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Korruption

»Korruption« ist ein selten hinterfragter Plakatbegriff und darin vergleichbar mit der touristischen Tricolore von 'Sicherheit, Freiheit, Gesundheit', im Unterschied zu diesen jedoch einhellig zu verurteilen, rechtlich sowieso, aber auch (empört!) moralisch, sittlich verwerflich und meist als Teil eines undurchsichtigen 'Sumpfes' verdächtig.

Breite Zustimmung erfahren dürfte jedoch auch die Alltagserfahrung »Wer gut schmiert, der gut fährt«. Zu dieser ars corrumpendi hat jeder etwas beizutragen, verschmitzt grinsend. Wenn aber so viele davon profitieren, weshalb wird sie dann verurteilt?

Einer Theorie zufolge ist Korruption der archaische Rest eines Verhaltens, das im sozialen Umfeld von Großfamilie, Clan und Stamm unverzichtbar war und auch heute noch so bezeichnet wird - Vetternwirtschaft, Nepotismus - und ähnlichen gesellschaftlichen Kräften unterworfen ist wie Tauschgeschäfte, Gastgeschenke oder Brautpreis, denn dadurch wird bewirkt, dass die knappen Ressourcen im Umlauf bleiben: Letztlich ist jeder irgendwann am Geben und Nehmen beteiligt.

Das kollidiert heute jedoch mit hierarchischer Verwaltung, die sachlich zweckmäßig entscheiden soll und »ohne Ansehen der Person«. Dann bleibt nur die Wahrung des Scheins über die Kaffeekasse oder das Neujährchen, das den Zugang zur familia sichert. Ist das Geschäft allerdings groß genug, darf man von Provision sprechen; ist das Machtgefälle groß, wird der Betrag zur Schutzgeldzahlung oder zum Schweigegeld.

Korruption ist Gift für den Staat, weil eine Minderheit auf Kosten einer Mehrheit bevorzugt wird. Umgekehrt funktionieren failed states wesentlich auf Tauschgeschäften. Persönliche Macht wird mittels Stempel oder Radarpistole, Uniform oder Waffe zur Einkommensquelle an einem Schalter oder einem roadblock. Der Aushandelungsvorgang findet idealerweise ohne Zeugen statt und die Übergabe wird verschleiert, damit es keine Annahme gibt, sondern als `Versehen´, `Verlieren´, `Vergessen´ erklärt werden kann.

Reisende genießen als Fremde gewohnheitsmäßig eher weniger Rechte; sie können als Sprachunkundige den Aushandlungsvorgang kaum gleichwertig gestalten und sie können nur einmal gemolken werden, dann sind sie weg. Zudem wird in traditionell tribalisierten oder feudalisierten Gesellschaften »Korruption« nicht als solche bewertet, sondern ist ein selbstverständlicher Vorgang, einer Abgabe vergleichbar.


  • Alfred K. Treml:
    Korruption. »Moralischer Verfall« oder Dysfunktion?
    Universitas 53 (1998) 251−262

Unterwegs: Kontrollen an roadblocks - Afrikanische Erfahrungen

Es gibt oft ein gewisses Maß an Willkür bei den Offiziellen, sowohl an der Grenze als auch bei landesinternen Kontrollen (roadblocks). Insbesondere in Sambia ist es üblich bei Annäherung an einen roadblock die Warnblinkanlage einzuschalten. Das Gespräch kann dann so aussehen:

  1. Sie halten einen an, weil der Wagen (Kennzeichen, Aussehen …) auffällt. Bei vielen Stopps suchen die Uniformierten lediglich ein nettes Gespräch. Sei unterhaltsam und freundlich: How do you do? Habari? Witzig sein. Fluchen, fordern, befehlen führt auf die Verliererseite.
  2. Die erste Frage nach dem „Woher … Wohin“ eröffnet uns die Möglichkeit, auf die touristische Schiene zu kommen: (A) „Aus dem Nationalpark XY … Der ist ja sooo schön, wie überhaupt alles in diesem tollen Land mit seinen freundlichen Menschen.“ (B) „Wir wollen nach X – Wie kommen wir denn am besten dorthin?“ Weiße Südafrikaner werden gerne besonders hart behandelt. Mache deutlich, dass Du Deutscher bist.
  3. Falls die Plauderei nicht hilft, muss man Dokumente vorzeigen. Davon haben wir so viele wie möglich als laminierte Farbkopie. Originale niemals aus der Hand geben (außer zum Stempeln an der Grenze). Die Kopien wurden fast immer akzeptiert.
    Die Mappe mit den Papieren enthält aber auch Fotos, die neugierig machen: Mannschaften von deutschen Fußballclubs mit Spielern aus Afrika, Bilder der Familie, von Weihnachten, aus den verschneiten Bergen. Das führt dann wieder zurück zur unterhaltsamen Plauderei.
  4. Die Ladung kontrollieren zu wollen, kann ein Schritt zur Eskalation sein. Die Fenster des Canopy sind von innen schwarz verklebt. Die Fenster zur Rückbank haben Vorhänge. Der Kühlschrank ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Zu sehen sind Kissen, Decken, Campingausrüstung und ähnliches. Damit sind die einen zufrieden, andere Uniformierte beugen sich suchend tiefer ins Fahrzeug. Dann sollte nur das zu sehen sein, was als give-away gerne abgegeben wird: Brot, Obst, Cola, Zigaretten …
  5. Es gibt einen Haufen Vorschriften, die besonders bei Ausländern ganz genau ausgelegt werden: zwei Warnwesten, zwei Warndreiecke, rote und weiße Reflektoren vorn und hinten, Feuerlöscher, Sticker für Anhängerfahrten … Im Hilux ist das alles vorschriftsmäßig und einfach vorzuzeigen. Wenn alles stimmt, suchen hartnäckige Uniformierte nach Mängeln: Funktioniert der Scheibenwischer, hat er genug Wasser, das Kennzeichen ist schmutzig, die Ladung nicht ordentlich befestigt … Das kann man dann ausdiskutieren und korrigieren oder das Gegenteil beweisen. Die Fadenscheinigkeit wird im Vergleich mit einheimischen Fahrzeugen sichtbar: Bei uns wird ein defektes Bremslicht bemängelt, aber es fahren Pkw vorbei, die haben nur Löcher im Blech dort, wo einmal Lichter waren. Allerdings haben die Fahrer auch kein Geld und werden deshalb gar nicht erst angehalten.
  6. Besonders in Mosambik werden gerne Geschwindigkeitsüberschreitungen festgestellt. Das Gerät zeigen lassen. Ein „E“ auf dem Bildschirm steht für „Error“ - da wurde dran gedreht.
  7. In Tansania und Sambia wollen die Polizeikontrollen entlang der Hauptrouten in der Regel Geld („They only want cash“, sagen auch die Einheimischen) für die eigene Tasche. Besonders ungemütlich sind dicke Polizistinnen und korpulente Polizisten in makellos weißen Uniformen. Die unteren (nicht übergewichtigen) Ränge sind harmlos. Oft hilft aussitzen und warten, bis sie es satt haben und ein einfacheres Opfer in Sicht ist.
  8. Aussteigen ist der erste Schritt zu einem Vier-Augen-Gespräch. Oder man muss mit ins Büro kommen. Wenn Andere hinausgeschickt werden, ist dies ein weiterer Hinweis auf Korruption. Selten wird Klartext geredet: „Give me money, alcohol, something to eat“. Gegenargument: „Your payment comes from your government“. If I pay you, you are working for me.
    Aber eigentlich haben sie schon verloren. Initiative ergreifen: „What do you want? Everything is Ok?“ Dann „good bye“ sagen und gehen. Wir haben dann schon mal Mangos verschenkt oder eine Dose Cola. Nicht das, was sie wollten, aber symbolisch wichtig und atmosphärisch entspannend.
wiki/korruption.1714538549.txt.gz · Zuletzt geändert: 2024/05/01 04:42 von norbert

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