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wiki:tragetechniken

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Tragetechniken

In der schlechtesten Schweinsblase sind oft die besten Dukaten
Parömiakon, 130, in: Wanderer: Deutsche Sprichwörter

Wer seine Siebensachen mit auf die Reise nehmen möchte, benötigt geeignete Behälter fürs Reisegepäck. Das muss mehr oder weniger auf den Inhalt abgestimmt sein, also:

  • für Flüssigkeiten: Flasche, Schlauch, Sack, Kanister
  • für Proviant: Knappsack, Umhängetasche, Beutel, Dosen
  • für Wertsachen: Geldgürtel, Geldkatze, Brustbeutel, Brieftasche, Portemonnaie
  • für Textilien: Kleidersack
  • für Kleinteile, z.B. am Gürtel: Messerscheide, Werkzeug, Kompass, mobile phone
  • für Spezialausrüstung: Holster, Futteral, Köcher

Allgemeine reisespezifische Funktionen sind:

  • Tragekomfort, also ergonomische Lastverteilung
  • Robustheit, also Schutz gegen Verlust und Beschädigung
  • Wetterfest, also Schutz gegen Regen, Staub
  • Unscheinbar, also weder Neugier noch Verlangen weckend
  • geringes Eigengewicht

Spezifische reisespezifische Funktionen sind:

  • Wer trägt?
    Körpergröße, Mann, Frau, Kind?
    Fahrrad, Motorrad, Geländewagen?
    Esel, Pferd, Kamel?
  • Für welche Umstände?
    Berge, Wüste, Regenwald?
    Kletterer, Wanderer, Jäger, Soldat?
  • Für welches Volumen und welche Traglast?

Im Unterschied zu obigen funktionalen Eigenschaften zeigen sich weitere Anforderungen durch

  • das Äußere des Reisegepäcks als Symbol für Reichtum (Luxus)
    einen Koffer (Malle Haute 110) von Louis Vitton oder lieber einen A-Klasse Mercedes? Letzterer ist günstiger.
  • die Art des Reisegepäcks als Symbol für Zugehörigkeit zu einer Gruppe
    der Alukoffer von Rimowa fürs Flugpersonal
    der Tornister für Pfadfinder
    der Berliner für Wandergesellen
  • der Umfang des Reisegepäcks als Bedürfnis nach Sicherheit und Komfort

Tragehilfen

Die längste Zeit der Geschichte war der Mensch selber Gepäckträger. Notwendige Lasten können zur Bürde werden, dann sinnt der Mensch auf Lösungen. Technische Konstruktionen kombinieren bereits vor 100.000 Jahren Behälter mit Tragehilfen und Verbindungsteilen, dabei zeigt sich eine ziemliche Vielfalt möglicher Tragesysteme:

Lastpunkte Tragemittel Ausführung z.B. als
Stirn Trageriemen Tragenetz (Bilum)
Hals Trageriemen Geldbeutel
Brust Tragetuch Babytuch
HüfteGürtel Gürtelgehänge
Nacken Tragestock Tragjoch, Dracht, Schanne
Schultern Tragekorb als Kiepe getragen
Schultern Tragrahmen als Kraxe getragen
Schultern Trageleiter Packboard
Brust Tragrahmen als Schlitten gezogen
Rücken Beutel mit zwei TrageriemenRucksack
Schultern Beutel mit einem langen Riemen Seesack
Hand Beutel mit einem kurzen Riemen Tasche
verstärkter Beutel mit ÜberklappeTornister
Beutel mit ZugschnurBerliner

Größere Lasten mussten abgegeben werden. Technische Transportmittel und domestizierte Tiere (Lasttiere, Zugtiere) wurden vielfach kombiniert. Handel und Landwirtschaft profitierten auf Kosten der Mobilität, denn der menschliche Gepäckträger ist flexibel und bewältigt jedes Gelände. Technik und Tiere dagegen müssen gepflegt werden und stellen Ansprüche.

TransportmittelRäder Achsen Antrieb Konstruktionsprinzip
Stangenschleife 0 0 Mensch, Hund, Zugtiere zwei lange Äste, mit Querästen zu einem Dreieck gebunden
Schlitten 0 0 Mensch, Hund, Zugtierezwei lange, als Kufen geformte Äste, unter einer Plattform
Schubkarre 1 1 Mensch eine Stangenschleife mit einem Rad
ein Korb mit Achsgabel, Rad und zwei Stangen
Karre 2 1 Mensch, Hund, Zugtiere ein Behälter auf einer Achse mit zwei Rädern
Wagen 3 2 Zugtiereeine Stangenschleife auf zwei Achsen mit 3 Rädern
Wagen 4 2 Zugtiereein Schlitten auf zwei Achsen mit 2×2 Rädern
Tier Traglast Anhängelast
Hund
Ziege
Esel
Rind
Pferd
Kamel

Jede Domestizierung veränderte auch den Menschen. Der Hund wurde Wächter und half beim Jagen. Wer Ziegen hält, muss den Beruf des Hirten erfinden. Der Esel ermöglicht es, Karren einzusetzen und mit dem Rind kamen Pflug und Wagen. Mit dem Pferd und der Erfindung von Speichenrädern wurde der Streitwagen möglich, Kriege veränderten sich. Und mit dem Kamel ließen sich die Trockengebiete vom Atlantik bis nach Zentralasien erschließen.

Dabei musste man das Zaumzeug erfinden, Packtaschen, Sättel, Zuggeschirr, das Joch und natürlich lernen mit den Tieren richtig umzugehen.

Beutel und Säcke

Der wandernde Mensch benötigte von Beginn an Behälter zum Tragen von Wasser, Nahrung, Besitz. Die ältesten dazu verfügbaren Mittel sind gebundene Beutel und Schläuche aus Tierblasen und Tierbälgen. Erst danach folgen aufwendigere Formen, die komplexere Werkzeuge und Verarbeitungstechniken für Leder, Textilien sowie das Anfertigen von Tragehilfen voraussetzen. Größere Behälter erforderten dann bereits Lasttiere sowie geeignetes Geschirr und Zurrmittel. Die ältesten keramischen Trinkgefäße wurden in Schlauchform angefertigt 1); deren älteste Vorläufer finden sich etwa 6000 v. Chr. auf dem Balkan, in Polen (Stichbandkeramik 4900–4500 v. Chr. ) und Deutschland (Baalberger Kultur 4200–3100 v. Chr., Salzmünder Kultur ca. 3400–3000 v. Chr.). Die Ahnen des Reisegepäcks sind daher:

  • Beutel aus Schweinsblasen, die getrocknet als Geld- oder Tabaksbeutel 2) genutzt wurden.
  • Bulgen, also schlauchartige Säcke aus im Ganzen abgezogenenen Tierfellen, dem Balg, genutzt als Weinflasche oder Wassersack oder als »Geldkatze«.
  • Köcher und Dosen aus Birkenrinde
  • Tragenetze aus Rindenbast
    Bastfasern von Bäumen - insbesondere für Geflechte, Netze, Textilien - wurden schon im Mesolithikum aus der Bastschicht von Eiche, Linde, Weide, Ulme hergestellt. 3)
    Netztaschen werden in Papua-Neuguinea von Mann und Frau traditionell für nahezu alle Tragezwecke verwendet; diese »Bilum« lassen sich auf dem Rücken, in der Hand oder an der Stirn tragen.
  • Körbe, z.B. aus Weidenruten (althochdeutsch zeine, heute ital. zaino `Rucksack´), die auf dem Kopf mit Polster oder mittels Kraxe und Kiepe getragen wurden.
  • Gepäckrollen in Fell, Leder oder als geflochtenes oder gewebtes Tragetuch, z.B. Berliner

Die Begriffe dafür entstanden so früh, dass sie in vielen Sprachen verwandt sind, weil sie entweder gemeinsame Wurzeln aufweisen oder weil das Reisen, Transportieren und Handeln den kulturellen Austausch besonders förderte (Lehnwörter). Dies zeigt sich weit über den indoeuropäischen Sprachraum hinaus, von den nordafrikanischen und arabischen Sprachen bis zu den mongolischen 4), also im gesamten Migrationsraum der Hirtenvölker. Die Bedeutung dieser (Hirten-)wörter 5) wird zudem verstärkt, weil das Material der ältesten Behälter (Fell, Leder, Haut) und deren Organe (Blase, Hoden) unmittelbar aus dem Lebensalltag stammten, also mit Tierhaltung, Nahrung und Fortpflanzung verbunden waren. Die Benennungsmotive gleichen sich in allen Sprachen, gehen ineinander über 6) und werden auf Vergleichbares übertragen:

  • Balg > Schlauch > Hülle > Schale > Behälter
  • Blase > (Hoden-)Sack > Kleidung (Fell, Leder > Textilien)
  • Beutel & Sack (prall, rund) > Bauch (Geblähtes) > Beule (Geschwollenes) > Blase (Aufgeblasenes)
  • Scheide, Köcher > Öffnung > Loch > Höhlung > Verstecktes, Gesichertes
1)
Griechisch ἀσκός askós „Schlauch“
Andrew J. Clark, Maya Elston, Mary Louise Hart
Understanding Greek Vases.
A Guide to Terms, Styles and Techniques.
J. Paul Getty Museum, Los Angeles 2002, ISBN 0-89236-599-4, S. 70
2)
Pfälzisches Wörterbuch Bd. 5, S. 1588
3)
A. Rast
Die Verarbeitung von Bast
In: Die ersten Bauern. Pfahlbaufunde Europas
Forschungsberichte zur Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum
Band 1, Zürich 1990, S. 119–121
A. Rast-Eicher
Die Textilien
In: J. Schibler u. a. (Hrsg.)
Ökonomie und Ökologie neolithischer und bronzezeitlicher Ufersiedlungen am Zürichsee
Band A, Zürich 1997, S. 300–328
4)
Johannes Hubschmid
Schläuche und Fässer
Wort- und sachgeschichtliche Untersuchungen mit besonderer Berücksichtigung des romanischen Sprachgutes in und außerhalb der Romania sowie der türkisch-europäischen und türkisch-kaukasisch-persischen Lehnbeziehungen
A. Francke Bern 1955, 172 S.
5)
A. Noyer-Weidner
Rezension zu „Johannes Hubschmid: Schläuche und Fässer“
in: Romanistisches Jahrbuch Bd. 7, Heft 1, https://doi.org/10.1515/roja-1955-0117
6)
Uwe Friedrich Schmidt
Praeromanica der Italoromania auf der Grundlage des LEI (A und B)
Band 49 von Europäische Hochschulschriften. Reihe 9, Italienische Sprache und Literatur
Peter Lang, 2009, ISBN 3631587708, 9783631587706, 502 S. Mehrere Kapitel zu Behältern mit den Wurzeln bacc-, barr-, burr- u.a.
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