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wiki:flucht

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wiki:flucht [2020/07/03 18:30] norbertwiki:flucht [2021/05/11 14:10] norbert
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 ''Have'' war als Kaufmann in Batavia tätig gewesen, wurde dort von den Holländern interniert und vor der Landung der Japaner auf Java mit den anderen Deutschen aus Indonesien nach Britisch-Indien gebracht. Dabei unternahm er zusammen mit dem Hamburger ''Hans Peter Hülsen'' einen ersten Fluchtversuch, indem sie aus einem fahrenden Zug sprangen. Zunächst erfolgreich, wurden sie dennoch bald gefaßt. Ein zweiter Fluchtversuch der beiden endete kurz vor dem Erreichen der burmesischen Grenze mit dem Tod des Hamburgers. ((Magener, Die Chance war Null, 6)) 1945 brach der deutsche Bergsteiger ''Ludwig Schmaderer'' aus dem Lager aus, gemeinsam mit seinem Kameraden ''Herbert Paidar''. Sie gingen den gleichen Weg wie Harrer, Kopp, Aufschnaiter ein Jahr zuvor und gelangten nach Schipki. Weil Schmaderer sein Geld allzu offen zeigte, folgten ihm vier Bewohner des Ortes, schlugen ihn zusammen und warfen seine Leiche in den Fluß. Ein Tibeter, der dieses Geschehen heimlich beobachtete, brachte das Verbrechen an die Öffentlichkeit. ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 134)) ''Have'' war als Kaufmann in Batavia tätig gewesen, wurde dort von den Holländern interniert und vor der Landung der Japaner auf Java mit den anderen Deutschen aus Indonesien nach Britisch-Indien gebracht. Dabei unternahm er zusammen mit dem Hamburger ''Hans Peter Hülsen'' einen ersten Fluchtversuch, indem sie aus einem fahrenden Zug sprangen. Zunächst erfolgreich, wurden sie dennoch bald gefaßt. Ein zweiter Fluchtversuch der beiden endete kurz vor dem Erreichen der burmesischen Grenze mit dem Tod des Hamburgers. ((Magener, Die Chance war Null, 6)) 1945 brach der deutsche Bergsteiger ''Ludwig Schmaderer'' aus dem Lager aus, gemeinsam mit seinem Kameraden ''Herbert Paidar''. Sie gingen den gleichen Weg wie Harrer, Kopp, Aufschnaiter ein Jahr zuvor und gelangten nach Schipki. Weil Schmaderer sein Geld allzu offen zeigte, folgten ihm vier Bewohner des Ortes, schlugen ihn zusammen und warfen seine Leiche in den Fluß. Ein Tibeter, der dieses Geschehen heimlich beobachtete, brachte das Verbrechen an die Öffentlichkeit. ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 134))
  
-Während einige nach mißlungenen Fluchtversuchen aufgaben (Krämer, Marchese) wollten andere daraus lernen: // „Nun aber hatten wir die Pionierarbeiten geleistet, kannten die Wege und die Lebensbedingungen des Landes und waren ungleich besser in der Lage, Vorbereitungen für eine zweite Flucht zu treffen. ... Zahlreiche Partner boten sich mir an und steigerten die Angebote für meine Führung bis zu 5000 Rupien. Aber am Gelde lag mir nichts. Ich wollte bei meinem nächsten Abenteuer einzig wieder einen sportlich gut durchtrainierten, anständigen Kameraden bei mir wissen.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 95)) Kopps Wahl fällt auf den Mittelstürmer ''Friedel Sattler'', der ihm versprechen muß, sich ernsthaft vorzubereiten. Wieder fängt er an zu organisieren, legt Medikamente auf Seite und läßt sich vom Lagerarzt über deren Anwendung instruieren. Nach und nach wird die Ausrüstung aus dem Lager geschmuggelt und am Tonsfluß versteckt. (( Aufschnaiter erinnerte sich: //„Die Engländer merkten dies zwar und führten Kontrollen durch, doch waren sie - wie bei allen solchen Dingen - niemals hart.“// (Brauen, Peter Aufschnaiter ..., 24) ))+Während einige nach mißlungenen Fluchtversuchen aufgaben (Krämer, Marchese) wollten andere daraus lernen: // „Nun aber hatten wir die Pionierarbeiten geleistet, kannten die Wege und die Lebensbedingungen des Landes und waren ungleich besser in der Lage, Vorbereitungen für eine zweite Flucht zu treffen. ... Zahlreiche Partner boten sich mir an und steigerten die Angebote für meine Führung bis zu 5000 Rupien. Aber am Gelde lag mir nichts. Ich wollte bei meinem nächsten Abenteuer einzig wieder einen sportlich gut durchtrainierten, anständigen Kameraden bei mir wissen.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 95)) Kopps Wahl fällt auf den Mittelstürmer ''Friedel Sattler'', der ihm versprechen muß, sich ernsthaft vorzubereiten. Wieder fängt er an zu organisieren, legt Medikamente auf Seite und läßt sich vom Lagerarzt über deren Anwendung instruieren. Nach und nach wird die [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] aus dem Lager geschmuggelt und am Tonsfluß versteckt. ((Aufschnaiter erinnerte sich: //„Die Engländer merkten dies zwar und führten Kontrollen durch, doch waren sie - wie bei allen solchen Dingen - niemals hart.“// (Brauen, Peter Aufschnaiter ..., 24) ))
  
 ==== Solidarität und Erfolg ==== ==== Solidarität und Erfolg ====
 Als klar wird, daß ein gemeinsamer Ausbruch für alle Vorteile bietet, plant man die Ausbruchsphase gemeinsam.  //„Ungelöst war noch das Problem des Herauskommens aus dem Lager. Die Flucht während eines Spazierganges schalteten wir von vornherein aus. Das hätte einen Parolebruch ((Als „Parole“ wurde eine unterzeichnete Selbstverpflichtung bezeichnet, in der man auf einen Fluchtversuch während eines offiziellen „Lagerurlaubs“ verzichtete.)) bedeutet, und im Falle des Nichtgelingens langjährige Haft oder Zwangsarbeit nach sich gezogen. Zunächst dachten wir daran, in der Nacht zu fliehen. Der Kommandant war für die Bewachung des Lagers nach Sonnenuntergang nicht verantwortlich, nahm daher auch eine nächtliche Flucht nicht besonders tragisch. Floh aber jemand bei Tag, gab es oft monatelang für die Internierten Ausgangsbeschränkungen und andere, fühlbare Vergeltungsmaßnahmen. Ganze Nächte beobachteten wir den Stand der Posten, ihre Gepflogenheiten und Bewegungen, ihre Ablösung und den automatischen Lichtwechsel der Scheinwerferlampen.“// ((Entsprechend der Genfer Konvention drohten jedem Flüchtling nach seiner Ergreifung 28 Tage Einzelhaft. Dieses Risiko ging man ein. Mischte man beim Stuhlgang etwas Tamarindensaft unter, kam man schnell ins Hospital und lag den Rest der Strafe dort ab.)) ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 12)) Als klar wird, daß ein gemeinsamer Ausbruch für alle Vorteile bietet, plant man die Ausbruchsphase gemeinsam.  //„Ungelöst war noch das Problem des Herauskommens aus dem Lager. Die Flucht während eines Spazierganges schalteten wir von vornherein aus. Das hätte einen Parolebruch ((Als „Parole“ wurde eine unterzeichnete Selbstverpflichtung bezeichnet, in der man auf einen Fluchtversuch während eines offiziellen „Lagerurlaubs“ verzichtete.)) bedeutet, und im Falle des Nichtgelingens langjährige Haft oder Zwangsarbeit nach sich gezogen. Zunächst dachten wir daran, in der Nacht zu fliehen. Der Kommandant war für die Bewachung des Lagers nach Sonnenuntergang nicht verantwortlich, nahm daher auch eine nächtliche Flucht nicht besonders tragisch. Floh aber jemand bei Tag, gab es oft monatelang für die Internierten Ausgangsbeschränkungen und andere, fühlbare Vergeltungsmaßnahmen. Ganze Nächte beobachteten wir den Stand der Posten, ihre Gepflogenheiten und Bewegungen, ihre Ablösung und den automatischen Lichtwechsel der Scheinwerferlampen.“// ((Entsprechend der Genfer Konvention drohten jedem Flüchtling nach seiner Ergreifung 28 Tage Einzelhaft. Dieses Risiko ging man ein. Mischte man beim Stuhlgang etwas Tamarindensaft unter, kam man schnell ins Hospital und lag den Rest der Strafe dort ab.)) ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 12))
  
-Die Gefangenen durften auf sogenannte Paroleausflüge gehen, wenn sie zuvor einen Zettel unterschrieben, daß sie außerhalb des Lagers mit niemandem sprechen würden, keine Verkehrsmittel verwendeten und keinen Fluchtversuch unternehmen würden. Man respektierte die Fairneß der Engländer und hielt sich an das Abkommen, nutzte jedoch die Ausflüge, um zu trainieren, die Gegend für die ersten Marschtage möglichst gut kennenzulernen, um Ausrüstung herauszuschmuggeln und Depots anzulegen. Ein deutscher Arzt im Lager besorgte Arzneien, ein Handwerker fabrizierte einen langen Dolch aus einer alten Autofeder, ein Pater, der bei den Tibetern missioniert hatte, informierte über Gebräuche und Sprache der Tibeter und zeichnete Karten. ''Aufschnaiter'' und ''Harrer'' besaßen noch die Expeditionsbücher und Karten der Nanga-Parbat-Expedition und nutzten sie zur genauen Planung der Fluchtroute.+Die Gefangenen durften auf sogenannte Paroleausflüge gehen, wenn sie zuvor einen Zettel unterschrieben, daß sie außerhalb des Lagers mit niemandem sprechen würden, keine Verkehrsmittel verwendeten und keinen Fluchtversuch unternehmen würden. Man respektierte die Fairneß der Engländer und hielt sich an das Abkommen, nutzte jedoch die Ausflüge, um zu trainieren, die Gegend für die ersten Marschtage möglichst gut kennenzulernen, um [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] herauszuschmuggeln und Depots anzulegen. Ein deutscher Arzt im Lager besorgte Arzneien, ein Handwerker fabrizierte einen langen Dolch aus einer alten Autofeder, ein Pater, der bei den Tibetern missioniert hatte, informierte über Gebräuche und Sprache der Tibeter und zeichnete Karten. ''Aufschnaiter'' und ''Harrer'' besaßen noch die Expeditionsbücher und Karten der Nanga-Parbat-Expedition und nutzten sie zur genauen Planung der Fluchtroute.
  
 Eine Gruppe bestand aus ''Rolf Magener'' und ''Heins von Have'', eine weitere aus ''Peter Aufschnaiter'' und dem Salzburger ''Bruno Treipel'', die dritte aus ''Hans „Hanne“ Kopp'' und ''Friedel Sattler''; ''Heinrich Harrer'' ging allein. Als Ausbruchszeit legten sie Ende April fest. Sie wollten das Lager als Reparaturkolonne verlassen. Harrer und Kopp schnitten 30 Meter Stacheldraht aus dem Zaun, wickelten ihn auf eine Rolle und stellten sich aus Bambus eine Leiter her. Ein Schneider hatte die Ausbrecher kostümiert: Magener und von Have sprachen ein ausgezeichnetes Oxford-Englisch und wurden als englische Offiziere ausstaffiert. Sie trugen eine Mischung aus entwendeten und selbstgeschneiderten Uniformteilen inklusive Offiziersstöckchen und Blaupausen des Lagers, die anderen gingen als indische Kulis. Je näher der Fluchtzeitpunkt rückte, desto größer wurden die Ängste: // „Was fruchtet jetzt noch grübelndes Abwägen? Von Anfang an stand fest, daß Nachdenken über den Fluchtentschluß in Widersprüche verwickelt. Längst habe ich begriffen, daß zuweilen das Unverständige gerade deshalb getan werden muß, weil es das Vernünftige ist. Der Versuch soll entscheiden. Der entschlossene Versuch. Morgen.“// ((Magener, Die Chance war Null, 19)) Eine Gruppe bestand aus ''Rolf Magener'' und ''Heins von Have'', eine weitere aus ''Peter Aufschnaiter'' und dem Salzburger ''Bruno Treipel'', die dritte aus ''Hans „Hanne“ Kopp'' und ''Friedel Sattler''; ''Heinrich Harrer'' ging allein. Als Ausbruchszeit legten sie Ende April fest. Sie wollten das Lager als Reparaturkolonne verlassen. Harrer und Kopp schnitten 30 Meter Stacheldraht aus dem Zaun, wickelten ihn auf eine Rolle und stellten sich aus Bambus eine Leiter her. Ein Schneider hatte die Ausbrecher kostümiert: Magener und von Have sprachen ein ausgezeichnetes Oxford-Englisch und wurden als englische Offiziere ausstaffiert. Sie trugen eine Mischung aus entwendeten und selbstgeschneiderten Uniformteilen inklusive Offiziersstöckchen und Blaupausen des Lagers, die anderen gingen als indische Kulis. Je näher der Fluchtzeitpunkt rückte, desto größer wurden die Ängste: // „Was fruchtet jetzt noch grübelndes Abwägen? Von Anfang an stand fest, daß Nachdenken über den Fluchtentschluß in Widersprüche verwickelt. Längst habe ich begriffen, daß zuweilen das Unverständige gerade deshalb getan werden muß, weil es das Vernünftige ist. Der Versuch soll entscheiden. Der entschlossene Versuch. Morgen.“// ((Magener, Die Chance war Null, 19))
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 Frech durchschritten zwei englische Offiziere mit fünf indischen Kulis das Lagertor, bepackt mit Leiter und Stacheldraht, Pinsel und Teertöpfen, in denen sich Teile des Gepäcks befanden. Niemand hielt sie auf. Kaum außer Sichtweite, entledigten sie sich der Tarnung und spurteten zu ihrem versteckten Gepäck. Harrer, Magener und von Have trennten sich nach kurzer Zeit. Harrer marschierte allein Richtung Tibet, Rolf Magener und Heins von Have, wollten mit der Bahn zur Burmafront und dann nach Japan. Die vier übrigen wollten gemeinsam nach Tibet: Aufschnaiter (damals bereits über vierzig) und Treipel trailten, dann folgten Kopp und Sattler. Schon auf den ersten Kilometern hatte Sattler Schwierigkeiten, sprach von einem Krampf in den Beinen. // „Trotz meiner vielen Übungsmärsche vom Lager aus fehlten mir Ausdauer und der lange Atem der Bergsteiger.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 27))  Kopp war da anderer Meinung:  //„Wie sich dann später herausstellte, war sein Versagen darauf zurückzuführen, daß er nie genügend trainiert hatte. Während wir mit schwer beladenen [[wiki:rucksack|Rucksack]] voll Steinen die Berge hinauf- und hinuntergestiegen waren, um uns zu üben, hatte er, an einem Lagerfeuer im Tal sitzend, unseren Anstrengungen zugeschaut.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 102)) Frech durchschritten zwei englische Offiziere mit fünf indischen Kulis das Lagertor, bepackt mit Leiter und Stacheldraht, Pinsel und Teertöpfen, in denen sich Teile des Gepäcks befanden. Niemand hielt sie auf. Kaum außer Sichtweite, entledigten sie sich der Tarnung und spurteten zu ihrem versteckten Gepäck. Harrer, Magener und von Have trennten sich nach kurzer Zeit. Harrer marschierte allein Richtung Tibet, Rolf Magener und Heins von Have, wollten mit der Bahn zur Burmafront und dann nach Japan. Die vier übrigen wollten gemeinsam nach Tibet: Aufschnaiter (damals bereits über vierzig) und Treipel trailten, dann folgten Kopp und Sattler. Schon auf den ersten Kilometern hatte Sattler Schwierigkeiten, sprach von einem Krampf in den Beinen. // „Trotz meiner vielen Übungsmärsche vom Lager aus fehlten mir Ausdauer und der lange Atem der Bergsteiger.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 27))  Kopp war da anderer Meinung:  //„Wie sich dann später herausstellte, war sein Versagen darauf zurückzuführen, daß er nie genügend trainiert hatte. Während wir mit schwer beladenen [[wiki:rucksack|Rucksack]] voll Steinen die Berge hinauf- und hinuntergestiegen waren, um uns zu üben, hatte er, an einem Lagerfeuer im Tal sitzend, unseren Anstrengungen zugeschaut.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 102))
  
-Sie marschierten nur nachts. In zwei Wochen sollte der Weg zur tibetischen Grenze zurückgelegt werden, der Proviant war genau eingeteilt. Tags wurden Ausrüstung, Schuhe und Kleidung repariert und verbessert oder es wurde geschlafen, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Die nächtlichen Märsche boten genug Gefahren: Begegnungen mit Bären, die Entdeckung, daß man sein Lager neben dem Loch einer Kobra aufgeschlagen hat, Stürze im Dunkeln an gefährlichen Hängen, Schluchtüberquerungen an einem Drahtseil hängend, das Durchwaten von Bächen auf glitschigen Felsen - alles im Dunkeln.+Sie marschierten nur nachts. In zwei Wochen sollte der Weg zur tibetischen Grenze zurückgelegt werden, der [[wiki:proviant|Proviant]] war genau eingeteilt. Tags wurden [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]], Schuhe und Kleidung repariert und verbessert oder es wurde geschlafen, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Die nächtlichen Märsche boten genug Gefahren: Begegnungen mit Bären, die Entdeckung, daß man sein Lager neben dem Loch einer Kobra aufgeschlagen hat, Stürze im Dunkeln an gefährlichen Hängen, Schluchtüberquerungen an einem Drahtseil hängend, das Durchwaten von Bächen auf glitschigen Felsen - alles im Dunkeln.
  
 Dörfer wurden heimlich durchquert: // „Lange vorher lagen wir auf der Lauer und warteten ab, bis der letzte Schein eines Feuers oder einer Laterne verlosch. Bei solchen Gelegenheiten tauschten wir unsere benagelten Bergschuhe gegen leichte Turnschuhe aus und versäumten nie, vorher unsere Feldflaschen zu entleeren, um zu vermeiden, daß das Glucksen des Wassers einen Dorfbewohner aufweckte.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 28)) Dörfer wurden heimlich durchquert: // „Lange vorher lagen wir auf der Lauer und warteten ab, bis der letzte Schein eines Feuers oder einer Laterne verlosch. Bei solchen Gelegenheiten tauschten wir unsere benagelten Bergschuhe gegen leichte Turnschuhe aus und versäumten nie, vorher unsere Feldflaschen zu entleeren, um zu vermeiden, daß das Glucksen des Wassers einen Dorfbewohner aufweckte.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 28))
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 ''August Hauer'' ((August Hauer: Kumbuke. Berlin 1943 7.A.)) war Arzt und Leiter des Schlafkrankheitsbezirkes Nianza am Tanganjikasee. Im Juli 1914 begann er eine Rundreise durch seinen Distrikt; am 4. August brachte ihm ein Bote den Brief mit der Nachricht der Kriegserklärung zwischen Deutschland und Rußland. Der Einberufungsbefehl zur 9. Feldkompagnie in Usambara wartete bereits in Gitega. Dort traf er auch auf den aus dem Kongo kommenden „Abenteurer und Elefantenjäger“, den Deutsch-Amerikaner ''Kramer''.\\  ''August Hauer'' ((August Hauer: Kumbuke. Berlin 1943 7.A.)) war Arzt und Leiter des Schlafkrankheitsbezirkes Nianza am Tanganjikasee. Im Juli 1914 begann er eine Rundreise durch seinen Distrikt; am 4. August brachte ihm ein Bote den Brief mit der Nachricht der Kriegserklärung zwischen Deutschland und Rußland. Der Einberufungsbefehl zur 9. Feldkompagnie in Usambara wartete bereits in Gitega. Dort traf er auch auf den aus dem Kongo kommenden „Abenteurer und Elefantenjäger“, den Deutsch-Amerikaner ''Kramer''.\\ 
 Bis Mitte 1917 war Hauer in den Kampfgebieten Ostafrikas eingesetzt, dann wurde er gefangengenommen und Ende November in das Gefangenenlager in Lindi gebracht. Ein Hospitalschiff brachte ihn nach siebenwöchigem Typhusleiden und abgemagert auf 45 Kilo nach Indien und dort über Karachi ins Gefangenenlager von Ahmednagar, einem der gesündesten, wenngleich äußerst heißen Plätze Südindiens. Hier waren nicht nur die deutschen Soldaten aus Ostafrika, sondern auch Zivildeutsche aus Siam und China interniert. Schon bald sah er, wie eine Gruppe Ausbrecher zurückgebracht wurde, die ein altes, den Engländern unbekanntes Kanalsystem zur Flucht benutzt hatten, sich aber durch ungeschicktes Verhalten nach etwa zehn Tagen in der Freiheit verraten hatten.\\  Bis Mitte 1917 war Hauer in den Kampfgebieten Ostafrikas eingesetzt, dann wurde er gefangengenommen und Ende November in das Gefangenenlager in Lindi gebracht. Ein Hospitalschiff brachte ihn nach siebenwöchigem Typhusleiden und abgemagert auf 45 Kilo nach Indien und dort über Karachi ins Gefangenenlager von Ahmednagar, einem der gesündesten, wenngleich äußerst heißen Plätze Südindiens. Hier waren nicht nur die deutschen Soldaten aus Ostafrika, sondern auch Zivildeutsche aus Siam und China interniert. Schon bald sah er, wie eine Gruppe Ausbrecher zurückgebracht wurde, die ein altes, den Engländern unbekanntes Kanalsystem zur Flucht benutzt hatten, sich aber durch ungeschicktes Verhalten nach etwa zehn Tagen in der Freiheit verraten hatten.\\ 
-Außerdem berichtet er von einer weiteren Flucht, die auch Heye erwähnt: // „Eines Morgens fehlte jener schlagfertige Leipziger. In einem Brief, der jedem Melancholiker Ehre gemacht hätte, teilte er dem Kommandanten mit, daß die Quälereien des `schwarzen Peter´ ... ihn zum Selbstmord getrieben hätten. Während nun tagelang Busch und Höhlen vergebens durchsucht wurden, saß Herr Hahn zuversichtlich in der Bahn. Bei der Ankunft in Madras ... ward er der Polizei nur dadurch verdächtig, daß er das wenigste Gepäck von allen Reisenden trug.“// ((Hauer, Kumbuke, 311))+Außerdem berichtet er von einer weiteren Flucht, die auch Heye erwähnt: // „Eines Morgens fehlte jener schlagfertige Leipziger. In einem Brief, der jedem Melancholiker [[wiki:ehre|Ehre]] gemacht hätte, teilte er dem Kommandanten mit, daß die Quälereien des `schwarzen Peter´ ... ihn zum Selbstmord getrieben hätten. Während nun tagelang Busch und Höhlen vergebens durchsucht wurden, saß Herr Hahn zuversichtlich in der Bahn. Bei der Ankunft in Madras ... ward er der Polizei nur dadurch verdächtig, daß er das wenigste Gepäck von allen Reisenden trug.“// ((Hauer, Kumbuke, 311))
  
 Bei Heye heißt der Flüchtige allerdings ''Blum'' und die Flucht fand aus Ramandrugh statt, im übrigen gleichen sich die Angaben. Heye traf Blum später nochmals in Deutschland und gibt zahlreiche Details an, so z. B., das Blum zu vier Jahren Militärgefängnis in Poona verurteilt wurde, diese jedoch nicht abzusitzen brauchte und zusammen mit allen anderen Anfang 1920 nach Deutschland überführt wurde. Am 30. Dezember 1919 wurden die internierten Deutschen zurück nach Deutschland geschickt. Bei Heye heißt der Flüchtige allerdings ''Blum'' und die Flucht fand aus Ramandrugh statt, im übrigen gleichen sich die Angaben. Heye traf Blum später nochmals in Deutschland und gibt zahlreiche Details an, so z. B., das Blum zu vier Jahren Militärgefängnis in Poona verurteilt wurde, diese jedoch nicht abzusitzen brauchte und zusammen mit allen anderen Anfang 1920 nach Deutschland überführt wurde. Am 30. Dezember 1919 wurden die internierten Deutschen zurück nach Deutschland geschickt.
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 ==== 3.2 Der 2. Weltkrieg 1939-1945 ==== ==== 3.2 Der 2. Weltkrieg 1939-1945 ====
 ''Herbert Pritzke'' war Arzt und wurde 1944 nach Afrika beordert, zum Rommel-Korps. Nach seinem ersten Fluchtversuch aus englischer Gefangenschaft verlegte man ihn in das berüchtigte Lager 307 bei Fanara in der Suezkanal-Zone, ein Entkommen von dort war unmöglich. So begann er, Wadenkrämpfe zu simulieren und erreichte bald sein Ziel, die Verlegung ins Hospital nach Fayed. Er wurde an den Krampfadern operiert und kaum zu Kräften gelangt, floh er, 18 Monate nach Kriegsende.\\  ''Herbert Pritzke'' war Arzt und wurde 1944 nach Afrika beordert, zum Rommel-Korps. Nach seinem ersten Fluchtversuch aus englischer Gefangenschaft verlegte man ihn in das berüchtigte Lager 307 bei Fanara in der Suezkanal-Zone, ein Entkommen von dort war unmöglich. So begann er, Wadenkrämpfe zu simulieren und erreichte bald sein Ziel, die Verlegung ins Hospital nach Fayed. Er wurde an den Krampfadern operiert und kaum zu Kräften gelangt, floh er, 18 Monate nach Kriegsende.\\ 
-Ausgerüstet war er mit einem zwei Meter langen Zeltstock, der ihm mit seinen eisenbeschlagenen Spitzen als Waffe dienen sollte. Aufpassen mußte er aber auch vor den anderen Internierten: 100 Zigaretten Belohnung gab es, wenn eine Flucht verraten wurde. Gefährlich waren die //„knüppelbewaffneten deutschen Lagerwachen, meist Fallschirmjäger, die für dreißig Pfennig am Tag ihre eigenen Kameraden bewachten und robuste Methoden anwandten, um den Ertappten das Heimweh aus den Knochen zu prügeln, ehe sie vom Wachsergeanten die Belohnung in Zigaretten einkassierten.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 12)) Doch so lange nach Kriegsende war die Aufmerksamkeit der Wachen gering, und nur ein Zaun war zu überwinden. Seine Fluchtroute war ihm klar: // „Ich folgte dem klassischen Fluchtweg der deutschen Kriegsgefangenen: zunächst drei Stunden in genau westlicher Richtung, um aus der britischen Kanal-Enklave herauszukommen, dann abschwenken nach Nordwesten bis an den Süßwasserkanal, der von Ismailia nach Kairo führt.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 16))\\ +Ausgerüstet war er mit einem zwei Meter langen [[wiki:stab|Zeltstock]], der ihm mit seinen eisenbeschlagenen Spitzen als Waffe dienen sollte. Aufpassen mußte er aber auch vor den anderen Internierten: 100 Zigaretten Belohnung gab es, wenn eine Flucht verraten wurde. Gefährlich waren die //„knüppelbewaffneten deutschen Lagerwachen, meist Fallschirmjäger, die für dreißig Pfennig am Tag ihre eigenen Kameraden bewachten und robuste Methoden anwandten, um den Ertappten das Heimweh aus den Knochen zu prügeln, ehe sie vom Wachsergeanten die Belohnung in Zigaretten einkassierten.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 12)) Doch so lange nach Kriegsende war die Aufmerksamkeit der Wachen gering, und nur ein Zaun war zu überwinden. Seine Fluchtroute war ihm klar: // „Ich folgte dem klassischen Fluchtweg der deutschen Kriegsgefangenen: zunächst drei Stunden in genau westlicher Richtung, um aus der britischen Kanal-Enklave herauszukommen, dann abschwenken nach Nordwesten bis an den Süßwasserkanal, der von Ismailia nach Kairo führt.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 16))\\ 
 Drei Tage lief er ohne Wasser, dann brach er zusammen. Beduinen fanden ihn, gaben ihm Wasser und bei den Beduinen blieb er, als sie seine Qualitäten als Arzt entdeckten. Der nur geduldete Flüchtling wurde zum //Hakim Alemanni// mit Ruf und Ansehen. Als solcher praktizierte er in einem Beduinenzelt, ließ sich Medikamente und Geräte aus Ismailia beschaffen und baute sich eine kleine, mobile Praxis auf. Rezepte für Patienten unterschrieb er mit// „Le docteur inconnu.“// Als Dank für die Gastfreundschaft wurde von ihm die Unterstützung illegaler Geschäfte erwartet und Pritzke beteiligte sich daher am Haschisch-Schmuggel. Der Diebstahl einer Kiste mit Morphium aus einem englischen Lager schlug allerdings fehl.\\  Drei Tage lief er ohne Wasser, dann brach er zusammen. Beduinen fanden ihn, gaben ihm Wasser und bei den Beduinen blieb er, als sie seine Qualitäten als Arzt entdeckten. Der nur geduldete Flüchtling wurde zum //Hakim Alemanni// mit Ruf und Ansehen. Als solcher praktizierte er in einem Beduinenzelt, ließ sich Medikamente und Geräte aus Ismailia beschaffen und baute sich eine kleine, mobile Praxis auf. Rezepte für Patienten unterschrieb er mit// „Le docteur inconnu.“// Als Dank für die Gastfreundschaft wurde von ihm die Unterstützung illegaler Geschäfte erwartet und Pritzke beteiligte sich daher am Haschisch-Schmuggel. Der Diebstahl einer Kiste mit Morphium aus einem englischen Lager schlug allerdings fehl.\\ 
 Etwa ein Jahr blieb er bei den Beduinen, lernte deren Sprache, kleidete sich wie sie, paßte sich an, auch wenn es ihm hin und wieder schwerfiel: // „Ich war bevorzugter Gast. `Hier ist etwas Gutes für dich, Salameh!“ sagte der Onkel und hielt mir mit seinen schmutzigen Fingern ein Auge des Hammels hin. Kaum eine Situation im Krieg hatte mich soviel Todesverachtung gekostet wie das würgende Hinunterschlucken solcher Gastbrocken. ... Der Onkel jedoch, der mich ins Herz geschlossen hatte, streifte sich die Ärmel hoch, beugte sich so weit vor, daß sein Bart beinahe mit dem Gericht in Berührung kam, griff ein paarmal ein Stück Fleisch heraus und prüfte es, ob es auch gut genug war für den Gast; aber jedes Stück warf er wieder zurück, bis er endlich vom Besten das Allerbeste für mich gefunden hatte. ... Es war ein Stück Schwanzfett, mit dem ich den ganzen aufdringlichen Geruch des Fettschwanzhammels in die Nase bekam. Um den Fettklumpen gekrümmt, sah ich die unsagbar dreckige Hand, vom Fettklumpen weg rann die Brühe über den nackten haarigen Arm ... Die Natur sorgte dafür, daß ich das Schwanzfett nicht mehr zu essen brauchte und auch das Hammelauge wieder zurückbekam, nachdem es sich in meinem aufgewühlten Inneren nur eine Weile hatte umsehen dürfen.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 139))\\  Etwa ein Jahr blieb er bei den Beduinen, lernte deren Sprache, kleidete sich wie sie, paßte sich an, auch wenn es ihm hin und wieder schwerfiel: // „Ich war bevorzugter Gast. `Hier ist etwas Gutes für dich, Salameh!“ sagte der Onkel und hielt mir mit seinen schmutzigen Fingern ein Auge des Hammels hin. Kaum eine Situation im Krieg hatte mich soviel Todesverachtung gekostet wie das würgende Hinunterschlucken solcher Gastbrocken. ... Der Onkel jedoch, der mich ins Herz geschlossen hatte, streifte sich die Ärmel hoch, beugte sich so weit vor, daß sein Bart beinahe mit dem Gericht in Berührung kam, griff ein paarmal ein Stück Fleisch heraus und prüfte es, ob es auch gut genug war für den Gast; aber jedes Stück warf er wieder zurück, bis er endlich vom Besten das Allerbeste für mich gefunden hatte. ... Es war ein Stück Schwanzfett, mit dem ich den ganzen aufdringlichen Geruch des Fettschwanzhammels in die Nase bekam. Um den Fettklumpen gekrümmt, sah ich die unsagbar dreckige Hand, vom Fettklumpen weg rann die Brühe über den nackten haarigen Arm ... Die Natur sorgte dafür, daß ich das Schwanzfett nicht mehr zu essen brauchte und auch das Hammelauge wieder zurückbekam, nachdem es sich in meinem aufgewühlten Inneren nur eine Weile hatte umsehen dürfen.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 139))\\ 
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 ''Slavomir Rawitsch'', Leutnant der polnischen Kavallerie, wurde nach dem Zusammenbruch der polnischen Armee am 19.11.1939 von den Russen gefangengenommen, er war gerade 24 Jahre alt. Verhöre, Einzelhaft und Folter in den Gefängnissen von Minsk, Charkow und in der Lubjanka in Moskau gingen seiner Verurteilung voraus, die für ihn fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit in Sibirien vorsah. Ende November 1940 wurde er zusammen mit etwa 60 anderen Verurteilten in einen Viehwaggon gesperrt, der für 8 Pferde vorgesehen war. Es war so eng, daß sich niemand setzen kann. //„Die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag über durften wir die Waggons nicht einmal verlassen. ... Die Männer mußten sich im Stehen entleeren. Der Gestank war unerträglich.“// ((Rawitsch, 41))  Mitte Dezember kamen sie in Irkutsk an, 5000 Männer wurden auf einem Kartoffelfeld versammelt. Nach drei Tagen gab es Winterkleidung, dann wurden sie in einer Reihe aneinander gekettet. 1.600 Kilometer Fußmarsch lagen vor ihnen. Ihr Ziel, das Lager 303 am Nordufer der Lena, etwa 350 Kilometer südlich von Irkutsk, erreichten sie nach zwei Monaten, im Februar 1941. ''Slavomir Rawitsch'', Leutnant der polnischen Kavallerie, wurde nach dem Zusammenbruch der polnischen Armee am 19.11.1939 von den Russen gefangengenommen, er war gerade 24 Jahre alt. Verhöre, Einzelhaft und Folter in den Gefängnissen von Minsk, Charkow und in der Lubjanka in Moskau gingen seiner Verurteilung voraus, die für ihn fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit in Sibirien vorsah. Ende November 1940 wurde er zusammen mit etwa 60 anderen Verurteilten in einen Viehwaggon gesperrt, der für 8 Pferde vorgesehen war. Es war so eng, daß sich niemand setzen kann. //„Die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag über durften wir die Waggons nicht einmal verlassen. ... Die Männer mußten sich im Stehen entleeren. Der Gestank war unerträglich.“// ((Rawitsch, 41))  Mitte Dezember kamen sie in Irkutsk an, 5000 Männer wurden auf einem Kartoffelfeld versammelt. Nach drei Tagen gab es Winterkleidung, dann wurden sie in einer Reihe aneinander gekettet. 1.600 Kilometer Fußmarsch lagen vor ihnen. Ihr Ziel, das Lager 303 am Nordufer der Lena, etwa 350 Kilometer südlich von Irkutsk, erreichten sie nach zwei Monaten, im Februar 1941.
 Vom ersten Tag an beschäftigte sich Rawitsch mit Fluchtgedanken, suchte vorsichtig tastend nach geeigneten Fluchtkameraden und fand schließlich sechs Fluchtwillige: den Amerikaner ''Smith'', einen Ingenieur, den man wegen Spionageverdacht zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt hatte; ''Eugen Zavo'', einen dreißig Jahre alten Jugoslawen, der zuletzt als Buchhalter tätig gewesen war; ''Anastasi Kolomenos'', einen blonden Hünen, 27 Jahre alt, der in Litauen einen Hof gehabt hatte; ''Sigmund Makowski'', 37 Jahre alt und Hauptmann der polnischen Armee; ''Zacharius Marchinkowas'', einen knapp dreißigjährigen Architekten aus Litauen und schließlich ''Anton Paluchowitsch'', 41 Jahre alt, einen polnischen Kavallerie-Feldwebel. Sie entschieden sich für eine Flucht nach Süden, Richtung Mongolei und weiter zum Himalaya. Dies ist mit 1.500 Kilometern zur mongolischen Grenze der zwar längste, aber auch der sicherste Weg, da wenig bevölkert und wenig kontrolliert.\\  Vom ersten Tag an beschäftigte sich Rawitsch mit Fluchtgedanken, suchte vorsichtig tastend nach geeigneten Fluchtkameraden und fand schließlich sechs Fluchtwillige: den Amerikaner ''Smith'', einen Ingenieur, den man wegen Spionageverdacht zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt hatte; ''Eugen Zavo'', einen dreißig Jahre alten Jugoslawen, der zuletzt als Buchhalter tätig gewesen war; ''Anastasi Kolomenos'', einen blonden Hünen, 27 Jahre alt, der in Litauen einen Hof gehabt hatte; ''Sigmund Makowski'', 37 Jahre alt und Hauptmann der polnischen Armee; ''Zacharius Marchinkowas'', einen knapp dreißigjährigen Architekten aus Litauen und schließlich ''Anton Paluchowitsch'', 41 Jahre alt, einen polnischen Kavallerie-Feldwebel. Sie entschieden sich für eine Flucht nach Süden, Richtung Mongolei und weiter zum Himalaya. Dies ist mit 1.500 Kilometern zur mongolischen Grenze der zwar längste, aber auch der sicherste Weg, da wenig bevölkert und wenig kontrolliert.\\ 
-Ihre Fluchtvorbereitungen waren relativ bescheiden, da die Umstände kaum mehr zuließen: Von ihrer Tagesration (1 kg Brot) trockneten sie täglich ein Viertel auf einem Ofen; organisierten sich ein wenig Mehl und Salz, Graupen und Tabak; jeden Tag stahlen sie von den zahlreichen Pelzen, die die sowjetischen Soldaten zum Trocknen aufhängten, ein Stück, und schneiderten sich daraus warme Kleidung, Mokassins, Gürtel, Riemen, Gamaschen und Balaklawa-Fellmützen (( Balaklawa-Mützen bedecken den ganzen Kopf, oft auch noch den Hals, und haben lediglich Löcher für Augen und Mund.)); sie konnten eine Axt erbeuten und Rawitsch schmiedete sich ein Messer aus den Resten einer gebrochenen Säge; aus Holz geschnitzte Löffel und ein einziger Aluminiumbecher bildeten das gesamte Kochgeschirr. Interessant ist ihre Methode, sich mangels Streichhölzern eine Art Feuerzeug zu basteln: //„Man verwendete das schwammartige Gubkamoos, das sich von den Bäumen abreißen läßt. Zum Feueranmachen braucht man dann nur noch einen gebrochenen Nagel und ein Stück Feuerstein. ((Dieses System wurde von den Russen „Chakkalo-bakkalo“ genannt.)) Das trockene Gubka, das wir alle vorrätig bei uns hatten, entzündete sich am Funken des Feuersteins und brannte, wenn es angeblasen wurde, mit schwelender Flamme.“// ((Rawitsch, 119))  Im April 1941 waren die Vorbereitungen abgeschlossen und in einer Nacht, als dichter Schneefall jede Sicht nahm und ihre Spuren rasch verdecken würde, entkamen die sieben über die gestaffelte Befestigungsanlage. Als besonderen Trick zogen sie ein Schaffell hinter sich her, damit sollte die Witterung der Hunde vom Menschen abgelenkt werden.\\ +Ihre Fluchtvorbereitungen waren relativ bescheiden, da die Umstände kaum mehr zuließen: Von ihrer Tagesration (1 kg Brot) trockneten sie täglich ein Viertel auf einem Ofen; organisierten sich ein wenig Mehl und Salz, Graupen und Tabak; jeden Tag stahlen sie von den zahlreichen Pelzen, die die sowjetischen Soldaten zum Trocknen aufhängten, ein Stück, und schneiderten sich daraus warme Kleidung, Mokassins, Gürtel, Riemen, Gamaschen und Balaklawa-Fellmützen (( Balaklawa-Mützen bedecken den ganzen Kopf, oft auch noch den Hals, und haben lediglich Löcher für Augen und Mund.)); sie konnten eine Axt erbeuten und Rawitsch schmiedete sich ein Messer aus den Resten einer gebrochenen Säge; aus Holz geschnitzte Löffel und ein einziger Aluminiumbecher bildeten das gesamte Kochgeschirr. Interessant ist ihre Methode, sich mangels Streichhölzern eine Art Feuerzeug zu basteln: //„Man verwendete das schwammartige Gubkamoos, das sich von den Bäumen abreißen läßt. Zum Feueranmachen braucht man dann nur noch einen gebrochenen Nagel und ein Stück Feuerstein. ((Dieses System wurde von den Russen „Chakkalo-bakkalo“ genannt.)) Das trockene Gubka, das wir alle vorrätig bei uns hatten, entzündete sich am Funken des Feuersteins und brannte, wenn es angeblasen wurde, mit schwelender Flamme.“// ((Rawitsch, 119))  Im April 1941 waren die Vorbereitungen abgeschlossen und in einer Nacht, als dichter Schneefall jede Sicht nahm und ihre Spuren rasch verdecken würde, entkamen die sieben über die gestaffelte Befestigungsanlage. Als besonderen [[wiki:kniff|Trick]] zogen sie ein Schaffell hinter sich her, damit sollte die Witterung der Hunde vom Menschen abgelenkt werden.\\ 
 Aus Angst vor Entdeckung liefen sie die ersten Tage nur nachts und gruben sich tags in Schneehöhlen ein. Zeitweise mußten sie in einem Meter tiefem Neuschnee spuren und erst, als sie tagsüber marschierten, erhöhten sie ihr Tagespensum auf bis zu fünfzig Kilometer. Manchmal konnten sie den kargen Speisezettel etwas aufbessern, so, als sie ein Loch in einen zugefrorenen Fluß hackten:  „Das Wasser quoll als Fontäne in die Höhe und strudelte eisig um unsere Füße. Und siehe da - vier Fische, so groß wie Heringe, kamen an die Oberfläche. Aufgeregt wie Schuljungen stürzten wir uns auf unsere Beute.“ ((Rawitsch, 132)) Ein andermal gelang es ihnen, einen sibirischen Hasen zu fangen. Rawitsch war der einzige, der sich auf Weidmannskunst und Jägerkniffe verstand, alle anderen waren Städter. Neun Tage nach ihrem Ausbruch erreichten sie die Lena, scheuen aber weiterhin die Begegnung mit Menschen: //„Die wenigen Straßen, auf die wir stießen, überquerten wir nur nach eingehender vorheriger Erkundung. Manchmal sahen wir nachts in der Ferne die Lichter eines Dorfes oder einer kleinen Stadt und am Tage die Umrisse von Häusern und rauchende hohe Schornsteine. In solchen Gegenden bewegten wir uns besonders vorsichtig.“// ((Rawitsch, 143)) Während die Wochen vergehen, schlich sich der Frühling ins Land, das Eis auf den Flüssen wurde dünner und machte oft das Durchschwimmen der Flußmitte nötig. Auf Höhe des Baikalsees schloß sich ihnen ein siebzehnjähriges polnisches Mädchen, Kristina, an, das ebenfalls ausgerissen war.\\  Aus Angst vor Entdeckung liefen sie die ersten Tage nur nachts und gruben sich tags in Schneehöhlen ein. Zeitweise mußten sie in einem Meter tiefem Neuschnee spuren und erst, als sie tagsüber marschierten, erhöhten sie ihr Tagespensum auf bis zu fünfzig Kilometer. Manchmal konnten sie den kargen Speisezettel etwas aufbessern, so, als sie ein Loch in einen zugefrorenen Fluß hackten:  „Das Wasser quoll als Fontäne in die Höhe und strudelte eisig um unsere Füße. Und siehe da - vier Fische, so groß wie Heringe, kamen an die Oberfläche. Aufgeregt wie Schuljungen stürzten wir uns auf unsere Beute.“ ((Rawitsch, 132)) Ein andermal gelang es ihnen, einen sibirischen Hasen zu fangen. Rawitsch war der einzige, der sich auf Weidmannskunst und Jägerkniffe verstand, alle anderen waren Städter. Neun Tage nach ihrem Ausbruch erreichten sie die Lena, scheuen aber weiterhin die Begegnung mit Menschen: //„Die wenigen Straßen, auf die wir stießen, überquerten wir nur nach eingehender vorheriger Erkundung. Manchmal sahen wir nachts in der Ferne die Lichter eines Dorfes oder einer kleinen Stadt und am Tage die Umrisse von Häusern und rauchende hohe Schornsteine. In solchen Gegenden bewegten wir uns besonders vorsichtig.“// ((Rawitsch, 143)) Während die Wochen vergehen, schlich sich der Frühling ins Land, das Eis auf den Flüssen wurde dünner und machte oft das Durchschwimmen der Flußmitte nötig. Auf Höhe des Baikalsees schloß sich ihnen ein siebzehnjähriges polnisches Mädchen, Kristina, an, das ebenfalls ausgerissen war.\\ 
 In der zweiten Juni-Woche überschritten sie die mongolisch-russische Grenze und bewegten sich auf die Kentei-Shen-Berge zu: in sechzig Tagen hatten sie zweitausend Kilometer zurückgelegt. Weiterhin waren die [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] knapp, oft hungerten sie tagelang. Vor Verlassen der Sowjetunion gruben sie auf einem Acker einen Zentner Frühkartoffel aus, manchmal fanden sie Pilze und einmal hatten sie das Glück, einen Hirsch erlegen zu können, der sich mit dem Geweih in der Krone eines umgestürzten Baumes verfangen hatte.\\  In der zweiten Juni-Woche überschritten sie die mongolisch-russische Grenze und bewegten sich auf die Kentei-Shen-Berge zu: in sechzig Tagen hatten sie zweitausend Kilometer zurückgelegt. Weiterhin waren die [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] knapp, oft hungerten sie tagelang. Vor Verlassen der Sowjetunion gruben sie auf einem Acker einen Zentner Frühkartoffel aus, manchmal fanden sie Pilze und einmal hatten sie das Glück, einen Hirsch erlegen zu können, der sich mit dem Geweih in der Krone eines umgestürzten Baumes verfangen hatte.\\ 
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 ==== Bei Kriegsausbruch im neutralen Ausland ==== ==== Bei Kriegsausbruch im neutralen Ausland ====
-Weltweit besteht nach einer Mobilmachung für jeden Deutschen die Pflicht, sich bei der nächsten deutschen Behörde zu melden, bei Konsulaten oder Botschaften. Wer seinen Wohnsitz im neutralen oder befreundeten Ausland hatte, bekam dort seinen Gestellungsbefehl zugestellt. Arthur Heye befand sich allein im Grenzgebiet zwischen Kenia und Tanzania, Hauer ist im Gebiet um den Tanganjikasee unterwegs, dennoch erreichen sie Boten mit dem Befehl, sich sofort bei der nächsten deutschen Behörde zu melden. Gustav Fruhmann, einen Österreicher, erreichte der Einberufungsbefehl in Südafrika:  //„Als Österreicher, der im Auslande lebte, hatte ich mich nämlich bei meinem Konsulat zur ärztlichen Untersuchung für den Militärdienst zu stellen und, wenn ich tauglich befunden wurde, einzurücken.“// ((Fruhmann, Im Frack um die Welt, 46)) Fruhmann war tauglich, gab im Februar 1899 seine Stelle auf, fuhr nach Kapstadt und schiffte sich nach Europa ein. Grundsätzlich galten für Deutsche im Ausland die gleichen Pflichten wie für die Deutschen im Heimatland. Zwischen allen Stühlen aber saß jemand wie Philip Rosenthal, der als Kind in den 30er Jahren mit seinen Eltern nach England emigriert war. Obwohl er immer noch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, kam eine Rückkehr jedoch keinesfalls in Frage.+Weltweit besteht nach einer Mobilmachung für jeden Deutschen die Pflicht, sich bei der nächsten deutschen Behörde zu melden, bei Konsulaten oder Botschaften. Wer seinen [[wiki:wohnsitz|Wohnsitz]] im neutralen oder befreundeten Ausland hatte, bekam dort seinen Gestellungsbefehl zugestellt. Arthur Heye befand sich allein im Grenzgebiet zwischen Kenia und Tanzania, Hauer ist im Gebiet um den Tanganjikasee unterwegs, dennoch erreichen sie Boten mit dem Befehl, sich sofort bei der nächsten deutschen Behörde zu melden. Gustav Fruhmann, einen Österreicher, erreichte der Einberufungsbefehl in Südafrika:  //„Als Österreicher, der im Auslande lebte, hatte ich mich nämlich bei meinem Konsulat zur ärztlichen Untersuchung für den Militärdienst zu stellen und, wenn ich tauglich befunden wurde, einzurücken.“// ((Fruhmann, Im Frack um die Welt, 46)) Fruhmann war tauglich, gab im Februar 1899 seine Stelle auf, fuhr nach Kapstadt und schiffte sich nach Europa ein. Grundsätzlich galten für Deutsche im Ausland die gleichen Pflichten wie für die Deutschen im Heimatland. Zwischen allen Stühlen aber saß jemand wie Philip Rosenthal, der als Kind in den 30er Jahren mit seinen Eltern nach England emigriert war. Obwohl er immer noch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, kam eine Rückkehr jedoch keinesfalls in Frage.
  
 Reisende befanden sich in einer der drei folgenden Situationen: Reisende befanden sich in einer der drei folgenden Situationen:
wiki/flucht.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/07 06:46 von norbert

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