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wiki:grenze

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 Verbittert glossierte ((Kurt Tucholsky: [[http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1920/Die+Grenze|Die Grenze]]. [Pseud. Peter Panter] in: Berliner Volkszeitung, 27.06.1920)) ''Kurt Tucholsky'' 1920 die rechtlichen Verhältnisse an den europäischen Grenzen, wo ein Schritt aus dem Bürger einen [[wiki:der_fremde|Fremden]] und ein weiterer Schritt den Fremden zum [[wiki:outlaw|Vogelfreien]] machen. Für [[wiki:reisende|Reisende]] stehen Staatsgrenzen im Vordergrund, denn für das Übertreten sind Regeln (z. B. Zoll) zu beachten, es werden [[wiki:dokumente|Dokumente]] benötigt (z.B. Reisepass, Fahrzeugpapiere), es ändern sich Vorschriften und [[wiki:gesetz|Gesetze]]. Hier übt der staatliche [[wiki:souveraenitat|Souverän]] seine Macht aus, zeigt militärische Stärke, politisches Selbstbewußtsein, wirtschaftliche Zwänge (»Grenzregime«). Das Kontrollbedürfnis an der Schranke ist dem [[wiki:staaten|Staat]] zumindest in der Neuzeit zu eigen// »So wie man an der Grenze Personen, Bücher, Gedanken beobachten muss, so auch Waren; denn sind sie einmal im Staatsgebiet verteilt, so kann man sie nicht mehr mit Sicherheit kontrollieren.«// ((''M. J. Fraenzi''\\ //Über Zölle, Handelsfreiheit und Handelsvereine// ...\\ Wien 1834, S. 78, zit nach ''E. Saurer'': //Straße, Schmuggel, Lottospiel//. Göttingen 1989)). Verbittert glossierte ((Kurt Tucholsky: [[http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1920/Die+Grenze|Die Grenze]]. [Pseud. Peter Panter] in: Berliner Volkszeitung, 27.06.1920)) ''Kurt Tucholsky'' 1920 die rechtlichen Verhältnisse an den europäischen Grenzen, wo ein Schritt aus dem Bürger einen [[wiki:der_fremde|Fremden]] und ein weiterer Schritt den Fremden zum [[wiki:outlaw|Vogelfreien]] machen. Für [[wiki:reisende|Reisende]] stehen Staatsgrenzen im Vordergrund, denn für das Übertreten sind Regeln (z. B. Zoll) zu beachten, es werden [[wiki:dokumente|Dokumente]] benötigt (z.B. Reisepass, Fahrzeugpapiere), es ändern sich Vorschriften und [[wiki:gesetz|Gesetze]]. Hier übt der staatliche [[wiki:souveraenitat|Souverän]] seine Macht aus, zeigt militärische Stärke, politisches Selbstbewußtsein, wirtschaftliche Zwänge (»Grenzregime«). Das Kontrollbedürfnis an der Schranke ist dem [[wiki:staaten|Staat]] zumindest in der Neuzeit zu eigen// »So wie man an der Grenze Personen, Bücher, Gedanken beobachten muss, so auch Waren; denn sind sie einmal im Staatsgebiet verteilt, so kann man sie nicht mehr mit Sicherheit kontrollieren.«// ((''M. J. Fraenzi''\\ //Über Zölle, Handelsfreiheit und Handelsvereine// ...\\ Wien 1834, S. 78, zit nach ''E. Saurer'': //Straße, Schmuggel, Lottospiel//. Göttingen 1989)).
  
-//Grenzübergangsstellen// können bewacht sein oder auch nicht, dort wird kontrolliert oder auch nicht. Der Grenzverlauf zwischen zwei Grenzübergangsstellen wird umgangssprachlich als **Grüne Grenze** bezeichnet, ein Verlauf über größere Gewässer auch als //Blaue Grenze//. Der »Schengener Grenzkodex« ([[https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/42fba6c3-f0c5-11e5-8529-01aa75ed71a1/language-de|EU-Verordnung 2016/399]]) regelt ausdrücklich, dass die Binnengrenzen im Schengenraum an jeder Stelle passiert werden dürfen, ohne besondere Genehmigungen oder Kontrollen. +//Grenzübergangsstellen// können bewacht sein oder auch nicht, dort wird kontrolliert oder auch nicht. Der Grenzverlauf zwischen zwei Grenzübergangsstellen wird umgangssprachlich als **Grüne Grenze** bezeichnet, ein Verlauf über größere Gewässer auch als //Blaue Grenze//. Der »Schengener Grenzkodex« ([[https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/42fba6c3-f0c5-11e5-8529-01aa75ed71a1/language-de|EU-Verordnung 2016/399]]) regelt ausdrücklich, dass die Binnengrenzen im Schengenraum an jeder Stelle passiert werden dürfen, ohne besondere Genehmigungen oder Kontrollen.  
- +Das unterschiedliche Verständnis von Grenzen bestimmt das Denken und Verhalten der Menschen unbewusst bis heute ((''Norbert Seitz'' //Grenzen.// [[https://www.deutschlandfunk.de/grenzen-die-geschichte-des-zusammenlebens.1310.de.html?dram:article_id=284535|Die Geschichte des Zusammenlebens]])): 
-==== Das Innen und Außen ==== +  * ''Wilfried von Bredow''\\ //Grenzen//\\ Eine Geschichte des Zusammenlebens vom Limes bis Schengen\\ Konrad Theiss Verlag192 Seiten
-Das Auflösen einer Grenze führt aus heutiger Sicht zu einem Naturzustand, der die Ordnung auflöst und  [[wiki:wildnis|Wildnis]] zulässt; [[wiki:grenzgaenger|Grenzgänger]] werden misstrauisch beobachtet, weil sie  +
-auch die [[wiki:Grenze zwischen Leben und Tod|Grenze zwischen Leben und Tod]] beschreitenDer [[wiki:begriff|Begriff]] »Grenze« wurde erst ab dem [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 12Jahrhundert|12Jahrhundert]] ins Deutsche übernommen; er stammt aus den slawischen Sprachen und bezeichnet dort eine Grenz__linie__ wie sie in den ostmitteleuropäischen Steppengebieten üblich war. +
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-In Westeuropa dagegen bildeten die Wälder zwischen den Rodungsdörfern einen Grenz__bereich__ ohne deutliche Linie; Grenzen wurden bis dahin als »Marken« bezeichnet und als Flächen gedacht, die oft gemeinsam genutzt wurden.  Natürlich entstanden daraus Konflikte. Wenn es aber weder physisch noch als Denkfigur die Grenze gab, so konnten Lösungen nur durch Konsens im Miteinander gefunden werden man war gezwungen, etwas Gemeinsames zu findenDer Denkfigur der Grenze kam die Hecke am nächsten, diese war jedoch durchlässig und verband das Innen und AußenDie Spezialistin für die Kommunikation zwischen Innen und Außen war die Heckenreiterin, die //Hagazussa//, kurz: die HexeIn vielen Kulturen finden sich //Grenzgottheiten// (liminal deities), die als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] oft heute noch die Reisenden beschützen. +
-  * ''Oliver Eberl''\\ //Naturzustand und Barbarei//.\\ Begründung und Kritik staatlicher Ordnung im Zeichen des Kolonialismus.\\ Hamburger EditionHamburg 2021. 552 S. +
-  * ''Christoph Motsch''\\ //Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat//\\ Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Grosspolen (1575-1805).\\ Potsdam, Univ., Diss., 1996. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2001+
  
 ==== Grenzgeometrie und Nachbarn ==== ==== Grenzgeometrie und Nachbarn ====
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   * Ob es //Vierländerecken// geben kann, ist umstritten; ein solches liegt im Fluss Sambesi und wird durch die Grenzen der Länder Botswana, Namibia, Sambia und Simbabwe gebildet. Das hat aber zur Folge, dass eine Brücke von Sambia nach Botswana dann auch namibianisches Staatsgebiet berühren müsste.   * Ob es //Vierländerecken// geben kann, ist umstritten; ein solches liegt im Fluss Sambesi und wird durch die Grenzen der Länder Botswana, Namibia, Sambia und Simbabwe gebildet. Das hat aber zur Folge, dass eine Brücke von Sambia nach Botswana dann auch namibianisches Staatsgebiet berühren müsste.
  
-==== Naturgeschichte der Grenze ====+==== Das Innen und Außen ====
 Die Natur kennt keine Grenze, denn natürliche Räume gehen immer ineinander über, so hat der Waldrand andere Eigenschaften als der benachbarte Wald oder das offene Feld. Das Trennende in der Natur ist immer auch durchlässig, wie etwa die Membran einer Zelle die Osmose ermöglicht. Das Trennende ist daher immer ein Bereich, der auch verbindet. Die Fortbewegung in der Natur stößt zwar auf Widerstand, wenn ein Fluss oder ein Gebirge trennend wirken, jedoch ermöglichen eine Furt oder ein Pass immer auch einen [[wiki:uebergang|Übergang]]. Bereiche, die sowohl Widerstand als auch [[wiki:uebergang|Übergang]] beinhalten, werden als Schwelle wahrgenommen. Der Mensch hat natürliche Schwellen benutzt und aus dem trennenden Bereich (z. B. Mark) eine Grenze (engl. boundary line) gemacht. Die Schwelle des Hauses heißt lateinisch //limen// `das Querholz´, die gerodete [[wiki:bahn|Bahn]] zwischen befriedeter Fläche und der Wildnis heißt lateinisch //limes// `der Quergang´, doch beruhen beide Begriffe auf derselben Idee, das Eigene vom Anderen zu trennen, also den Feind (hostis) draußen zu halten und den [[wiki:gast|Gast]] (hospiz) einzulassen. Die Natur kennt keine Grenze, denn natürliche Räume gehen immer ineinander über, so hat der Waldrand andere Eigenschaften als der benachbarte Wald oder das offene Feld. Das Trennende in der Natur ist immer auch durchlässig, wie etwa die Membran einer Zelle die Osmose ermöglicht. Das Trennende ist daher immer ein Bereich, der auch verbindet. Die Fortbewegung in der Natur stößt zwar auf Widerstand, wenn ein Fluss oder ein Gebirge trennend wirken, jedoch ermöglichen eine Furt oder ein Pass immer auch einen [[wiki:uebergang|Übergang]]. Bereiche, die sowohl Widerstand als auch [[wiki:uebergang|Übergang]] beinhalten, werden als Schwelle wahrgenommen. Der Mensch hat natürliche Schwellen benutzt und aus dem trennenden Bereich (z. B. Mark) eine Grenze (engl. boundary line) gemacht. Die Schwelle des Hauses heißt lateinisch //limen// `das Querholz´, die gerodete [[wiki:bahn|Bahn]] zwischen befriedeter Fläche und der Wildnis heißt lateinisch //limes// `der Quergang´, doch beruhen beide Begriffe auf derselben Idee, das Eigene vom Anderen zu trennen, also den Feind (hostis) draußen zu halten und den [[wiki:gast|Gast]] (hospiz) einzulassen.
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 +Das Auflösen einer Grenze führt aus heutiger Sicht zu einem Naturzustand, der die Ordnung auflöst und  [[wiki:wildnis|Wildnis]] zulässt; [[wiki:grenzgaenger|Grenzgänger]] werden misstrauisch beobachtet, weil sie 
 +auch die [[wiki:Grenze zwischen Leben und Tod|Grenze zwischen Leben und Tod]] beschreiten. Der [[wiki:begriff|Begriff]] »Grenze« wurde erst ab dem [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 12. Jahrhundert|12. Jahrhundert]] ins Deutsche übernommen; er stammt aus den slawischen Sprachen und bezeichnet dort eine Grenz__linie__ wie sie in den ostmitteleuropäischen Steppengebieten üblich war.
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 +In Westeuropa dagegen bildeten die Wälder zwischen den Rodungsdörfern einen Grenz__bereich__ ohne deutliche Linie; Grenzen wurden bis dahin als »Marken« bezeichnet und als Flächen gedacht, die oft gemeinsam genutzt wurden.  Natürlich entstanden daraus Konflikte. Wenn es aber weder physisch noch als Denkfigur die Grenze gab, so konnten Lösungen nur durch Konsens im Miteinander gefunden werden - man war gezwungen, etwas Gemeinsames zu finden. Der Denkfigur der Grenze kam die Hecke am nächsten, diese war jedoch durchlässig und verband das Innen und Außen. Die Spezialistin für die Kommunikation zwischen Innen und Außen war die Heckenreiterin, die //Hagazussa//, kurz: die Hexe. In vielen Kulturen finden sich //Grenzgottheiten// (liminal deities), die als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] oft heute noch die Reisenden beschützen.
 +  * ''Oliver Eberl''\\ //Naturzustand und Barbarei//.\\ Begründung und Kritik staatlicher Ordnung im Zeichen des Kolonialismus.\\ Hamburger Edition, Hamburg 2021. 552 S.
 +  * ''Christoph Motsch''\\ //Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat//\\ Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Grosspolen (1575-1805).\\ Potsdam, Univ., Diss., 1996. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2001
  
 ==== Literatur ==== ==== Literatur ====
wiki/grenze.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/15 13:41 von norbert

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