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Picknick

Formal benennt »Picknick« eine Mahlzeit, die im Freien eingenommen wird. Das ist aber zu kurz gesprungen, denn nicht jedes Pausenbrot, jeder Stehimbiss, jede Vesper auf dem Feld gilt als Picknick. Auch ein Picknick allein, bei schlechtem Wetter oder im Winter erscheint befremdlich. Da muss also mehr dran sein.

Der Begriff Pique-Nique erscheint erstmals 1649 in der anonymen Satire Les Charmans effects des barricades, ou l’amité durable de la compagnie des freres Bachiques de Pique-Nique als Personenname des übergewichtigen und verfressenen »Helden« als Anführer eines Aufstandes in der Zeit der Fronde in Frankreich, womit zwar der Bezug zur Sprache, zum Essen und zu Waffen hergestellt wäre, die Vorstellung eines pique-nique in späterer Zeit jedoch nur unzureichend möglich ist.

1694 wird pique-nique bereits definiert als eine gesellige Mahlzeit, zu der alle ihren Teil beitragen 1): »ce mot n'est pas ancien dans notre lange & il est inconnu dans la pluspart des nos provinces«. Der Begriff könnte entstanden sein aus dem Verb piquer `picken, stechen´ und `nique´ im Sinne von `Kleinigkeiten ohne großen Wert´ - bewiesen ist das nicht, jedoch plausibel wenn man sich das Gemälde von François Lemoyne (1688 - 1737) anschaut: piquenique durante a caçada (um 1730, Alte Pinakothek, München). Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird der Begriff zunehmend genutzt, wenn bürgerliche oder adlige Kreise zu einer geselligen Zusammenkunft einladen (»Salons«), zu der jeder etwas beiträgt; Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778) traf sich in Paris des öfteren mit dem Abbé de Condillac »tête à tête en pique-nique« und gemeinsam mit seiner Frau Joseph-François Foulquier und seinem Freund Benoit besuchten sie ein Restaurant »en manière de pique-nique … chez la dame Vacassin, restauratrice«. Vielleicht haben wir Rousseaus »Zurück zur Natur« und seinem Wanderblut 2) zu verdanken, dass sich das Picknick im 19. Jahrhundert hinaus in die romantische Natur verlagerte. Dazu trug bei, dass die bürgerlich-adlige Schicht Frankreichs in den Revolutionsjahren in die Nachbarländer floh, doch ihre Gewohnheiten beibehielt. 1801 entstand in London die »Pic Nic Society«. Wer was mitzubringen hatte, wurde ausgelost, Pflicht waren sechs Flaschen Wein pro Nase.

Als wesentliche Merkmale dieser bürgerlichen Praktik erscheinen rückblickend:

  • die Verbundenheit mit anderen Menschen als Paar oder Kleingruppe;
  • die Ortsveränderung als Ausflug oder Unterbrechung einer Fahrt;
  • die romantische Umgebung, also Park, Wald, Bachrand, Ufer … als genießende Naturwahrnehmung;
  • die Muße, also eine nicht begrenzte Auszeit, Freizeit im Gegensatz zur Pause;
  • das Arrangement, also eine Decke, ein Korb, besonderes Geschirr und Gläser, Servietten;
  • das Essen und Trinken als Inszenierung, nicht als notwendige Maßnahme gegen Hunger und Durst;
  • ein Bruch mit Konventionen: viele Weinflaschen, die Nähe von Mann und Frau, unvollständige Kleidung.

Die Bilder des pique-nique gleichen sich über 150 Jahre hinweg: Männer und Frauen in gelöster Stimmung, viele Flaschen Wein, lockere Atmosphäre und selbst der Picknickkorb erscheint bereits 1776 auf dem Bild.

  • Francisco de Goya: The Picnic 1776, A Picnic 1785 - 1790
  • Thomas Cole: The Picnic 1846
  • Édouard Manet: Colazione sull'erba 1863
  • Claude Monet: The Picnic (Le dejeuner sur l'herbe) 1866
  • Grŵp yn cael picnic uwchlaw morglawdd Caergybi 1874
  • James Tissot: Picnic (Dejeuner sur l’Herbe) 1870 und Picnic/Holyday 1876
  • Pierre-August Renoir: Luncheon of the Boating People (Le déjeuner des canotiers) 1881
  • Leonid Solomatkin: Piknik 1882
  • Ernst Oppler: Picknick um 1900

Diese Art der Mahlzeit unter freiem Himmel wurde ab dem 18. Jahrhundert als etwas Besonderes wahrgenommen und erhielt daher ihren Namen. Erklären ließe sich das vermutlich mit den einsetzenden Veränderungen von Freizeit und Arbeit, Naturromantik und Wildnis und steht dann im Zusammenhang mit Phänomenen wie dem Spaziergang oder dem Flaneur, dem Spiel mit der bukolischen Einfachheit, der angedeuteten Enthemmung durch Wein, Kleidung, Posen.

Literatur

Walter Levy
The picnic: A history
Lanham 2014 Rowman et Littlefield.
Jeanne-Marie Darblay (Hrsg.)
Picknick. Vergnügen, Lust & Genuß. Müller Rüschlikon, Cham 1994
Charlotte Trümpler, Matthias Wagner(Hrsg.)
Picknick-Zeit
Ausstellungskatalog Museum Angewandte Kunst, Frankfurt a. M.
Walther König, Köln 2017, ISBN 978-3-96098-106-0

1)
Gilles Ménage Dictionnaire etymologique de la langue françoise, S. 580
2)
Christiane Landgrebe: Zurück zur Natur? – Das wilde Leben des Jean-Jacques Rousseau. Beltz, Weinheim 2012
wiki/picknick.1617422863.txt.gz · Zuletzt geändert: 2021/04/03 04:07 von norbert

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