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 ==== Felleisen und Berliner  ==== ==== Felleisen und Berliner  ====
  
-Unsere Handwerksburschen sind alle Neulinge auf dem Reisesektor, bis auf Pfarre. Über die Ausrüstung wird nicht viel geredet, man beschränkt sich und nimmt, was man hat. Als Schroeder fluchtartig Trier verläßt, packt er Zahnbürste, Anzug, Selbstbinder ((Der Selbstbinder ist eine stets neu zu bindende Schleife, die nicht fest vernäht ist.)) und Kragen in seinen Koffer ((Schroeder, S. 6)) und vermißt schon bald Handtuch und Seife. ((Schroeder, S. 41)) Über den Koffer schimpft er oft, irgendwann zerfällt er ihm buchstäblich in der Hand und er improvisiert - bindet die Hosenbeine seiner zweiten Hose unten ab und stopft alles hinein, was er hat. Das ganze bezeichnet er als Berliner ((Der Berliner war leichter als das ältere Felleisen. Die ersten, die ihn trugen, waren die Klempner - sie hatten grüne Berliner. Maurer und Zimmerleute banden den Berliner in ein großes, buntbedrucktes Taschentuch, Schmiede hüllten das Bündel in ihr Schurzfell, sonstige Kunden in ein Wachstuch. (s. Wolf) Der Berliner wurde als Rolle gebunden und sah aus wie ein übergroßes Knallbonbon mit etwa dreißig Zentimter im Durchmesser, ungefähr siebzig Zentimeter lang. Das Wort ist seit etwa 1880 bekannt und dürfte aus dem jiddischen „be alil“ (mit der Werkstätte) entstanden sein: eine ironische Bezeichnung für die Gesellen, die in ihrem Bündel das Werkzeug mit sich trugen.)) und ist äußerst zufrieden damit, spürt gar nicht, daß er etwas auf dem Rücken trägt; andere tragen ein Felleisen ((Das Felleisen, ein Behältnis, in dem Fußreisende ihre Siebensachen transportierten, war bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gebräuchlich. Es bestand meist aus Leder, war innen mit grober Leinwand gefüttert und bis-weilen mit einem Schloß gesichert. Manche Felleisen der Handwerksburschen um 1840 hatten Räder, so daß sie mit einem [[wiki:stab|Stock]] geschoben oder gezogen werden konnten. [Meyers Conversations-Lexikon 1840-1855] Bei der Fahrpost dienten zylindrische Felleisen als Behälter für Briefe und Pakete. Der [[wiki:begriff|Begriff]] Felleisen hat nichts mit Fell oder Eisen zu tun, sondern entstammt dem französischen valise (Handkoffer, Reisetasche) und dem älteren valisa (lat., ital.). Er wird synonym für [[wiki:ranzen|Ranzen]], [[wiki:rucksack|Rucksack]], [[wiki:mantelsack|Mantelsack]], Reisetasche, Reisesack, Packsattel benutzt. Manchmal wird er über die Achseln geworfen (Simplicissimus), mal auf den Rücken geschnallt und als Tornister getragen (Dewald). Das Wort ist seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts schriftlich bekannt als fellis)). 15 Monate, nachdem er Trier verlassen hat, filzt ihn die Polizei und wir erfahren, was er in seinen Taschen trägt: Gesellenbrief, Zeugnis, zwei Briefe, Paß, Geleitschein, Rasiermesser, Zahnbürste, Seife ... Viel ist es nicht. Vor Lindau trifft er einen sächsischen Kunden, der Vorräte für den Winter unter seiner Jacke trägt:// „An seinem Bauchriemen hängen aus kleinen Konservendosen zurecht geschusterte Blecheimerchen. In einem ist Fett, im anderen Butter, im dritten Schmalz; Öl verwahrt er in Flaschen. An einem Fleischerhaken, den er in der obersten Westentasche eingehakt, pendeln zwei Würste.“// ((Schroeder, S. 132)) \\ +Unsere Handwerksburschen sind alle Neulinge auf dem Reisesektor, bis auf Pfarre. Über die [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] wird nicht viel geredet, man beschränkt sich und nimmt, was man hat. Als Schroeder fluchtartig Trier verläßt, packt er Zahnbürste, Anzug, Selbstbinder ((Der Selbstbinder ist eine stets neu zu bindende Schleife, die nicht fest vernäht ist.)) und Kragen in seinen Koffer ((Schroeder, S. 6)) und vermißt schon bald Handtuch und Seife. ((Schroeder, S. 41)) Über den Koffer schimpft er oft, irgendwann zerfällt er ihm buchstäblich in der Hand und er improvisiert - bindet die Hosenbeine seiner zweiten Hose unten ab und stopft alles hinein, was er hat. Das ganze bezeichnet er als [[wiki:berliner|Berliner]] ((Der Berliner war leichter als das ältere [[wiki:felleisen|Felleisen]]. Die ersten, die ihn trugen, waren die Klempner - sie hatten grüne Berliner. Maurer und Zimmerleute banden den Berliner in ein großes, buntbedrucktes Taschentuch, Schmiede hüllten das Bündel in ihr Schurzfell, sonstige Kunden in ein Wachstuch. (s. Wolf) Der Berliner wurde als Rolle gebunden und sah aus wie ein übergroßes Knallbonbon mit etwa dreißig Zentimter im Durchmesser, ungefähr siebzig Zentimeter lang. Das Wort ist seit etwa 1880 bekannt und dürfte aus dem jiddischen „be alil“ (mit der Werkstätte) entstanden sein: eine ironische Bezeichnung für die Gesellen, die in ihrem Bündel das Werkzeug mit sich trugen.)) und ist äußerst zufrieden damit, spürt gar nicht, daß er etwas auf dem Rücken trägt; andere tragen ein Felleisen ((Das Felleisen, ein Behältnis, in dem Fußreisende ihre Siebensachen transportierten, war bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gebräuchlich. Es bestand meist aus Leder, war innen mit grober Leinwand gefüttert und bis-weilen mit einem Schloß gesichert. Manche Felleisen der Handwerksburschen um 1840 hatten Räder, so daß sie mit einem [[wiki:stab|Stock]] geschoben oder gezogen werden konnten. [Meyers Conversations-Lexikon 1840-1855] Bei der Fahrpost dienten zylindrische Felleisen als Behälter für Briefe und Pakete. Der [[wiki:begriff|Begriff]] Felleisen hat nichts mit Fell oder Eisen zu tun, sondern entstammt dem französischen valise (Handkoffer, Reisetasche) und dem älteren valisa (lat., ital.). Er wird synonym für [[wiki:ranzen|Ranzen]], [[wiki:rucksack|Rucksack]], [[wiki:mantelsack|Mantelsack]], Reisetasche, Reisesack, Packsattel benutzt. Manchmal wird er über die Achseln geworfen (Simplicissimus), mal auf den Rücken geschnallt und als Tornister getragen (Dewald). Das Wort ist seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts schriftlich bekannt als fellis)). 15 Monate, nachdem er Trier verlassen hat, filzt ihn die Polizei und wir erfahren, was er in seinen Taschen trägt: Gesellenbrief, Zeugnis, zwei Briefe, Paß, Geleitschein, Rasiermesser, Zahnbürste, Seife ... Viel ist es nicht. Vor Lindau trifft er einen sächsischen Kunden, der Vorräte für den Winter unter seiner Jacke trägt:// „An seinem Bauchriemen hängen aus kleinen Konservendosen zurecht geschusterte Blecheimerchen. In einem ist Fett, im anderen Butter, im dritten Schmalz; Öl verwahrt er in Flaschen. An einem Fleischerhaken, den er in der obersten Westentasche eingehakt, pendeln zwei Würste.“// ((Schroeder, S. 132)) \\ 
 Winnig gräbt auf dem Speicher den Ranzen seines Großvaters und dessen [[wiki:stab|Eichenstock]] aus: //„Die Zeit schrieb damals einen Schnürbeutel aus schwarzem Wachstuch mit schwarzgrünen Traggurten vor, welches Behältnis in der Sprache der reisenden Burschen Berliner hieß, und auf solchen Berliner war mein Sinn gerichtet, nur war dergleichen in unserer kleinen Stadt nicht zu beschaffen.“// ((Winnig, S. 5)) Bei seiner ersten Arbeitsstelle fällt er auf wegen seiner derben Wanderschuhe mit den breiten Nägeln und seiner Arbeitsjacke aus krausem Wollstoff, die den Regen abwies. ((Heinrichs, S. 24)) \\  Winnig gräbt auf dem Speicher den Ranzen seines Großvaters und dessen [[wiki:stab|Eichenstock]] aus: //„Die Zeit schrieb damals einen Schnürbeutel aus schwarzem Wachstuch mit schwarzgrünen Traggurten vor, welches Behältnis in der Sprache der reisenden Burschen Berliner hieß, und auf solchen Berliner war mein Sinn gerichtet, nur war dergleichen in unserer kleinen Stadt nicht zu beschaffen.“// ((Winnig, S. 5)) Bei seiner ersten Arbeitsstelle fällt er auf wegen seiner derben Wanderschuhe mit den breiten Nägeln und seiner Arbeitsjacke aus krausem Wollstoff, die den Regen abwies. ((Heinrichs, S. 24)) \\ 
-Wie auch heute, ist die Ausrüstung ein Erkennungszeichen und ein Maßstab für den Grad der [[wiki:vertrauen|Vertrautheit]]:// „Er mochte um einige Jahre älter sein als ich, doch das hielt mich nicht ab, denselben anzureden; trug er ja auch [[wiki:ranzen|Ränzel]] und [[wiki:stab|Knotenstock]]. Nicht lange währte es, und wir hatten Freundschaft geschlossen.“// +Wie auch heute, ist die [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] ein Erkennungszeichen und ein Maßstab für den Grad der [[wiki:vertrauen|Vertrautheit]]:// „Er mochte um einige Jahre älter sein als ich, doch das hielt mich nicht ab, denselben anzureden; trug er ja auch [[wiki:ranzen|Ränzel]] und [[wiki:stab|Knotenstock]]. Nicht lange währte es, und wir hatten Freundschaft geschlossen.“// 
 Alfred Pfarre zieht los mit einer nagelneuen Ausrüstung: Lodenjoppe und [[wiki:rucksack|Rucksack]], [[wiki:stab|Stock]] und Gamaschen ((Pfarre, S. 9)), mit Hirschtalg werden die Stiefel wasserfest gemacht ((Pfarre, S. 50)), eine Pelerine ((ein ärmelloser Regenmantel)) dient als Regenschutz. ((Pfarre, S. 52))\\  Alfred Pfarre zieht los mit einer nagelneuen Ausrüstung: Lodenjoppe und [[wiki:rucksack|Rucksack]], [[wiki:stab|Stock]] und Gamaschen ((Pfarre, S. 9)), mit Hirschtalg werden die Stiefel wasserfest gemacht ((Pfarre, S. 50)), eine Pelerine ((ein ärmelloser Regenmantel)) dient als Regenschutz. ((Pfarre, S. 52))\\ 
 Winnig trägt sein Handwerkszeug mit sich: Kelle, Hammer, Lotwaage. Dies dient als Kennzeichen der Wanderschaft, und auch Schroeder zeigt ab und an seinen Zollstock. Heinrichs hat Scheren und Kämme dabei, verkauft sie aber bald zur Finanzierung seiner Reise.\\  Winnig trägt sein Handwerkszeug mit sich: Kelle, Hammer, Lotwaage. Dies dient als Kennzeichen der Wanderschaft, und auch Schroeder zeigt ab und an seinen Zollstock. Heinrichs hat Scheren und Kämme dabei, verkauft sie aber bald zur Finanzierung seiner Reise.\\ 
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 ==== Hanf mit Unvernunft oder Lechum und Beza==== ==== Hanf mit Unvernunft oder Lechum und Beza====
-Geld ist nur Mittel zum Zweck, und der heißt meist „essen“. Durch Flammer lernt Heinrichs erste Techniken des Sich-Ernährens kennen: //„...ich hatte in Flammer ((Rotwelsch für Schmied)) einen hervorragenden Fechtmeister gefunden. Doch nicht gefochten wurde mit Säbel oder Rapier, an irgendeinem verborgenen Ort, sondern unser Schlachtfeld war die Tür eines guten Landbewohners und unsere Waffen der Hut in der Hand, die ärmlichste, hungrigste Miene und das allbekannte Sprüchlein vom armen reisenden Handwerksburschen, der sechs Wochen keinen warmen Löffel mehr zum Munde geführt hat.“// ((Heinrichs S. 26)) Diese Methode funktioniert so gut, daß Heinrichs und sein Gefährte oft dreimal täglich zu Mittag gegessen haben; ähnliches berichten andere Kunden. Wer Geld hatte, aß in der Herberge zur Heimat ((Als Herberge zur Heimat wurden die christlichen Herbergen bezeichnet)). Wer keines hatte, bekam ein, zwei Tage lang, je nach Gemeindeordnung, Gutscheine, die er dann in der Herberge zur Heimat einlösen konnte, aber die Qualität der Wandererfürsorge ließ zu wünschen übrig:// „Denn abgesehen von sogenanntem Kaffee und trockenem Brot (»Hanf« oder »Lechum«) enthält die Wandererfürsorge-Speisekarte fast ausschließlich weiter nichts als immer und immer nur dünne, fettlose Suppen, gekochte Kartoffeln und minderwertige Wurst (»Unvernunft«).“// ((Karl Roltsch „Von unterwegs“, in: Trappmann, S. 135)) Gab auch das nichts mehr her, so konnte man sich an die Klöster wenden, für die die Armenspeisung eine Pflicht war. Angenehm war das oft nicht: //„Vor uns stand im Vorraum eine mächtige Schüssel mit Suppe. Fleischstücke und Brot schwammen darin. Sogar ein paar Fettaugen. ... Die Kunden fraßen. Mit einer tierischen Gier beugten sie sich über die große Schüssel. Die Suppe lief vom Maule wieder zurück in die Schale. Die Kunden fraßen. Denn sie mußten noch in zwei anderen Klöstern fressen. Zwar konnten sie in einem satt werden, aber wie kann der Kunde dem anderen etwas schenken, etwas selbst nicht mitnehmen, das er bekommen kann. Der Kunde frißt, wenn er hungert. Der Kunde frißt, wenn er satt ist. Ich war hungrig, doch mich ekelte.“// ((Pfarre, S. 32))\\ +Geld ist nur Mittel zum Zweck, und der heißt meist „essen“, denn [[wiki:proviant|Proviant]] ist kanpp. Durch Flammer lernt Heinrichs erste Techniken des Sich-Ernährens kennen: //„...ich hatte in Flammer ((Rotwelsch für Schmied)) einen hervorragenden Fechtmeister gefunden. Doch nicht gefochten wurde mit Säbel oder Rapier, an irgendeinem verborgenen Ort, sondern unser Schlachtfeld war die Tür eines guten Landbewohners und unsere Waffen der Hut in der Hand, die ärmlichste, hungrigste Miene und das allbekannte Sprüchlein vom armen reisenden Handwerksburschen, der sechs Wochen keinen warmen Löffel mehr zum Munde geführt hat.“// ((Heinrichs S. 26)) Diese Methode funktioniert so gut, daß Heinrichs und sein Gefährte oft dreimal täglich zu Mittag gegessen haben; ähnliches berichten andere Kunden. Wer Geld hatte, aß in der Herberge zur Heimat ((Als Herberge zur Heimat wurden die christlichen Herbergen bezeichnet)). Wer keines hatte, bekam ein, zwei Tage lang, je nach Gemeindeordnung, Gutscheine, die er dann in der Herberge zur Heimat einlösen konnte, aber die Qualität der Wandererfürsorge ließ zu wünschen übrig:// „Denn abgesehen von sogenanntem Kaffee und trockenem Brot (»Hanf« oder »Lechum«) enthält die Wandererfürsorge-Speisekarte fast ausschließlich weiter nichts als immer und immer nur dünne, fettlose Suppen, gekochte Kartoffeln und minderwertige Wurst (»Unvernunft«).“// ((Karl Roltsch „Von unterwegs“, in: Trappmann, S. 135)) Gab auch das nichts mehr her, so konnte man sich an die Klöster wenden, für die die Armenspeisung eine Pflicht war. Angenehm war das oft nicht: //„Vor uns stand im Vorraum eine mächtige Schüssel mit Suppe. Fleischstücke und Brot schwammen darin. Sogar ein paar Fettaugen. ... Die Kunden fraßen. Mit einer tierischen Gier beugten sie sich über die große Schüssel. Die Suppe lief vom Maule wieder zurück in die Schale. Die Kunden fraßen. Denn sie mußten noch in zwei anderen Klöstern fressen. Zwar konnten sie in einem satt werden, aber wie kann der Kunde dem anderen etwas schenken, etwas selbst nicht mitnehmen, das er bekommen kann. Der Kunde frißt, wenn er hungert. Der Kunde frißt, wenn er satt ist. Ich war hungrig, doch mich ekelte.“// ((Pfarre, S. 32))\\ 
 Schroeder berichtet ähnliches: Er erhält in einem Dorf von einem Metzger eine Suppe vorgesetzt, nachdem er an dessen Türe betttelte:// „Ein beißender Dunst reizt die Kehle, scharf und sauer ... Aber der Geruch ekelt mich nicht, nein; die weißen, geringelten Madenwürmer sind es, die da herumschwimmen, wenn man den Brei rührt. ... Ich dränge die Würmer an den Tellerrand und versuche einen Löffel Suppe hinunterzuschlucken. Der Rachen brennt. Der Gaumen zieht sich zusammen! Wir werfen unsere Stühle rückwärts, reißen die Ladentüre auf und laufen, was gibts du, was hast du. ... Wir wagen nicht mehr zu betteln.“// ((Schroeder, S. 65)) Das war dann wohl auch der Zweck der Übung. Im übrigen focht man um Brot und war stark von Jahreszeit und Gegend abhängig: Im Allgäu schwelgen die Kunden im Käse, am Bodensee in Äpfeln und Pflaumen. Den Hering nennen sie Schwimmling, Eiher heißen Beza, gewöhnliche Leberwurst wird zu Granit, das Verbandsbuch deutet die Schnapsflasche an. Pfarre ißt in Italien Polenta, Reissuppe und andere Köstlichkeiten. Schroeder berichtet ähnliches: Er erhält in einem Dorf von einem Metzger eine Suppe vorgesetzt, nachdem er an dessen Türe betttelte:// „Ein beißender Dunst reizt die Kehle, scharf und sauer ... Aber der Geruch ekelt mich nicht, nein; die weißen, geringelten Madenwürmer sind es, die da herumschwimmen, wenn man den Brei rührt. ... Ich dränge die Würmer an den Tellerrand und versuche einen Löffel Suppe hinunterzuschlucken. Der Rachen brennt. Der Gaumen zieht sich zusammen! Wir werfen unsere Stühle rückwärts, reißen die Ladentüre auf und laufen, was gibts du, was hast du. ... Wir wagen nicht mehr zu betteln.“// ((Schroeder, S. 65)) Das war dann wohl auch der Zweck der Übung. Im übrigen focht man um Brot und war stark von Jahreszeit und Gegend abhängig: Im Allgäu schwelgen die Kunden im Käse, am Bodensee in Äpfeln und Pflaumen. Den Hering nennen sie Schwimmling, Eiher heißen Beza, gewöhnliche Leberwurst wird zu Granit, das Verbandsbuch deutet die Schnapsflasche an. Pfarre ißt in Italien Polenta, Reissuppe und andere Köstlichkeiten.
 ==== Die Kundenpennen ==== ==== Die Kundenpennen ====
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 ==== Kunden und Vagabunden ==== ==== Kunden und Vagabunden ====
 Die Bezeichnung Kunden wird oft wahllos benutzt und meint alle Gruppen. Kunde heißt eigentlich Kundiger, im altniederrheinischen war der //cunde// ein Späher und Kundschafter. In jedem Fall weiß er mehr als andere, ist also ausgezeichnet gegenüber anderen. Das wird deutlich, wenn sich zwei Kunden auf der Straße begegneten. Der Frage //„Kunde?“// mußte geantwortet werden mit //„Ken Mathes?//“ ((Bis 1939 grüßten sich Kunden so auf der Landstraße, auch wenn vielen der Sinn dieser Grußformel nicht klarwar, denn oftmals wurde auch Ken Mathias oder Ken Mathilde geantwortet.)) Der Fragende möchte wissen, ob der andere überhaupt ein Kunde (=Kundiger) ist, ob er also evtl Auskunft geben kann. Die Antwort hat nichts mit dem Vornamen Mathes zu tun, sondern rührt von Medine (=Landstraße) und heißt daher soviel wie „Ich kenne die Landstraße“. ((Wolf, Stichwort Ken und Kunde))\\  Die Bezeichnung Kunden wird oft wahllos benutzt und meint alle Gruppen. Kunde heißt eigentlich Kundiger, im altniederrheinischen war der //cunde// ein Späher und Kundschafter. In jedem Fall weiß er mehr als andere, ist also ausgezeichnet gegenüber anderen. Das wird deutlich, wenn sich zwei Kunden auf der Straße begegneten. Der Frage //„Kunde?“// mußte geantwortet werden mit //„Ken Mathes?//“ ((Bis 1939 grüßten sich Kunden so auf der Landstraße, auch wenn vielen der Sinn dieser Grußformel nicht klarwar, denn oftmals wurde auch Ken Mathias oder Ken Mathilde geantwortet.)) Der Fragende möchte wissen, ob der andere überhaupt ein Kunde (=Kundiger) ist, ob er also evtl Auskunft geben kann. Die Antwort hat nichts mit dem Vornamen Mathes zu tun, sondern rührt von Medine (=Landstraße) und heißt daher soviel wie „Ich kenne die Landstraße“. ((Wolf, Stichwort Ken und Kunde))\\ 
-Obwohl Kunden und Vagabunden sehr lax mit Moral umgehen, konnte man ihnen nicht unbedingt kriminelle Absichten unterstellen. Wohl waren sie Outlaws, Outcasts, Gesetzlose, die um ihr Überleben kämpften. Das ging oft nur außerhalb der bürgerlichen Moral und Gesetze. Doch hatten sie ihre Sprache, eigene Gesetzmäßigkeiten und Regeln. [[wiki:ehre|Ehre]] und Kameradschaft waren ihnen vertraut und viele waren stolz darauf, Kunde zu sein. Der Weg zurück in die Gesellschaft blieb ihnen nicht versperrt, auch wenn sie sozial ausgestoßen und heimatlos waren. \\ Andererseits war der Weg ins kriminelle Milieu einfach, da sich die Gauner in der gleichen Infrastruktur bewegten. Pfarre erinnert sich: „...lernte ich den Betrieb in der Herberge zur Heimat kennen. Aber waren das „Kunden“, „Monarchen“, „Speckjäger“ oder anders benannte „Ritter der Landstraße“? Nein! Soviel kannte ich nun doch schon die verlumpten, aber harmlosen Wandergestalten. Was sich hier zusammenfand, das kam nicht aus dem Chausseegraben, das gedieh nur auf dem Asphalt der Großstadt. Das nahe Oktoberfest hatte Nepper, Bauernfänger und Taschendiebe herangelockt.“ ((Pfarre, S. 12 f.)) \\ +Obwohl Kunden und Vagabunden sehr lax mit Moral umgehen, konnte man ihnen nicht unbedingt kriminelle Absichten unterstellen. Wohl waren sie [[wiki:outlaw|Outlaws]], Outcasts, Gesetzlose, die um ihr Überleben kämpften. Das ging oft nur außerhalb der bürgerlichen Moral und Gesetze. Doch hatten sie ihre Sprache, eigene Gesetzmäßigkeiten und Regeln. [[wiki:ehre|Ehre]] und Kameradschaft waren ihnen vertraut und viele waren stolz darauf, Kunde zu sein. Der Weg zurück in die Gesellschaft blieb ihnen nicht versperrt, auch wenn sie sozial ausgestoßen und heimatlos waren. \\ Andererseits war der Weg ins kriminelle Milieu einfach, da sich die Gauner in der gleichen Infrastruktur bewegten. Pfarre erinnert sich: „...lernte ich den Betrieb in der Herberge zur Heimat kennen. Aber waren das „Kunden“, „Monarchen“, „Speckjäger“ oder anders benannte „Ritter der Landstraße“? Nein! Soviel kannte ich nun doch schon die verlumpten, aber harmlosen Wandergestalten. Was sich hier zusammenfand, das kam nicht aus dem Chausseegraben, das gedieh nur auf dem Asphalt der Großstadt. Das nahe Oktoberfest hatte Nepper, Bauernfänger und Taschendiebe herangelockt.“ ((Pfarre, S. 12 f.)) \\ 
 ==== Schieben und Balance ==== ==== Schieben und Balance ====
 Vom Fechten über das Betteln führt der soziale Abstiegskampf zur sogenannten Schiebung ((Jedes heimliche und rasche Bewegen und damit auch fragwürdige Handelsgeschäfte, Betrug wurden Schiebung genannt. Eine dufte Schiebung war klug und durchdacht, eine linke Schiebung war faul.)). Unter Schiebung verstand man Taschenspielerei, Gaunereien, Betrug. So sammelten zwei Kunden in jedem Ort die Messer und Scheren, ohne einen Schleifstein zu besitzen. Mit etwas Schmirgel wurden sie blank poliert, mit Schellack die Griffe optisch verbessert:// „Es kam uns auch nicht darauf an, die Messer zu schärfen, dann hätten wir ja auf ehrliche Weise unser Brot verdient.“// ((Pfarre, S. 22)) Da gibt es dann den „Sibirier“: //„Andere nannten ihn auch den Anarchisten. Er muckte (( `Mucken´ bedeutet Betteln mit einem [[wiki:kniff|Trick]].)) mit roten Fleppen ((`Fleppen´ sind die Papiere, Dokumente, Pässe, 'rot' ist das unehrliche)), d.h. er bettelte die Sozialisten- und Anarchistenvereinigungen an. Wenn er dort leer ausging, konnte man ihn zum Beichten gehen sehen. Im Beichtstuhl focht er bei dem Geistlichen.“// Der „Schweizer“ spielte den Grafen, investierte ihn gute Kleidung und besaß sonst nichts. Dann besuchte er die Amerikaner in den guten Hotels und erzählte ihnen eine Geschichte, die ihm Geld brachte. Zwei andere, Polen, gingen jeden Abend auf die Balance. ((`Balance´ ist der Ausdruck für eine gefährliche Bettelei, die schon mehr Erpressung ist.)) Ihnen allen gemeinsam war es, mit betrügerischen Absichten vorzugehen.\\  Vom Fechten über das Betteln führt der soziale Abstiegskampf zur sogenannten Schiebung ((Jedes heimliche und rasche Bewegen und damit auch fragwürdige Handelsgeschäfte, Betrug wurden Schiebung genannt. Eine dufte Schiebung war klug und durchdacht, eine linke Schiebung war faul.)). Unter Schiebung verstand man Taschenspielerei, Gaunereien, Betrug. So sammelten zwei Kunden in jedem Ort die Messer und Scheren, ohne einen Schleifstein zu besitzen. Mit etwas Schmirgel wurden sie blank poliert, mit Schellack die Griffe optisch verbessert:// „Es kam uns auch nicht darauf an, die Messer zu schärfen, dann hätten wir ja auf ehrliche Weise unser Brot verdient.“// ((Pfarre, S. 22)) Da gibt es dann den „Sibirier“: //„Andere nannten ihn auch den Anarchisten. Er muckte (( `Mucken´ bedeutet Betteln mit einem [[wiki:kniff|Trick]].)) mit roten Fleppen ((`Fleppen´ sind die Papiere, Dokumente, Pässe, 'rot' ist das unehrliche)), d.h. er bettelte die Sozialisten- und Anarchistenvereinigungen an. Wenn er dort leer ausging, konnte man ihn zum Beichten gehen sehen. Im Beichtstuhl focht er bei dem Geistlichen.“// Der „Schweizer“ spielte den Grafen, investierte ihn gute Kleidung und besaß sonst nichts. Dann besuchte er die Amerikaner in den guten Hotels und erzählte ihnen eine Geschichte, die ihm Geld brachte. Zwei andere, Polen, gingen jeden Abend auf die Balance. ((`Balance´ ist der Ausdruck für eine gefährliche Bettelei, die schon mehr Erpressung ist.)) Ihnen allen gemeinsam war es, mit betrügerischen Absichten vorzugehen.\\ 
wiki/walz.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/30 06:06 von norbert

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