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wiki:liste_raumvorstellungen

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Liste der Raumvorstellungen

Raumvorstellungen sind Teil des Handlungsablaufes »Navigation« und stehen dabei in unmittelbarem Austausch mit Fortbewegung und Orientierung. Den Raum zu erleben setzt Fortbewegung voraus, also immer wieder einen neuen Aufbruch aus dem vertrauten Raum mit immer neuen Übergängen durch den Zwischenraum als `das Dritte´ bis ans Ende der Welt im Zustand des Unterwegs-Seins.

  • Edward William Soja (1940–2015)
    Thirdspace: Journeys to Los Angeles and Other Real-and-imagined Places.
    Malden 1996: Blackwell
  • ders.: Die Trialektik der Räumlichkeit.
    S. 93–123 in: Robert Stockhammer (Hg.): Topographien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen. Paderborn 2005.
  • ders.: Thirdspace – Die Erweiterung des Geographischen Blicks.
    S. 269–288 in: Hans Gebhardt, Paul Reuber, Günter Wolkersdorfer (Hg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Heidelberg/Berlin 2003: Spektrum.
  • Hard, G.
    Der Raum, einmal systemtheoretisch gesehen.
    Geographica Helvetica 41.2 (1986) 77-83 Online
    Mit Verweis auf die Dissertationen von Benno Werlen und Helmut Klüter.

Der erlebte natürliche Raum

Natürliche Übergänge

Natürliche Enden

Mit folgenden natürlichen Enden verbindet sich das Gefühl der Ausgesetztheit, der Einzelne ist dort zurückgeworfen auf sich selbst, isoliert von anderen.

  • Eiland, Insel, umgeben von Wasser
  • Gipfel (Topp), umgeben vom Nichts (Abgrund)
  • Oase, als Insel in der Leere/Öde (altägyptisch wḥ3.t `Kochkessel´), Gegenteil zu > Ort
  • Ort, als Spitze eines Landstücks, umgeben von Wasser > > Ende der Welt
  • Strand, Küste, Ufer > Gestade
  • Land in Sicht > Ende des Ozeans
  • Eisel, Ulrich
    Konkreter Mensch im konkreten Raum. Individuelle Eigenart als Prinzip objektiver Geltung.
    S. 197–210 in: H.-D. Schultz: Arbeitsberichte Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, 100. Online
  • Eisel, Ulrich
    Weltbürger und Einheimischer. Naturerfahrung und Identität.
    S. 135-146 in: Poser, H., Reuer, B. [Hg.]: Bildung Identität Religion. Fragen zum Wesen des Menschen. Berlin 2004.
  • Roland Wenzlhuemer
    Transiterfahrungen in einer vernetzten Welt.
    Ruperto Carola 9 (2016): Stop & Go DOI, Online

Natur & Artefakt

  • Horizont aus gr. ὁρίζων (Grenzkreis), ab 16. Jh. vorher Kimme?
  • Gegend < lat. contrata regio `das Gebiet gegenüber´, engl. country, franz. contree, ital. contrada
  • Wald > Mark < Wildnis
  • Sternbilder

Der vorgestellte Raum

  • Michel, Paul
    Symbolik von Ort und Raum.
    XXIV, 537 S. Bern 1997: Peter Lang. Inhalt

Der vom Menschen gegliederte Raum

Spuren gliedern den Raum auch dort, wo nie ein Mensch war. Aber erst in der Vorstellung des Menschen werden sie zu Fährten, denen es zu folgen gilt.
Der Weg zeigt Gewohnheiten an und gliedert den Raum, indem er Ziele vorgibt.
Die Bahn ordnet die Natur den menschlichen Zielen unter, indem sie diese gewaltsam verändert.
Der Steinmann ist das erste dauerhaft gesetzte Zeichen des Menschen, das verkündet »Ich war hier« und der Raum zeigt an »Hier bleibe ich«.

Erschaffene Räume

Erschaffene Übergänge

  • Brücke
  • Damm & Deich
  • Fähre > Fährmann
  • Steg
  • Tor < unterbrochene Ackerfurche (porta) 1)
  • Türloch > Innen & Außen
    • Siegert, B.
      Türen. Zur Materialität des Symbolischen.
      Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung, 1 (2010) 151-170.

Erschaffene Enden

Definierte Artefakte

  • Berges, Wilhelm
    Land und Unland in der mittelalterlichen Welt.
    in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971, Bd. 3, S.399-439
  • Cleef, Eugene van
    Hinterland and Umland.
    Geographical Review 31. 2 (1941) 308–11 DOI.
  • Gregorius, Adolf
    Der Name Wöste. Ein Beitrag zur Ortsnamenkunde.
    Westfälische Zeitschrift 91 (1935) 280-302, Online
    Eine ausführliche Untersuchung der Begriffe Wald, wild und wüst, öd (Einöde) mit deren Bezügen zu Dickicht, lateinischem vasta, deserta (gr. eremos) im Zusammenhang mit herrenlos, unbewohnt, verlassen, vasta solitudo `herrenloser großer Wald´.
  • Hans Mortensen
    Die landschaftliche Bedeutung der Ausdrücke Wildnis, Wald, Heide, Feld usw. in den Quellen des deutschen Nordostens
    S. 127–42 in: Herbert Knothe: Vom deutschen Osten. Max Friederichsen zum 60. Geburtstag. Breslau 1934: Marcus.

Der konstruierte Raum

Raum zu konstruieren setzt Beobachtungen voraus, die der Erfahrung bedürfen und daraus folgend Hypothesen über Raumvorstellungen, die durch Messungen falsifiziert werden.
Anaximander (610–546 BC) war der Erste, der Erde, Welt und Kosmos in einen nicht-mythischen, sondern sachlich-räumlichen Zusammenhang stellte. Europa erscheint bei ihm erstmals als Einheit. Nach Cicero (106–43 BC) postulierte er als Erster die Kugelgestalt der Erde, siehe Weltbild.

Artefakte von Raummodellen

»Weiße Flecken« erscheinen als Artefakt der Kartographie, wenn durch sie Räume als Konstrukt des Modells entstehen, über die man nichts weiß.

  • Merriman, Peter
    Mobility, space, and culture.
    214 S. New York, NY 2012: Routledge.

Der paradoxe Raum

Leere

Die Vorstellung, ein Raum könne völlig leer sein, erschreckt die Menschen seit je:

  • Ginnungagap (altnordisch) `gähnender Abgrund´ > die absolute Leere vor der Schöpfung
  • Horror vacui (lat.) `der Schrecken der Leere´

Die Philosophie erkannte daher für richtig, dass es keinen Raum ohne Ort gibt und keinen Ort ohne Raum. Die moderne dreidimensionale Auffassung eines Raumes (Höhe, Breite, Tiefe) lässt sich in den lateinischen Vermessungstexten der Antike jedoch nicht finden, diese reduzieren Raum immer auf Flächen und Linien.

  • Jens-Olaf Lindermann
    Locus, ager, spatium. Wortuntersuchungen zum Raumbegriff der Gromatici veteres.
    S. 199-213 (210) in: Cosima Möller, Eberhard Knobloch (Hg.): In den Gefilden der römischen Feldmesser. Juristische, wissenschaftsgeschichtliche, historische und sprachliche Aspekte. Berlin 2013: De Gruyter.
  • Rösli, Lukas
    Topographien der eddischen Mythen.
    Eine Untersuchung zu den Raumnarrativen und den narrativen Räumen in der Lieder-Edda und der Prosa-Edda.

    Diss. Universität Zurich 2013. VI, 227 S. Tübingen 2015: A. Francke.

Der Punkt: Ort & Topp

Etymologisch gesichert ist, dass dem `Ort´ die Vorstellung einer feinen Spitze zugrundeliegt und ebenso dem niederdeutschen `Topp´ die Stelle, die ein Finger berührt, beides abstrahiert zur Vorstellung eines Punktes. Der `Ort´ (belegt ab dem 8. Jh.) führt zurück auf germ. *uzda- ‘Spitze’ (DWDS), welche als „Punkt“ gedacht und übertragen auf alles hervor-/hinausragende übertragen wird wie den Ortgang am Dach, den Ruhrort am Rhein, den Ort am Ende des Stollens - »ausgesetzte« Orte, die mit Furcht besetzt sind.
Danach erst bezeichnete Ort den Raum, wo man sich niederlässt: einen Platz, eine Stelle, ein Dorf, und ist damit synonym zu Ecke, Ende, Winkel 3) - also in einer Ecke, die einerseits Schutz verspricht und andererseits kein Entkommen ermöglicht.
Eine vergleichbare Bedeutung hat das niederdeutsche Topp, das sich von toppen, tippen als punktueller Berührung ableitet.

  • Nach Grimm: »Im Nieders. ist der Topp eines Berges, dessen Gipfel, der Topp eines Baumes, der Wipfel, Zopf, der Topp des Mastbaumes, dessen Spitze, ein Haartopp, ein Haarzopf. Das Pers. Tab hat fast eben dieselben Bedeutungen.« 4)
  • Seebold, Elmar
    Zapfen, Zipfel, Zopf, zupfen und die mots populaires in den germanischen Sprachen.
    Historische Sprachforschung/Historical Linguistics 110.1 (1997) 146-160.
    Für »topp sehe ich durchaus die Moglichkeit, ein gemeinindogermanisches Wort anzunehmen.«

Die Strecke: Abstand & Zwischenraum

Der Abstand zwischen zwei Punkten lässt sich als Strecke messen. Er wird aber zum Zwischenraum, wenn nur ein Punkt bekannt ist. Der Zwischenraum ist ein Drittes, siehe auch Zwillingsformeln.

  • Between und Betwixt (engl.)
  • Dazwischen
  • Gap (engl.)
  • Intervallum (lat.), intervalle (franz.)

Die Fläche: locus & topos

Für das lateinische `locus´ 5) findet sich keine sprachliche Wurzel im Lateinischen 6), ebensowenig für τόπος tópos im Griechischen. Gemeinsam ist beiden jedoch die Vorstellung einer Fläche.

Der Topos genießt umfassende Aufmerksamkeit als schillernde Metapher. Dieser muss jedoch etwas Konkretes vorangegangen sein. Welche anfängliche Vorstellung dem `topos´ zugrunde liegt, lässt sich anhand der Bedeutungen der Metaphern nur ahnen.

Das Abmessen und Zuteilen unerschlossener Landflächen (tap-tû-ú, taptû `Neubruchland´) 7) war im Zweistromland bis etwa 1200 BC gleichbedeutend mit Macht und göttlichen Kräften; danach war das fruchtbare Land verteilt. Das Werkzeug des Feldmessers - Stab und Seil - war Attribut der ältesten Stadtgötter (z.B. Bel-Marduk in Babylon). Für einen solchen Zusammenhang sprechen im Griechischen abgeleitete Begriffe wie τοπάζω `hinzielen´ und τοπεῖον `Tau, Seil´.

  • 1959 Pokorny, Julius
    Indogermanisches etymologisches Wörterbuch.
    Bd. 1, Bern 1959, S. 1088
    Etymologische Verbindung entweder mit lit. tàpti `werden´ und dessen Ableitungen (begegnen, treffen auf, kennenlernen …) oder mit cymr. tebyg (*tokʷiko-) `wahrscheinlich´.
  • 1972 Ritoòk, Z.
    Zur Geschichte des Topos-Begriffes.
    Actes de la XII conférence internationale d' études classiques, 2–7 octobre 1972 Klausenburg. Amsterdam 1975, S. 111–114.
    Im 4. Jh. bezeichnet Topos im militärischen Jargon »einen Ort von dem aus man eine bestimmte Macht entfalten, eine Wirksamkeit entwickeln kann.« Das kann man sowohl konkret über den Standort eines Werkzeugs deuten als auch übertragen auf eine Strategie.
  • 1986 Pernot, L.
    Lieu et lieu commun dans la rhétorique antique.
    Bulletin de l'Association Guillaume Budé 1.3 (1986) 253–284. Online
    S. 256 mit Verweis auf Ritoók S. 112: »la définition du lieu au sens propre comme «enveloppe» (περιέχον) ou plutôt comme «limite de l'enveloppe»., chez Arstt., Phys. IV, 210 b 34; 212 a 21.« Mit Bezug auf Isocrates (Herkules betreffend) deutet der Autor topos als ein Feld (champ) der Möglichkeiten.
  • 1995 Tormod Eide
    Aristotelian topos and Greek geometry.
    Symbolae Osloenses 70.1 (1995) 5-21, DOI
    In Proklos' Kommentar zum ersten Buch des Euklid wird der topos als »geometrischer Punkt« benannt. Dagegen bedeutet ăτoπoς atopos `unmöglich, unlogisch´.
  • 1998 Casevitz, M.
    Remarques sur l'histoire de quelques mots exprimant l'espace en grec.
    Revue des études anciennes REA 100 (1998) 417-435 Online
    Der Autor untersucht systematisch Textstellen mit Ortsbegriffen und kommt zu dem Schluss:
    • Das ältere χώρα bezeichnete eine genaue Region, einen bewohnten Raum, einen Ort mit Personen.
    • Τόπος erscheint als ein Ort ohne Menschen, unbewohnt, verlassen, wild, entfernt. Τόπος ist der Möglichkeitsraum, dem noch keine Spur menschlichen Tuns anhaftet.
  • 1997 Meier-Brügger, Michael
    Zu griechisch τόπος.
    Göttingen, Glotta 74.1 (1997) 99-100. Online
    Die von Pokorny gesetzten Möglichkeiten werden abgelehnt, dagegen etymologisch begründet: Topos hieß im Griechischen ursprünglich der Ort der Feuerstelle.
  • 2006 Rubinelli, Sara
    The Ancient Argumentative Game: τóπoι and loci in Action.
    Argumentation: An International Journal on Reasoning. 20.3 (2006) 253-272. Online
    Am Beispiel einer Passage des Isokrates Herkules betreffend wird gezeigt, dass der Begriff vor Aristoteles eine technische Bedeutung hatte, die dann als Metapher übernommen wurde. Verweis auf Ritoòk S. 112
  • 2020 Andrew Janiak
    Space: the history of a concept.
    Oxford 2020: XII, 351 S. Oxford University Press. Zu chora und topos S. 16-17.
    Topos erscheint ab Aischylos (525–456 BC) im Griechischen, während Homer (8./7. Jh. BC) den Raum mit Chora bezeichnet. Etymologisch erscheint topos als nicht-griechisch, muss also eine neue Bedeutung mitgebracht haben. Für Aristoteles (384–324 BC) entsteht topos erst durch Bewegung von etwas (S. 42 ff.) in Bezug auf die Umgebung, setzt also etwas Abgrenzbares voraus, einen Körper und dessen Position im Raum.
    Abstrahiert wird der Topos zum Raum, den der Körper einnimmt (a), der aber nur mit dem ihm umgebenden Raum (b) denkbar ist, wobei Raum (c ) die Gesamtheit von Raum a und Raum b umfasst, also paradox erscheint, weil der Körper eben kein Raum ist. Das lässt sich nur auflösen, wenn der Topos als unendlich dünner Rand des Körpers erscheint, also dessen Rand abgrenzt und selber keinen Raum einnimmt, wie bei Pernot 1986 als «enveloppe» (περιέχον).
1)
Schaaf, Ludwig
Encyclopädie der klassischen Alterthumskunde. 5 Bde. Magdeburg, 1837-1839. S. 21
2)
postuliert von Claudius Ptolemäus (100–175) in Geographike Hyphegesis
3)
Schuchardt, Hugo
Ecke, Winkel.
Zeitschrift für romanische Philologie 41.1 (1921) 254-258. DOI U.a. zu galloromanisch cornu `Winkel` und cornu `Horn´
Twellmann, Marcus
'Stille Erdwinkel' Zur geohistorischen Imagination des 'Biedermeier'.
In: Droste-Jahrbuch 9.12 (2013) 71-97. Online
4)
„topp, m.“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=T06866>, abgerufen am 01.07.2022.
„topp“, in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/etymwb/topp>, abgerufen am 01.07.2022.
5)
erstmals bei Lucius Livius Andronicus, um 200 BC
6)
de Vaan M.
Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages.
Leiden, Brill, 2008. S. 347.
Höfler, Stefan
Zur Etymologie von lat. laxus ‘locker, weit’.
Philologia Classica 12.2 (2017) 154-159
7)
Spar, Ira, Eva von Dassow, Wilfred G. Lambert: Cuneiform Texts in the Metropolitan Museum of Art: Private archive texts from the first millennium BC. Vol. 3. Metropolitan museum of art, 1988, S. 21.
Wunsch, Cornelia: Das Egibi-Archiv. I. Die Felder und Gärten. Cuneiform Monographs, 20. xxxii, 305 S. Groningen 2000: Sytx.
wiki/liste_raumvorstellungen.1660016548.txt.gz · Zuletzt geändert: 2022/08/09 03:42 von norbert

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