Hermann Lübbe
Politischer Moralismus: Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft
128 S. Siedler 1987
Dies ist eine alte Version des Dokuments!
Es gibt drei unterschiedliche Perspektiven die Welt anzuschauen:
Weil jedoch diese drei Sichtweisen voneinander abweichen entstehen Konflikte. Menschlich ist das Verlangen, einen mühelosen Weg zu finden, der erstens bequem ist und zweitens frei von Verantwortung. Mit Illusionen lassen sich die abweichenden Sichtweisen harmonisieren, die Weltanschauung den eigenen Glaubensmustern und Einstellungen anpassen.
Diese Illusionen verkleiden sich als Annahmen, Neigungen, Schlussfolgerungen, Gerüchte damit wir uns glauben machen können, wir handelten vernünftig.
Auf solche Illusionen weisen beispielsweise folgende Formulierungen hin:
Diese schönen Illusionen verändern unser Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen systematisch (kognitive Verzerrung) zwar gewollt, jedoch mehr oder weniger unbewusst. Wir entscheiden uns für den bequemen Weg. Klappt das nicht, kann man die Opferrolle beanspruchen oder die Verantwortung der Tücke des Objekts zuschreiben.
In der Kommunikation nutzen wir *Euphemismen, damit Unangenehmes angenehm wird. Auch lassen wir uns gerne von Werbung verführen, wohl wissend dass wir nur einen Teil der Wahrheit zu sehen bekommen. Dampfplauderer haben das Talent alles zu verkaufen. Im Englischen heißt das »Fake it, ’till you make it« - eine schöne Verpackung ist manchmal alles. Umgekehrt gilt: Wer eine schlechte Nachricht überbringt, wird Teil des Problems.
Verärgert dagegen reagieren viele auf eine politische Kommunikation, die mehr verbirgt als offenlegt. Politikern nimmt man es krumm, wenn sie Werbung in eiegener Sache machen, also nur den angenehmen Teil der Wahrheit ins Licht stellen. Damit öffnen sich leider der Phantasie unenedliche Weiten für Unterstellungen, Stichwort »deep state«.
Solche kognitiven Verzerrungen (cognitive bias) sind uns auch vertraut als unterhaltsame Räuberpistolen, *Ammenmärchen, urban legends oder Schauergeschichten - aber da weiß man, wo man dran ist. Die meisten glauben jedenfalls nicht, dass es sich bei Dracula oder Frankenstein um historische Persönlichkeiten handelt.
Zwei Dinge will niemand hören: schlechte Musik und gute Nachrichten.
In emotional aufgepeitschten Massenbeschwörungen beschwören aufgebrachte Apologeten die nahezu unabwendbare *Apokalypse. Alles Bestehende könne diese *Krise nicht abwenden, also gehöre alles Bestehende auf den Schuttplatz der Geschichte. Nur der jeweilige -ismus bringe das Heil und verspricht die Utopie - doch müsse sofort gehandelt wird, ohne Nachdenken, Alternativen gibt es nicht! Also macht kaputt, was euch kaputt macht und werft auch gleich die Vernunft über Bord. Der Notstand verlangt nach Autorität. 1)
Ein weiterer bequemer Ausweg bietet sich an, indem die kognitiven Verzerrungen durch solche ideologischen Verzerrungen (ideologic bias) ersetzt werden, also durch Religion oder eine der bekannten -ismen wie etwa Kommunismus, Faschismus, Islamismus. Ideologische Verzerrungen erkennt man an ihrem festen und klaren Werte-Set. Das moralisch Gute lässt sich leicht auswendig lernen, Widerspruch ist nicht möglich. Es gibt gut oder böse, gerecht oder ungerecht, richtig oder falsch - aber nichts dazwischen. Das macht Diskussionen unmöglich und erfordert Unterwerfung, also eine Hierarchie des Glaubens mit erleuchteten Führern an der Spitze. Es gibt drei Möglichkeiten damit umzugehen
Dana Buchzik
: It's the family, stupidErklärungen sind zu prüfen, wenn sie extrem einfach sind, auf nicht hinterfragbaren »Fakten« beruhen und grundlegende Wahrheiten anbieten, von denen nicht abgewichen werden darf. Solche Erklärungsmodelle führen zu einer eingeschränkten Wahrnehmung, die eine exponentiell spekulative Denkweise als einzig richtige darstellt.
Den Gegenpol bilden pragmatische Lösungen, der Ideologe soll also die Mücke nicht zum Elefanten aufblasen und »die Kirche mal im Dorf lassen«. Nichts überstürzen, erst mal abwarten, Tee trinken, Schritt für Schritt sich langsam vorantasten. Das macht den Ideologen wahnsinnig.
Sich von dem einen wie dem anderen zu befreien gelingt durch Wille und Vernunft, mittels Wissen und Selbsterkenntnis. Das strengt an und verlangt, dass wir mindestens für uns selbst verantwortlich sind. Das, was wir gerne glauben möchten, ist nicht unbedingt wahr. Überprüfen lässt sich das zumindest für tagesaktuelle Themen im Faktencheck des Rechercheportals Correctiv, bei dem österreichischen Verein Mimikama (»Zuerst denken, dann klicken«) oder beim europäischen Netzwerk Soma. Soma bekämpft Falschmeldungen und Desinformation im Internet.
siehe auch:
* Law of Instrument
* Fachidiot
* Problemlösung
* Weltanschauung
Hermann Lübbe