Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


wiki:pilger

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.

Link zu der Vergleichsansicht

Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorherige Überarbeitung
wiki:pilger [2024/04/06 06:05] – [Literatur] norbertwiki:pilger [2025/01/30 05:54] (aktuell) – [Pilger] norbert
Zeile 1: Zeile 1:
 ====== Pilger ====== ====== Pilger ======
 +
 +  »Ach Fremde, du bist wahrlich hart; du bist sehr schwer, das sage ich dir in Wahrheit.
 +  Mit Mühsal leben, die der Heimat entbehren. Ich habe es an mir erprobt:
 +  Ich fand nichts Liebes in dir, ich fand in dir nichts als Jammer und 
 +  ein schmerzerfülltes Herz und vielfältige Trauer.«
 +  Otfrieds Evangelienbuch 
 +
 Im Altgriechischen gab es kein Wort für `Pilger´ - die Antike kannte den Pilgerbegriff nicht, wohl aber ein Pilgertum im Sinne von `Reisen zu heiligen Orten´, das besonders im jüdischen Glauben und in paganen Kulten verwurzelt war. Auch eine mit dem Pilgern verwandte Einstellung war bekannt: bactroperita im griechischen Raum, [[wiki:wanderradikalismus|Wandercharismatiker]] im jüdischen, [[wiki:wandermoench|Wandermönche]] im indischen. Ein griechischer Philosoph war kaum anders als wandernd vorstellbar. ''Strabon'' (griechischer Historiker und Geograph, 63 v. - 23 n. Chr.) fand die, die nach dem Sinn des Lebens suchen, in jenen, die die Berge durchstreiften, etwa [[wiki:wanderpoeten|Wanderpoeten]].  Im Altgriechischen gab es kein Wort für `Pilger´ - die Antike kannte den Pilgerbegriff nicht, wohl aber ein Pilgertum im Sinne von `Reisen zu heiligen Orten´, das besonders im jüdischen Glauben und in paganen Kulten verwurzelt war. Auch eine mit dem Pilgern verwandte Einstellung war bekannt: bactroperita im griechischen Raum, [[wiki:wanderradikalismus|Wandercharismatiker]] im jüdischen, [[wiki:wandermoench|Wandermönche]] im indischen. Ein griechischer Philosoph war kaum anders als wandernd vorstellbar. ''Strabon'' (griechischer Historiker und Geograph, 63 v. - 23 n. Chr.) fand die, die nach dem Sinn des Lebens suchen, in jenen, die die Berge durchstreiften, etwa [[wiki:wanderpoeten|Wanderpoeten]]. 
  
Zeile 16: Zeile 23:
 Im 7. Jahrhundert eroberten Muslime die christlichen Gebiete im östlichen Mittelmeer. Die massenhaften Pilgerscharen zu den heiligen Orten im heutigen Syrien entfielen und verschoben sich nach Byzanz, während das Pilgerziel Jerusalem offen blieb. Mit den Kreuzzügen ab dem [[wiki:reisegenerationen#Seit dem 11. Jahrhundert|11. Jahrhundert]] entstanden die Jakobswege nach Santiago de Compostela, also ans damalige ans [[wiki:das_ende_der_welt|Ende der Welt]], das Cap Finisterra. Im [[wiki:reisegenerationen#14. Jahrhundert|14. Jahrhundert]] wurden die Jubeljahre erfunden, also Romfahrten [[wiki:per_pedes_apostolorum|per pedes apostolorum]] zu den [[wiki:per_pedes_apostolorum|Apostelgräbern]], etwa auf der Via Francigena von Canterbury nach Rom.  Im 7. Jahrhundert eroberten Muslime die christlichen Gebiete im östlichen Mittelmeer. Die massenhaften Pilgerscharen zu den heiligen Orten im heutigen Syrien entfielen und verschoben sich nach Byzanz, während das Pilgerziel Jerusalem offen blieb. Mit den Kreuzzügen ab dem [[wiki:reisegenerationen#Seit dem 11. Jahrhundert|11. Jahrhundert]] entstanden die Jakobswege nach Santiago de Compostela, also ans damalige ans [[wiki:das_ende_der_welt|Ende der Welt]], das Cap Finisterra. Im [[wiki:reisegenerationen#14. Jahrhundert|14. Jahrhundert]] wurden die Jubeljahre erfunden, also Romfahrten [[wiki:per_pedes_apostolorum|per pedes apostolorum]] zu den [[wiki:per_pedes_apostolorum|Apostelgräbern]], etwa auf der Via Francigena von Canterbury nach Rom. 
  
-  »Ach Fremde, du bist wahrlich hart; du bist sehr schwer, das sage ich dir in Wahrheit. +''Helena'', Mutter des römischen Kaisers ''Konstantin'', reiste [[wiki:reisegenerationen#Zwischen Mittelalter und Antike|326]] nach Palästina und wurde zum Vorbild der entstehenden Pilgerbewegung — es waren meist [[wiki:literaturliste_frauen_unterwegs|Frauen]] , die in den nächsten Jahrhunderten pilgerten. Die Wanderungen Jesu nachvollziehend, wurden dessen unsichtbare Spuren zum Objekt der Anbetung: // »Lasset uns beten an den Stellen, wo sein Fuß gestanden hat.«// 
-  Mit Mühsal leben, die der Heimat entbehren. Ich habe es an mir erprobt: +
-  Ich fand nichts Liebes in dir, ich fand in dir nichts als Jammer und  +
-  ein schmerzerfülltes Herz und vielfältige Trauer.« +
-  Otfrieds Evangelienbuch  +
- +
-''Helena'', Mutter des römischen Kaisers ''Konstantin'', reiste [[wiki:reisegenerationen#Zwischen Mittelalter und Antike|326]] nach Palästina und wurde zum Vorbild der entstehenden Pilgerbewegung — es waren meist [[wiki:frauen_unterwegs|Frauen]] , die in den nächsten Jahrhunderten pilgerten. Die Wanderungen Jesu nachvollziehend, wurden dessen unsichtbare Spuren zum Objekt der Anbetung: // »Lasset uns beten an den Stellen, wo sein Fuß gestanden hat.«// +
  
 Im //[[wiki:itinerar|Itinerarium]] Burdigalense//, dem ältesten bekannten Pilgerführer (333 n. Chr.), wird die Reise von Bordeaux nach Jerusalem über Toulouse, Narbonne, Mailand, Padua, Belgrad, Sofia, Adrianopel, Konstantinopel, durch Syrien nach Palästina, beschrieben. Neben Jerusalem und Rom entstanden weitere Ziele: Santiago de Compostela, Canterbury, Einsiedeln, die Heilige Linde, Lourdes. Das [[wiki:reisegepaeck#Das Reisegepäck der Pilger im Mittelalter|Reisegepäck der Pilger]] war übersichtlich: Waffenlos und barfuß im einfachen Gewand mit breitkrempigem Hut, [[wiki:pera|Umhängetasche]], [[wiki:pilgerstab|Pilgerstab]] und dem Kürbis als [[wiki:wasserbehaelter|Wasserflasche]] wanderten die Pilger; warme [[wiki:baederreise|Bäder]] und weiche Betten sollten gemieden, Haare und Fingernägel durften nicht geschnitten werden. Als Ziel für Überfälle waren Pilger wenig attraktiv. Im //[[wiki:itinerar|Itinerarium]] Burdigalense//, dem ältesten bekannten Pilgerführer (333 n. Chr.), wird die Reise von Bordeaux nach Jerusalem über Toulouse, Narbonne, Mailand, Padua, Belgrad, Sofia, Adrianopel, Konstantinopel, durch Syrien nach Palästina, beschrieben. Neben Jerusalem und Rom entstanden weitere Ziele: Santiago de Compostela, Canterbury, Einsiedeln, die Heilige Linde, Lourdes. Das [[wiki:reisegepaeck#Das Reisegepäck der Pilger im Mittelalter|Reisegepäck der Pilger]] war übersichtlich: Waffenlos und barfuß im einfachen Gewand mit breitkrempigem Hut, [[wiki:pera|Umhängetasche]], [[wiki:pilgerstab|Pilgerstab]] und dem Kürbis als [[wiki:wasserbehaelter|Wasserflasche]] wanderten die Pilger; warme [[wiki:baederreise|Bäder]] und weiche Betten sollten gemieden, Haare und Fingernägel durften nicht geschnitten werden. Als Ziel für Überfälle waren Pilger wenig attraktiv.
Zeile 44: Zeile 45:
 In jener Hochzeit des [[wiki:glaube|Glaubens]] verlangte die Kirche mit ihrem //»Vita mutandur, non tollitur«,// (Das Leben ändert sich, aber es endet nicht) nach der Kunst, gut zu sterben. Der [[wiki:grenze_zwischen_leben_und_tod|Tod]] selbst schreckte nicht und Pilgerreisen waren oft Reisen von Alten und Kranken, um an einem besonderen Ort zu sterben und auf dem beschwerlichen Weg dorthin einen letzten Verdienst für das Jenseits zu erwandern. Mit der Pest kam der Schrecken vor dem Ende, einem qualvollen Tod durch tagelanges Ersticken, und vor einer schwärzlich verfärbten Leiche mit aufgeplatzten Pestbeulen. Bei der Epidemie von 1347 starb ein Drittel der 36 Millionen West- und Mitteleuropäer. Keine Familie blieb verschont, Orte wurden entvölkert, Gebiete verödeten, betroffen waren Reich und Arm, der Tod wirkte als großer Gleichmacher. Wer überlebte suchte Trost im Leben. Die Anziehungskraft des Glaubens verblaßte, die Moderne erschien am Horizont. In jener Hochzeit des [[wiki:glaube|Glaubens]] verlangte die Kirche mit ihrem //»Vita mutandur, non tollitur«,// (Das Leben ändert sich, aber es endet nicht) nach der Kunst, gut zu sterben. Der [[wiki:grenze_zwischen_leben_und_tod|Tod]] selbst schreckte nicht und Pilgerreisen waren oft Reisen von Alten und Kranken, um an einem besonderen Ort zu sterben und auf dem beschwerlichen Weg dorthin einen letzten Verdienst für das Jenseits zu erwandern. Mit der Pest kam der Schrecken vor dem Ende, einem qualvollen Tod durch tagelanges Ersticken, und vor einer schwärzlich verfärbten Leiche mit aufgeplatzten Pestbeulen. Bei der Epidemie von 1347 starb ein Drittel der 36 Millionen West- und Mitteleuropäer. Keine Familie blieb verschont, Orte wurden entvölkert, Gebiete verödeten, betroffen waren Reich und Arm, der Tod wirkte als großer Gleichmacher. Wer überlebte suchte Trost im Leben. Die Anziehungskraft des Glaubens verblaßte, die Moderne erschien am Horizont.
  
-[[wiki:reisegenerationen#Ab dem 16. Jahrhundert|1510]] pilgerte ''Luther'' 1.300 km nach Rom in sechs Wochen, doch Pilgern ist nicht mehr »in«. 1786 begegnete ''Goethe'' bei Padua zwei Pilgern »hier ganz eigentlich am Platze«, doch schienen sie ihm befremdend, waren es doch die ersten, die er in der Nähe sah. Im Gespräch beklagten sie, allerorts wie [[wiki:vagabund|Landstreicher]] behandelt zu werden. Das Pilgerwesen geriet aus der Zeit. Kostenlose Pilgereinrichtungen wurden von [[wiki:fahrendes_volk|Fahrenden]], [[wiki:vaganten|Vaganten]] und [[wiki:vagabund|Vagabunden]] genutzt, richtigen Pilgern wurde mißtraut. Italien, das [[wiki:Arkadien|Arkadien]] der [[wiki:reisegenerationen#18. Jahrhundert|Romantik]], wurde dem Bürgertum zum Ziel weltlicher Pilgerreisen. Nicht mehr der Glaube an eine jenseitige [[wiki:welt|Welt]], sondern das diesseitige Schöne verführten zum [[wiki:reisen|Reisen]]. Andächtig betrachtet wurden Kunst, Architektur, Statuen; ein ganz bestimmtes Rombild wurde gesucht, dem die »Heilige Stadt« nur Rahmen war.+[[wiki:reisegenerationen#Ab dem 16. Jahrhundert|1510]] pilgerte ''Luther'' 1.300 km nach Rom in sechs Wochen, doch Pilgern ist nicht mehr »in«. 1786 begegnete ''Goethe'' bei Padua zwei Pilgern »hier ganz eigentlich am Platze«, doch schienen sie ihm befremdend, waren es doch die ersten, die er in der Nähe sah. Im Gespräch beklagten sie, allerorts wie [[wiki:vagabund|Landstreicher]] behandelt zu werden. Eine Bettelordnung von 1721 nennt den pilgram zusammen mit //»bettler, jauner, gartenknecht, verstelte geistliche, angebende handwercks-gesellen, und waldbrüdern«// ((Einblattdruck aus dem Gräfl. Schönbornschen Archiv in Oberstadion 
 +Sign: XXIV Nr. 60, zit. nach Klaus Herbers: Der Jakobuskult in Süddeutschland. Kultgeschichte in regionaler und europäischer Perspektive. (=Jakobus-Studien, 7) Narr, Tübingen 1995 S. 146 )) 
 +Das Pilgerwesen geriet aus der Zeit. Kostenlose Pilgereinrichtungen wurden von [[wiki:fahrendes_volk|Fahrenden]], [[wiki:vaganten|Vaganten]] und [[wiki:vagabund|Vagabunden]] genutzt, richtigen Pilgern wurde mißtraut. Italien, das [[wiki:Arkadien|Arkadien]] der [[wiki:reisegenerationen#18. Jahrhundert|Romantik]], wurde dem Bürgertum zum Ziel weltlicher Pilgerreisen. Nicht mehr der Glaube an eine jenseitige [[wiki:welt|Welt]], sondern das diesseitige Schöne verführten zum [[wiki:reisen|Reisen]]. Andächtig betrachtet wurden Kunst, Architektur, Statuen; ein ganz bestimmtes Rombild wurde gesucht, dem die »Heilige Stadt« nur Rahmen war.
   * ''Ursula Ganz-Blättler''\\ //Andacht und Abenteuer//.\\ Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger 1320-1520\\ Gunter Narr Verlag, 1990   * ''Ursula Ganz-Blättler''\\ //Andacht und Abenteuer//.\\ Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger 1320-1520\\ Gunter Narr Verlag, 1990
   * ''Carl Gustav Carus''\\ //Pilger im Felsental//\\ nach 1828/30 (Öl auf Leinwand, 28×22 cm Nationalgalerie Berlin)    * ''Carl Gustav Carus''\\ //Pilger im Felsental//\\ nach 1828/30 (Öl auf Leinwand, 28×22 cm Nationalgalerie Berlin) 
Zeile 55: Zeile 58:
      
   Wilheim Busch   Wilheim Busch
 +
 ==== Verweise ==== ==== Verweise ====
  
Zeile 60: Zeile 64:
 → [[wiki:liste_ausstellungen#Pilger & Wallfahrt|Begriffsfeld]], dort auch → Bibliographien \\  → [[wiki:liste_ausstellungen#Pilger & Wallfahrt|Begriffsfeld]], dort auch → Bibliographien \\ 
 → [[wiki:reisegepaeck#Das Reisegepäck der Pilger im Mittelalter|Das Reisegepäck der Pilger im Mittelalter]]\\  → [[wiki:reisegepaeck#Das Reisegepäck der Pilger im Mittelalter|Das Reisegepäck der Pilger im Mittelalter]]\\ 
-→ Literatur siehe in der [[wiki:zeitleiste_der_pilgerfahrten|Zeitleiste der Pilgerfahrten]]+→ Literatur siehe in der [[wiki:zeitleiste_pilgerfahrten|Zeitleiste der Pilgerfahrten]]
  
  
  
wiki/pilger.1712383503.txt.gz · Zuletzt geändert: 2024/04/06 06:05 von norbert

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki