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wiki:walz

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wiki:walz [2021/06/20 05:53] norbertwiki:walz [2021/09/07 04:31] norbert
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   * Vagabunden\\    * Vagabunden\\ 
 Wie reiste das fahrende Volk? Was waren ihre Techniken des Unterwegs-seins? Um das herauszufinden, wird nachfolgend immer wieder aus den veröffentlichten Berichten einzelner Reisender zitiert - einige davon tauchen besonders häufig auf (In Klammern der jeweilige Reisezeitraum): Wie reiste das fahrende Volk? Was waren ihre Techniken des Unterwegs-seins? Um das herauszufinden, wird nachfolgend immer wieder aus den veröffentlichten Berichten einzelner Reisender zitiert - einige davon tauchen besonders häufig auf (In Klammern der jeweilige Reisezeitraum):
-  * ''Johann Eberhard Dewald'' (1836-1838) ist ein viel verwendetes Beispiel für den typischen reisenden Gesellen im 19. Jahrhundert.+  * ''Johann Eberhard Dewald'' (1836-1838) ist ein viel verwendetes Beispiel für den typischen reisenden Gesellen im [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 19. Jahrhundert|19. Jahrhundert]].
   * ''Alois Zettler'' (1872-1876) steht für den Gesellen aus dem großbürgerlichen Milieu und wird später Unternehmer.   * ''Alois Zettler'' (1872-1876) steht für den Gesellen aus dem großbürgerlichen Milieu und wird später Unternehmer.
   * ''Winnig'' (Mai 1896-1898) und Schroeder (Mitte 1922-Dezember 1923) kommen aus Arbeiterfamilien   * ''Winnig'' (Mai 1896-1898) und Schroeder (Mitte 1922-Dezember 1923) kommen aus Arbeiterfamilien
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   In der Fremde will ich lernen   In der Fremde will ich lernen
   Biografien bayrischer Handwerker aus den letzten beiden Jahrhunderten   Biografien bayrischer Handwerker aus den letzten beiden Jahrhunderten
-  Haus der Bayrischen Geschichte, Text: Falk Ohorn+  Haus der Bayrischen Geschichte Augsburg 2006, Text: Falk Ohorn
   ISBN 3-937974-13-x   ISBN 3-937974-13-x
   Der Historiker Ohorn recherchierte die Reisegeschichte von acht Handwerkern:   Der Historiker Ohorn recherchierte die Reisegeschichte von acht Handwerkern:
   Ludwig Köck (»Abu El Kismet«), Seraphin Hoegner, Thomas Wimmer aus Siglfing,    Ludwig Köck (»Abu El Kismet«), Seraphin Hoegner, Thomas Wimmer aus Siglfing, 
   Martin Irl aus Erding, Georg David Bilgram aus Memmingen und anderen.   Martin Irl aus Erding, Georg David Bilgram aus Memmingen und anderen.
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 ===== 2 Meister, gebt mir die Papiere ===== ===== 2 Meister, gebt mir die Papiere =====
 Was bewog junge Burschen nach der Lehre dazu, Monate und Jahre auf die Walz zu gehen, die Sicherheit von Heimat, Beruf, Elternhaus aufzugeben zugunsten Hunger und Not, einer ungewissen Zukunft, ausgeliefert dem Wetter und der Willkür fremder Menschen? Die Antwort ist vielschichtig:\\  Was bewog junge Burschen nach der Lehre dazu, Monate und Jahre auf die Walz zu gehen, die Sicherheit von Heimat, Beruf, Elternhaus aufzugeben zugunsten Hunger und Not, einer ungewissen Zukunft, ausgeliefert dem Wetter und der Willkür fremder Menschen? Die Antwort ist vielschichtig:\\ 
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 ==== Felleisen und Berliner  ==== ==== Felleisen und Berliner  ====
  
-Unsere Handwerksburschen sind alle Neulinge auf dem Reisesektor, bis auf Pfarre. Über die [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] wird nicht viel geredet, man beschränkt sich und nimmt, was man hat. Als Schroeder fluchtartig Trier verläßt, packt er Zahnbürste, Anzug, Selbstbinder ((Der Selbstbinder ist eine stets neu zu bindende Schleife, die nicht fest vernäht ist.)) und Kragen in seinen Koffer ((Schroeder, S. 6)) und vermißt schon bald Handtuch und Seife. ((Schroeder, S. 41)) Über den Koffer schimpft er oft, irgendwann zerfällt er ihm buchstäblich in der Hand und er improvisiert - bindet die Hosenbeine seiner zweiten Hose unten ab und stopft alles hinein, was er hat. Das ganze bezeichnet er als [[wiki:berliner|Berliner]] ((Der Berliner war leichter als das ältere [[wiki:felleisen|Felleisen]]. Die ersten, die ihn trugen, waren die Klempner - sie hatten grüne Berliner. Maurer und Zimmerleute banden den Berliner in ein großes, buntbedrucktes Taschentuch, Schmiede hüllten das Bündel in ihr Schurzfell, sonstige Kunden in ein Wachstuch. (s. Wolf) Der Berliner wurde als Rolle gebunden und sah aus wie ein übergroßes Knallbonbon mit etwa dreißig Zentimter im Durchmesser, ungefähr siebzig Zentimeter lang. Das Wort ist seit etwa 1880 bekannt und dürfte aus dem jiddischen „be alil“ (mit der Werkstätte) entstanden sein: eine ironische Bezeichnung für die Gesellen, die in ihrem Bündel das Werkzeug mit sich trugen.)) und ist äußerst zufrieden damit, spürt gar nicht, daß er etwas auf dem Rücken trägt; andere tragen ein Felleisen ((Das Felleisen, ein Behältnis, in dem Fußreisende ihre Siebensachen transportierten, war bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gebräuchlich. Es bestand meist aus Leder, war innen mit grober Leinwand gefüttert und bis-weilen mit einem Schloß gesichert. Manche Felleisen der Handwerksburschen um 1840 hatten Räder, so daß sie mit einem [[wiki:stab|Stock]] geschoben oder gezogen werden konnten. [Meyers Conversations-Lexikon 1840-1855] Bei der Fahrpost dienten zylindrische Felleisen als Behälter für Briefe und Pakete. Der [[wiki:begriff|Begriff]] Felleisen hat nichts mit Fell oder Eisen zu tun, sondern entstammt dem französischen valise (Handkoffer, Reisetasche) und dem älteren valisa (lat., ital.). Er wird synonym für [[wiki:ranzen|Ranzen]], [[wiki:rucksack|Rucksack]], [[wiki:mantelsack|Mantelsack]], Reisetasche, Reisesack, Packsattel benutzt. Manchmal wird er über die Achseln geworfen (Simplicissimus), mal auf den Rücken geschnallt und als Tornister getragen (Dewald). Das Wort ist seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts schriftlich bekannt als fellis)). 15 Monate, nachdem er Trier verlassen hat, filzt ihn die Polizei und wir erfahren, was er in seinen Taschen trägt: Gesellenbrief, Zeugnis, zwei Briefe, Paß, Geleitschein, Rasiermesser, Zahnbürste, Seife ... Viel ist es nicht. Vor Lindau trifft er einen sächsischen Kunden, der Vorräte für den Winter unter seiner Jacke trägt:// „An seinem Bauchriemen hängen aus kleinen Konservendosen zurecht geschusterte Blecheimerchen. In einem ist Fett, im anderen Butter, im dritten Schmalz; Öl verwahrt er in Flaschen. An einem Fleischerhaken, den er in der obersten Westentasche eingehakt, pendeln zwei Würste.“// ((Schroeder, S. 132)) \\ +Unsere Handwerksburschen sind alle Neulinge auf dem Reisesektor, bis auf Pfarre. Über die [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] wird nicht viel geredet, man beschränkt sich und nimmt, was man hat. Als Schroeder fluchtartig Trier verläßt, packt er Zahnbürste, Anzug, Selbstbinder ((Der Selbstbinder ist eine stets neu zu bindende Schleife, die nicht fest vernäht ist.)) und Kragen in seinen Koffer ((Schroeder, S. 6)) und vermißt schon bald Handtuch und Seife. ((Schroeder, S. 41)) Über den Koffer schimpft er oft, irgendwann zerfällt er ihm buchstäblich in der Hand und er improvisiert - bindet die Hosenbeine seiner zweiten Hose unten ab und stopft alles hinein, was er hat. Das ganze bezeichnet er als [[wiki:berliner|Berliner]] ((Der Berliner war leichter als das ältere [[wiki:felleisen|Felleisen]]. Die ersten, die ihn trugen, waren die Klempner - sie hatten grüne Berliner. Maurer und Zimmerleute banden den Berliner in ein großes, buntbedrucktes Taschentuch, Schmiede hüllten das Bündel in ihr Schurzfell, sonstige Kunden in ein Wachstuch. (s. Wolf) Der [[wiki:berliner|Berliner]] wurde als Rolle gebunden und sah aus wie ein übergroßes Knallbonbon mit etwa dreißig Zentimter im Durchmesser, ungefähr siebzig Zentimeter lang. Das Wort ist seit etwa 1880 bekannt und dürfte aus dem jiddischen „be alil“ (mit der Werkstätte) entstanden sein: eine ironische Bezeichnung für die Gesellen, die in ihrem Bündel das Werkzeug mit sich trugen.)) und ist äußerst zufrieden damit, spürt gar nicht, daß er etwas auf dem Rücken trägt; andere tragen ein Felleisen ((Das Felleisen, ein Behältnis, in dem Fußreisende ihre Siebensachen transportierten, war bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gebräuchlich. Es bestand meist aus Leder, war innen mit grober Leinwand gefüttert und bis-weilen mit einem Schloß gesichert. Manche Felleisen der Handwerksburschen um 1840 hatten Räder, so daß sie mit einem [[wiki:stab|Stock]] geschoben oder gezogen werden konnten. [Meyers Conversations-Lexikon 1840-1855] Bei der Fahrpost dienten zylindrische Felleisen als Behälter für Briefe und Pakete. Der [[wiki:begriff|Begriff]] [[wiki:felleisen|Felleisen]] hat nichts mit Fell oder Eisen zu tun, sondern entstammt dem französischen //valise// (Handkoffer, Reisetasche) und dem älteren valisa (lat., ital.). Er wird synonym für [[wiki:ranzen|Ranzen]], [[wiki:rucksack|Rucksack]], [[wiki:mantelsack|Mantelsack]], Reisetasche, Reisesack, Packsattel benutzt. Manchmal wird er über die Achseln geworfen (Simplicissimus), mal auf den Rücken geschnallt und als [[wiki:tornister|Tornister]] getragen (Dewald). Das Wort ist seit dem Beginn des [[wiki:reisegenerationen#14. Jahrhundert|14. Jahrhunderts]] schriftlich bekannt als fellis)). 15 Monate, nachdem er Trier verlassen hat, filzt ihn die Polizei und wir erfahren, was er in seinen Taschen trägt: Gesellenbrief, Zeugnis, zwei Briefe, Paß, Geleitschein, Rasiermesser, Zahnbürste, Seife ... Viel ist es nicht. Vor Lindau trifft er einen sächsischen Kunden, der Vorräte für den Winter unter seiner Jacke trägt:// „An seinem Bauchriemen hängen aus kleinen Konservendosen zurecht geschusterte Blecheimerchen. In einem ist Fett, im anderen Butter, im dritten Schmalz; Öl verwahrt er in Flaschen. An einem Fleischerhaken, den er in der obersten Westentasche eingehakt, pendeln zwei Würste.“// ((Schroeder, S. 132)) \\ 
 Winnig gräbt auf dem Speicher den Ranzen seines Großvaters und dessen [[wiki:stab|Eichenstock]] aus: //„Die Zeit schrieb damals einen Schnürbeutel aus schwarzem Wachstuch mit schwarzgrünen Traggurten vor, welches Behältnis in der Sprache der reisenden Burschen Berliner hieß, und auf solchen Berliner war mein Sinn gerichtet, nur war dergleichen in unserer kleinen Stadt nicht zu beschaffen.“// ((Winnig, S. 5)) Bei seiner ersten Arbeitsstelle fällt er auf wegen seiner derben Wanderschuhe mit den breiten Nägeln und seiner Arbeitsjacke aus krausem Wollstoff, die den Regen abwies. ((Heinrichs, S. 24)) \\  Winnig gräbt auf dem Speicher den Ranzen seines Großvaters und dessen [[wiki:stab|Eichenstock]] aus: //„Die Zeit schrieb damals einen Schnürbeutel aus schwarzem Wachstuch mit schwarzgrünen Traggurten vor, welches Behältnis in der Sprache der reisenden Burschen Berliner hieß, und auf solchen Berliner war mein Sinn gerichtet, nur war dergleichen in unserer kleinen Stadt nicht zu beschaffen.“// ((Winnig, S. 5)) Bei seiner ersten Arbeitsstelle fällt er auf wegen seiner derben Wanderschuhe mit den breiten Nägeln und seiner Arbeitsjacke aus krausem Wollstoff, die den Regen abwies. ((Heinrichs, S. 24)) \\ 
 Wie auch heute, ist die [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] ein Erkennungszeichen und ein Maßstab für den Grad der [[wiki:vertrauen|Vertrautheit]]:// „Er mochte um einige Jahre älter sein als ich, doch das hielt mich nicht ab, denselben anzureden; trug er ja auch [[wiki:ranzen|Ränzel]] und [[wiki:stab|Knotenstock]]. Nicht lange währte es, und wir hatten Freundschaft geschlossen.“//  Wie auch heute, ist die [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] ein Erkennungszeichen und ein Maßstab für den Grad der [[wiki:vertrauen|Vertrautheit]]:// „Er mochte um einige Jahre älter sein als ich, doch das hielt mich nicht ab, denselben anzureden; trug er ja auch [[wiki:ranzen|Ränzel]] und [[wiki:stab|Knotenstock]]. Nicht lange währte es, und wir hatten Freundschaft geschlossen.“// 
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 Die Kundensprache ((Diebssprache, Verbrechersprache, Schurersprache, Spitzbubenlatein, Schleifersprache, Scharfrichter- und Abdeckersprache, Schindersprache, Dirnensprache, Stromersprache, Krämersprache, Hausierersprache ... s. Wolf, Dt. Gaunersprache, S. 10)) (das Rotwelsche) ist bereits seit 1250 bekannt: „rot“ hieß der lügend und betrügend herumziehende Berufsbettler, als welsch wurden alle unverständlichen Worte und Sprachen bezeichnet (Kauderwelsch).\\  Die Kundensprache ((Diebssprache, Verbrechersprache, Schurersprache, Spitzbubenlatein, Schleifersprache, Scharfrichter- und Abdeckersprache, Schindersprache, Dirnensprache, Stromersprache, Krämersprache, Hausierersprache ... s. Wolf, Dt. Gaunersprache, S. 10)) (das Rotwelsche) ist bereits seit 1250 bekannt: „rot“ hieß der lügend und betrügend herumziehende Berufsbettler, als welsch wurden alle unverständlichen Worte und Sprachen bezeichnet (Kauderwelsch).\\ 
 Aber das fahrende Volk wollte ja gar nicht verstanden werden und übernahm aus den unterschiedlichsten Quellen Begriffe und schuf Redewendungen, die die Seßhaften nicht kannten. Im Mittelalter waren die meisten reisenden Kaufleute Juden, so daß viele Worte aus dem Jiddischen stammen. Andere sind der Zigeunersprache entlehnt, viele kommen aus regionalen Dialekten und wieder andere wurden als Metapher benutzt (Der Polizist wurde Deckel genannt wegen seiner deckelförmigen Kopfbedeckung). Das reisende Völkchen bestand aus vielen Gruppen: Kesselflicker, Scharfrichter, Henker, Abdecker, Schinder ((Schinden bedeutet „die Haut irgendeines Dinges abziehen“. Kaufleuten meinen damit, das Maß der Billigkeit zu überschreiten und übertriebene Forderungen zu stellen. Der Schinder oder Abdecker beseitigte früher die Tierleichen und zog diesen das Fell ab (schinden, abdecken). Gleichzeitig übernahm er auch die Leerung der Kloaken und das Fangen streunender Hunde. Abdecker galten als unehrlich. Nach dem deutschen Recht litt der Abdecker an Anrüchigkeit (levis notae macula) und war unfähig zum Eintritt in die Zünfte, in das Militär und in Ehrenstellen. Sofern es einen Scharfrichter am Ort gab, übernahm dieser auch die Abdeckerei und die Tortur. Beides überließ er Knechten, so daß er selbst im Sinne des deutschen Rechts ehrlich blieb.)), Büttel ((Der Bote des Gerichts wird Büttel genannt und kann auftreten als Häscher, Gerichtsdiener oder Ausrufer.)), Hausierer, auch Soldaten, Dirnen, Handwerksburschen, Schausteller, Künstler, Pilger waren unter ihnen. Und zwischen den legitimiert Reisenden fanden die Diebe und Trickbetrüger, Bettler und Ganoven, Ausgestoßene und Nicht-Seßhafte ihren Platz.\\  Aber das fahrende Volk wollte ja gar nicht verstanden werden und übernahm aus den unterschiedlichsten Quellen Begriffe und schuf Redewendungen, die die Seßhaften nicht kannten. Im Mittelalter waren die meisten reisenden Kaufleute Juden, so daß viele Worte aus dem Jiddischen stammen. Andere sind der Zigeunersprache entlehnt, viele kommen aus regionalen Dialekten und wieder andere wurden als Metapher benutzt (Der Polizist wurde Deckel genannt wegen seiner deckelförmigen Kopfbedeckung). Das reisende Völkchen bestand aus vielen Gruppen: Kesselflicker, Scharfrichter, Henker, Abdecker, Schinder ((Schinden bedeutet „die Haut irgendeines Dinges abziehen“. Kaufleuten meinen damit, das Maß der Billigkeit zu überschreiten und übertriebene Forderungen zu stellen. Der Schinder oder Abdecker beseitigte früher die Tierleichen und zog diesen das Fell ab (schinden, abdecken). Gleichzeitig übernahm er auch die Leerung der Kloaken und das Fangen streunender Hunde. Abdecker galten als unehrlich. Nach dem deutschen Recht litt der Abdecker an Anrüchigkeit (levis notae macula) und war unfähig zum Eintritt in die Zünfte, in das Militär und in Ehrenstellen. Sofern es einen Scharfrichter am Ort gab, übernahm dieser auch die Abdeckerei und die Tortur. Beides überließ er Knechten, so daß er selbst im Sinne des deutschen Rechts ehrlich blieb.)), Büttel ((Der Bote des Gerichts wird Büttel genannt und kann auftreten als Häscher, Gerichtsdiener oder Ausrufer.)), Hausierer, auch Soldaten, Dirnen, Handwerksburschen, Schausteller, Künstler, Pilger waren unter ihnen. Und zwischen den legitimiert Reisenden fanden die Diebe und Trickbetrüger, Bettler und Ganoven, Ausgestoßene und Nicht-Seßhafte ihren Platz.\\ 
-Das Rotwelsch ist die Schöpfung aller rastlos Reisenden, geeint durch die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen, jener, die Gesetz und Ordnung aus dem bürgerlichen Stadtleben und der ländlichen Seßhaftigkeit ausschloß. Ausgrenzung und Abgrenzung gaben sich dabei die Hand - auch die Fahrenden hatten ihren Dünkel, sie nannten sich selbst die „Jenischen“, das sind die Klugen. Und weil sie klug waren, hatten sie ihre Geheimsprache. Und während sie aus Sicht der Bürgerlichen schon mal „das verbrecherische Proletariat aller Stände“ ((Wolf, Dt. Gaunersprache, S. 12)) genannt wurden, konnte man sie auch als eigenen Stand neben Adel, Bauern, Bürgern und Handwerkern betrachten, die eben ihre eigene Standessprache benutzten. Die Kunden verwendeten die hochdeutsche Grammatik, jedoch mit liebenswerter Anarchie - jede Regel durfte beliebig gebrochen werden. Deswegen lebte das Rotwelsche und bot Gelegenheit zur Kreativität: //„von Geheimnisvollem und kindlich Unentwickeltem, von Umschreibungen und Andeutungen, von Unwahrem, Falschem und Geändertem, von Spott und Ironie, von Aalglattem und Unfaßbarem; sinnlich roh, widerstrebend, kosmopolitisch und strenge sich abschließend, überall verstanden und ohne Heimat.“// ((Wolf, Dt. Gaunersprache, S. 14)) \\ +Das [[wiki:rotwelsch|Rotwelsch]] ist die Schöpfung aller rastlos Reisenden, geeint durch die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen, jener, die Gesetz und Ordnung aus dem bürgerlichen Stadtleben und der ländlichen Seßhaftigkeit ausschloß. Ausgrenzung und Abgrenzung gaben sich dabei die Hand - auch die Fahrenden hatten ihren Dünkel, sie nannten sich selbst die „Jenischen“, das sind die Klugen. Und weil sie klug waren, hatten sie ihre Geheimsprache. Und während sie aus Sicht der Bürgerlichen schon mal „das verbrecherische Proletariat aller Stände“ ((Wolf, Dt. Gaunersprache, S. 12)) genannt wurden, konnte man sie auch als eigenen Stand neben Adel, Bauern, Bürgern und Handwerkern betrachten, die eben ihre eigene Standessprache benutzten. Die Kunden verwendeten die hochdeutsche Grammatik, jedoch mit liebenswerter Anarchie - jede Regel durfte beliebig gebrochen werden. Deswegen lebte das Rotwelsche und bot Gelegenheit zur Kreativität: //„von Geheimnisvollem und kindlich Unentwickeltem, von Umschreibungen und Andeutungen, von Unwahrem, Falschem und Geändertem, von Spott und Ironie, von Aalglattem und Unfaßbarem; sinnlich roh, widerstrebend, kosmopolitisch und strenge sich abschließend, überall verstanden und ohne Heimat.“// ((Wolf, Dt. Gaunersprache, S. 14)) \\ 
 Die Kundensprache führt zu einer Identität, man fühlt sich verbunden, man versteht sich oder grenzt sich ab. Während Winnig kaum jemals ein Wort der Kundensprache benutzt, pflegen Heinrichs, Pfarre, Schroedel sie ausgiebig und selbstverständlich.\\  Die Kundensprache führt zu einer Identität, man fühlt sich verbunden, man versteht sich oder grenzt sich ab. Während Winnig kaum jemals ein Wort der Kundensprache benutzt, pflegen Heinrichs, Pfarre, Schroedel sie ausgiebig und selbstverständlich.\\ 
 Heute finden sich in der Alltagssprache viele Ausdrücke, die der Kundensprache entstammen, deren Abstammung man ihnen nicht mehr ansieht, die allenfalls als salopp gelten: man grast heute Geschäfte ab, um etwas zu suchen, 1906 bedeutete es noch, eine Gegend abzubetteln und zu bestehlen. Andere in die Umgangssprache aufgenommene Begriffe sind: Knast, einen Knacks haben, Kneipe, Kluft, Klinken putzen gehen, jemanden hochgehen lassen, pennen, pfiffig sein, Pleite machen, Quadratlatschen, Kaschemme, keinen Bock haben, malochen, Kohldampf schieben, in Schale werfen, verkohlen, u.v.a.m. Hin und wieder gelang es, das fahrende Volk dazu zu bewegen, sich an einem Ort niederzulassen. Dort findet man noch heute die Kundensprache besonders ausgeprägt, so im fränkischen Schillingsfürst, in Matzenbach, Teufstetten und Schopfloch, auch im Württembergischen und Rheinpfälzischen. ((Kleßmann)) Heute finden sich in der Alltagssprache viele Ausdrücke, die der Kundensprache entstammen, deren Abstammung man ihnen nicht mehr ansieht, die allenfalls als salopp gelten: man grast heute Geschäfte ab, um etwas zu suchen, 1906 bedeutete es noch, eine Gegend abzubetteln und zu bestehlen. Andere in die Umgangssprache aufgenommene Begriffe sind: Knast, einen Knacks haben, Kneipe, Kluft, Klinken putzen gehen, jemanden hochgehen lassen, pennen, pfiffig sein, Pleite machen, Quadratlatschen, Kaschemme, keinen Bock haben, malochen, Kohldampf schieben, in Schale werfen, verkohlen, u.v.a.m. Hin und wieder gelang es, das fahrende Volk dazu zu bewegen, sich an einem Ort niederzulassen. Dort findet man noch heute die Kundensprache besonders ausgeprägt, so im fränkischen Schillingsfürst, in Matzenbach, Teufstetten und Schopfloch, auch im Württembergischen und Rheinpfälzischen. ((Kleßmann))
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 ==== Reisegebiete und -ziele ==== ==== Reisegebiete und -ziele ====
  
-Gern zogen die Handwerksburschen im 19. Jahrhundert nach Frankreich, Italien, Österreich. Es gab dort weniger Grenzen als in den Fürstentümern Deutschlands.// „Diese ewigen Grenzen im Deutschen Reich sind wahrhaft vom Teufel erfunden. Das unaufhörliche Passieren von Schlagbäumen, und das Durchschnüffeln des Wanderbuches von Constablern und Stadtsoldaten aller Art ist mit viel Verdruß verbunden und lästig genug für einen ordentlichen Gesellen, der nichts will, als sich in der Welt umsehen und sein Metier tüchtig erlernen.“// ((Hoffmann, S. 81))\\ +Gern zogen die Handwerksburschen im [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 19. Jahrhundert|19. Jahrhundert]] nach Frankreich, Italien, Österreich. Es gab dort weniger Grenzen als in den Fürstentümern Deutschlands.// „Diese ewigen Grenzen im Deutschen Reich sind wahrhaft vom Teufel erfunden. Das unaufhörliche Passieren von Schlagbäumen, und das Durchschnüffeln des Wanderbuches von Constablern und Stadtsoldaten aller Art ist mit viel Verdruß verbunden und lästig genug für einen ordentlichen Gesellen, der nichts will, als sich in der Welt umsehen und sein Metier tüchtig erlernen.“// ((Hoffmann, S. 81))\\ 
 Ab 1839 reisten die Gesellen auch vermehrt in den nahen Osten. ((Der türkische Sultan Mahmud II. und sein Nachfolger öffneten ab 1839 die Grenzen vermehrt dem Westen.)) Dabei stand sicher nicht die handwerkliche Fortbildung in Palästina im Vordergrund, eher Abenteuerlust. Das Motiv der Pilgerschaft und der Glaube, auf der Wanderschaft durch Gott beschützt zu sein, verbanden sich mit der Idee der Walz. Später baute sogar das preußische Konsulat in Jerusalem eine eigene Gesellenherberge. Etwa 25 protestantische Gesellen suchten Jerusalem jährlich auf. \\  Ab 1839 reisten die Gesellen auch vermehrt in den nahen Osten. ((Der türkische Sultan Mahmud II. und sein Nachfolger öffneten ab 1839 die Grenzen vermehrt dem Westen.)) Dabei stand sicher nicht die handwerkliche Fortbildung in Palästina im Vordergrund, eher Abenteuerlust. Das Motiv der Pilgerschaft und der Glaube, auf der Wanderschaft durch Gott beschützt zu sein, verbanden sich mit der Idee der Walz. Später baute sogar das preußische Konsulat in Jerusalem eine eigene Gesellenherberge. Etwa 25 protestantische Gesellen suchten Jerusalem jährlich auf. \\ 
-Die Mehrzahl der Wanderer jedoch blieb in Deutschland, denn man brauchte einen Paß, um die Grenze (offiziell) zu passieren. //„Alte Kunden hielten sich an einen bestimmten Landstrich, in dem sie mit Art und Brauch der Bewohner vertraut waren, die Wege und die Herbergen, die guten und die schlechten Orte, die Gendarmen und die Gefängnisse kannten. Diesen Landstrich, der selten über die Grenzen einer Provinz hinausgriff, verließen sie nicht oder nur notgedrungen, etwa wenn ihnen eine hohe Bettelstrafe drohte. Weder junge Wanderburschen noch alte Kunden wichen dem Wetter aus, sie kürzten die täglichen Wege, aber sie zogen morgens ab. Der Krankheit gaben wohl junge Burschen nach, aber nicht die alten Reisläufer ((Reisläufer ist hier in übertragenem Sinne zu verstehen. Der [[wiki:begriff|Begriff]] meint ursprünglich junge Burschen (meist Schweizer), die sich ab dem 15. Jahrhundert zusammenschlossen, um in anderen Ländern Kriegsdienste zu leisten. Diese umherziehenden Gruppen wurden Reiseläufer oder Reisläufer genannt. [Grimms Wörterbuch])) der Landstraße, ich habe nie gehört, daß einer in der Herberge krank zurückgeblieben oder ins Krankenhaus geschafft worden sei; sie wanderten auch dann, wenn sie den [[wiki:grenze_zwischen_leben_und_tod|Tod]] in den Knochen fühlten, und suchten sich lieber draußen einen geschützten Winkel zum Sterben, als daß sie sich in Menschenhände gegeben hätten.“// ((Winnig, S. 164 f.)) Winnig schreibt diese Gedanken angesichts eines eisigen Winters nieder, in dem er draußen auf der Landstraße selber viel gefroren hat und zudem einen toten Kunden im Schutz einer Feldscheune fand.\\ +Die Mehrzahl der Wanderer jedoch blieb in Deutschland, denn man brauchte einen Paß, um die Grenze (offiziell) zu passieren. //„Alte Kunden hielten sich an einen bestimmten Landstrich, in dem sie mit Art und Brauch der Bewohner vertraut waren, die Wege und die Herbergen, die guten und die schlechten Orte, die Gendarmen und die Gefängnisse kannten. Diesen Landstrich, der selten über die Grenzen einer Provinz hinausgriff, verließen sie nicht oder nur notgedrungen, etwa wenn ihnen eine hohe Bettelstrafe drohte. Weder junge Wanderburschen noch alte Kunden wichen dem Wetter aus, sie kürzten die täglichen Wege, aber sie zogen morgens ab. Der Krankheit gaben wohl junge Burschen nach, aber nicht die alten Reisläufer ((Reisläufer ist hier in übertragenem Sinne zu verstehen. Der [[wiki:begriff|Begriff]] meint ursprünglich junge Burschen (meist Schweizer), die sich ab dem [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 15. Jahrhundert|15. Jahrhundert]] zusammenschlossen, um in anderen Ländern Kriegsdienste zu leisten. Diese umherziehenden Gruppen wurden Reiseläufer oder Reisläufer genannt. [Grimms Wörterbuch])) der Landstraße, ich habe nie gehört, daß einer in der Herberge krank zurückgeblieben oder ins Krankenhaus geschafft worden sei; sie wanderten auch dann, wenn sie den [[wiki:grenze_zwischen_leben_und_tod|Tod]] in den Knochen fühlten, und suchten sich lieber draußen einen geschützten Winkel zum Sterben, als daß sie sich in Menschenhände gegeben hätten.“// ((Winnig, S. 164 f.)) Winnig schreibt diese Gedanken angesichts eines eisigen Winters nieder, in dem er draußen auf der Landstraße selber viel gefroren hat und zudem einen toten Kunden im Schutz einer Feldscheune fand.\\ 
 Da das fahrende Volk auch weit hinter den Grenzen oft kontrolliert wurde, fiel man früher oder später auf, wenn man ohne Paß im Ausland war. Heinrichs schildert einen solchen Fall: //„Kaum eine Stunde waren wir von Deutschlands Grenzen entfernt. ... Plötzlich standen ... zwei dieser gefürchteten Beamten vor uns. Wieder hieß es kurz: `Papier vorzeigen.´ Wiederum konnte ich ungefährdet weiterziehen, aber mein treuer Kamerad? [Ihm] wurde der Schub prophezeit, das heißt, er würde vom nächsten Orte per Bahn zur Grenze befördert werden.“// ((Heinrichs, S. 55 f.))\\  Da das fahrende Volk auch weit hinter den Grenzen oft kontrolliert wurde, fiel man früher oder später auf, wenn man ohne Paß im Ausland war. Heinrichs schildert einen solchen Fall: //„Kaum eine Stunde waren wir von Deutschlands Grenzen entfernt. ... Plötzlich standen ... zwei dieser gefürchteten Beamten vor uns. Wieder hieß es kurz: `Papier vorzeigen.´ Wiederum konnte ich ungefährdet weiterziehen, aber mein treuer Kamerad? [Ihm] wurde der Schub prophezeit, das heißt, er würde vom nächsten Orte per Bahn zur Grenze befördert werden.“// ((Heinrichs, S. 55 f.))\\ 
 Schroeder trifft häufig Kunden, an bestimmten Orten tummeln sie sich, beispielsweise in Lindau. Ihre Reiseziele sind Hamburg, Pommern, Wien. Weit- und Fernreisende waren damals die Ausnahme, doch es gab sie. Er trifft zwei, die durch den Balkan in die Türkei wollen: //„Diese Tour hatten sie mir so verlockend geschildert, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre ich mit ihnen getigert. Doch solange ich Deutschland nicht kenne, nicht ganz angesehen habe, weiß ich nicht, was ich in anderen Ländern suchen soll.“// ((Schroeder, S. 152)) Dann trifft er einen alten Speckjäger, der seit 34 Jahren, also seit 1889, auf der Landstraße ist: //„Er kennt Indien, war fünf Jahre in der französischen Fremdenlegion, machte als Tramp siebenmal von Newyork nach San Francisco, einmal die große Büffelstraße, und hat nachher von der Landstraße einfach nicht mehr weggekonnt, sie hat ihn festgehalten.“// ((Schroeder, S. 245))\\  Schroeder trifft häufig Kunden, an bestimmten Orten tummeln sie sich, beispielsweise in Lindau. Ihre Reiseziele sind Hamburg, Pommern, Wien. Weit- und Fernreisende waren damals die Ausnahme, doch es gab sie. Er trifft zwei, die durch den Balkan in die Türkei wollen: //„Diese Tour hatten sie mir so verlockend geschildert, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre ich mit ihnen getigert. Doch solange ich Deutschland nicht kenne, nicht ganz angesehen habe, weiß ich nicht, was ich in anderen Ländern suchen soll.“// ((Schroeder, S. 152)) Dann trifft er einen alten Speckjäger, der seit 34 Jahren, also seit 1889, auf der Landstraße ist: //„Er kennt Indien, war fünf Jahre in der französischen Fremdenlegion, machte als Tramp siebenmal von Newyork nach San Francisco, einmal die große Büffelstraße, und hat nachher von der Landstraße einfach nicht mehr weggekonnt, sie hat ihn festgehalten.“// ((Schroeder, S. 245))\\ 
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 Winnig ist Handwerker, sucht aber seine Identität stärker im Dichterdasein. Als er einmal einen Aristokraten kennenlernt, idealisiert er ihn, nimmt selber Züge eines abgehobenen Verhaltens an. Die Sprache der Kunden lehnt er ab, preist das ruhige, bürgerliche Benehmen. Und als er Hannover verläßt, stellt er fest: //„Es hat uns nicht gefallen, den langen Weg zur Stadt hinaus zu gehen; der Wanderbursche paßte schon damals nicht mehr in das Straßenbild der großen Städte.“// ((Winnig, S. 100)) Und das, obwohl es in Hannover 500 Baustellen gab? Immer wieder betont er, daß er nur notgedrungen mit Kunden zusammengehe, ihre Gesellschaft schätzt er nicht. Nach über einem Jahr auf der Landstraße zieht er tatsächlich mit drei Kunden los und übt gemeinsam mit ihnen in einem Dorf das Fechten. Dabei bleibt es dann auch. Er studiert und beobachtet das fahrende Volk, aber mit dem Herzen ist er nicht dabei.\\  Winnig ist Handwerker, sucht aber seine Identität stärker im Dichterdasein. Als er einmal einen Aristokraten kennenlernt, idealisiert er ihn, nimmt selber Züge eines abgehobenen Verhaltens an. Die Sprache der Kunden lehnt er ab, preist das ruhige, bürgerliche Benehmen. Und als er Hannover verläßt, stellt er fest: //„Es hat uns nicht gefallen, den langen Weg zur Stadt hinaus zu gehen; der Wanderbursche paßte schon damals nicht mehr in das Straßenbild der großen Städte.“// ((Winnig, S. 100)) Und das, obwohl es in Hannover 500 Baustellen gab? Immer wieder betont er, daß er nur notgedrungen mit Kunden zusammengehe, ihre Gesellschaft schätzt er nicht. Nach über einem Jahr auf der Landstraße zieht er tatsächlich mit drei Kunden los und übt gemeinsam mit ihnen in einem Dorf das Fechten. Dabei bleibt es dann auch. Er studiert und beobachtet das fahrende Volk, aber mit dem Herzen ist er nicht dabei.\\ 
 Pfarre und Schroeder dagegen finden kaum Arbeit und merken schnell, wie leicht man ins Vagabundenmilieu abrutschen kann:// „Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? wenn man keine Arbeit findet, wenn man kein Zuhause mehr hat? Die Eltern haben, sind glücklich; die keine haben, abgebrannt sind und sich in keiner Stadt festsetzen können, - die werden Speckjäger. ... Jeder hier hat etwas Rauhes und Hartes an sich, doch keinem ist der Grimm angeboren; alles ist aufgelegt, aufgesetzt, von der Landstraße, von dem Elend, das sie umgibt.“// ((Schroeder, S. 160)) Pfarre wird in Nürnberg gewarnt: //„Hüte Dich vor der Landstraße, Du gehst sicher kaputt!“ Ich erwiderte, daß mir die Gefährlichkeit der Landstraße übertrieben schien, ich sei doch schon einige Wochen getippelt. „Ja“, sagte der Maler, „bis jetzt mit Geld, und nun ohne.“// ((Pfarre, S. 13))\\  Pfarre und Schroeder dagegen finden kaum Arbeit und merken schnell, wie leicht man ins Vagabundenmilieu abrutschen kann:// „Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? wenn man keine Arbeit findet, wenn man kein Zuhause mehr hat? Die Eltern haben, sind glücklich; die keine haben, abgebrannt sind und sich in keiner Stadt festsetzen können, - die werden Speckjäger. ... Jeder hier hat etwas Rauhes und Hartes an sich, doch keinem ist der Grimm angeboren; alles ist aufgelegt, aufgesetzt, von der Landstraße, von dem Elend, das sie umgibt.“// ((Schroeder, S. 160)) Pfarre wird in Nürnberg gewarnt: //„Hüte Dich vor der Landstraße, Du gehst sicher kaputt!“ Ich erwiderte, daß mir die Gefährlichkeit der Landstraße übertrieben schien, ich sei doch schon einige Wochen getippelt. „Ja“, sagte der Maler, „bis jetzt mit Geld, und nun ohne.“// ((Pfarre, S. 13))\\ 
-Auch für ungelernte Saisonarbeiter ist nur geringer Bedarf und die wenigen guten Stellen sind schnell fort. Obwohl das Arbeitsamt voller Arbeitssuchender ist, meldet sich niemand auf die ausgeschriebenen Stellen als Hopfenzupfer - das ist einfach zu schrecklich! Arbeit und Geld waren knapp und wurden immer knapper. Die Mechanisierung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert führte zu Arbeitsverlust. Handwerksburschen durchstreifen mit Saisonarbeitern, Stellungslosen und Landstreichern das Land oder gehen ins Ausland. In der Schweiz entstanden Handwerkervereine als Vorform der Arbeitervereine. Revolutionäre Ideen entstanden, die Polizei war mißtrauisch. Wandern wurde zum gesellschaftlich kritischen Faktor.\\ +Auch für ungelernte Saisonarbeiter ist nur geringer Bedarf und die wenigen guten Stellen sind schnell fort. Obwohl das Arbeitsamt voller Arbeitssuchender ist, meldet sich niemand auf die ausgeschriebenen Stellen als Hopfenzupfer - das ist einfach zu schrecklich! Arbeit und Geld waren knapp und wurden immer knapper. Die Mechanisierung und Industrialisierung im [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 19. Jahrhundert|19. Jahrhundert]] führte zu Arbeitsverlust. Handwerksburschen durchstreifen mit Saisonarbeitern, Stellungslosen und Landstreichern das Land oder gehen ins Ausland. In der Schweiz entstanden Handwerkervereine als Vorform der Arbeitervereine. Revolutionäre Ideen entstanden, die Polizei war mißtrauisch. [[wiki:wandern|Wandern]] wurde zum gesellschaftlich kritischen Faktor.\\ 
 Daß für die Gesellschaft Wandern nicht gleich Wandern ist, erkennt Hasemann schnell:// „Ist es doch Modesache jetzt, die Wandervögelei. Man hilft ihnen, obgleich sie nur bis Fürstenwalde laufen mit vielerlei Kochtöpfen, man macht große Sachen, bildet Vereine - Geschmackssache - unterstützt wo immer möglich diese gedankenlose Modekrankheit, die ein gesunder Deutscher belächeln muß, aber niemand kümmert sich um die, die über die Grenzen unseres Vaterlandes hinauswallen, einen Rock und einen Gott und keine reichen Eltern haben, und nach alter deutscher Sitte auf die Wanderschaft gehen, sich wirklich die Welt anschauen unter Mühen und Strapazen, denen man kein Obdach bietet.“// ((Hasemann, S. 132 f.)) Die wahren Kunden beschreibt er so:// „Über die ganze Erde ist ein Kundennetz gebreitet, Deutsche sind es, die seit alters her die Landstraße ihr eigen nennen. Als junge Burschen zogen sie aus einmal, und nun sind sie grauköpfige Männer geworden, immer sind sie gegangen, nie haben sie gerastet, und sie sterben einmal in irgendeiner Ecke, an irgendeiner Landstraße der Welt, vielleicht hinter irgendeiner Hecke. Manche haben schon seit Menschengedenken eine Tour, Hamburg-Jerusalem oder Rom-Wien-Berlin-Paris. Mancher hat ewig die gleiche Tabakspfeife, nur ist sie schon ganz kurz geworden, er geht Amsterdam-Athen.“ ((Hasemann, S. 195))//  Daß für die Gesellschaft Wandern nicht gleich Wandern ist, erkennt Hasemann schnell:// „Ist es doch Modesache jetzt, die Wandervögelei. Man hilft ihnen, obgleich sie nur bis Fürstenwalde laufen mit vielerlei Kochtöpfen, man macht große Sachen, bildet Vereine - Geschmackssache - unterstützt wo immer möglich diese gedankenlose Modekrankheit, die ein gesunder Deutscher belächeln muß, aber niemand kümmert sich um die, die über die Grenzen unseres Vaterlandes hinauswallen, einen Rock und einen Gott und keine reichen Eltern haben, und nach alter deutscher Sitte auf die Wanderschaft gehen, sich wirklich die Welt anschauen unter Mühen und Strapazen, denen man kein Obdach bietet.“// ((Hasemann, S. 132 f.)) Die wahren Kunden beschreibt er so:// „Über die ganze Erde ist ein Kundennetz gebreitet, Deutsche sind es, die seit alters her die Landstraße ihr eigen nennen. Als junge Burschen zogen sie aus einmal, und nun sind sie grauköpfige Männer geworden, immer sind sie gegangen, nie haben sie gerastet, und sie sterben einmal in irgendeiner Ecke, an irgendeiner Landstraße der Welt, vielleicht hinter irgendeiner Hecke. Manche haben schon seit Menschengedenken eine Tour, Hamburg-Jerusalem oder Rom-Wien-Berlin-Paris. Mancher hat ewig die gleiche Tabakspfeife, nur ist sie schon ganz kurz geworden, er geht Amsterdam-Athen.“ ((Hasemann, S. 195))// 
  
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 Künstler und Intellektuelle gingen aus ideologischen Gründen auf die Landstraße. ''Gustav Brügel'', Landstreicher und Schriftsteller aus Balingen bei Stuttgart, gab 1927 die erste Zeitschrift der [[wiki:vagabund|Vagabunden]], den „Kunden“, heraus, Gregor Gog übernahm nach der ersten Nummer. Gog gründete die „Bruderschaft der Vagabunden“. Zusammen mit Pfarrern, Dichtern, Anarchisten und Malern, Träumern und Wanderpredigern, Jugendbewegten und Asozialen, alle auf der Landstraße, baute man Kontakte zu den Berliner „Anarcho-Syndikalisten“ und der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ auf. Sie alle trugen zum „Kunden“ bei. 1928 fand der erste öffentliche Vagabundenabend in Stuttgart statt, weitere folgten in Berlin, Mannheim, Hamburg, Dortmund. Pfingsten 1929 gab es dann das erste große Vagabunden-Treffen in Stuttgart mit 600 Teilnehmern aus Deutschland, Österreich, Böhmen, Polen, Dänemark, Finnland, Ägypten - aber keine aus Frankreich. ((Sergej Tretjakow, Der König der Vagabunden in: Trappmann, S. 329)) 1930 wird erstmals ein Vagabundenfilm gedreht, an dem Gregor Gog und zahlreiche andere [[wiki:vagabund|Vagabunden]] teilhaben. Im gleichen Jahr gibt es in Deutschland acht Ausstellungen von Vagabundenkünstlern. 1933 wird Gregor Gog verhaftet, kommt in mehrere KZs und kann Ende 1933 in die Schweiz fliehen. Die Bücher der Vagabunden wurden verboten, das gesamte Archiv abtransportiert. Die folgenden zwölf Jahre genügten, um Kultur und Tradition der Vagabunden fast vollständig auszurotten. Künstler und Intellektuelle gingen aus ideologischen Gründen auf die Landstraße. ''Gustav Brügel'', Landstreicher und Schriftsteller aus Balingen bei Stuttgart, gab 1927 die erste Zeitschrift der [[wiki:vagabund|Vagabunden]], den „Kunden“, heraus, Gregor Gog übernahm nach der ersten Nummer. Gog gründete die „Bruderschaft der Vagabunden“. Zusammen mit Pfarrern, Dichtern, Anarchisten und Malern, Träumern und Wanderpredigern, Jugendbewegten und Asozialen, alle auf der Landstraße, baute man Kontakte zu den Berliner „Anarcho-Syndikalisten“ und der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ auf. Sie alle trugen zum „Kunden“ bei. 1928 fand der erste öffentliche Vagabundenabend in Stuttgart statt, weitere folgten in Berlin, Mannheim, Hamburg, Dortmund. Pfingsten 1929 gab es dann das erste große Vagabunden-Treffen in Stuttgart mit 600 Teilnehmern aus Deutschland, Österreich, Böhmen, Polen, Dänemark, Finnland, Ägypten - aber keine aus Frankreich. ((Sergej Tretjakow, Der König der Vagabunden in: Trappmann, S. 329)) 1930 wird erstmals ein Vagabundenfilm gedreht, an dem Gregor Gog und zahlreiche andere [[wiki:vagabund|Vagabunden]] teilhaben. Im gleichen Jahr gibt es in Deutschland acht Ausstellungen von Vagabundenkünstlern. 1933 wird Gregor Gog verhaftet, kommt in mehrere KZs und kann Ende 1933 in die Schweiz fliehen. Die Bücher der Vagabunden wurden verboten, das gesamte Archiv abtransportiert. Die folgenden zwölf Jahre genügten, um Kultur und Tradition der Vagabunden fast vollständig auszurotten.
 ===== 8 Und heute? ===== ===== 8 Und heute? =====
-Die große Zeit der Handwerksgesellen ist spätestens seit dem 1. Weltkrieg vorbei. Mit der Aufhebung der Zünfte und der Einführung der [[wiki:grundfreiheiten|Gewerbefreiheit]] im 19. Jahrhundert hatte diese Bewegung ihren Zenit überschritten. Winnig kam sich 1897 in den großen Städten fehl am Platze vor. Die Industrialisierung Europas und die sich zyklisch wiederholenden Wirtschaftskrisen führten in Schüben immer mal wieder zu einem Anstieg der Massen auf den Straßen. Doch nun nahmen Arbeiter, Wanderarbeiter und Lumpenproletariat die Stelle der Gesellen ein. 1927 waren 70.000 Menschen auf den Straßen Deutschlands unterwegs, sechs Jahre später waren es bereits wieder 450.000. ((Trappmann, S. 15)) Immer spiegelte sich in den Wanderungsbewegungen die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Unsicherheit. Die Nationalsozialisten brachten ab 1933 die [[wiki:vagabund|Vagabunden]] mit allen Mitteln von der Straße: Arbeitslager, Verhaftung, Razzien, [[wiki:muendigkeit|Entmündigung]], Psychiatrisierung und sechs Jahre Krieg beseitigten fast alle Spuren der Heimatlosen. ((Kadereit)) Auch für die „Nicht-Seßhaften“ von heute ist die Landstraße meist ohne Romantik, sondern hat eher mit dem Teufelskreis von Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit und sozialem Abstieg zu tun.\\ +Die große Zeit der Handwerksgesellen ist spätestens seit dem 1. Weltkrieg vorbei. Mit der Aufhebung der Zünfte und der Einführung der [[wiki:grundfreiheiten|Gewerbefreiheit]] im [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 19. Jahrhundert|19. Jahrhundert]] hatte diese Bewegung ihren Zenit überschritten. Winnig kam sich 1897 in den großen Städten fehl am Platze vor. Die Industrialisierung Europas und die sich zyklisch wiederholenden Wirtschaftskrisen führten in Schüben immer mal wieder zu einem Anstieg der Massen auf den Straßen. Doch nun nahmen Arbeiter, Wanderarbeiter und Lumpenproletariat die Stelle der Gesellen ein. 1927 waren 70.000 Menschen auf den Straßen Deutschlands unterwegs, sechs Jahre später waren es bereits wieder 450.000. ((Trappmann, S. 15)) Immer spiegelte sich in den Wanderungsbewegungen die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Unsicherheit. Die Nationalsozialisten brachten ab 1933 die [[wiki:vagabund|Vagabunden]] mit allen Mitteln von der Straße: Arbeitslager, Verhaftung, Razzien, [[wiki:muendigkeit|Entmündigung]], Psychiatrisierung und sechs Jahre Krieg beseitigten fast alle Spuren der Heimatlosen. ((Kadereit)) Auch für die „Nicht-Seßhaften“ von heute ist die Landstraße meist ohne Romantik, sondern hat eher mit dem Teufelskreis von Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit und sozialem Abstieg zu tun.\\ 
 Vereinzelt wandern Handwerksgesellen noch heute mit //Ehrbarkeit// ((Früher Rotwelsch: Halsbinde, heute Krawatte)), //Staude// ((Hemd)), //Schlapphut, Stenz// (([[wiki:stab|Stock]])) und schwarzen Cordhosen. Auch wenn sie nicht mehr Teil einer gesellschaftlichen Massenbewegung sind, so erhalten sie doch die Traditionen aufrecht. Sie werden „als Exoten bestaunt in einer durchtechnisierten, profitorientierten Welt“. ((Schiemann)) Sie tragen immer noch den //Berliner// mit Rasierpinsel, Unterwäsche, Schuhputzzeug, Hammer, Lot und Wasserwaage und //scheniegeln// ((Arbeiten, von Schinagole (jidd. = Schubkarre))) bei //Krautern// ((Krauter wird der Handwerksmeister genannt, insbesondere der zunftlose auf dem freien Land)). Etwa 3000 organisierte Gesellen gab es 1985: sie dürfen keine dreißig Jahre alt sein, weder verheiratet noch vorbestraft, dürfen keine Schulden haben, sollen charakterfest im Umgang mit Alkohol sein. Sogar eine „Confédération Compagnonnages“ der europäischen Gesellenzünfte gibt es.\\  Vereinzelt wandern Handwerksgesellen noch heute mit //Ehrbarkeit// ((Früher Rotwelsch: Halsbinde, heute Krawatte)), //Staude// ((Hemd)), //Schlapphut, Stenz// (([[wiki:stab|Stock]])) und schwarzen Cordhosen. Auch wenn sie nicht mehr Teil einer gesellschaftlichen Massenbewegung sind, so erhalten sie doch die Traditionen aufrecht. Sie werden „als Exoten bestaunt in einer durchtechnisierten, profitorientierten Welt“. ((Schiemann)) Sie tragen immer noch den //Berliner// mit Rasierpinsel, Unterwäsche, Schuhputzzeug, Hammer, Lot und Wasserwaage und //scheniegeln// ((Arbeiten, von Schinagole (jidd. = Schubkarre))) bei //Krautern// ((Krauter wird der Handwerksmeister genannt, insbesondere der zunftlose auf dem freien Land)). Etwa 3000 organisierte Gesellen gab es 1985: sie dürfen keine dreißig Jahre alt sein, weder verheiratet noch vorbestraft, dürfen keine Schulden haben, sollen charakterfest im Umgang mit Alkohol sein. Sogar eine „Confédération Compagnonnages“ der europäischen Gesellenzünfte gibt es.\\ 
 Und die andere Seite, die Vagabunden, Berber, Landstreicher? Ihre Zahl nimmt zu, entsprechend der Arbeitslosenquote. 1971 lebte ein Reporter eine Woche lang als Penner, schlief im Düsseldorfer Nachtasyl der Franziskaner und in der Hamburger Mönckebergstraße. Acht Tage Betteln brachten ihm 31,88 Mark ein. Und die Gespräche im Asyl hätten auch 50 Jahre früher stattfinden können. Der eine will in den Süden, nach Spanien, //wo´s warm is´.// Eine Nutte schüttet sich die Bierreste aus den Gläsern zusammen, den //Klapperschluck//. ((Klappern bedeutet im rotwelschen betteln.)) 1975 ziehen wieder zwei Reporter mit den Pennern los. Da treffen sie dann beispielsweise den Ex-Söldner, der jedes Jahr sechs- bis achtmal kreuz und quer durch Deutschland zieht, zu Fuß, per Anhalter oder mit Zug und „Bahnbenutzungsgenehmigung“ des Sozialamtes, von einer der 700 Herbergen zur nächsten. Und sie werden immer noch „abgebient“, nach Läusen untersucht. In der Celler Herberge zur Heimat will der Diakon 1,30 Mark pro Nacht und für die Flasche Bier 1,10. Gegessen wird auf Kommando: nach sieben Minuten sind Graupensuppe und Brot verschlungen. Am nächsten Tag geht es weiter, denn in den meisten Herbergen darf man nur alle sechs bis zwölf Monate übernachten. //„Die meisten von uns wollen nicht auf die Straße, sie müssen - weil sie vor sich selbst und den anderen auf der Flucht sind. Deshalb sind die meisten Berber ((Mit Berber werden seit ein, zwei Jahrzehnten die modernen Landstreicher und [[wiki:vagabund|Vagabunden]] bezeichnet. Es scheint eine Neuschöpfung des Rotwelschen zu sein.)) Einzelgänger, die keinem trauen.“// ((Holzach)) \\  Und die andere Seite, die Vagabunden, Berber, Landstreicher? Ihre Zahl nimmt zu, entsprechend der Arbeitslosenquote. 1971 lebte ein Reporter eine Woche lang als Penner, schlief im Düsseldorfer Nachtasyl der Franziskaner und in der Hamburger Mönckebergstraße. Acht Tage Betteln brachten ihm 31,88 Mark ein. Und die Gespräche im Asyl hätten auch 50 Jahre früher stattfinden können. Der eine will in den Süden, nach Spanien, //wo´s warm is´.// Eine Nutte schüttet sich die Bierreste aus den Gläsern zusammen, den //Klapperschluck//. ((Klappern bedeutet im rotwelschen betteln.)) 1975 ziehen wieder zwei Reporter mit den Pennern los. Da treffen sie dann beispielsweise den Ex-Söldner, der jedes Jahr sechs- bis achtmal kreuz und quer durch Deutschland zieht, zu Fuß, per Anhalter oder mit Zug und „Bahnbenutzungsgenehmigung“ des Sozialamtes, von einer der 700 Herbergen zur nächsten. Und sie werden immer noch „abgebient“, nach Läusen untersucht. In der Celler Herberge zur Heimat will der Diakon 1,30 Mark pro Nacht und für die Flasche Bier 1,10. Gegessen wird auf Kommando: nach sieben Minuten sind Graupensuppe und Brot verschlungen. Am nächsten Tag geht es weiter, denn in den meisten Herbergen darf man nur alle sechs bis zwölf Monate übernachten. //„Die meisten von uns wollen nicht auf die Straße, sie müssen - weil sie vor sich selbst und den anderen auf der Flucht sind. Deshalb sind die meisten Berber ((Mit Berber werden seit ein, zwei Jahrzehnten die modernen Landstreicher und [[wiki:vagabund|Vagabunden]] bezeichnet. Es scheint eine Neuschöpfung des Rotwelschen zu sein.)) Einzelgänger, die keinem trauen.“// ((Holzach)) \\ 
wiki/walz.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/30 06:06 von norbert

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