Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


wiki:zeit_musse

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.

Link zu der Vergleichsansicht

Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorherige Überarbeitung
Nächste ÜberarbeitungBeide Seiten, nächste Überarbeitung
wiki:zeit_musse [2018/06/09 16:14] – [Auf der Höhe unserer Zeit?] norbertwiki:zeit_musse [2019/11/04 19:07] – [Abfahren: Zeit fürs Reisen] norbert
Zeile 1: Zeile 1:
 ====== Abfahren: Zeit fürs Reisen ====== ====== Abfahren: Zeit fürs Reisen ======
-Norbert Lüdtke ©\\  +''Norbert Lüdtke'', zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift [[wiki:der_trotter|DER TROTTER]] Ausgabe 125 (2007) als Teil der Artikelreihe [[wiki:wir_globetrotter|Wir Globetrotter]]
-Zuerst veröffentlicht in DER TROTTER Ausgabe 125 (2007) DZG\\  +
-als Teil der Artikelreihe //Wir Globetrotter//+
  
-»Verliere nicht Deine Zeit damit, dein Leben zu verdienen. Verdiene deine Zeit, rette dein Leben.«\\  +  »Verliere nicht Deine Zeit damit, dein Leben zu verdienen. 
-(''Lanza del Vasto''//Weisheit der Landstraße//)\\  +  Verdiene deine Zeit, rette dein Leben.« 
-Aus Eiern und Milch, Zucker und Aromen kann ein Pfannkuchen entstehen – oder ein Schlamassel. Mit etwas Gefühl und Erfahrung entsteht daraus ein Soufflé, dem Künstler gelingt gar eine einzigartige Delikatesse. Ähnlich geht es dem Reisen mit den notwendigen Zutaten Zeit & Geld, Ausrüstung & Know-How. Jeder kann etwas daraus machen. Doch in der Art und Weise, wie Globetrotter sie arrangieren und komponieren, entsteht daraus etwas Besonderes oder gar Einzigartiges. Daran läßt sich insbesondere erkennen, wie Reisende mit der wichtigsten Zutat umgehen, der Zeit. Die Qualität einer Reise läßt sich an der Dauer festmachen (Teil A). Doch Reisen, rise-on, sich erheben, setzt vorangegangenes Niederlassen voraus, also wird es bestimmt vom Verhältnis zu Arbeit und Konsum (Teil B). Schwieriger zu erkennen ist der Grad der Selbstbestimmung (Teil C) oder gar das Bewußtsein für diese Zeit des Reisens (Teil D).+  Lanza del Vasto, Weisheit der Landstraße 
 +Aus Eiern und Milch, Zucker und Aromen kann ein Pfannkuchen entstehen – oder ein Schlamassel. Mit etwas Gefühl und Erfahrung entsteht daraus ein Soufflé, dem Künstler gelingt gar eine einzigartige Delikatesse. Ähnlich geht es dem [[wiki:reisen|Reisen]] mit den notwendigen Zutaten [[wiki:zeit_musse|Zeit]] & Geld, [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] & Know-How. Jeder kann etwas daraus machen. Doch in der Art und Weise, wie [[wiki:globetrotter|Globetrotter]] sie arrangieren und komponieren, entsteht daraus etwas Besonderes oder gar Einzigartiges. Daran läßt sich insbesondere erkennen, wie [[wiki:reisende|Reisende]] mit der wichtigsten Zutat umgehen, der Zeit. Die Qualität einer Reise läßt sich an der Dauer festmachen (Teil A). Doch Reisen, rise-on, sich erheben, setzt vorangegangenes Niederlassen voraus, also wird es bestimmt vom Verhältnis zu Arbeit und Konsum (Teil B). Schwieriger zu erkennen ist der Grad der Selbstbestimmung (Teil C) oder gar das Bewußtsein für diese Zeit des Reisens (Teil D).
  
 ===== A. Langzeitreisen ===== ===== A. Langzeitreisen =====
Zeile 15: Zeile 14:
  
 ==== Keine Zeit ==== ==== Keine Zeit ====
-Du kommst von einer langen Reise zurück in heimatliche Gefilde. Die erste Frage der zurückgebliebenen Anderen: »Wie war’s?« — Was erwarten die? Ein halbes Jahr in einem Satz? Vermutlich ja. Etwas später, seufzend: »Ach ja, das würde ich auch gerne machen, ABER: ich habe nicht so viel Zeit (wie Du).« Der Gründer des Sierra Club, John Muir ((John Muir (* 21. April 1838 Dunbar, Schottland, † 24. Dezember 1914 Martinez, Kalifornien). Naturforscher, Naturschützer, Wildnisforscher in der Sierra Nevada und in den Gletschern Alaskas. 1892 gründete er den Sierra Club und war dessen Präsident bis 1914 Quelle: www.wikipedia.de, www.sierraclub.org)), beschrieb solche Leute als //»the ‘time-poor’ – people who were so obsessed with tending their material wealth and social standing that they couldn’t spare the time to truly experience …«//\\ (www.vagabonding.net/excerpt/)+Du kommst von einer langen Reise zurück in heimatliche Gefilde. Die erste Frage der zurückgebliebenen Anderen: »Wie war’s?« — Was erwarten die? Ein halbes Jahr in einem Satz? Vermutlich ja. Etwas später, seufzend: »Ach ja, das würde ich auch gerne machen, ABER: ich habe nicht so viel Zeit (wie Du).« Der Gründer des Sierra Club, John Muir ((''John Muir'' (* 21. April 1838 Dunbar, Schottland, † 24. Dezember 1914 Martinez, Kalifornien). Naturforscher, Naturschützer, Wildnisforscher in der Sierra Nevada und in den Gletschern Alaskas. 1892 gründete er den Sierra Club und war dessen Präsident bis 1914 Quelle: www.wikipedia.de, www.sierraclub.org)), beschrieb solche Leute als //»the ‘time-poor’ – people who were so obsessed with tending their material wealth and social standing that they couldn’t spare the time to truly experience …«//\\ (www.vagabonding.net/excerpt/)
 Wer sonst soll ihre Zeit haben? Und warum haben die einen mehr und die anderen weniger? Wir können Geld, Materie, Energie anhäufen, sparen und gezielt einsetzen. Allein die Zeit entzieht sich und geht dahin. Sie ist eine Ressource, die durch nichts ersetzt werden kann. Lebenszeit gibt es nur einmal. Zeitverschwendung sei die einzige Todsünde, soll Goethe gesagt haben. Daran, wie Lebenszeit für etwas eingesetzt wird, zeigen sich Wertvorstellungen eindeutig. Wer sonst soll ihre Zeit haben? Und warum haben die einen mehr und die anderen weniger? Wir können Geld, Materie, Energie anhäufen, sparen und gezielt einsetzen. Allein die Zeit entzieht sich und geht dahin. Sie ist eine Ressource, die durch nichts ersetzt werden kann. Lebenszeit gibt es nur einmal. Zeitverschwendung sei die einzige Todsünde, soll Goethe gesagt haben. Daran, wie Lebenszeit für etwas eingesetzt wird, zeigen sich Wertvorstellungen eindeutig.
  
Zeile 26: Zeile 25:
  
 ==== Erlaubte freie Zeit ==== ==== Erlaubte freie Zeit ====
 +Globetrotter sind etwas Besonderes. Jeder Mensch ist etwas Besonderes. Und die meisten wollen das auch zeigen: //Mein Haus, Mein Auto, Mein Boot, Mein Urlaub//. Urlaub gilt als »schönste Zeit des Jahres«. Wenn Urlaubszeit so schön ist, weshalb übernehmen wir diese Erfahrungen dann nicht für den Rest des Jahres? Weil, erstens, Urlaub dem Wortsinne nach nichts anderes ist als die Erlaubnis (!), sich vorübergehend (!) aus einem Abhängigkeits(!)verhältnis zu entfernen. Urlaub ist erlaubte freie Zeit, die Rückkehr Pflicht. Das Bedauern über die Rückkehr ist wohl geheuchelt, denn die gesicherten und geordneten Verhältnisse bieten viele Vorteile. Nur wer weiß, daß er auf gesicherte Verhältnisse zurückschauen kann, fährt in Urlaub.\\ 
  
-Globetrotter sind etwas Besonderes. Jeder Mensch ist etwas Besonderes. Und die meisten wollen das auch zeigen: Mein Haus, Mein Auto, Mein Boot, Mein Urlaub. Urlaub gilt als »schönste Zeit des Jahres«. Wenn Urlaubszeit so schön ist, weshalb übernehmen wir diese Erfahrungen dann nicht für den Rest des Jahres? Weil, erstens, Urlaub dem Wortsinne nach nichts anderes ist als die Erlaubnis (!), sich vorübergehend (!) aus einem Abhängigkeits(!)verhältnis zu entfernen. Urlaub ist erlaubte freie Zeit, die Rückkehr Pflicht. Das Bedauern über die Rückkehr ist wohl geheuchelt, denn die gesicherten und geordneten Verhältnisse bieten viele Vorteile. Nur wer weiß, daß er auf gesicherte Verhältnisse zurückschauen kann, fährt in Urlaub. +//»Gestattet ist einzig das Verweilen an Orten, wo man Produkte und Dienstleistungen konsumieren muß.«// ((''Duccio Canestrini'': //Schießen Sie nicht auf den Touristen//! Diaphanes Verlag Zürich/Berlin 2006)) Bekanntlich erreicht nur ein äußerst kleiner Teil der touristischen Ausgaben das Urlaubsland. Und so bleibt der Konsument auch im Urlaub Teil des heimatlichen Wirtschaftssystems. 90% des Jahres werden also Verhältnisse akzeptiert, von denen man sich allein im Urlaub befreit fühlen darf, ohne es zu sein. 
-»Gestattet ist einzig das Verweilen an Orten, wo man Produkte und Dienstleistungen konsumieren muß.« ((''Duccio Canestrini'': //Schießen Sie nicht auf den Touristen//! Diaphanes Verlag Zürich/Berlin 2006)) Bekanntlich erreicht nur ein äußerst kleiner Teil der touristischen Ausgaben das Urlaubsland. Und so bleibt der Konsument auch im Urlaub Teil des heimatlichen Wirtschaftssystems. 90% des Jahres werden also Verhältnisse akzeptiert, von denen man sich allein im Urlaub befreit fühlen darf, ohne es zu sein. + 
-Freizeit +==== Freizeit ==== 
-Der demonstrative Müßiggang war bis ins 19. Jahrhundert eine Demonstration des Adels, »Zeit zu haben«. Für die meisten war selbstbestimmte Freizeit ein knappes Gut, anstrebenswert und wertvoll. Die proletarischen »Brüder«, die zur Sonne, zur Freiheit aufbrachen, vereinten sich in ihrer knappen Freizeit, etwa in Naturfreundejugend, Partei oder Gewerkschaft. Das gemeinschaftliche Wandern in die aufgehende Sonne war eine politische Handlung hin zur Utopie der freien Zeit, fort von der Formel des industriellen Proletariats: Lebenszeit=Erwerbszeit, von der Wiege bis zur Bahre.  +Der demonstrative Müßiggang war bis ins 19. Jahrhundert eine Demonstration des Adels, »Zeit zu haben«. Für die meisten war selbstbestimmte Freizeit ein knappes Gut, anstrebenswert und wertvoll. Die proletarischen »Brüder«, die zur Sonne, zur Freiheit aufbrachen, vereinten sich in ihrer knappen Freizeit, etwa in Naturfreundejugend, Partei oder Gewerkschaft. Das gemeinschaftliche Wandern in die aufgehende Sonne war eine politische Handlung hin zur Utopie der freien Zeit, fort von der Formel des industriellen Proletariats: Lebenszeit=Erwerbszeit, von der Wiege bis zur Bahre.\\  
-Politische Strategien bewirken heute, daß die Menschen angehalten werden, mit ihrer Lebenszeit effektiver umzugehen. So wird etwa die Zeit bis zum Abitur um ein Jahr gekürzt, Studiengänge gestrafft. Die Wochenarbeitszeit verlängert sich wieder, ebenso die Lebensarbeitszeit. Feiertage werden gestrichen, der Sonntag ist nicht mehr heilig. Kurzurlaubende Nordamerikaner und Japaner sind vorbildhaft. Kindertagesplätze werden gefordert, damit sich die Eltern arbeitend verwirklichen können. Der »Wohlfahrtsstaat« kürzt die erkämpfte freie Zeit. +Politische Strategien bewirken heute, daß die Menschen angehalten werden, mit ihrer Lebenszeit effektiver umzugehen. So wird etwa die Zeit bis zum Abitur um ein Jahr gekürzt, Studiengänge gestrafft. Die Wochenarbeitszeit verlängert sich wieder, ebenso die Lebensarbeitszeit. Feiertage werden gestrichen, der Sonntag ist nicht mehr heilig. Kurzurlaubende Nordamerikaner und Japaner sind vorbildhaft. Kindertagesplätze werden gefordert, damit sich die Eltern arbeitend verwirklichen können. Der »Wohlfahrtsstaat« kürzt die erkämpfte freie Zeit.\\  
-Andererseits haben mehrere Millionen Menschen in Deutschland keine Arbeit, jedoch viel Freizeit. Eine Schicht von Langzeitarbeitslosen lebt ohne existenzielle Not und erfährt teilweise bereits in zweiter Generation: Lebenszeit=Freizeit. Viele haben Probleme, ihre freie Zeit sinnvoll zu füllen und widmen sich allem, was billig ist und dick macht. Suff & Qualm, Computerballerei & Ballermann, Fast-Food & Fast-Flug … Der Milieu-Soziologe Carsten Ascheberg ((www.sigma-online.com)) identifiziert eine »hedonistische Unterschicht«, konsumbegeistert und von Werbung leicht zu überzeugen. Ein »abgehängtes Prekariat« ((Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung www.fes.de/aktuell/documents/ 61017_Gesellschaft_im_Reformprozess_komplett.pdf)) umfaßt sozial ausgeschlossene Menschen, rund acht Prozent der Bevölkerung Deutschlands. Reiseveranstalter bieten bereits Hartz-IV-Reisen an, schreibt der Spiegel.+Andererseits haben mehrere Millionen Menschen in Deutschland keine Arbeit, jedoch viel Freizeit. Eine Schicht von Langzeitarbeitslosen lebt ohne existenzielle Not und erfährt teilweise bereits in zweiter Generation: Lebenszeit=Freizeit. Viele haben Probleme, ihre freie Zeit sinnvoll zu füllen und widmen sich allem, was billig ist und dick macht. Suff & Qualm, Computerballerei & Ballermann, Fast-Food & Fast-Flug … Der Milieu-Soziologe Carsten Ascheberg ((www.sigma-online.com)) identifiziert eine »hedonistische Unterschicht«, konsumbegeistert und von Werbung leicht zu überzeugen. Ein »abgehängtes Prekariat« ((Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung www.fes.de/aktuell/documents/ 61017_Gesellschaft_im_Reformprozess_komplett.pdf)) umfaßt sozial ausgeschlossene Menschen, rund acht Prozent der Bevölkerung Deutschlands. Reiseveranstalter bieten bereits Hartz-IV-Reisen an, schreibt der Spiegel.\\ 
 Ob die freie Zeit selbstbestimmt genutzt wird, darf bezweifelt werden, eher handelt es sich um Mißbrauch von Freizeit. Sobald die psychosozialen Folgen allgemein wahrnehmbar werden, greift der Gesetzgeber ein: Fahrverbot & Kfz-Steuer, Rauchverbot & Tabaksteuer, Klimaschutz & Kerosinsteuer, … Wer fliegt, ist schuld am Klimawandel. Konsumbeschränkungen stoßen indessen auf Widerstand der Wirtschaft: Mehr, mehr, mehr soll es werden! Reisekultur? Im harmonischen Wechselspiel von Werbung und Trieben bleibt die Kultur auf der Reservebank. Ob die freie Zeit selbstbestimmt genutzt wird, darf bezweifelt werden, eher handelt es sich um Mißbrauch von Freizeit. Sobald die psychosozialen Folgen allgemein wahrnehmbar werden, greift der Gesetzgeber ein: Fahrverbot & Kfz-Steuer, Rauchverbot & Tabaksteuer, Klimaschutz & Kerosinsteuer, … Wer fliegt, ist schuld am Klimawandel. Konsumbeschränkungen stoßen indessen auf Widerstand der Wirtschaft: Mehr, mehr, mehr soll es werden! Reisekultur? Im harmonischen Wechselspiel von Werbung und Trieben bleibt die Kultur auf der Reservebank.
  
Zeile 43: Zeile 43:
 ===== C. Muße ===== ===== C. Muße =====
 Weder Freizeit noch Auszeit, weder produktiv noch konsumtiv, bedeutete Muße ursprünglich eine Zeit, die ihren Wert aus sich selbst schöpft. Sie ist eben keine »besonders raffinierte Form des Hervorlockens schöpferischer Reserven und Arbeitsprozesse …, noch Erholung oder Entspannung im Sinne einer Reproduktion von Arbeitskraft« ((''Erich Ribolits'', //Die Arbeit hoch? Berufspädagogische Streitschrift wider die Totalverzweckung des Menschen im Post-Fordismus//. 2. A., München/Wien (Profil) 1997. www.streifzuege.org/texte_andere/str_autor_ribolits_nicht-frei.html)) Muße ((http://otium-bremen.de)) meint aber auch weder Faulheit noch Untätigkeit. Sie ist eine Zeit, die man dem Dasein widmet, kreativ, selbstbestimmt, in der man das Eigene tut. Weder Freizeit noch Auszeit, weder produktiv noch konsumtiv, bedeutete Muße ursprünglich eine Zeit, die ihren Wert aus sich selbst schöpft. Sie ist eben keine »besonders raffinierte Form des Hervorlockens schöpferischer Reserven und Arbeitsprozesse …, noch Erholung oder Entspannung im Sinne einer Reproduktion von Arbeitskraft« ((''Erich Ribolits'', //Die Arbeit hoch? Berufspädagogische Streitschrift wider die Totalverzweckung des Menschen im Post-Fordismus//. 2. A., München/Wien (Profil) 1997. www.streifzuege.org/texte_andere/str_autor_ribolits_nicht-frei.html)) Muße ((http://otium-bremen.de)) meint aber auch weder Faulheit noch Untätigkeit. Sie ist eine Zeit, die man dem Dasein widmet, kreativ, selbstbestimmt, in der man das Eigene tut.
-In einer solchen Zeit sind unsere Reisen zu suchen. Der globale Flaneur gönnt sich die Muße zu verweilen, weil der Augenblick so schön ist, er läßt die Welt passieren. Reisen wird zum Mantra von Aufbrüchen und Ankünften, im eigenen Rhythmus schwingend. Die Wahl zu haben, entscheiden zu können, empfinden Globetrotter als Freiheit (dazu in dieser Serie später mehr).+In einer solchen Zeit sind unsere Reisen zu suchen. Der globale * [[wiki:Flaneur|Flaneur]] gönnt sich die Muße zu verweilen, weil der Augenblick so schön ist, er läßt die Welt passieren. Reisen wird zum Mantra von Aufbrüchen und Ankünften, im eigenen Rhythmus schwingend. Die Wahl zu haben, entscheiden zu können, empfinden Globetrotter als Freiheit (dazu in dieser Serie später mehr).
  
 ==== Selbstbestimmte Zeit ==== ==== Selbstbestimmte Zeit ====
Zeile 57: Zeile 57:
  
 ===== D. Ein Bewußtsein der Zeit ===== ===== D. Ein Bewußtsein der Zeit =====
-»Jetzt sieh dir die Leute da vorn an. Sie machen sich Sorgen, sie zählen die Meilen, überlegen sich, wo sie heute nacht schlafen werden, wie viel Benzin sie sich leisten können, wie das Wetter wird, ob sie gut ankommen werden – und dabei kommen sie doch ganz von selber an, nicht wahr? Aber sie müssen sich Sorgen machen und die Zeit verraten mit falschen Dringlichkeiten, aus winselnder Angst, ihre Seelen werden nie Frieden finden, ehe sie nicht einen Grund zu echter, handfester Sorge entdeckt haben und kaum haben sie den Grund gefunden, machen sie auch das passende Gesicht dazu und laufen damit herum, ein unglückliches Gesicht, wie du siehst und die ganze Zeit fliegt das alles an ihnen vorüber, und sie wissen es und auch das macht ihnen Sorgen ohne Ende. Hörst du, hörst du?« ((''Jack Kerouac'': //On the Road//, S. 256, Reinheit der Landstraße))\\  +//»Jetzt sieh dir die Leute da vorn an. Sie machen sich Sorgen, sie zählen die Meilen, überlegen sich, wo sie heute nacht schlafen werden, wie viel Benzin sie sich leisten können, wie das Wetter wird, ob sie gut ankommen werden – und dabei kommen sie doch ganz von selber an, nicht wahr? Aber sie müssen sich Sorgen machen und die Zeit verraten mit falschen Dringlichkeiten, aus winselnder Angst, ihre Seelen werden nie Frieden finden, ehe sie nicht einen Grund zu echter, handfester Sorge entdeckt haben und kaum haben sie den Grund gefunden, machen sie auch das passende Gesicht dazu und laufen damit herum, ein unglückliches Gesicht, wie du siehst und die ganze Zeit fliegt das alles an ihnen vorüber, und sie wissen es und auch das macht ihnen Sorgen ohne Ende. Hörst du, hörst du?«// ((''Jack Kerouac'': //On the Road//, S. 256, Reinheit der Landstraße))\\  
-Das Dasein als In-der-Welt-sein ist bestimmt von der Sorge, deren Sinn in der Zukunft zu suchen ist ((''Martin Heidegger'': //Sein und Zeit//. Niemeyer, Halle/Saale 1927)). Ohne Zeitbewußtsein gibt es keine Sorge. Jeder von uns hat diesen Zustand erlebt, die meisten haben ihn vergessen. Bis zum Alter von 18 Monaten leben Kinder nur in der Gegenwart. Erst mit etwa 6-8 Jahren können sie vergangene und zukünftige Distanzen abschätzen und die Zeit einteilen. ((''J.Piaget'': //Die Bildung des Zeitbegriffs beim Kinde//, Zürich 1955)) Obwohl das Zeitbewußtsein den Menschen auszeichnet, muß es sich im Laufe der ersten Lebensjahre erst entwickeln. ((Regine Kather: aaO))\\  + 
-//»Was ist also >Zeit<? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht.«// ((Augustinus, Bekenntnisse, 11. Buch)) Nur weil wir uns an Vergangenes erinnern, Zukünftiges erwarten und beides miteinander verknüpfen können, lassen sich Zeiten messen, meint Augustinus. Er erörterte als erster die unverzichtbare Funktion des Gedächtnisses für die Zeitwahrnehmung. Der Eindruck, daß ein Ereignis weit zurückliege, eine Reise lange gedauert habe oder eine ersehnte Begegnung kurz bevorstünde, sei nämlich nicht an den Geschehnissen selbst ablesbar. ((''Regine Kather'': //Über die Zeit//. In: Mensch, Natur, Technik, Bd.6: Die Zukunft unseres Planeten, Hg.: Brockhaus, Leipzig/ 2000, 14-47. [www.akademieforum.de/grenzfragen/open/Grundlagen/Ka_Zeit/text.htm#_ftnref3]))\\  +Das Dasein als In-der-Welt-sein ist bestimmt von der Sorge, deren Sinn in der Zukunft zu suchen ist ((''Martin Heidegger'': //Sein und Zeit//. Niemeyer, Halle/Saale 1927)). Ohne Zeitbewußtsein gibt es keine Sorge. Jeder von uns hat diesen Zustand erlebt, die meisten haben ihn vergessen. Bis zum Alter von 18 Monaten leben Kinder nur in der Gegenwart. Erst mit etwa 6-8 Jahren können sie vergangene und zukünftige Distanzen abschätzen und die Zeit einteilen. ((''J.Piaget'': //Die Bildung des Zeitbegriffs beim Kinde//, Zürich 1955)) Obwohl das Zeitbewußtsein den Menschen auszeichnet, muß es sich im Laufe der ersten Lebensjahre erst entwickeln. ((''Regine Kather'': aaO))\\  
-Der erwachsen gewordene Mensch sehnt sich nach einem Ausweg aus der Besorgnis (»glückliche Kindheit«). Der »Philosophenkaiser« Marc Aurel empfahl das Nachdenken über den Tod. Die Stoiker unternahmen einen imaginären Flug ins All, um zu sehen, wie klein und unbedeutend war, was bedrückend und groß erschien. Das ist der Gewinn des Blicks von ferne. ((Der Ethikrat. //Diesmal für: Urlauber, im Stress.  Philosophische Hilfestellungen// 7. Folge, DIE ZEIT)) Meister Eckhart lehrte unter anderem die Achtsamkeit, wie sie auch in traditionellen östlichen Weisheitslehren wie dem Buddhismus tradiert werden. Der islamische Sufismus gibt ähnliche Anweisungen für den »Weg der Derwische«. Dabei wird der Wechsel in das Gegenwartsbewusstsein als Erleuchtungserfahrung bezeichnet. Plotin beschreibt diesen Zustand durch Selbsterkenntnis, Gegenwärtigkeit und das Loslassen von Wünschen und Zukunftsvorstellunge, als eine raum- und zeitlose Gleichzeitigkeit. ((Nach Wikipedia, Stichwort Zeit (Philosophie)))\\ +//»Was ist also >Zeit<? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht.«// ((''Augustinus'', Bekenntnisse, 11. Buch)) Nur weil wir uns an Vergangenes erinnern, Zukünftiges erwarten und beides miteinander verknüpfen können, lassen sich Zeiten messen, meint Augustinus. Er erörterte als erster die unverzichtbare Funktion des Gedächtnisses für die Zeitwahrnehmung. Der Eindruck, daß ein Ereignis weit zurückliege, eine Reise lange gedauert habe oder eine ersehnte Begegnung kurz bevorstünde, sei nämlich nicht an den Geschehnissen selbst ablesbar. ((''Regine Kather'': //Über die Zeit//. In: Mensch, Natur, Technik, Bd.6: Die Zukunft unseres Planeten, Hg.: Brockhaus, Leipzig/ 2000, 14-47. [www.akademieforum.de/grenzfragen/open/Grundlagen/Ka_Zeit/text.htm#_ftnref3]))\\  
 + 
 +Der erwachsen gewordene Mensch sehnt sich nach einem Ausweg aus der Besorgnis (»glückliche Kindheit«). Der »Philosophenkaiser« Marc Aurel empfahl das Nachdenken über den [[wiki:grenze_zwischen_leben_und_tod|Tod]]. Die Stoiker unternahmen einen imaginären Flug ins All, um zu sehen, wie klein und unbedeutend war, was bedrückend und groß erschien. Das ist der Gewinn des Blicks von ferne. ((Der Ethikrat. //Diesmal für: Urlauber, im Stress.  Philosophische Hilfestellungen// 7. Folge, DIE ZEIT)) Meister Eckhart lehrte unter anderem die Achtsamkeit, wie sie auch in traditionellen östlichen Weisheitslehren wie dem Buddhismus tradiert werden. Der islamische Sufismus gibt ähnliche Anweisungen für den »Weg der Derwische«. Dabei wird der Wechsel in das Gegenwartsbewusstsein als Erleuchtungserfahrung bezeichnet. Plotin beschreibt diesen Zustand durch Selbsterkenntnis, Gegenwärtigkeit und das Loslassen von Wünschen und Zukunftsvorstellunge, als eine raum- und zeitlose Gleichzeitigkeit. ((Nach Wikipedia, Stichwort Zeit (Philosophie)))\\ 
 //»Du kannst nicht auf dem Pfad gehen, bevor Du nicht der Pfad geworden bist«,// sagt Gautama Buddha. Die Metaphern vom Pfad der Erleuchtung oder dem Weg der Vervollkommnung benutzen auffallend häufig das Bild der Reise. Tatsächlich kennen Reisende ähnliche innere Erfahrungen: Unterwegs verschwinden die Sorgen, das Gefühl für Zeitabläufe verändert sich, alles, was wir tun, bestimmen wir selbst, setzen unsere Ziele selbst, schließlich wird die Reise zum Selbstzweck … Ein solcher Zustand ist in der Psychologie als »Flow« bekannt ((''Csikszentmihalyi, Mihaly'' (1995): //Flow. Das Geheimnis des Glücks//)). Damit wird das lustbetonte Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit bezeichnet, als Zustand, in dem Aufmerksamkeit, Motivation und die Umgebung in einer Art produktiven Harmonie zusammentreffen (Wikipedia). Das vom heranwachsenden Kind erworbene Bewußtsein der Zeit »löst sich im Unterwegssein wieder auf … Insofern die Reisenden in der Lage sind, alles, was nicht Bewegung ist, zu vergessen, gehen sie in der charakteristischen Struktur des Reisens auf – die Bewegung reinigt, macht süchtig und wird zur Lust, zum Selbstzweck« ((''Eric Leed'': //Die Erfahrung der Ferne//. Campus 1993)).\\  //»Du kannst nicht auf dem Pfad gehen, bevor Du nicht der Pfad geworden bist«,// sagt Gautama Buddha. Die Metaphern vom Pfad der Erleuchtung oder dem Weg der Vervollkommnung benutzen auffallend häufig das Bild der Reise. Tatsächlich kennen Reisende ähnliche innere Erfahrungen: Unterwegs verschwinden die Sorgen, das Gefühl für Zeitabläufe verändert sich, alles, was wir tun, bestimmen wir selbst, setzen unsere Ziele selbst, schließlich wird die Reise zum Selbstzweck … Ein solcher Zustand ist in der Psychologie als »Flow« bekannt ((''Csikszentmihalyi, Mihaly'' (1995): //Flow. Das Geheimnis des Glücks//)). Damit wird das lustbetonte Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit bezeichnet, als Zustand, in dem Aufmerksamkeit, Motivation und die Umgebung in einer Art produktiven Harmonie zusammentreffen (Wikipedia). Das vom heranwachsenden Kind erworbene Bewußtsein der Zeit »löst sich im Unterwegssein wieder auf … Insofern die Reisenden in der Lage sind, alles, was nicht Bewegung ist, zu vergessen, gehen sie in der charakteristischen Struktur des Reisens auf – die Bewegung reinigt, macht süchtig und wird zur Lust, zum Selbstzweck« ((''Eric Leed'': //Die Erfahrung der Ferne//. Campus 1993)).\\ 
 +
 Der Reisende verabschiedet sich damit auch vom sozialen Zeitbewußtsein. Diesem dient Zeit als ein kulturelles Werkzeug, das zwischen den Kräften der Natur, den Menschen und der sozialen Welt vermittelt. Das »Regiment der Uhren« verbindet Arbeit, Kommunikation, Wirtschaft und Technik weltweit. »Um zusammenzuleben, müssen verschiedene Tätigkeiten über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg koordiniert werden.« ((''N.Elias:'' //Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie// II, (Hg.: M.Schröter), Frankfurt/M. 1903, XXXIXf.)) Indem wir das soziale Zeitbewußtsein anerkennen, erfüllen wir unsere soziale Funktion als Mitglied einer Gesellschaft. Und umgekehrt?\\  Der Reisende verabschiedet sich damit auch vom sozialen Zeitbewußtsein. Diesem dient Zeit als ein kulturelles Werkzeug, das zwischen den Kräften der Natur, den Menschen und der sozialen Welt vermittelt. Das »Regiment der Uhren« verbindet Arbeit, Kommunikation, Wirtschaft und Technik weltweit. »Um zusammenzuleben, müssen verschiedene Tätigkeiten über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg koordiniert werden.« ((''N.Elias:'' //Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie// II, (Hg.: M.Schröter), Frankfurt/M. 1903, XXXIXf.)) Indem wir das soziale Zeitbewußtsein anerkennen, erfüllen wir unsere soziale Funktion als Mitglied einer Gesellschaft. Und umgekehrt?\\ 
 Reisende kennen das Phänomen: Eine Reise, die den Reisenden auch innerlich bewegt hat, erscheint ihm selbst wie eine Ewigkeit. Heimgekehrt wundert er sich, daß dort alles unverändert scheint. Bist Du schon wieder zurück? Den Daheimgebliebenen vergeht die Zeit wie im Fluge. Daher ist die innere Langzeitreise durchaus in einer kurzen äußeren Zeitspanne möglich. Reisende kennen das Phänomen: Eine Reise, die den Reisenden auch innerlich bewegt hat, erscheint ihm selbst wie eine Ewigkeit. Heimgekehrt wundert er sich, daß dort alles unverändert scheint. Bist Du schon wieder zurück? Den Daheimgebliebenen vergeht die Zeit wie im Fluge. Daher ist die innere Langzeitreise durchaus in einer kurzen äußeren Zeitspanne möglich.
-Dem Menschen, der dem inneren oder dem äußeren Weg folgt, ist jedoch nicht anzusehen, ob sein Weg ans Ziel führt: //»der gedankenlose Reisende und der in abstrakten Begriffssystemen lebende Gelehrte sind gleich unfähig, sich eine reiche Erfahrung zu erwerben.«//((Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Die menschliche Individualität S. 107 http://anthroposophy.com/Steinerwerke/GA4-6.html))\\ +Dem Menschen, der dem inneren oder dem äußeren Weg folgt, ist jedoch nicht anzusehen, ob sein Weg ans Ziel führt: //»der gedankenlose Reisende und der in abstrakten Begriffssystemen lebende Gelehrte sind gleich unfähig, sich eine reiche Erfahrung zu erwerben.«//((''Rudolf Steiner''//Die Philosophie der Freiheit. Die menschliche Individualität// S. 107 http://anthroposophy.com/Steinerwerke/GA4-6.html))\\ 
 In jedem Fall weg-führend ist jedoch der Moment des Aufbruchs, denn //»Wer nie geht – kehrt nie heim«// (''Heinz Rox-Schulz''). In jedem Fall weg-führend ist jedoch der Moment des Aufbruchs, denn //»Wer nie geht – kehrt nie heim«// (''Heinz Rox-Schulz'').
 +===== Anmerkungen und Quellen=====
 +<html>
 +<img src="https://vg07.met.vgwort.de/na/d15269de668a4a029ed9911072932f4b" width="1" height="1" alt="">
 +</html>
 +
wiki/zeit_musse.txt · Zuletzt geändert: 2024/05/02 02:37 von norbert

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki