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wiki:walz

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wiki:walz [2021/05/11 06:16] norbertwiki:walz [2021/05/17 12:02] norbert
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 ==== Hanf mit Unvernunft oder Lechum und Beza==== ==== Hanf mit Unvernunft oder Lechum und Beza====
-Geld ist nur Mittel zum Zweck, und der heißt meist „essen“. Durch Flammer lernt Heinrichs erste Techniken des Sich-Ernährens kennen: //„...ich hatte in Flammer ((Rotwelsch für Schmied)) einen hervorragenden Fechtmeister gefunden. Doch nicht gefochten wurde mit Säbel oder Rapier, an irgendeinem verborgenen Ort, sondern unser Schlachtfeld war die Tür eines guten Landbewohners und unsere Waffen der Hut in der Hand, die ärmlichste, hungrigste Miene und das allbekannte Sprüchlein vom armen reisenden Handwerksburschen, der sechs Wochen keinen warmen Löffel mehr zum Munde geführt hat.“// ((Heinrichs S. 26)) Diese Methode funktioniert so gut, daß Heinrichs und sein Gefährte oft dreimal täglich zu Mittag gegessen haben; ähnliches berichten andere Kunden. Wer Geld hatte, aß in der Herberge zur Heimat ((Als Herberge zur Heimat wurden die christlichen Herbergen bezeichnet)). Wer keines hatte, bekam ein, zwei Tage lang, je nach Gemeindeordnung, Gutscheine, die er dann in der Herberge zur Heimat einlösen konnte, aber die Qualität der Wandererfürsorge ließ zu wünschen übrig:// „Denn abgesehen von sogenanntem Kaffee und trockenem Brot (»Hanf« oder »Lechum«) enthält die Wandererfürsorge-Speisekarte fast ausschließlich weiter nichts als immer und immer nur dünne, fettlose Suppen, gekochte Kartoffeln und minderwertige Wurst (»Unvernunft«).“// ((Karl Roltsch „Von unterwegs“, in: Trappmann, S. 135)) Gab auch das nichts mehr her, so konnte man sich an die Klöster wenden, für die die Armenspeisung eine Pflicht war. Angenehm war das oft nicht: //„Vor uns stand im Vorraum eine mächtige Schüssel mit Suppe. Fleischstücke und Brot schwammen darin. Sogar ein paar Fettaugen. ... Die Kunden fraßen. Mit einer tierischen Gier beugten sie sich über die große Schüssel. Die Suppe lief vom Maule wieder zurück in die Schale. Die Kunden fraßen. Denn sie mußten noch in zwei anderen Klöstern fressen. Zwar konnten sie in einem satt werden, aber wie kann der Kunde dem anderen etwas schenken, etwas selbst nicht mitnehmen, das er bekommen kann. Der Kunde frißt, wenn er hungert. Der Kunde frißt, wenn er satt ist. Ich war hungrig, doch mich ekelte.“// ((Pfarre, S. 32))\\ +Geld ist nur Mittel zum Zweck, und der heißt meist „essen“, denn [[wiki:proviant|Proviant]] ist kanpp. Durch Flammer lernt Heinrichs erste Techniken des Sich-Ernährens kennen: //„...ich hatte in Flammer ((Rotwelsch für Schmied)) einen hervorragenden Fechtmeister gefunden. Doch nicht gefochten wurde mit Säbel oder Rapier, an irgendeinem verborgenen Ort, sondern unser Schlachtfeld war die Tür eines guten Landbewohners und unsere Waffen der Hut in der Hand, die ärmlichste, hungrigste Miene und das allbekannte Sprüchlein vom armen reisenden Handwerksburschen, der sechs Wochen keinen warmen Löffel mehr zum Munde geführt hat.“// ((Heinrichs S. 26)) Diese Methode funktioniert so gut, daß Heinrichs und sein Gefährte oft dreimal täglich zu Mittag gegessen haben; ähnliches berichten andere Kunden. Wer Geld hatte, aß in der Herberge zur Heimat ((Als Herberge zur Heimat wurden die christlichen Herbergen bezeichnet)). Wer keines hatte, bekam ein, zwei Tage lang, je nach Gemeindeordnung, Gutscheine, die er dann in der Herberge zur Heimat einlösen konnte, aber die Qualität der Wandererfürsorge ließ zu wünschen übrig:// „Denn abgesehen von sogenanntem Kaffee und trockenem Brot (»Hanf« oder »Lechum«) enthält die Wandererfürsorge-Speisekarte fast ausschließlich weiter nichts als immer und immer nur dünne, fettlose Suppen, gekochte Kartoffeln und minderwertige Wurst (»Unvernunft«).“// ((Karl Roltsch „Von unterwegs“, in: Trappmann, S. 135)) Gab auch das nichts mehr her, so konnte man sich an die Klöster wenden, für die die Armenspeisung eine Pflicht war. Angenehm war das oft nicht: //„Vor uns stand im Vorraum eine mächtige Schüssel mit Suppe. Fleischstücke und Brot schwammen darin. Sogar ein paar Fettaugen. ... Die Kunden fraßen. Mit einer tierischen Gier beugten sie sich über die große Schüssel. Die Suppe lief vom Maule wieder zurück in die Schale. Die Kunden fraßen. Denn sie mußten noch in zwei anderen Klöstern fressen. Zwar konnten sie in einem satt werden, aber wie kann der Kunde dem anderen etwas schenken, etwas selbst nicht mitnehmen, das er bekommen kann. Der Kunde frißt, wenn er hungert. Der Kunde frißt, wenn er satt ist. Ich war hungrig, doch mich ekelte.“// ((Pfarre, S. 32))\\ 
 Schroeder berichtet ähnliches: Er erhält in einem Dorf von einem Metzger eine Suppe vorgesetzt, nachdem er an dessen Türe betttelte:// „Ein beißender Dunst reizt die Kehle, scharf und sauer ... Aber der Geruch ekelt mich nicht, nein; die weißen, geringelten Madenwürmer sind es, die da herumschwimmen, wenn man den Brei rührt. ... Ich dränge die Würmer an den Tellerrand und versuche einen Löffel Suppe hinunterzuschlucken. Der Rachen brennt. Der Gaumen zieht sich zusammen! Wir werfen unsere Stühle rückwärts, reißen die Ladentüre auf und laufen, was gibts du, was hast du. ... Wir wagen nicht mehr zu betteln.“// ((Schroeder, S. 65)) Das war dann wohl auch der Zweck der Übung. Im übrigen focht man um Brot und war stark von Jahreszeit und Gegend abhängig: Im Allgäu schwelgen die Kunden im Käse, am Bodensee in Äpfeln und Pflaumen. Den Hering nennen sie Schwimmling, Eiher heißen Beza, gewöhnliche Leberwurst wird zu Granit, das Verbandsbuch deutet die Schnapsflasche an. Pfarre ißt in Italien Polenta, Reissuppe und andere Köstlichkeiten. Schroeder berichtet ähnliches: Er erhält in einem Dorf von einem Metzger eine Suppe vorgesetzt, nachdem er an dessen Türe betttelte:// „Ein beißender Dunst reizt die Kehle, scharf und sauer ... Aber der Geruch ekelt mich nicht, nein; die weißen, geringelten Madenwürmer sind es, die da herumschwimmen, wenn man den Brei rührt. ... Ich dränge die Würmer an den Tellerrand und versuche einen Löffel Suppe hinunterzuschlucken. Der Rachen brennt. Der Gaumen zieht sich zusammen! Wir werfen unsere Stühle rückwärts, reißen die Ladentüre auf und laufen, was gibts du, was hast du. ... Wir wagen nicht mehr zu betteln.“// ((Schroeder, S. 65)) Das war dann wohl auch der Zweck der Übung. Im übrigen focht man um Brot und war stark von Jahreszeit und Gegend abhängig: Im Allgäu schwelgen die Kunden im Käse, am Bodensee in Äpfeln und Pflaumen. Den Hering nennen sie Schwimmling, Eiher heißen Beza, gewöhnliche Leberwurst wird zu Granit, das Verbandsbuch deutet die Schnapsflasche an. Pfarre ißt in Italien Polenta, Reissuppe und andere Köstlichkeiten.
 ==== Die Kundenpennen ==== ==== Die Kundenpennen ====
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 ==== In Trittlingen unterwegs ==== ==== In Trittlingen unterwegs ====
  
-Die Fußreise war ein Privileg der Unterschichten, ihr Verkehrsmittel war der Trittling ((Stiefel)); sie wurden geringgeschätzt ((Bausinger, S. 173)); besonders schlechte Erfahrungen machte Pfarre in Italien, dort schlägt ihm oft Verachtung entgegen. Hin und wieder sind andere Beförderungsmittel nötig. So versucht sich Heinrichs, krank, zwei Stunden an der Gotthardstraße, kehrt erschöpft um und nimmt die Gotthardbahn:// „Hier besteht nun die hochlöbliche Einrichtung, einem jeden Handwerksburschen, der von Italien kommt und nach Deutschland will, eine Freikarte für die Gotthardbahn zur Verfügung zu stellen. ... Doch welch eintönige Fahrt! 15 Kilometer ohne auch nur die Felsen zu sehen, die einen umgeben ...“// ((Heinrichs, S. 308))\\ +Die Fußreise war ein Privileg der Unterschichten, ihr Verkehrsmittel war der Trittling ((Stiefel)); sie wurden geringgeschätzt ((Bausinger, S. 173)); besonders schlechte Erfahrungen machte Pfarre in Italien, dort schlägt ihm oft Verachtung entgegen. Hin und wieder sind andere Beförderungsmittel nötig. So versucht sich Heinrichs, krank, zwei Stunden an der Gotthardstraße, kehrt erschöpft um und nimmt die Gotthardbahn:// „Hier besteht nun die hochlöbliche Einrichtung, einem jeden Handwerksburschen, der von Italien kommt und nach Deutschland will, eine Freikarte für die Gotthardbahn zur Verfügung zu stellen. ... Doch welch eintönige [[wiki:fahrt|Fahrt]]! 15 Kilometer ohne auch nur die Felsen zu sehen, die einen umgeben ...“// ((Heinrichs, S. 308))\\ 
 Ein alter Kunde erklärt Winnig in einer Bremerhavener Herberge, wie man nach Jerusalem gelangt: //„In Genua mußt du zum Hafen gehen und ausmachen, ob ein Schiff nach Alexandria fährt. ... Dann gehst du abends spät die Hafentreppe hinunter, springst leise ins Wasser und schwimmst nach dem Schiff. Du mußt dir das Schiff aber vorher angesehen haben und wissen, wo das Fallreep ist, denn am Fallreep mußt du in die Höhe klettern. Und oben mußt du dich verstecken. Dann mußt du warten, bis das Schiff auf hoher See ist. Das kann lange dauern, aber du mußt es aushalten, du darfst dich nicht eher blicken lassen. Wenn sie dich sehen, solange noch Land in der Nähe ist, geben sie ein Signal, und dann kommt ein Polizeiboot und holt dich weg. Wenn du aber aushältst, kommst du ohne Geld hinüber; sie geben dir ein paar Maulschellen, aber auch zu essen, und dann tust du, was sie dir sagen. Und du mußt willig sein und immer springen, wenn sie dich rufen oder schicken. Wenn du faul bist, setzen sie dich unterwegs an Land ...“// ((Winnig, S. 137))\\ Ein alter Kunde erklärt Winnig in einer Bremerhavener Herberge, wie man nach Jerusalem gelangt: //„In Genua mußt du zum Hafen gehen und ausmachen, ob ein Schiff nach Alexandria fährt. ... Dann gehst du abends spät die Hafentreppe hinunter, springst leise ins Wasser und schwimmst nach dem Schiff. Du mußt dir das Schiff aber vorher angesehen haben und wissen, wo das Fallreep ist, denn am Fallreep mußt du in die Höhe klettern. Und oben mußt du dich verstecken. Dann mußt du warten, bis das Schiff auf hoher See ist. Das kann lange dauern, aber du mußt es aushalten, du darfst dich nicht eher blicken lassen. Wenn sie dich sehen, solange noch Land in der Nähe ist, geben sie ein Signal, und dann kommt ein Polizeiboot und holt dich weg. Wenn du aber aushältst, kommst du ohne Geld hinüber; sie geben dir ein paar Maulschellen, aber auch zu essen, und dann tust du, was sie dir sagen. Und du mußt willig sein und immer springen, wenn sie dich rufen oder schicken. Wenn du faul bist, setzen sie dich unterwegs an Land ...“// ((Winnig, S. 137))\\
 Drei Monate hatte jener Kunde auf ein passendes Schiff gewartet. Hasemann geht direkter vor: //„Eine Stunde vor Abfahrt an Bord, hatte mir mal ein Kunde gesagt, dann in den Kohlenkasten oder Segelkajüte, bestimmtes Auftreten; wenn dir der Kapitän begegnet, nach dem Koch fragen!“// ((Hasemann, S. 190 f.)) Winnig setzt sich im allgemeinen kleine Tagesziele, selten fünf Meilen oder mehr und veranschlagt dafür eine Mark für Unterkunft und Essen. Bei fünf Meilen und mehr rechnet er eine weitere Mahlzeit, dann wird es teurer. ((Winnig, S. 169)) Fast zwei Jahre ist er so unterwegs, von Norddeutschland zum Bodensee, also eher gemütlich. In der gleichen Zeit tippelt Heinrichs nach Jerusalem und zurück, 15.000 Kilometer in 455 Reisetagen, das macht einen Schnitt von mehr als 30 Kilometern pro Tag mit Spitzen von 60, 70 Kilometern und alles mit großem Gepäck (20-40 kg).\\  Drei Monate hatte jener Kunde auf ein passendes Schiff gewartet. Hasemann geht direkter vor: //„Eine Stunde vor Abfahrt an Bord, hatte mir mal ein Kunde gesagt, dann in den Kohlenkasten oder Segelkajüte, bestimmtes Auftreten; wenn dir der Kapitän begegnet, nach dem Koch fragen!“// ((Hasemann, S. 190 f.)) Winnig setzt sich im allgemeinen kleine Tagesziele, selten fünf Meilen oder mehr und veranschlagt dafür eine Mark für Unterkunft und Essen. Bei fünf Meilen und mehr rechnet er eine weitere Mahlzeit, dann wird es teurer. ((Winnig, S. 169)) Fast zwei Jahre ist er so unterwegs, von Norddeutschland zum Bodensee, also eher gemütlich. In der gleichen Zeit tippelt Heinrichs nach Jerusalem und zurück, 15.000 Kilometer in 455 Reisetagen, das macht einen Schnitt von mehr als 30 Kilometern pro Tag mit Spitzen von 60, 70 Kilometern und alles mit großem Gepäck (20-40 kg).\\ 
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 ===== 3 Die Walz als Gratwanderung ===== ===== 3 Die Walz als Gratwanderung =====
 ==== Vom Gesellen zum Vagabunden ==== ==== Vom Gesellen zum Vagabunden ====
-Pfarre geht mit Hamburger Wandervogel-Freunden auf eine vierwöchige Ferienfahrt durch die Rhön und den Thüringer Wald, dann sagt er sich: „Ihr habt eine Ferienfahrt gemacht als sorglose Wandervögel, nun kommt deine Reise als Handwerksbursche, vielleicht bald als Landstreicher. ... Beginne nun endlich deine Fahrt und wage mutig den bedeutsamen Schritt vom Wandervogel zum Handwerksburschen.“ Er unterscheidet drei Arten zu reisen und hebt den Mut als bedeutsames Element der Walz hervor. Bereits klar im Blick ist der drohende Abstieg zum Vagabunden. Die Polizei ist scharf hinter den Handwerksburschen her und kontrollieren peinlich genau, wer die Grenze zum Vagabunden überschreitet: //„Auf eine Fleppenkontrolle darf ich es nicht ankommen lassen, sonst bin ich verratzt ((Verratzen bedeutet im Rotwelschen verlieren, verraten und kommt von der Grundform „ratschen“)), denn ich habe bereits zwei Nächte auf eigene Faust, ohne Aufenthaltsstempel, im Heu geschlafen.“// ((Schroeder, S. 118))\\ +Pfarre geht mit Hamburger Wandervogel-Freunden auf eine vierwöchige Ferienfahrt durch die Rhön und den Thüringer Wald, dann sagt er sich: „Ihr habt eine Ferienfahrt gemacht als sorglose Wandervögel, nun kommt deine Reise als Handwerksbursche, vielleicht bald als Landstreicher. ... Beginne nun endlich deine [[wiki:fahrt|Fahrt]] und wage mutig den bedeutsamen Schritt vom Wandervogel zum Handwerksburschen.“ Er unterscheidet drei Arten zu reisen und hebt den Mut als bedeutsames Element der Walz hervor. Bereits klar im Blick ist der drohende Abstieg zum Vagabunden. Die Polizei ist scharf hinter den Handwerksburschen her und kontrollieren peinlich genau, wer die Grenze zum Vagabunden überschreitet: //„Auf eine Fleppenkontrolle darf ich es nicht ankommen lassen, sonst bin ich verratzt ((Verratzen bedeutet im Rotwelschen verlieren, verraten und kommt von der Grundform „ratschen“)), denn ich habe bereits zwei Nächte auf eigene Faust, ohne Aufenthaltsstempel, im Heu geschlafen.“// ((Schroeder, S. 118))\\ 
 Aufenthaltsstempel in Herbergen, Asylen, Arbeitsnachweise oder der Stempel: //„Inhaber hat sich heute vergeblich um Arbeit bemüht“// ((Pfarre, S. 22)) helfen der Polizei, Gesellen von Vagabunden zu unterscheiden. Rein äußerlich gleichen sich Gesellen, Vagabunden, Wanderarbeiter: sie sind arm, zu Fuß unterwegs und bemühen sich Tag für Tag um Essen und ein Bett. Sie haben Zeit, kein Geld, selten Arbeit und übertreten alle das Verbot der Bettelei. Immer wieder wird die Walz verteidigt als: //„jene einfache und bescheidene Art, die Welt zu beschuen, welche weder in den ersten Cafes und Hotels der Residenz, noch in die verkommensten Schnapskneipen der Provinzstädtchen, sondern in die Werkstätten berühmter und geachteter Meister führt, nicht um den Prahlhans mit des Vaters Talern, noch den Schnapsbruder mit den erbettelten Pfennigen, sondern den soliden Sohn schlichter bürgerlicher Eltern zu spielen, der, seine Kenntnisse erweiternd und sich ausbildend, mit dem Zeitgeist heute vorwärts schreitet, wie sein Vater vor einem Mannesalter, mit dem Geiste jener Zeit vorwärts schreitend, sich zum wackren Geschäftsmann herangebildet hat.“// ((J.M. Hornstein „Das Wandern, eine Lebensfrage des Gewerbestandes“ Neuburg /Donau 1857, S.4))\\  Aufenthaltsstempel in Herbergen, Asylen, Arbeitsnachweise oder der Stempel: //„Inhaber hat sich heute vergeblich um Arbeit bemüht“// ((Pfarre, S. 22)) helfen der Polizei, Gesellen von Vagabunden zu unterscheiden. Rein äußerlich gleichen sich Gesellen, Vagabunden, Wanderarbeiter: sie sind arm, zu Fuß unterwegs und bemühen sich Tag für Tag um Essen und ein Bett. Sie haben Zeit, kein Geld, selten Arbeit und übertreten alle das Verbot der Bettelei. Immer wieder wird die Walz verteidigt als: //„jene einfache und bescheidene Art, die Welt zu beschuen, welche weder in den ersten Cafes und Hotels der Residenz, noch in die verkommensten Schnapskneipen der Provinzstädtchen, sondern in die Werkstätten berühmter und geachteter Meister führt, nicht um den Prahlhans mit des Vaters Talern, noch den Schnapsbruder mit den erbettelten Pfennigen, sondern den soliden Sohn schlichter bürgerlicher Eltern zu spielen, der, seine Kenntnisse erweiternd und sich ausbildend, mit dem Zeitgeist heute vorwärts schreitet, wie sein Vater vor einem Mannesalter, mit dem Geiste jener Zeit vorwärts schreitend, sich zum wackren Geschäftsmann herangebildet hat.“// ((J.M. Hornstein „Das Wandern, eine Lebensfrage des Gewerbestandes“ Neuburg /Donau 1857, S.4))\\ 
 Winnig schafft es tatsächlich, sich zwei Jahre als Geselle über Wasser zu halten und findet Arbeit. Als er reist (um 1897) gibt es in Deutschland gerade einen Aufschwung, Arbeit ist leicht zu bekommen, das Ruhrgebiet boomt:// „Nach 1896 ging es dann aber aufwärts - so schnell, daß 1912 ein angesehener Publizist ernsthaft behauptete, allein jenes Wirtschaftswunder rechtfertige schon den deutschen Anspruch auf eine Vormachtstellung in der Welt.“// ((Bieber, S. 2)) \\  Winnig schafft es tatsächlich, sich zwei Jahre als Geselle über Wasser zu halten und findet Arbeit. Als er reist (um 1897) gibt es in Deutschland gerade einen Aufschwung, Arbeit ist leicht zu bekommen, das Ruhrgebiet boomt:// „Nach 1896 ging es dann aber aufwärts - so schnell, daß 1912 ein angesehener Publizist ernsthaft behauptete, allein jenes Wirtschaftswunder rechtfertige schon den deutschen Anspruch auf eine Vormachtstellung in der Welt.“// ((Bieber, S. 2)) \\ 
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 ==== Wandergeselle ==== ==== Wandergeselle ====
 Als Pfarre nach Fürth geht, weiß er sich auf dem Weg ins Vagabundentum: //„Ich war auf das Verbandsgeschenk angewiesen. Eine Mark erhielt ich. Mit dieser Mark wollte ich meine neue Zukunft gründen. In der Fürther Herberge zur Heimat erstand ich für 25 Pfennig einen Wanderschein. Auf diesen Schein konnte ich Verpflegungen erhalten. Mein zweiter Weg war nach dem städtischen Arbeitsnachweis. Dort traf ich einen Kunden, der mir die ganze Sache schon deichseln wollte. `Also, nun macht´s Dein Antrittsstoß. Erst läßt Du Dir eine Bescheinigung in Dein Wanderbuch schreiben, daß Du vergeblich um Arbeit angehauen hast, dann kommst Du wieder zu mir.´ Ich ging und kam erfolgreich zurück. Dann führte mich mein Lehrmeister vor ein anderes städtisches Gebäude und sagte: `Da gehst Du nun herein und kriegst dreißig Pfennige,´ und setzte lakonisch hinzu: `Ich kriege nichts, ich war erst vor drei Wochen da.´ Das mochte ich nun nicht. Aber ich begriff, daß ich mußte. Es war doch noch der ehrliche Weg auf der Landstraße.“// ((Pfarre, S. 13 f.))\\  Als Pfarre nach Fürth geht, weiß er sich auf dem Weg ins Vagabundentum: //„Ich war auf das Verbandsgeschenk angewiesen. Eine Mark erhielt ich. Mit dieser Mark wollte ich meine neue Zukunft gründen. In der Fürther Herberge zur Heimat erstand ich für 25 Pfennig einen Wanderschein. Auf diesen Schein konnte ich Verpflegungen erhalten. Mein zweiter Weg war nach dem städtischen Arbeitsnachweis. Dort traf ich einen Kunden, der mir die ganze Sache schon deichseln wollte. `Also, nun macht´s Dein Antrittsstoß. Erst läßt Du Dir eine Bescheinigung in Dein Wanderbuch schreiben, daß Du vergeblich um Arbeit angehauen hast, dann kommst Du wieder zu mir.´ Ich ging und kam erfolgreich zurück. Dann führte mich mein Lehrmeister vor ein anderes städtisches Gebäude und sagte: `Da gehst Du nun herein und kriegst dreißig Pfennige,´ und setzte lakonisch hinzu: `Ich kriege nichts, ich war erst vor drei Wochen da.´ Das mochte ich nun nicht. Aber ich begriff, daß ich mußte. Es war doch noch der ehrliche Weg auf der Landstraße.“// ((Pfarre, S. 13 f.))\\ 
-Sind diese Quellen erschöpft, so führt der Weg nachts ins Asyl und tags zum Betteln. Nur wer bettelt, überlebt. Pfarre kann das nicht, selbst die edelste Form der Bettelei, das Anfechten seiner Meister, bei denen er um Arbeit nachfragt, versagt er sich. ((„Suchte ein `fremder Geselle´ in der Stadt Arbeit, so ließ er sich entweder `Arbeit schauen´ oder er `ging aufs Geschenk´ . ... Wollte der Meister keinen Gesellen aufdingen, so gab es ein Geschenk, meist in der Form eines Umtrunks und einer Wegzehrung.“ (Völger, S. 38f.) )) So ist er hier und da auf eine Mark aus der Gewerkschaftskasse, Gutscheine der Asyle oder Stütze ((Stütze hat den Weg ins Hochdeutsche gefunden und bedeutet Arbeitslosen- oder Sozialunterstützung.)) vom Arbeitsamt angewiesen. Dazwischen hungert er oder findet Vagabunden, die ihn versorgen. \\ +Sind diese Quellen erschöpft, so führt der Weg nachts ins Asyl und tags zum Betteln. Nur wer bettelt, überlebt. Pfarre kann das nicht, selbst die edelste Form der Bettelei, das Anfechten seiner Meister, bei denen er um Arbeit nachfragt, versagt er sich. ((„Suchte ein `fremder Geselle´ in der Stadt Arbeit, so ließ er sich entweder `Arbeit schauen´ oder er `ging aufs Geschenk´ . ... Wollte der Meister keinen Gesellen aufdingen, so gab es ein Geschenk, meist in der Form eines Umtrunks und einer [[wiki:Wegzehrung|Wegzehrung]].“ (Völger, S. 38f.) )) So ist er hier und da auf eine Mark aus der Gewerkschaftskasse, Gutscheine der Asyle oder Stütze ((Stütze hat den Weg ins Hochdeutsche gefunden und bedeutet Arbeitslosen- oder Sozialunterstützung.)) vom Arbeitsamt angewiesen. Dazwischen hungert er oder findet Vagabunden, die ihn versorgen. 
 ==== Bettler und Fechtmeister ==== ==== Bettler und Fechtmeister ====
 Auch Schroeder fällt das Betteln schwer: //„Früher aß ich um diese Zeit zu Mittag, jetzt sind es drei Tage her, seit ich das letzte Mal gekaut habe. Ich kann eine Gaslaterne kitzeln, bis der Direktor lacht; ich habe in den zwei Tagen gelernt, einen Grünen zu ärgern, ohne daß dieser es merkt; aber betteln kann ich nicht!“// ((Schroeder, S. 64)) Dann reist er mit erfahrenen Kunden zusammen, zu fünft „putzen“ sie ein Dorf, essen mehrere Male und werfen anschließend zusammen: wollene Socken, eine neue Weste, drei Pfund Wurst, Zigaretten, Tabak, Brot. Nur Schroeder weiß nichts beizusteuern und bekommt gesagt:// „Wir hatten zuerst auch nur Brot gefechtet, Brot, Brot und noch einmal Brot, bis wir gewitzter wurden, aus uns hinausgingen und zusammenputzten, was wir zum Leben brauchten.“// Dann wird geteilt: für jeden gibt es zwei Zigarren, 12 Zigaretten, vierzig Gramm Tabak - Brüderlichkeit der Landstraße! Doch Schroeder lernt schnell und wird innerhalb weniger Monate ein Fechtmeister. Manche der Kunden und Vagabunden schaffen nie mehr den Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft, was nicht unbedingt an mangelnden Chancen lag, sondern an der Einstellung zum Leben: //„War das ein unruhiger Geselle! Auf allerlei Schiffen hatte er, als Münchner Kind, die ganze weite Erde befahren. Irgendeine Aschenbrödelarbeit hatte er immer gefunden und auch wohl so gute Menschen, wie er selbst einer war. Immer faßte er das Leben von der sonnigsten Seite auf, er, der nur für ein Butterbrot arbeitete, immer hatte er gelacht und noch immer lachte er, trotz Hunger, trotz aller Rücksichtslosigkeit gegen ihn. Und weil die Menschen ihn nicht ernst nahmen, hatte er sie und ihre Arbeit nicht ernst genommen.“// ((Pfarre, S. 177)) Das war der kleine bucklige Michael, der es nicht mehr schaffte, regelmäßig zu arbeiten und an einem festen Ort zu wohnen, obwohl ihm Verwandte die Gelegenheit dazu gaben. Er riß aus und flüchtete sich auf die Landstraße zurück.\\  Auch Schroeder fällt das Betteln schwer: //„Früher aß ich um diese Zeit zu Mittag, jetzt sind es drei Tage her, seit ich das letzte Mal gekaut habe. Ich kann eine Gaslaterne kitzeln, bis der Direktor lacht; ich habe in den zwei Tagen gelernt, einen Grünen zu ärgern, ohne daß dieser es merkt; aber betteln kann ich nicht!“// ((Schroeder, S. 64)) Dann reist er mit erfahrenen Kunden zusammen, zu fünft „putzen“ sie ein Dorf, essen mehrere Male und werfen anschließend zusammen: wollene Socken, eine neue Weste, drei Pfund Wurst, Zigaretten, Tabak, Brot. Nur Schroeder weiß nichts beizusteuern und bekommt gesagt:// „Wir hatten zuerst auch nur Brot gefechtet, Brot, Brot und noch einmal Brot, bis wir gewitzter wurden, aus uns hinausgingen und zusammenputzten, was wir zum Leben brauchten.“// Dann wird geteilt: für jeden gibt es zwei Zigarren, 12 Zigaretten, vierzig Gramm Tabak - Brüderlichkeit der Landstraße! Doch Schroeder lernt schnell und wird innerhalb weniger Monate ein Fechtmeister. Manche der Kunden und Vagabunden schaffen nie mehr den Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft, was nicht unbedingt an mangelnden Chancen lag, sondern an der Einstellung zum Leben: //„War das ein unruhiger Geselle! Auf allerlei Schiffen hatte er, als Münchner Kind, die ganze weite Erde befahren. Irgendeine Aschenbrödelarbeit hatte er immer gefunden und auch wohl so gute Menschen, wie er selbst einer war. Immer faßte er das Leben von der sonnigsten Seite auf, er, der nur für ein Butterbrot arbeitete, immer hatte er gelacht und noch immer lachte er, trotz Hunger, trotz aller Rücksichtslosigkeit gegen ihn. Und weil die Menschen ihn nicht ernst nahmen, hatte er sie und ihre Arbeit nicht ernst genommen.“// ((Pfarre, S. 177)) Das war der kleine bucklige Michael, der es nicht mehr schaffte, regelmäßig zu arbeiten und an einem festen Ort zu wohnen, obwohl ihm Verwandte die Gelegenheit dazu gaben. Er riß aus und flüchtete sich auf die Landstraße zurück.\\ 
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   - //Alle Achtung: Männer! 8 Werkmannsgeschichten//. Langen/Müller. München. 1936. 60 S. kl. 8°. (45. Tsd. Ex. bis 1943)\\    - //Alle Achtung: Männer! 8 Werkmannsgeschichten//. Langen/Müller. München. 1936. 60 S. kl. 8°. (45. Tsd. Ex. bis 1943)\\ 
-  - //Die vom Sonnendeck. Frohe Fahrt-Erlebnisse// erz. Herder. Freiburg(Br. 1937. 195 S. 8°. Abb.\\ +  - //Die vom Sonnendeck. Frohe [[wiki:fahrt|Fahrt]]-Erlebnisse// erz. Herder. Freiburg(Br. 1937. 195 S. 8°. Abb.\\ 
   - //Der lachende Hammer. Eulenspiegeleien, die nicht erfunden sind//. Herder. Freiburg/Br. 1937. 170 S. 8°. (3 Aufl., 2 Ausg. b. 1949)\\    - //Der lachende Hammer. Eulenspiegeleien, die nicht erfunden sind//. Herder. Freiburg/Br. 1937. 170 S. 8°. (3 Aufl., 2 Ausg. b. 1949)\\ 
   - //Lachende Kameradschaft.// Junge generation. Berlin. 1937. 95 S. 8°. (16 Aufl. in zwei Ausg. b. 1944)\\    - //Lachende Kameradschaft.// Junge generation. Berlin. 1937. 95 S. 8°. (16 Aufl. in zwei Ausg. b. 1944)\\ 
wiki/walz.txt · Zuletzt geändert: 2024/03/17 04:56 von norbert

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