster getrieben hatdie Sehnsucht nach der Selbstverwirklichung.«// ((//Reisetagebuch eines Philosophen//. 1919)) Das Motiv kommt bei Laurence Sterne noch nicht vorbehauptet sich aber im [[wiki:reisegenerationen#20Jahrhundert|20Jahrhundert]] und findet erst im [[wiki:reisegenerationen#21. Jahrhundert|21. Jahrhundert]] seine Grenzen. 
 +  * ''Karl Jaspers''\\ //Psychologie der Weltanschauungen.//\\ XII428 SBerlin 1919Springer.
  
-Die Sehnsucht nach dem kleinen Kreisin dem das eigene Selbst das Zentrum darstellt, um das alles kreistlässt sich auf der individuellen Ebene als **Infantilisierung** deuten ((Robert Harrison\\ Ewige Jugend\\ Carl Hanser VerlagMünchen 2015. ISBN 9783446249202)). Erwachsen zu werden bedeutet dagegendieses Zentrum mit anderen zu teilenalso ein Schritt hin zur Selbstlosigkeit mit mehr VerantwortungMensch zu werden bedeutet viele solcher Schritte zu gehenIn seiner Rede vor der UNO 1993 beschreibt der Dalai Lama den Zusammenhang zwischen **universeller Verantwortung** und MenschenrechtenNach Glück zu streben darf nicht auf Kosten anderer gehen.+Die [[wiki:lebensreisestil|Lebensreisestile]] des 20. Jahrhunderts durchliefen etliche [[wiki:reisegenerationen|Reisegenerationen]]deren gemeinsames Bemühen darin bestandMassen, Klassen und Konventionen zu überwinden. Das ist so gründlich gelungen, dass die Selbstverwirklicher heute reisen nicht um die Welt anzuschauensondern als Kulisse zu benutzen für Selfies:// »Hier bin nur Ich«.// Das Smartphone wird zum Spiegel des modernen Narziss, die Weltanschauung ist 4.096 Pixel breit. Nur Selbstanschauung ist Weltanschauung. Der Zusammenhang zwischen dem Posten von Selfies in sozialen Netzwerken (SNS) und der »dark triad« mit Narzissmus, Macchellianismus und Psychopathie ist nachgewiesen ((''Jesse Fox, Margaret C. Rooney''\\ //The Dark Triad and trait self-objectification as predictors of men's use and self-presentation behaviors on social networking sites//\\ in: Personality and Individual Differences, Volume 76, 2015,Pages 161-165,ISSN 0191-8869, https://doi.org/10.1016/j.paid.2014.12.017\\  http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0191886914007259))
  
-Weltlos zu sein statt selbstlos zu werden lässt sich auch im Sinne einer Reaktion auf zu viele //narzisstische Kränkungen// verstehen ((Siegmund Freud\\ Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse\\ 1917)). Auf der Ebene der Menschheit begannen diese Kränkungen damitdass Kopernikus 1517 erklärtedie Welt stünde nicht im Mittelpunkt des UniversumsSeither werden solche Kränkungen immer persönlicher: Nein, der Mensch ist keine besondere Schöpfung, sondern mit dem Affen verwandt (Darwin 1859); Nein, der Mensch weiß nichtwas er tut (Freud 1895) und bedrohen aktuell sogar unseren Geist (Künstliche Intelligenz).+Die [[wiki:sehnsucht|Sehnsucht]] nach dem kleinen Kreis, in dem das eigene Selbst das Zentrum darstellt, um das alles kreist, lässt sich auf der individuellen Ebene als **Infantilisierung** deuten ((''Robert Harrison''\\ //Ewige Jugend//\\ Carl Hanser Verlag, München 2015. ISBN 9783446249202)). Dagegen bedeutet Erwachsen zu werdendieses Zentrum mit anderen zu teilenalso Selbstlosigkeit mit Verantwortung zu paarenMensch zu werden bedeutet viele solcher Schritte zu gehenwie der Dalai Lama in seiner Rede vor der UNO 1993 beschriebdass letztlich nämlich **universelle Verantwortung** und Menschenrechte zusammengehören. Nach [[wiki:glueck|Glück]] zu streben darf nicht auf Kosten anderer gehen.
  
 +==== Einstürzende Weltbilder ====
 +Weltlos zu sein statt selbstlos zu werden lässt sich auch im Sinne einer Reaktion auf zu viele //narzisstische [[wiki:Kränkungen der Menschheit |Kränkungen]]// verstehen ((''Siegmund Freud''\\ //Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse//\\ 1917)). Auf der Ebene der Menschheit begannen diese Kränkungen damit, dass ''Kopernikus'' 1517 erklärte, die [[wiki:welt|Welt]] stünde nicht im Mittelpunkt des Universums. Seither werden solche Kränkungen immer persönlicher: Nein, der Mensch ist keine besondere Schöpfung, sondern mit dem Affen verwandt (''Darwin'' 1859); Nein, der Mensch weiß nicht, was er tut (''Freud'' 1895) und aktuell droht die Künstliche Intelligenz mit der //technologischen Singularität//. Weltanschauung? Soll die Welt doch mich anschauen.
 +
 +  * ''Steffen Mau'', ''Thomas Lux'', ''Linus Westheuser''\\ //Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft.//\\ 540 S.Berlin 2023: Suhrkamp.\\ Neu ist eine Typologie von vier Triggern:
 +    * gebrochene Egalitätserwartungen, 
 +    * Enttäuschungen von Normalitätserwartungen, 
 +    * Verletzungen von Kontrollerwartungen,
 +    * Eingriffe in Autonomieerwartungen.
 +
 +Die [[wiki:welt|Welt]] bedrängt uns mit [[wiki:europa|Europa]], [[wiki:globalisierung|Globalisierung]], Internet, Erreichbarkeit ((''Gerhard Vollmer''\\ //Die vierte bis siebte Kränkung des Menschen//\\ In: Arbeitsgruppe Mensch – Technik – Umwelt. Hrsgg. von H.-H. Franzke, Technische Universität Berlin, Schriftenreihe Technik und Gesellschaft, Heft 3 (1999) 67–85)) und macht sich zunehmend unbeliebt, während die Reisenden mit ihren unglaublichen Geschichten früher unterhaltsam waren: 
   »Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen   »Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
   Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,   Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
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   Doch nur zu Hause bleib's beim alten«   Doch nur zu Hause bleib's beim alten«
   ''Johann Wolfgang Goethe'': Faust, Vor dem Tor, 1808   ''Johann Wolfgang Goethe'': Faust, Vor dem Tor, 1808
-Die Reisenden mit ihren unglaublichen Geschichten waren unterhaltsam, aber das Trommelfeuer heute ist zu viel, denn Welt bedrängt und kränkt uns: Europa, Globalisierung, Internet, Erreichbarkeit ((''Gerhard Vollmer''\\ //Die vierte bis siebte Kränkung des Menschen//\\ In: Arbeitsgruppe Mensch – Technik – Umwelt. Hrsgg. von H.-H. Franzke, Technische Universität Berlin, Schriftenreihe Technik und Gesellschaft, Heft 3 (1999) 67–85)). Weltanschauung? Soll die Welt doch mich anschauen. 
  
 ==== Wie soll man in die Welt hineinschauen? ==== ==== Wie soll man in die Welt hineinschauen? ====
-Wie erschließt man sich die Welt und wie schaut man sie sich an? Es gibt keine **allgemeinen Handlungsanleitungen** mehr. Weder Wissenschaft noch Kirche noch Tradition weisen die Richtung. 1973 (London) startete der Dumont Verlag die Reiseführerreihe "Richtig Reisen", 2010 erschien der letzte Band (Ägypten). Auch die Reiseführer wissen nicht mehr, wie man richtig reist.+Wie erschließt man sich die [[wiki:welt|Welt]] und wie schaut man sie sich an? Soll man eher [[wiki:flaneur|Flaneur]] sein oder lieber doch [[wiki:kosmopolit|Kosmopolit]]? Es gibt keine **allgemeinen Handlungsanleitungen** mehr. Weder Wissenschaft noch Kirche noch Tradition weisen die Richtung. 1973 (London) startete der Dumont Verlag die Reiseführerreihe "Richtig Reisen", 2010 erschien der letzte Band (Ägypten). Selbst die Reiseführer wissen nicht mehr, wie man richtig reist. 
 +  Die Erde hält gutwillig still, wenn die Reisenden über sie dahinklettern,  
 +  und es ist ihr gleichgültig, wie man sie anschaut.  
 +  Schilderungen sind nur für den Schilderer charakteristisch. 
 +So zerreißt ''Kurt Tucholsky'' in »[[https://www.textlog.de/tucholsky-naturauffassung.html|Über Naturauffassung]]« die Theorien des Schönen, die Erwartungshaltungen und die Beschreibungen von Reiseerfahrungen, die den Erwartungen nachhecheln: »Seit den Eisenbahnen ... Seit der Erfindung des Autos... jede Generation glaubt, nun sei es mit der Gemütlichkeit und mit der Naturbewunderung für allemal vorbei.« ((Über Naturauffassung, in: Kurt Tucholsky, Unter anderem in den Pyrenäen, 1927))
  
-Das, was verloren ging - die gesellschaftlichen Zwänge - findet sich bewahrt in **[[wiki:liste_der_reise-sprichwoerter|Sprichwörtern]],** denn diese entstehen als bewährte Handlungsempfehlungen der Allgemeinheit ((''Karl Friedrich Wilhelm Wander''\\ //Deutsches Sprichwörterlexikon//\\ Brockhaus, Leipzig 1867–1880)): +Das, was verloren ging - die gesellschaftlichen Zwänge - findet sich bewahrt in **[[wiki:liste_reisesprichwoerter|Sprichwörtern]],** denn diese entstehen als bewährte Handlungsempfehlungen der Allgemeinheit ((''Karl Friedrich Wilhelm Wander''\\ //Deutsches Sprichwörterlexikon//\\ Brockhaus, Leipzig 1867–1880)): 
-//»Reisen wechselt das Gestirn, aber weder Kopf noch Hirn«,// weiß der Volksmund in zahlreichen Varianten seit der Antike ((''Seneca''\\ //Peregrinatio non facit medicum, non oratorem; nulla ars locodiscitur: quid ergo ...//)) und auch außerhalb Deutschlands (dänisch, italienisch, polnisch). Seit mindestens zweitausend Jahren schaut das sesshafte Volk also skeptisch auf die zurückgekehrten Vielgereisten. Während die Reisenden glauben ihr Weltverständnis vertieft zu haben, zweifelt  die Gemeinschaft an deren Integrationsbereitschaft:// »Viele kommen von Reisen zurück, das Gewissen beschwert, die Gesundheit verzehrt, die Sünden vermehrt, die Sitten verkehrt, das Herz bethört, ein Brocken dem Teufel beschert«.// Wessen Weltanschauung setzte sich wohl letztlich durch? Und wenn schon jemand sich die Welt anschauen will, so fordert das sesshafte Volk, dass er etwas Nützliches mitbringen soll: //»Wer will fern mit Nutzen raisen, der muss haben Falcken Augen, Esels Ohren, Schweinsrüssel, Eselsrücken und eines Hirschen Fuss.«// Von  Selbstverwirklichung unterwegs ist in den [[wiki:liste_der_reise-sprichwoerter|Sprichwörtern]] jedenfalls nicht die Rede, eher von Selbstbesinnung.+//»Reisen wechselt das Gestirn, aber weder Kopf noch Hirn«,// weiß der Volksmund in zahlreichen Varianten seit der Antike ((''Seneca''\\ //[[wiki:peregrinus|Peregrinatio]] non facit medicum, non oratorem; nulla ars locodiscitur: quid ergo ...//)) und auch außerhalb Deutschlands (dänisch, italienisch, polnisch). Seit mindestens zweitausend Jahren schaut das sesshafte Volk also skeptisch auf die zurückgekehrten Vielgereisten. Während die Reisenden glauben ihr Weltverständnis vertieft zu haben, zweifelt  die Gemeinschaft an deren Integrationsbereitschaft:// »Viele kommen von Reisen zurück, das Gewissen beschwert, die Gesundheit verzehrt, die Sünden vermehrt, die Sitten verkehrt, das Herz bethört, ein Brocken dem Teufel beschert«.// Wessen Weltanschauung setzte sich wohl letztlich durch? Und wenn schon jemand sich die Welt anschauen will, so fordert das sesshafte Volk, dass er etwas Nützliches mitbringen soll: //»Wer will fern mit Nutzen raisen, der muss haben Falcken Augen, Esels Ohren, Schweinsrüssel, Eselsrücken und eines Hirschen Fuss.«// Von  Selbstverwirklichung unterwegs ist in den [[wiki:liste_reisesprichwoerter|Sprichwörtern]] jedenfalls nicht die Rede, eher von Selbstbesinnung.
  
-In Richtung Selbstbesinnung sucht ''Ilja Trojanow'' seine Vorbilder für //[[https://trojanow.de/richtig-reisen/|richtiges Reisen]]// bei den Wandermönchen und meint: //»Reise ohne Gepäck, reise alleine, reise zu Fuß.«// Das ist sicher für das Individuum richtig. Aber kann man wollen, das dies zur Maßgabe für alle und jeden wird? Als kategorischer Imperativ ist diese Regel nicht alltagstauglich. Grundsätzlicher ist Trojanows Empfehlung, die //Fremde in Heimat zu verwandeln// und er zitiert:+In Richtung Selbstbesinnung sucht ''Ilja Trojanow'' seine Vorbilder für //[[https://trojanow.de/richtig-reisen/|richtiges Reisen]]// bei den [[wiki:wandermoench|Wandermönchen]] und meint: //»Reise ohne [[wiki:gepaeck|Gepäck]], reise alleine, [[wiki:fussreisen|reise zu Fuß]].«// Das ist sicher für manchen [[wiki:einzelne|Einzelnen]] zutreffend. Aber kann man wollen, das dies zur Maßgabe für alle und jeden wird? Als kategorischer Imperativ ist diese Regel nicht alltagstauglich. Grundsätzlicher ist Trojanows Empfehlung, die //[[wiki:fremdes|Fremde]] in Heimat zu verwandeln// und er zitiert:
   »Wer sein Heimatland liebt, ist noch ein zarter Anfänger;   »Wer sein Heimatland liebt, ist noch ein zarter Anfänger;
   derjenige, dem jeder Fleck Erde soviel gilt wie der,    derjenige, dem jeder Fleck Erde soviel gilt wie der, 
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   Hugo von St. Viktor, christlicher Theologe (um 1097-1141)   Hugo von St. Viktor, christlicher Theologe (um 1097-1141)
  
-Ebenso grundsätzliche Empfehlungen mit einer fremden Sicht auf die Welt bieten **[[wiki:liste_der_unuebersetzbaren_reiserelevanten_begriffe|unübersetzbare Worte]]** aus anderen Sprachen und Kulturen. Befragt man diese auf eine Sicht der Welt als Gegenpol zur Idee der Selbstverwirklichung, so bieten sich beispielsweise an: +Ebenso grundsätzliche Empfehlungen mit einer fremden Sicht auf die [[wiki:welt|Welt]] bieten **[[wiki:liste_unuebersetzbarer_reisebegriffe|unübersetzbare Worte]]** aus anderen Sprachen und Kulturen. Befragt man diese auf eine Sicht der Welt als Gegenpol zur Idee der Selbstverwirklichung, so bieten sich beispielsweise an: 
-  * [[wiki:firgun|Firgun]], ein hebräischer Begriff mit jiddischen und deutschen Wurzeln für eine Lebensphilosophie, sich ehrlich und selbstlos zu freuen, wenn jemand anders sich freut; ganz so als wäre es die eigene Freude, also ähnlich dem  [[wiki:mudita|Muditā]] (Sanskrit). +  * [[wiki:firgun|Firgun]], ein hebräischer Begriff mit jiddischen und deutschen Wurzeln für eine Lebensphilosophie, sich ehrlich und selbstlos zu freuen, wenn jemand anders sich freut; ganz so als wäre es die eigene *[[wiki:freude|Freude]], also ähnlich dem  [[wiki:mudita|Muditā]] (Sanskrit). 
-  * [[wiki:yugen|Yugen]], ein japanischer Begriff, sucht die Schönheit im Erahnen des Nicht-Sichtbaren in der Ferne, in der Weite, im Dunst. In Yugen verbinden sich ein überwältigendes Gefühl für die Vollkommenheit des Universums mit einem Gefühl, wie unbedeutend man selber ist, etwa auf einer Bergspitze, am Meer, im Nebel des Waldes, in der Wüste. In diesen ästhetischen Formenkreis finden sich auch [[wiki:wabi-sabi|Wabi-sabi]] (japanisch) und [[wiki:bergtatt|Bergtatt]] (norwegisch).+  * [[wiki:yugen|Yugen]], ein japanischer Begriff, sucht die Schönheit im Erahnen des Nicht-Sichtbaren in der Ferne, in der Weite, im Dunst. In Yugen verbinden sich ein überwältigendes Gefühl für die Vollkommenheit des Universums mit einem Gefühl, wie unbedeutend man selber ist, etwa auf einer Bergspitze, am Meer, im Nebel des Waldes, in der Wüste. In diesem ästhetischen Formenkreis finden sich auch [[wiki:wabi-sabi|Wabi-sabi]] (japanisch) und [[wiki:bergtatt|Bergtatt]] (norwegisch). 
 +  * [[https://www.kulturglossar.de/html/k-begriffe.html#kosmovision|Cosmovisión]] ist eine umfassende Weltanschauung, die auf das Welterklärungskonzept der Maya zurückgeht.  
  
 Ein Reisen, das wesentlich der Selbstverwirklichung und -darstellung dient, bedarf einer ausgleichenden Kraft. Dies kann ein ästhetisches Prinzip sein, das dazu beiträgt, [[wiki:das_erleben_der_reise|das Erleben der Reise]] zu vertiefen. Voraussetzung ist jedoch die individuelle Bereitschaft sich der Welt zu öffnen. Dann ergibt sich die Gelegenheit, eine Welt zu erkennen, wie sie //auch// sein kann. Ein Reisen, das wesentlich der Selbstverwirklichung und -darstellung dient, bedarf einer ausgleichenden Kraft. Dies kann ein ästhetisches Prinzip sein, das dazu beiträgt, [[wiki:das_erleben_der_reise|das Erleben der Reise]] zu vertiefen. Voraussetzung ist jedoch die individuelle Bereitschaft sich der Welt zu öffnen. Dann ergibt sich die Gelegenheit, eine Welt zu erkennen, wie sie //auch// sein kann.
  
-Vielleicht muss erst eine ganze Generation in der Echokammer aufgewachsen sein, bevor sie wieder über die Welt staunen kann. Die FAZ berichtete im April 2019 über eine //social-media//-Gruppe, die sich anlässlich der Europawahl auf die Kölner Domplatte ins //real-life// traute und staunend feststellte, dass man ein Gefühl für die Menschen bekäme und überhaupt ganz andere Menschen träfe ((FAZ 13.04.2019 ''Julia Anton'': //Mit neuen Ideen zu mehr Wahlbeteiligung//)).+Vielleicht muss erst eine ganze Generation in der Echokammer aufgewachsen sein, bevor sie wieder über die Welt staunen kann. Die FAZ berichtete im April 2019 über eine //social-media//-Gruppe, die sich anlässlich der Europawahl auf die Kölner Domplatte ins //[[wiki:real_life_oder_virtual_reality|real-life]]// traute und staunend feststellte, dass man ein Gefühl für die Menschen bekäme und überhaupt ganz andere Menschen träfe ((FAZ 13.04.2019 ''Julia Anton'': //Mit neuen Ideen zu mehr Wahlbeteiligung//)). 
 ---- ----
-siehe auch\\  +//Weltbilder//, in: APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 2015 Bd. 65, Nr. 41–42, darin:  
-* [[wiki:welt|Welt]]\\  +  Pradeep Chakkarath: Welt- und Menschenbilder. Eine sozialwissenschaftliche Annäherung 
-* [[wiki:erde|Erde]]+  * Silke Gülker: Wissenschaft und Religion. Getrennte Welten? 
 +  * Sebastian Conrad: Die Weltbilder der Historiker. Wege aus dem Eurozentrismus 
 +  * Gert Krell, Peter Schlotter: Weltbilder und Weltordnung  in den Internationalen Beziehungen 
 +  * Georg Glasze: Neue [[wiki:kartographie|Kartografien]], neue Geografien. Weltbilder im digitalen Zeitalter 
 +  * Ingeborg Reichle: Ein Blick in die Geschichte  der Bildwelten der Weltbilder 
 + 
 +---- 
 +siehe auch 
 +  * [[wiki:erde|Erde]] 
 +  * [[https://www.kulturglossar.de/html/m-begriffe.html#mcdonaldisierung|Mcdonaldisierung]] 
 +  * [[https://www.kulturglossar.de/html/m-begriffe.html#mcworld_these|Mcworld-These]]  
wiki/weltanschauung.1555835731.txt.gz · Zuletzt geändert: 2019/12/07 15:23 (Externe Bearbeitung)

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