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wiki:reisegepaeck

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Reisegepäck

»Gepäck?« antwortete er. »Habe keins.«
»Wirklich keins?«
»Yes. Bin früher so dumm gewesen, 
mich mit einer Menge von Sachen zu schleppen,
und habe mich trotzdem 
für einen tüchtigen Globetrotter gehalten.
Habe aber von dir gesehen, wie man es machen muß.
Mache es nun ebenso:
Anzug auf dem Leibe, Mantel, Waffen, Geld, weiter nichts.«
Karl May, Im Reiche des silbernen Löwen III

Das Geheimnis der Beweglichkeit ist es, frei zu sein von jeglicher Last. Dem entgegen stehen das Bedürfnis nach Sicherheit und der Wunsch nach etwas Bequemlichkeit. Was man dafür glaubt zu brauchen, muss ins Gepäck passen. Bereits alte Reisesprichwörter verweisen auf das Gepäck als Last und Lust: »Der reist frey in alle landt, der nichts im beutel, nichts in der handt.«, aber auch: »Eines Reisenden schwerste Bürde ist ein leerer Beutel.« Ohne ein Lasttier und ohne Fahrzeug bleibt für die Last nur der eigene Rücken. Das ist uns angeboren, denn ohne aufrechten Gang (mit dem Stab als Stütze) kann der Mensch nicht tragen (mit dem Beutel als Last) und so war der *Homo sapiens seit je auch ein Homo portans, der auch seine Tragetechniken ständig optimierte und anpasste, zuletzt mit dem Rad.

Das Reisegepäck im Rückblick

Vor rund 5.000 Jahren

Der Mann vom Hauslabjoch, bekannt als »Ötzi«, eine rund 5.300 Jahre alte »Gletschermumie« aus dem Ötztal in den Alpen, war gut mit Tragevorrichtungen durchdacht ausgestattet und unterwegs mit

  • einer Rückentrage1)
    Diese bestand aus einem rund zwei Meter langen gebogenen Haselnussstab als Rahmen, daran drei Lärchenholzbrettchen, geschnürt mit Lindenbast und vermutlich mit einem Tragesack aus Fell (nicht erhalten).
  • einer Gürteltasche
    u.a. mit Feuerstein und Zunder, wie man sie bis heute noch im Himalaya sehen kann.
  • zwei Dosen aus Birkenrinde
    davon eine für den Transport von Glut; solche Behälter wurden in ganz Eurasien und im nördlichen Amerika hergestellt, auch noch heute.
  • einem Proviantbeutel oder Waidsack für kleine Jagdbeute

Dies sind die ältesten bekannten und erhaltenen aus einer langen Liste von Reisegepäckarten; offensichtlich fehlen jedoch ein Wanderstab und ein Wasserschlauch.

Vor rund 2.000 Jahren

Die wichtigsten Dinge für eine Reise werden bereits im Neuen Testament (Lukas 10, 1-12) wiederholt genannt:

  • der Geldbeutel (gr. ballantoin) mit Geld (argyrion)
  • die Vorratstasche (gr., lat. pera)
  • die Sandalen (gr. hypodemata) 2)
  • der Wanderstab (gr. rhabdos) 3)
  • und kein zweites Hemd (!)

Diese Ausstattung war allerdings bewusst spartanisch, damit die so pilgernden Jünger per pedes apostolorum lernen sollten, auf Almosen zu vertrauen.

Die römischen Soldaten und Legionäre trugen deutlich mehr Gepäck (sarcina) 4). Rund 20 Kilogramm hingen am Querholz einer kreuzförmigen Tragestange (furca) aus Eschenholz; hinzu kamen Kleidung und Waffen. Als Gepäckstücke dienten:

  • Mantelsack (mantica)
  • Proviantnetz (reticulum)
  • Ledertasche (loculus, pera) für Kleinteile
  • Feldflasche (ampulla)
  • Fellrolle
  • Koch- und Essgeschirr

Reisegepäck in der Antike und im Mittelalter

In den Texten antiker Autoren haben sich vielfältige griechische und lateinische Begriffe für Gepäckformen erhalten 5), beispielsweise:

Was die einen von den anderen unterschied, ist oft unsicher. Das wird nicht nur von Form, Machart oder Trageart abhängen, sondern kann sich auch regional oder zeitlich gewandelt haben. Manches wurde jedoch durch das Mittelalter hindurch von Händlern, Wandermönchen und Scholaren praktisch genutzt und vom »Beutler« (Drumenarius, Marsupifex) hergestellt 6) und sprachlich über das Kirchenlateinische bis in die Neuzeit überliefert.

Das Reisegepäck der Pilger im Mittelalter

Wie bei jedem anderen Reisenden mussten Kleidung und Ausrüstung praktisch und nützlich sein 7). Darüber hinaus entwickelte sich eine Art Bildsprache (Ikonographie) 8), damit Pilger als solche erkennbar waren und unterscheidbar von wandernden Handwerksburschen, Händlern oder Vagabunden.

  • Pilgerhut mit breiter Krempe
  • Pilgerumhang (frz. pelerine), also kein Mantel
  • Untergewand
  • Schuhe und Stiefel 9)
  • Pilgerbörse für Münzen, Wertsachen und Pilgerpass
  • Pilgertasche (lat. pera)
  • Pilgerflasche, ein Lederbeutel oder eine Kürbisflasche
  • Rosenkranz
  • Beutelbuch für begüterte und gebildete Pilger 11)
  • Pilgerzeichen der Pilgerziele für Hut, Kleidung oder Tasche 12)
    • Kreuz als Zeichen für das Pilgerziel Jerusalem
    • Muschel als Zeichen für das Pilgerziel Santiago de Compostela
    • Schlüssel und Schwert als Zeichen für das Pilgerziel Rom

Das Reisegepäck in der Neuzeit

Es fällt auf, dass Habersack und Knapsack (in geringerem Maße auch Schnappsack) ab Mitte des 17. Jahrhunderts in anderen europäischen Sprachen auftauchen. Da liegt es nahe einen Zusammenhang mit den Landsknechten des Dreißigjährigen Krieges herzustellen, die diese Begriffe in angrenzende Länder mitgenommen haben. Habersack und Knapsack haben sich im englischen Sprachgebrauch beim Militär der USA und in Großbritannien bis heute gehalten.

Im 19. Jahrhundert entstand der Alpinismus als Massenbewegung, es entstand der Tourismus und es entstanden die bürgerlichen und proletarischen Wandervereine. Insbesondere durch Wanderer und Bergsteiger nahm der Bedarf an praktischen Gepäckstücken enorm zu: *Ranzen, *Tornister und *Felleisen. Sie alle wurden im 20. Jahrhundert vom *Rucksack verdrängt.

seit bis Begriff Herkunft Reichweite soz. Reichweite ling.
a 14. Jh. 1820 Wadsack gotisch > ahd. Oberschichtgerman.
a 14. Jh. 1900 Felleisen lat. > ital. > franz. roman. german. slaw.
a 14. Jh. Habersack Mittelhochdeutsch german.
b 1510 heute Ranzen Rotwelsch Fahrendegerman. slaw.
b 1517 1650 Knappsack (ost-)niederdeutsch Händler german.
b 1534 heute Tornister mittelgriech. > tschechisch Reiter, Militärslaw. german.
b 1551 heute Rucksack deutsch Bergbewohnergerman. slaw. roman.
b 1650 heute Knapsack Militärjargon german.
b 1880 heute Berliner deutsch Handwerker (Walz) deutsch

Für einige Begriffe (b) lassen sich Erstbelege im Schriftdeutschen finden. Andere (a) sind als bürgerliche Familiennamen greifbar und damit deutlich vor 1500 entstanden, möglicherweise für die Hersteller solcher Gepäckstücke 13):

Familienname Anzahl Cluster in Beispiel
Habersack
nicht: Haversack, Hafersack
121 zw Fulda und
Bamberg
Johan Haversac Hamburg 1272;
Thilo Haversack Braunschweig 1306 14);
Coneken Haversackes Neuhaldensleben 1330 15);
Henslinus Hawersak 1413 in Saaz/Bohemia 16), also Tuchmachermeister
Felleisen
nicht: valise
66 Karlsruhe-Neckar-Odenwald
Wadsack
Watsack
60
18
Kassel-Mansfeld-Minden
Peine-Hildeheim-Braunschweig

Die Beutelmacher bildeten eine eigene Handwerkerzunft 17), mancherorts gemeinsam mit den Riemenschneidern 18), aber überall im Deutschen bildeten sich Familiennamen für die Hersteller von Taschen (Deschner, Teschner), Beuteln (Beutler, Schwedler, Schweidler), Äser (Neser, Näser), Säcken (Seckler) u.a. 19).

Reisegepäck vor rund 100 Jahren

Eine *Liste der klassischen Reiseausrüstung des Fahrenden Volkes umfasst:

  • Kluft
    Kleidung aus Cord, Wolle, Leder für Hemd, Jacke (»Lodenjoppe«), Hose, Hut
  • Regenschutz
    schulteraufliegend wie: Poncho, Pelerine, (Loden-)Kotzen
  • Schuhwerk
    »Trittlinge«: Wanderschuhe mit genagelter Sohle) oder Stiefel
    Gamaschen, Hirschtalg, Fußlappen
  • Gürtelgehänge für
    Beutel, Essutensilien, Messer, Werkzeug 20)
  • Reisegepäck
    Felleisen, Proviantbeutel, Wasserflasche
  • Stock als Wanderstab, Stütze und Waffe
    Knotenstock, Stenz, Knobkierie

Kriterien zur Auswahl

Die Kataloge mit Reise-Ausrüstung umfassen mehrere hundert Seiten; Ausrüsterläden präsentieren sich Materialien auf mehreren tausend Quadratmetern. Doch wer sein Reisegepäck unter erschwerten Bedingungen tragen muss, benötigt keinen *Ballast. Von Bergführern bekommt man zu hören: »Unter schwersten Umständen muss Dein Rucksack leer sein, weil Du alles im Einsatz hast.«

Ein Rucksack sollte nicht mehr wiegen als etwa ein Viertel des eigenen Körpergewichts - das ist schon schwer. Mehr zu tragen erfordert langes Training und eine gute Rucksackqualität. Radfahrer und Motorradfahrer müssen sich ebenso einschränken. Wer jedoch mit einem *Fahrzeug reist, neigt schnell zum *Immermehrismus.

Muss: Trinken, Essen, Schlafen, Wärme und Gesundheit müssen als Grundbedürfnisse garantiert sein. In Städten und auf dem Dorf gelingt das meist mit Geld, Dokumenten und Informationen. Outdoor & Offroad wird es schwieriger - man muss alles mitnehmen. Autarkie für bestimmte Zeiträume und klimatische Besonderheiten muss geplant werden. Zudem werden die Grundbedürfnisse erweitert um Orientierung und Mobilität - beides muss gewährleistet sein oder man findet sich in einer Survival-Situation wieder.

Kann: Die gewissen Extras, etwas Luxus, bequeme Hilfsmittel, Unterhaltsames, Genussmittel - eben alles, was schön ist oder Spass macht.

»If in doubt, take it out«

  • Weglassen
    Was man unterwegs kaufen kann, muss man nicht mitnehmen.
  • Reduzieren
    Schwere Verpackungen durch leichte ersetzen, wasserhaltige Konserven durch getrocknete Lebensmittel und so weiter.
  • Fokussieren
    Für welches Zeitfenster sollen Verbrauchsmaterialien ausreichen? Alles was doppelt ist, aussortieren.
  • Ersetzen
    Die schwersten Ausrüstungsgegenstände durch leichtere Alternativen ersetzen.

siehe auch: Anschaffungen
Liste der Reisegepäckarten

Literatur und Museen

Die technischen Mittel des Reisens vom Pfad über Tragehilfen bis hin zum Wagen sind uns alltäglich vor Augen und bleiben wegen ihrer Selbstverständlichkeit weitgehend unbeachtet; auch der akademische Blick schweift meist darüber hinweg. Volkskunde und europäische Ethnologie bieten nur wenige systematische Ansätze zu diesem Themenfeld:

  • Attila de Paládi-Kovács (Hrsg.)
    Traditionelle Transportmethoden in Ostmitteleuropa
    Budapest: Néprajzi Kutatócsoport, 1981. 161 S. ISBN: 9637761357
    Berichtband zu einem Symposium der Ungarischen Akademie der Wissenschaften 1979 im Râköczi-Museum in Sârospatak über »Traditionelle Verkehrsmittel und Transportmethoden im Raum der Karpaten und des Balkan«.
  • A. Fenton, J. Podolák and H. Rasmussen
    Land Transport in Europe
    København: Nationalmuseet, 1973 512 S. ISBN: 8748059013

Gleichwohl gibt es zahlreiche Museen weltweit zum Thema »Transport«, mit Kutschen, Droschken, Autos, Busse, Landmaschinen, Eisenbahnen, Flugzeuge usw. Aber wo bleiben die kleinen Dinge: Reisekleidung, Gepäck, Ausrüstung? Die Museen sind voll von Exponaten, die Reisende, Entdecker und Erforscher aus aller Welt zusammengetragen haben. Aber nicht ein einziges Museum beschäftigt sich damit, wie diese Menschen gereist sind: Was hatten sie denn dabei, um jahrelang unterwegs zu sein? Wie überlebt man in Bergen und Wüsten? Wie organisiert man eine Expedition mit Hunden, Maultieren, Pferden oder Kamelen? Systematische Sammlungen dazu scheint es nicht zu geben; allenfalls bieten personenbezogene Museen Ansätze dazu:

1)
B. Terzan
Bemerkungen zu dem sogenannten Rucksack des Ötztaler Mannes
Arch. Korrbl. 24, 1994, 265 ff.
J. Wininger
Die Bekleidung des Eismannes und die Anfänge der Weberei nördlich der Alpen
The Man in the Ice 2. Veröff. des Forschungsinst. für Alpine Vorzeit der Universität Innsbruck 2, 1995, 119 ff.
2)
Katherine Ely Dohan
Hypodemata: The Study of Greek Footwear and Its Chronological Value
Bryn Mawr College, 1985, 286S.
3)
elf Mal im Neuen Testament als Stab für Reisende und Schäfer
4)
Peter Connolly
Die römische Armee
Tessloff-Verlag, ISBN 3-7886-0180-9
5)
Ludwig Ramshorn
Lateinische Synonymik: Nach Gardin-Dumesnil's Synonymes Latins
Band 1, Baumgärtner, Leipzig 1831. Kapitel 840: Loculi, Marsupium, Pasceolus, Zona, Crumena, Bulga, Funda, Pera, Mantica - mit zahlreichen Belegstellen
6)
Joannes Amos Comenius
Orbis sensualium picti pars prima (secunda)
1729 beschreibt S. 218 die Erzeugnisse des Beutlers
7)
Teodor Puszcz
Das liturgische Gebet für Reisende und Pilger sowie Seefahrer:
Ein Überblick bis zur Tridentinischen Liturgiereform
LIT Verlag Münster, 2019, S. 25 - 28
8)
U. Liebl, Pilger\\ III. Ikonographie
in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993), Sp. 2150-2151
Leonie von Wilckens\\ Die Kleidung der Pilger.
In: Lenz Kriss-Rettenbeck, Gerda Möhler (Hrsg.): Wallfahrt kennt keine Grenzen, Themen zu einer Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums und des Adalbert Stifter Vereins. München 1984, S. 174–175
9)
Olaf Goubitz
Stepping through Time. Archaeological Footwear from Prehistoric Times until 1800
SPA, Zwolle 2001, 396 S.
10)
de signo ad loca sancta peregrinantium
A. Franz
Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter
II. 1909. S. 272
11)
Otto Mazal, Beutelbuch, (2017) In: Lexikon des gesamten Buchwesens
12)
es sind etwa 500 unterschiedliche bekannt, oft aus Blei gegossen oder aus Blech; Herbers, Klaus; Kühne, Hartmut [Hrsg.]
Pilgerzeichen - Pilgerstraßen
Narr Tübingen 2013, Jakobus-Studien 20
13)
Daten nach Geogen von Christoph Stoepel
14)
Stadtbücher
15)
Theodor Sorgenfrey
Die Stadtbücher von Neuhaldensleben (ca. 1255-1463)
O. Hendel, Haldensleben 1923, S. 90, 92, 93
16)
Ludwig Schlesinger
Städe- und Urkundenbücher aus Böhmen
Band 2, Der Verein, 1892, S. 163 Saaz, 11.02.1413 als »pannifex magister civium«
17)
Caroline Bresslau
Die Stellung des Kölner Rats zu den Zünften im 15. und 16. Jahrhundert
Ein Beitrag zur Wirtschaftspolitik einer freien Reichsstadt.
Diss. Phil. I. Bern, Buchdr. Orthen, 1936 S. 109: 9 Zünfte der Lederzurichter: Gürtelmacher, Riemenschneider, Sattelmacher, Schumacher, Taschenmacher, Beutelmacher, Handschuhmacher, Kumtmacher
18)
Kämmereirechnungen der Stadt Hamburg: Bd. 1350-1400 Hamburg. Kämmerei 1869; S. XXXIII
19)
Fabian Fahlbusch, Simone Peschke
Familiennamen nach Beruf und persönlichen Merkmalen
Walter de Gruyter 2016, Kap. 7.3 Sattler, Beutler, Gürtler, Riemer, 403-421
Albrecht Greule, Matthias Springer
Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen
Walter de Gruyter, 2009
20)
Claudia Schopphoff
Der Gürtel: Funktion und Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Mittelalter
Böhlau Verlag Köln Weimar, 2009, 276 S.
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