Ulla Hahn
: Für mehr Achtsamkeit im Umgang mit der Sprache. FAZ 30.06.2020Die Sprache ist das Haus des Seins. Martin Heidegger
Sprache ist unabdingbar, wenn wir uns verständigen wollen. Auch Blicke lösen etwas in uns aus; Berührungen sind unverzichtbar und Gerüche rufen tief vergrabene Erinnerungen auf - aber der Verstand benötigt Begriffe und wer etwas begriffen hat, muss es ausdrücken können. Der Feuilletonist Karl Kraus
hat das einmal satirisch umgekehrt in Worte gefasst: »Es reicht nicht, nichts zu sagen zu haben; man muss auch unfähig sein es auszudrücken.« Das klingt lustig. Zerstörerisch instrumentalisiert wurde es von Lenin, der - wie jeder andere Macht-Lüstling auch - erkannt hatte, dass man zuerst die Worte und Begriffe zerstören muss, wenn man die bestehende Ordnung zerstören will 1). Auf der anderen, schöpferischen Seite bilden sich spezifische Ausdrucksformen durch unsere Vorstellungen in (Reise-)Metaphern, Geflügelten Worten, Zwillingsformeln.
»Ich reise so gern in China«, sagte Jensen, »weil da die Leute mit ihrer Sprache nicht stören! Ich verstehe kein Wort.« Hat recht, der Mann. Kurt Tucholsky, »Yousana-wo-bi-räbidäbi-dé?« [Pseud. Peter Panter] Vossische Zeitung 25.11.1928
Wenn uns etwas »spanisch vorkommt« dann sind es oft »böhmische Dörfer«. Dagegen spricht man im Tschechischen von „spanischen Dörfern“ (španělské věsnice), während den Spaniern eher chinesisch zumute ist: »es como si me hablaran en chino«.
Was man nicht versteht, kommt von weit her, etwa aus der Walachei 2). Dort spricht man natürlich Kauderwelsch 3). Solche Leute »brabbeln« eine Art »Blah-Blah« und man versteht nur »Rhabarber, Rhabarber«.
Ein Barbar war im antiken Griechenland jemand, der kaum Griechisch sprach. Das Wort fand Eingang in fast alle europäischen Sprachen. Dabei ist es so alt, daß es sich auch im Sanskrit findet (barbarāh), im Persischen, Armenischen, Arabischen (Berber) … Auf drei Kontinenten bezeichnen sich also Völker mit dem gleichen Wort gegenseitig als sprachunkundig und wählen dafür paradoxerweise ein Wort, das von allen verstanden wird.
Die dahinter erkennbare Haltung scheint universal gültig zu sein, denn weltweit bezeichnen sich viele Ethnien in ihrer Eigenbezeichnung schlicht als »Menschen« 4).
Die Slawen nennen sich selbst die Sprechenden (slovene), für die Goten waren es die Schweigenden (slavan). Die Anderen sind eben Stotterer, Stammler, Stumme, also nemec, niemka, njemka wie die Deutschen im Tschechischen, Polnischen, Russischen heißen. Und weil man ihnen nichts erklären kann, verstehen sie auch nichts und benehmen sich barbarisch.
Weltsprache sind solche, die weit über ihr heimatsprachliches Gebiet in anderen Sprachgebieten zur Verständigung genutzt werden. Wer als beispielsweise Mandarin spricht, kann sich zwar mit der größten Sprechergruppe weltweit verständigen, jedoch ist das außerhalb Chinas wenig hilfreich.
Wörterbücher sind für andere Sprachen nur begrenzt hilfreich, weil Wort-für-Wort-Übersetzung bereits deutsch-englisch zu Missverständnissen führen (z. B. Anglizismen, Jargon, Fachsprache), weil jede Sprache ihre Besonderheiten hat:
Gaston Dorren
R.W.B. McCormack
In Rajasthan und Ostafrika kann man sich prima auf Englisch verständigen (siehe Trotter 90, S. 64: Aurr frennd fromm Pakißtahn), nur in London versteht einen keiner. Ham wir alle schon erlebt. Nun hat ein Experte diesem Phänomen in 43 Ländern nachgelauscht. R.W.B.McC. versteht als Ethnolinguist nicht nur viel von Völkern und vom Babbeln, sondern als Ichthyologe auch einiges vom Schweigen. Sein Reisetagebuch zeigt Beispiele von Hinglisch über Eurobabble und Franglais bis zum Bamboo English.
Ich hoffe für ihn, daß dieser Feldversuch keine Blasen in den Ohren oder gar Schlimmeres nach sich gezogen hat, vielleicht die »murgha position… Der Übeltäter muß sich hinhocken, die Arme von hinten durch die Beine führen und sich die Ohren zuhalten.« (Pakistan) Allerdings kann die Lektüre dieses kurzweiligen Buches unseren Verlegern wertvolle Tips geben, wie sich der Umfang von Reisesprachführern erheblich vermindern läßt. So antwortet ein Malaye auf die Frage »Can you read newspapers in Chinese.« mit einem klaren »Can.« – Versteht doch jeder, ebenso wie die Verdoppelungstaktik: Ein »hot-hot-curry« ist – na, was wohl – natürlich besonders scharf! »now-now« heißt dann »sehr bald«, ein »now-now-Girl« (Kenia) ist – na? Und nebenbei erfahren wir noch viel über Hintergründe: »Australier reden flach, bewegen Lippen und Unterkiefer nur minimal, um Staub und Fliegen keine Chance zu lassen.«
Reisetechnisch an jeder Grenze der Erde wertvoll: »I didn’t say that I didn’t say it. I said that I didn’t say that I said it.« Mein Fazit: Ein Survival-Handbuch der Kommunikation. (Rezension im Trotter von Norbert Lüdtke)
Mark Twain
(1835 - 1910) verzweifelte an der deutschen Sprache, deren Sätze er als seitenlange Monumente beschrieb, die in der Regel enden mit »haben sind gewesen gehabt haben geworden sein«. Eine Broschüre dazu bietet der DAAD zum Download an. In »A Tramp Abroad« lästerte er: »I can understand German as well as the maniac that invented it, but I talk it best through an interpreter.«
Mark Twain
zé do rock
Auch eine Weltreise, wie vorhin das Buch. Ein sprachbegabter Deutsch-Brasilianer reist vom »land der farblich rausgeforderten menshen« in den »ser naen osten« und erzählt von »de abentoia in de land fo de 1000 slizaugen«. Schnell erkennt er, daß man mit Sprachen viel flexibler umgehen muß, z.B.: »in Camerun is alles milda, nur die straszen sind härta. es gibt kein asfalt mer und die strasze is ein löchameer.«
Das ist Poesie! Und im Norden: »wier gen zum baanhoof und wollen bis zum näächsten taach warten. um 1 uur nachts komt de baanbeamte und wil uns rausschmeissen. (Holland) … daenisk is kurt und abartig, svedisk längar und sviriger in de gramatik, finis hat viilä vokaalä … als vyrde ma opp en berg klettern… (Norwegen) … gott sai dank varen scheaun cranquenvagen zour stellé, die misch zoum cranquenhaous transportierten (Frankreich) «.
»Brauchst Du mer als 10 Brötchen den nexten Morgen, bitte kommen hinein und erzählen es zu uns. Dan haben wir ihren Früstück den näxten Morgen gepäct.« Kennen wir alle, solche freundlich gemeinten, aber ausdrucksmäßig starken »Übelsetzungen«, meist auf Speisekarten, Aushängen und Schildern. Hier ist ein ganzes Büchlein voll davon, und da das Thema unerschöpflich ist, liegt bereits Band 2 vor.
Ernst Kausen
Harald Haarmann
Rudolf Hoberg
, Gesellschaft fur deutsche Sprache (Wiesbaden)Jutta Limbach
siehe auch
Fachliteratur
Fachbegriff
Wörterbücher
Glossar
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Ulla Hahn
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