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wiki:der_weise_narr

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Der weise Narr

Der in der Moderne alleingültige Weg zur Weisheit bedient sich seit der Aufklärung der Vernunft. Erasmus meinte allerdings in seinem Lob der Torheit 1), dass die Vernunft ergänzt werden müsse und nannte den weisen Mann, der diesen Weg ginge, einen Morosophen im Unterschied zum Philosophen. Den Begriff Morosophoï prägte sein Vorbild, der Satiriker Lukian von Samosate (um 120 bis 180 BC). In manchen Staaten werden heute noch Schüler und Studenten im zweiten Jahr der Ausbildung als Sophomores bezeichnet (griechisch σοφός sophós ‚weise‘ und μωρός mōrós `närrisch‘). Die Erfahrung, dass die Welt getäuscht sein will und Illusionen liebt, zeigt den Sieg der Torheit über die Vernunft: Englisch fool, jester, prankster, storyteller, minstrel, altertümlich: disour, buffoon, bourder; im antiken Rom balatro 2). Wahr daran bleibt, dass auch die Vernunft der Phantasie bedarf, damit der Möglichkeitssinn unbekannte Räume und phantastische Orte erkunden kann, damit das Prinzip der Serendipity wirken kann.
Ob satirisch oder nicht, die seit Jahrtausenden beliebten Geschichten weiser Narren legen nahe darin einen archetypischen Zug der menschlichen Psyche zu erkennen, der jedem vertraut ist und der mit dem Trickster verwandt ist. Charakteristisch für ihn ist, dass er immer ein Einzelner ist, meist ein Heimatloser, ein unstet wandernder Reisender, manchmal ein Wandermönch oder ein Wanderpoet.
Der weise Narr ist eine in vielen Kulturen verbreitete Figur überlieferter Erzählungen:

  • Till Eulenspiegel, der zwischen 1300 und 1350 im Norddeutschen gelebt haben soll (Dyl Ulenspegel);
    • Blamires, David: Reflections on Some Recent „Ulenspiegel“ Studies. The Modern Language Review 77, 2 (1982) 351-60. doi:10.2307/3726817.
    • Bert Peleman (Hg.): In het spoor van Uilenspiegel, schalk en vrijheidsheld, Hasselt Uitg. Heideland 1968, 299 p. ill. Frans Masereel, niederl., dt., franz., engl.
    • Daniel Kehlmann: Tyll. Roman. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt 2017
    • Albert Wesselski: Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Ein fröhliches Buch – trotz Tod und Tränen. Titel und Einband von Hugo Steiner-Prag. Insel Leipzig 1910.
  • Hersch Ostropoler (1757 - 1811, הערשעלע אסטראפאלער) war ein in der Ukraine geborener (Schalk? Narr? Spaßmacher? Komiker?), dessen Wirken gleichwohl nur anekdotisch in jiddischen Erzählungen überliefert ist, jedoch Teil der jiddischen Folklore geworden ist.
    • Chajim Bloch: Hersch Ostropoler – Ein jüdischer Till Eulenspiegel des 18. Jahrhunderts. Benjamin Harz Verlag, Berlin 1921.
  • Hodscha/Mulla/Effendi Nasreddin ( نصر الدين خواجه ), möglicherweise eine historische Person des 14. Jahrhunderts mit Bezug zum gleichnamigen Mausoleum in Akşehir. Als Figur insbesondere im islamisch-osmanischen Raum um die Türkei von Nordafrika bis Zentralasien verbreitet; die ihm zugeschriebenen Geschichten sind allesamt mündlich überliefert. Im Verbreitungsraum seiner Geschichten verschmelzen Anekdoten und Figur mit verwandten Figuren unter den Namen جحا juḥā im Arabischen, Giufà im südlichen Italien, als Abunuwasi in Swahili und in Indonesien, während er als Effendi > Afanti in Zentralasien bekannt war und über das Uigurischen ins Chinesische gelangte: 阿凡提 (Āfántí) und 阿方提 (Āfāngtí).
    • Wesselski, Albert: Der Hodscha Nasreddin; türkische, arabische, berberische, maltesische, sizilianische, kalabrische, kroatische, serbische und griechische Märlein und Schwänke. Weimar 1911: A. Duncker. Bd. 3 & 4 LII, 284; VIII, 266 Seiten
    • „Quelle est la nationalité de Nasreddin Hodja – est-il turc, avar, tatar, tadjik, persan ou ousbek? Plusieurs peuples d'Orient se disputent sa nationalité, parce qu'ils considerent qu'il leur appartient.“ in: İlhan Başgöz, Studies in Turkish folklore, in honor of Pertev N. Boratav, Indiana University, 1978, S. 215.
    • Fiorentini, Gianpaolo: Nasreddin, una biografia possibile. Storie di Nasreddin. Toronto 2004: Libreria Editrice Psiche. ISBN 978-88-85142-71-8.
  • Abu Nuwas im ostafrikanischen Raum;
  • Andare auf Sri Lanka;
  • Badartschin im mongolischen Raum;
  • Sri Thanonchai im südostasiatischen Raum um Thailand;
  • Pak Pandir im malaiischen Raum;
  • Kabayan im Westen der Insel Java
  • Onkel Tompa (Akhu Tönpa) im tibetischen Raum
    • Mchog Dge Legs, Kun, Dpal Ldan Bkra Shis, Kevin Stuart: Tibetan Tricksters. Asian Folklore Studies. 1st ed. Vol. 58. N.p.: Nanzan U, 1999. 5-30
    • Rinjing Dorje, Addison G. Smith, Hans G. Behr: Die tolldreisten Geschichten von Onkel Tompa, dem schlimmen Schalk aus Tibet. Sphinx Verlag, Basel 1983
  • Lama Drugpa Künleg im buddhistischen Raum
  • Hitar Petar oder Itar Pejo im Bulgarischen (Хитър Петър) und Makedonischen (Итар Пејо)
  • Buhlul (arab. بُهلُول, `der Besessene´) al-madschnūn (`der Verrückte´) (um 749 - 805), ein Sufi und Musiker in Kufa am Euphrat
    • Ulrich Marzolph: Der weise Narr Buhlul (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes). Steiner Verlag, Wiesbaden 1983, ISBN 978-3-515-03908-6

Literatur

  • Ulrich Holbein
    Heilige Narren. 22 Lebensbilder. Marix Verlag, Wiesbaden 2012
  • Otto, Beatrice K.
    Fools Are Everywhere: The Court Jester Around the World.
    Chicago University Press, 2001
  • Billington, Sandra
    A Social History of the Fool.
    The Harvester Press, 1984. ISBN 0-7108-0610-8
  • Kaiser, Walter
    Wisdom of the Fool.
    New Dictionary of the History of Ideas. Horowitz, Maryanne Cline, 1945-. [New York?] 2005: Charles Scribner's Sons. Band 4, 515–520. ISBN 978-0684313771.
  • Profantová, Zuzana
    The Wise Fool in the Slovak Oral and Literary Tradition. Múdry hlupák v slovenskej ústnej a literárnej tradícii.
    Studia Mythologica Slavica. 12 (2009-10-19): 387–399. doi:10.3986/sms.v12i0.1681. ISSN 1581-128X.
  • Phan, Peter C.
    The Wisdom of Holy Fools in Postmodernity.
    Theological Studies 62.4 (2001)) 730–752. doi:10.1177/004056390106200403
  • Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit. Eine Lehrrede.
    Übersetzt aus dem Lateinischen und Nachwort von Kurt Steinmann. Manesse-Verlag, Zürich 2002, ISBN 3-7175-1992-1
  • Astrid Nettling
    Erasmus von Rotterdam: Ein „Lob der Torheit“ für die Erneuerung des Glaubens. Deutschlandfunk 01.05.2015
1)
Lateinisch Moriae encomium, auch: Lob der Narrheit, griech. Laus stultitiae, Paris 1511
2)
Horaz: Satiren 2.2
wiki/der_weise_narr.1636780445.txt.gz · Zuletzt geändert: 2021/11/13 05:14 von norbert

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