wiki:walz
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* Vagabunden\\ | * Vagabunden\\ | ||
Wie reiste das fahrende Volk? Was waren ihre Techniken des Unterwegs-seins? | Wie reiste das fahrende Volk? Was waren ihre Techniken des Unterwegs-seins? | ||
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In der Fremde will ich lernen | In der Fremde will ich lernen | ||
Biografien bayrischer Handwerker aus den letzten beiden Jahrhunderten | Biografien bayrischer Handwerker aus den letzten beiden Jahrhunderten | ||
- | Haus der Bayrischen Geschichte, Text: Falk Ohorn | + | Haus der Bayrischen Geschichte |
ISBN 3-937974-13-x | ISBN 3-937974-13-x | ||
Der Historiker Ohorn recherchierte die Reisegeschichte von acht Handwerkern: | Der Historiker Ohorn recherchierte die Reisegeschichte von acht Handwerkern: | ||
Ludwig Köck (»Abu El Kismet«), Seraphin Hoegner, Thomas Wimmer aus Siglfing, | Ludwig Köck (»Abu El Kismet«), Seraphin Hoegner, Thomas Wimmer aus Siglfing, | ||
Martin Irl aus Erding, Georg David Bilgram aus Memmingen und anderen. | Martin Irl aus Erding, Georg David Bilgram aus Memmingen und anderen. | ||
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===== 2 Meister, gebt mir die Papiere ===== | ===== 2 Meister, gebt mir die Papiere ===== | ||
Was bewog junge Burschen nach der Lehre dazu, Monate und Jahre auf die Walz zu gehen, die Sicherheit von Heimat, Beruf, Elternhaus aufzugeben zugunsten Hunger und Not, einer ungewissen Zukunft, ausgeliefert dem Wetter und der Willkür fremder Menschen? Die Antwort ist vielschichtig: | Was bewog junge Burschen nach der Lehre dazu, Monate und Jahre auf die Walz zu gehen, die Sicherheit von Heimat, Beruf, Elternhaus aufzugeben zugunsten Hunger und Not, einer ungewissen Zukunft, ausgeliefert dem Wetter und der Willkür fremder Menschen? Die Antwort ist vielschichtig: | ||
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==== Felleisen und Berliner | ==== Felleisen und Berliner | ||
- | Unsere Handwerksburschen sind alle Neulinge auf dem Reisesektor, | + | Unsere Handwerksburschen sind alle Neulinge auf dem Reisesektor, |
Winnig gräbt auf dem Speicher den Ranzen seines Großvaters und dessen [[wiki: | Winnig gräbt auf dem Speicher den Ranzen seines Großvaters und dessen [[wiki: | ||
Wie auch heute, ist die [[wiki: | Wie auch heute, ist die [[wiki: | ||
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Die Kundensprache ((Diebssprache, | Die Kundensprache ((Diebssprache, | ||
Aber das fahrende Volk wollte ja gar nicht verstanden werden und übernahm aus den unterschiedlichsten Quellen Begriffe und schuf Redewendungen, | Aber das fahrende Volk wollte ja gar nicht verstanden werden und übernahm aus den unterschiedlichsten Quellen Begriffe und schuf Redewendungen, | ||
- | Das Rotwelsch ist die Schöpfung aller rastlos Reisenden, geeint durch die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen, | + | Das [[wiki: |
Die Kundensprache führt zu einer Identität, man fühlt sich verbunden, man versteht sich oder grenzt sich ab. Während Winnig kaum jemals ein Wort der Kundensprache benutzt, pflegen Heinrichs, Pfarre, Schroedel sie ausgiebig und selbstverständlich.\\ | Die Kundensprache führt zu einer Identität, man fühlt sich verbunden, man versteht sich oder grenzt sich ab. Während Winnig kaum jemals ein Wort der Kundensprache benutzt, pflegen Heinrichs, Pfarre, Schroedel sie ausgiebig und selbstverständlich.\\ | ||
Heute finden sich in der Alltagssprache viele Ausdrücke, die der Kundensprache entstammen, deren Abstammung man ihnen nicht mehr ansieht, die allenfalls als salopp gelten: man grast heute Geschäfte ab, um etwas zu suchen, 1906 bedeutete es noch, eine Gegend abzubetteln und zu bestehlen. Andere in die Umgangssprache aufgenommene Begriffe sind: Knast, einen Knacks haben, Kneipe, Kluft, Klinken putzen gehen, jemanden hochgehen lassen, pennen, pfiffig sein, Pleite machen, Quadratlatschen, | Heute finden sich in der Alltagssprache viele Ausdrücke, die der Kundensprache entstammen, deren Abstammung man ihnen nicht mehr ansieht, die allenfalls als salopp gelten: man grast heute Geschäfte ab, um etwas zu suchen, 1906 bedeutete es noch, eine Gegend abzubetteln und zu bestehlen. Andere in die Umgangssprache aufgenommene Begriffe sind: Knast, einen Knacks haben, Kneipe, Kluft, Klinken putzen gehen, jemanden hochgehen lassen, pennen, pfiffig sein, Pleite machen, Quadratlatschen, | ||
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==== Reisegebiete und -ziele ==== | ==== Reisegebiete und -ziele ==== | ||
- | Gern zogen die Handwerksburschen im 19. Jahrhundert nach Frankreich, Italien, Österreich. Es gab dort weniger Grenzen als in den Fürstentümern Deutschlands.// | + | Gern zogen die Handwerksburschen im [[wiki: |
Ab 1839 reisten die Gesellen auch vermehrt in den nahen Osten. ((Der türkische Sultan Mahmud II. und sein Nachfolger öffneten ab 1839 die Grenzen vermehrt dem Westen.)) Dabei stand sicher nicht die handwerkliche Fortbildung in Palästina im Vordergrund, | Ab 1839 reisten die Gesellen auch vermehrt in den nahen Osten. ((Der türkische Sultan Mahmud II. und sein Nachfolger öffneten ab 1839 die Grenzen vermehrt dem Westen.)) Dabei stand sicher nicht die handwerkliche Fortbildung in Palästina im Vordergrund, | ||
- | Die Mehrzahl der Wanderer jedoch blieb in Deutschland, | + | Die Mehrzahl der Wanderer jedoch blieb in Deutschland, |
Da das fahrende Volk auch weit hinter den Grenzen oft kontrolliert wurde, fiel man früher oder später auf, wenn man ohne Paß im Ausland war. Heinrichs schildert einen solchen Fall: //„Kaum eine Stunde waren wir von Deutschlands Grenzen entfernt. ... Plötzlich standen ... zwei dieser gefürchteten Beamten vor uns. Wieder hieß es kurz: `Papier vorzeigen.´ Wiederum konnte ich ungefährdet weiterziehen, | Da das fahrende Volk auch weit hinter den Grenzen oft kontrolliert wurde, fiel man früher oder später auf, wenn man ohne Paß im Ausland war. Heinrichs schildert einen solchen Fall: //„Kaum eine Stunde waren wir von Deutschlands Grenzen entfernt. ... Plötzlich standen ... zwei dieser gefürchteten Beamten vor uns. Wieder hieß es kurz: `Papier vorzeigen.´ Wiederum konnte ich ungefährdet weiterziehen, | ||
Schroeder trifft häufig Kunden, an bestimmten Orten tummeln sie sich, beispielsweise in Lindau. Ihre Reiseziele sind Hamburg, Pommern, Wien. Weit- und Fernreisende waren damals die Ausnahme, doch es gab sie. Er trifft zwei, die durch den Balkan in die Türkei wollen: //„Diese Tour hatten sie mir so verlockend geschildert, | Schroeder trifft häufig Kunden, an bestimmten Orten tummeln sie sich, beispielsweise in Lindau. Ihre Reiseziele sind Hamburg, Pommern, Wien. Weit- und Fernreisende waren damals die Ausnahme, doch es gab sie. Er trifft zwei, die durch den Balkan in die Türkei wollen: //„Diese Tour hatten sie mir so verlockend geschildert, | ||
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Winnig ist Handwerker, sucht aber seine Identität stärker im Dichterdasein. Als er einmal einen Aristokraten kennenlernt, | Winnig ist Handwerker, sucht aber seine Identität stärker im Dichterdasein. Als er einmal einen Aristokraten kennenlernt, | ||
Pfarre und Schroeder dagegen finden kaum Arbeit und merken schnell, wie leicht man ins Vagabundenmilieu abrutschen kann:// „Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? wenn man keine Arbeit findet, wenn man kein Zuhause mehr hat? Die Eltern haben, sind glücklich; die keine haben, abgebrannt sind und sich in keiner Stadt festsetzen können, - die werden Speckjäger. ... Jeder hier hat etwas Rauhes und Hartes an sich, doch keinem ist der Grimm angeboren; alles ist aufgelegt, aufgesetzt, von der Landstraße, | Pfarre und Schroeder dagegen finden kaum Arbeit und merken schnell, wie leicht man ins Vagabundenmilieu abrutschen kann:// „Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? wenn man keine Arbeit findet, wenn man kein Zuhause mehr hat? Die Eltern haben, sind glücklich; die keine haben, abgebrannt sind und sich in keiner Stadt festsetzen können, - die werden Speckjäger. ... Jeder hier hat etwas Rauhes und Hartes an sich, doch keinem ist der Grimm angeboren; alles ist aufgelegt, aufgesetzt, von der Landstraße, | ||
- | Auch für ungelernte Saisonarbeiter ist nur geringer Bedarf und die wenigen guten Stellen sind schnell fort. Obwohl das Arbeitsamt voller Arbeitssuchender ist, meldet sich niemand auf die ausgeschriebenen Stellen als Hopfenzupfer - das ist einfach zu schrecklich! Arbeit und Geld waren knapp und wurden immer knapper. Die Mechanisierung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert führte zu Arbeitsverlust. Handwerksburschen durchstreifen mit Saisonarbeitern, | + | Auch für ungelernte Saisonarbeiter ist nur geringer Bedarf und die wenigen guten Stellen sind schnell fort. Obwohl das Arbeitsamt voller Arbeitssuchender ist, meldet sich niemand auf die ausgeschriebenen Stellen als Hopfenzupfer - das ist einfach zu schrecklich! Arbeit und Geld waren knapp und wurden immer knapper. Die Mechanisierung und Industrialisierung im [[wiki: |
Daß für die Gesellschaft Wandern nicht gleich Wandern ist, erkennt Hasemann schnell:// „Ist es doch Modesache jetzt, die Wandervögelei. Man hilft ihnen, obgleich sie nur bis Fürstenwalde laufen mit vielerlei Kochtöpfen, | Daß für die Gesellschaft Wandern nicht gleich Wandern ist, erkennt Hasemann schnell:// „Ist es doch Modesache jetzt, die Wandervögelei. Man hilft ihnen, obgleich sie nur bis Fürstenwalde laufen mit vielerlei Kochtöpfen, | ||
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Künstler und Intellektuelle gingen aus ideologischen Gründen auf die Landstraße. '' | Künstler und Intellektuelle gingen aus ideologischen Gründen auf die Landstraße. '' | ||
===== 8 Und heute? ===== | ===== 8 Und heute? ===== | ||
- | Die große Zeit der Handwerksgesellen ist spätestens seit dem 1. Weltkrieg vorbei. Mit der Aufhebung der Zünfte und der Einführung der [[wiki: | + | Die große Zeit der Handwerksgesellen ist spätestens seit dem 1. Weltkrieg vorbei. Mit der Aufhebung der Zünfte und der Einführung der [[wiki: |
Vereinzelt wandern Handwerksgesellen noch heute mit // | Vereinzelt wandern Handwerksgesellen noch heute mit // | ||
Und die andere Seite, die Vagabunden, Berber, Landstreicher? | Und die andere Seite, die Vagabunden, Berber, Landstreicher? |
wiki/walz.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/30 06:06 von norbert