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Weiße Flecken

Der Begriff erscheint in der Fachzeitschrift »Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik« ab 1891 1) und bezeichnet »Lücken in der Karte«, zeigt also fehlendes kartographisches Wissen über ein Gebiet an. Im Englischen nennt man das »blank spots on the geological map« oder kurz `blanks in the map´ 2), dem fehlenden Puzzlestück vergleichbar: Man weiß, was man sucht, aber nicht, was es ist. Weiße Flecken in diesem Sinne setzen voraus,

  • dass Karten maßstabgerecht die Erdoberfläche abdecken, also konnte es beispielsweise in den antiken Itineraren keine Weißen Flecken geben;
  • dass der Umriss der Weißen Flecken bekannt war, also beispielsweise die Küsten Afrikas oder Amerikas.

Ohne diese Voraussetzungen gibt es nur eine Grenze der bekannten Welt, die als das Ende der Welt erscheint, während alles dahinter zum formlosen Möglichkeitsraum wird mit der Hoffnung auf eine terra incognita. Und »weil der Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebiert« (Goya) zeichnete man seit der Antike wilde Tiere dorthin: hic sunt leones, hic sunt dracones.

Nicht-Wissen ermöglicht der Phantasie Räume zu fülle und so waren Weiße Flecken immer auch eine Möglichkeit, sich phantastische Orte, Inseln und Länder auszudenken. Die Weißen Flecken der Kartographie sind beseitigt, sobald diese Flächen vermessungstechnisch bekannt sind, also auch mit Satellitenmessungen. Sie bleiben allerdings im übertragenen Sinne Weiße Flecken aus vielen anderen Perspektiven: Leben Menschen dort? Welche Flora und Fauna gibt es? Was findet man dort unter der Erde?

Aus individueller Perspektive wird zudem der Möglichkeitssinn des Reisenden, Erforschers, Abenteurers, merchant adventurers geweckt, diesen Möglichkeitsraum der Weißen Flecken zu erkunden und dafür belohnt zu werden: Etwas zu sehen, »was noch keines Menschen Auge gesehen hat«, als Erster Neuland zu betreten: »That’s one small step for a man, one giant leap for mankind« [Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit] 3). Weiße Flecken bedienen auch den Mythos des Weiten Landes, das niemandem gehört und alle Freiheiten bietet, vielleicht gar die terra promissionis ist.

  • Jörg Fisch
    Der Mythos vom leeren Land in Südafrika oder Die verspätete Entdeckung der Afrikaner durch die Afrikaaner.
    S. 133-164 in: Heinz Duchhardt, Jörg A. Schlumberger, Peter Segl (Hg.), Afrika. Entdeckung und Erforschung eines Continents. Köln 1989: Böhlau

Tatsächlich ist die Erde auch heute noch voller Weißer Flecken, die weder betreten noch unmittelbar gesehen wurden:

  • rund zwei Drittel der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt - doch der Meeresboden ist größtenteils ungesehen und unbetreten;
  • die Regenwälder sind so undurchdringlich, dass weite Teile verborgen bleiben - ihre Flüsse sind überwiegend unkartiert. Neben Neuguinea und Amazonien gelten Teile des Dzangha-Sangha-Regenwald als weißer Fleck - dieser erstreckt sich über die Zentralafrikanische Republik, Kamerun und Kongo-Brazzaville.
  • die Wüstenregionen sind zwar von Pisten durchzogen, dazwischen liegen jedoch weite unbekannte Zonen;
  • die Eisregionen von Grönland, der Arktis und Antarktis sind bisher nur punktuell in Augwenschein genommen worden und auch Westsibirien ist weitgehend unbekannt;
  • die Gipfel ausgedehnter Gebirge sind nur vereinzelt bestiegen worden: auf hunderten der 6.000er und 7.000er war noch nie ein Mensch, auch nicht auf den Tepui Venezuelas.

Literatur

  • Cornely, Bernd
    Weiße Flecken. Reisen ins Polareis in Texten aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
    Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2001.
  • Fritsch, Kathrin
    “You Have Everything Confused and Mixed up…!” Georg Schweinfurth, Knowledge and Cartography of Africa in the 19th Century.
    History in Africa 36 (2009) 87-101 Online
  • Laboulais-Lesage, Isabelle (Hg.)
    Combler les blancs de la carte. Modalités et enjeux de la construction des savoirs géographiques (XVIe-XXe siècle).
    Unter Mitarbeit von Jean-François Chauvard und Odile Goerg. Sciences de l'histoire. Strasbourg 2004: Presses Universitaires de Strasbourg.
  • Noack, Gerald
    Weiße Flecken und krumme Touren.
    Geheimhaltung und Manipulationen in touristischen Karten der DDR.
    Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, 65.5-6 (2018) 289-299. Online
  • Schelhaas, Bruno
    Das „Wiederkehren des Fragezeichens in der Karte“. Gothaer Kartenproduktion im 19. Jahrhundert.
    Geographische Zeitschrift 97.4 (2009) 227-242 Online
  • Urun, Isabelle Le blanc de la carte, matrice de nouvelles représentations des espaces africains.
    S. 117–144 in: Laboulais-Lesage, Isabelle (Hg.), Combler les blancs de la carte. Modalités et enjeux de la construction des savoirs géographiques (XVIe-XXe siècle). Sciences de l'histoire. Strasbourg 2004: Presses Universitaires de Strasbourg.
  • Zsolt Török
    Weiße Flecken.
    Der letzte klassische Expeditionsgeograph Almásy Lászlá Ede und die Kartographie der Libyschen Wüste.
    In: Weese, Michael, Andrea Almásy, Alexander Almásy, Gerhard L. Fasching, Stefan Kröpelin, Rudolph Kuper, Josef Tiefenbach, Maria Hoprich. 2012. Schwimmer in der Wüste: auf den Spuren des „Englischen Patienten“ Ladislaus Eduard Almásy : Katalog zur Ausstellung. Eisenstadt : Amt der Burgenländischen Landesregierung, Landesmuseum Burgenland, 2012.
1)
Prof. Dr. Franz Toula: Eine geologische Kartenskizze der Erde, S. 33: »bleiben auch für den Geologen Terra incognita und als weiße Flecken, als Lücken im Kartenbilde, offen.«
2)
seit dem 18. Jahrhundert, u.a. 1883 Sir Clements Markham, Präsident der Royal Geographical Society
3)
Ausspruch von Neil Armstrong, als er am 21.07.1969 um 03:56:20 (MEZ) als erster Mensch den Mond betrat.
wiki/weisse_flecken.txt · Zuletzt geändert: 2023/06/27 16:22 von norbert

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