wiki:fussreisen
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wiki:fussreisen [2019/11/19 15:22] – [Auf der Walz] norbert | wiki:fussreisen [2024/05/02 03:03] (aktuell) – norbert | ||
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====== Fußreisen ====== | ====== Fußreisen ====== | ||
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erschienen erstmals 1999 als Teil 7 in der Artikelreihe // | erschienen erstmals 1999 als Teil 7 in der Artikelreihe // | ||
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nur die Fährten des Windes auf dem Meer. | nur die Fährten des Windes auf dem Meer. | ||
Antonio Machado y Ruiz 1875-1939 | Antonio Machado y Ruiz 1875-1939 | ||
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===== Reisen wie im Traum ===== | ===== Reisen wie im Traum ===== | ||
- | Es war einmal ... ein [[wiki: | + | |
- | Zehntausende, | + | Es war einmal ... ein [[wiki: |
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Was ist die Welt für den heutigen Menschen, den modernen Wanderer? Zu wissen, woher der Fluß kommt, wohin er fließt, was hinter den Bergen liegt und wo die Küste beginnt ... die [[wiki: | Was ist die Welt für den heutigen Menschen, den modernen Wanderer? Zu wissen, woher der Fluß kommt, wohin er fließt, was hinter den Bergen liegt und wo die Küste beginnt ... die [[wiki: | ||
Zu Fuß reisen — heißt das, Nutzloses erobern? Erreichen Fußreisende etwas, das andere nicht früher haben könnten? War nicht immer schon jemand vorher da, wenn die berühmten [[wiki: | Zu Fuß reisen — heißt das, Nutzloses erobern? Erreichen Fußreisende etwas, das andere nicht früher haben könnten? War nicht immer schon jemand vorher da, wenn die berühmten [[wiki: | ||
- | Fußreisende suchen Erfahrung, nicht Erfolg. Sie leben ihren endlosen Traum zwischen [[wiki: | + | Fußreisende suchen Erfahrung, nicht Erfolg. Sie leben ihren endlosen Traum zwischen [[wiki: |
Der Mensch ist nicht nur ein reisendes, sondern auch ein soziales Wesen; er braucht die Gemeinschaft. Fußreisende bewegen sich aus der Gemeinschaft heraus und müssen das besonders legitimieren. Weshalb reisen, wenn es zu nichts nütze scheint, Zeit vergeuden? Für Seßhafte war es immer schon anrüchig, nicht-seßhaft zu sein: | Der Mensch ist nicht nur ein reisendes, sondern auch ein soziales Wesen; er braucht die Gemeinschaft. Fußreisende bewegen sich aus der Gemeinschaft heraus und müssen das besonders legitimieren. Weshalb reisen, wenn es zu nichts nütze scheint, Zeit vergeuden? Für Seßhafte war es immer schon anrüchig, nicht-seßhaft zu sein: | ||
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===== Jäger und Sammler - Immer unterwegs ===== | ===== Jäger und Sammler - Immer unterwegs ===== | ||
- | Die Veränderung des Klimas rang dem afrikanischen Urwald trockene und weite Savannen ab. Südlich der [[wiki: | + | |
+ | Die Veränderung des [[wiki: | ||
Heute lebende Jäger und Sammler pflegen die [[wiki: | Heute lebende Jäger und Sammler pflegen die [[wiki: | ||
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+ | Bei einer Auswertung der Felsbilder von Südafrika und Namibia wurden auch die »Objekte« ausgewertet, | ||
Das geruhsame Wandern in sich langsam verlagernden Territorien war kaum jemals eine richtige Reise, Ziele lagen meist nah. Es mag 80.000 Jahre gedauert haben, bis „moderne“ Menschen den Weg von [[wiki: | Das geruhsame Wandern in sich langsam verlagernden Territorien war kaum jemals eine richtige Reise, Ziele lagen meist nah. Es mag 80.000 Jahre gedauert haben, bis „moderne“ Menschen den Weg von [[wiki: | ||
- | Die frühen Wanderer schätzten sichere Wege: entlang der Flüsse, in Klimazonen mit regelmäßigen Regenfällen und nicht zu kalten Wintern, mit Rückzugsmöglichkeiten in Höhlen oder auf Bäume. Wüsten, Gebirge, vereiste Gegenden erforderten einen hohen Aufwand: | + | Die frühen Wanderer schätzten sichere Wege: entlang der Flüsse, in [[wiki: |
==== Der Bote ==== | ==== Der Bote ==== | ||
- | Ein früher Einzelreisender war der Bote, denn sicher tauschten umherziehenden Gruppen Nachrichten aus. Im Götterboten * [[wiki: | + | Ein früher |
Dieser Zustand beschreibt 99% der kulturgeschichtlichen Vorzeit, noch um Christi Geburt lebte 50 % der Menschheit als Jäger und Sammler: | Dieser Zustand beschreibt 99% der kulturgeschichtlichen Vorzeit, noch um Christi Geburt lebte 50 % der Menschheit als Jäger und Sammler: | ||
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===== Nomaden - Die Weiden sind das Ziel ===== | ===== Nomaden - Die Weiden sind das Ziel ===== | ||
Wandernden Sammlern mag es eines Tages, vielleicht vor der Durchquerung einer ausgedehnten kargen Gegend, zweckmäßig erschienen sein, sich lebende Nahrung mitzunehmen, | Wandernden Sammlern mag es eines Tages, vielleicht vor der Durchquerung einer ausgedehnten kargen Gegend, zweckmäßig erschienen sein, sich lebende Nahrung mitzunehmen, | ||
- | Sobald dem Wanderer die Tiere mehr bedeuteten als Nahrungsmittel auf eigenen Beinen, maß er ihnen einen dauerhaften Wert zu: sie wurden zu Kapital, Prestige, Altersvorsorge. Darin zeigt sich erstmals Sorge um die Zukunft, Sicherheitsdenken, | + | Sobald dem Wanderer die Tiere mehr bedeuteten als Nahrungsmittel auf eigenen Beinen, maß er ihnen einen dauerhaften Wert zu: sie wurden zu Kapital, Prestige, Altersvorsorge. Darin zeigt sich erstmals Sorge um die Zukunft, Sicherheitsdenken, |
Unwissentlich war ein erster Schritt zur Seßhaftwerdung getan - Viehwirtschaft betrieben, Güter produziert: Fleisch, Milch, Käse, Joghurt, Kefir, Leder, Felle, Haare, Hörner, Knochen. Wenn Nomaden ihren Herden Wert zumessen, und das tun sie bis heute, wird ein Wachstum der Herden angestrebt. Die Güterproduktion übersteigt den Bedarf der Sippe. Unvorstellbar, | Unwissentlich war ein erster Schritt zur Seßhaftwerdung getan - Viehwirtschaft betrieben, Güter produziert: Fleisch, Milch, Käse, Joghurt, Kefir, Leder, Felle, Haare, Hörner, Knochen. Wenn Nomaden ihren Herden Wert zumessen, und das tun sie bis heute, wird ein Wachstum der Herden angestrebt. Die Güterproduktion übersteigt den Bedarf der Sippe. Unvorstellbar, | ||
==== Der fahrende Händler ==== | ==== Der fahrende Händler ==== | ||
- | Ein erster Beruf entstand: //der fahrende Händler.// Er bedurfte eines ortsfesten Warenlagers, | + | Ein erster Beruf entstand: //der fahrende Händler.// Er bedurfte eines ortsfesten Warenlagers, |
===== Die Hexe auf dem Zaun ===== | ===== Die Hexe auf dem Zaun ===== | ||
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„Du kannst nicht auf dem Pfad gehen, bevor du nicht Pfad geworden bist.“ (Buddha) | „Du kannst nicht auf dem Pfad gehen, bevor du nicht Pfad geworden bist.“ (Buddha) | ||
- | Wer sich tief in die Wildnis verirrt, ist diesem Zustand am nächsten - er muß sich verlieren, um seinen Weg gestalten zu können. Der kürzeste Weg in der Wildnis führt durch Schluchten und Wasserläufe, | + | Wer sich tief in die Wildnis verirrt, ist diesem Zustand am nächsten - er muß sich verlieren, um seinen Weg gestalten zu können. Der kürzeste Weg in der Wildnis führt durch Schluchten und Wasserläufe, |
===== Die Reisen der Seßhaften ===== | ===== Die Reisen der Seßhaften ===== | ||
Dem Händler folgten Helfer, Verpflegung war nötig, Herden mußten am Standort gehalten werden. Obst- und Ackerbau wurden zur Notwendigkeit. Arbeitsteilung war unvermeidlich, | Dem Händler folgten Helfer, Verpflegung war nötig, Herden mußten am Standort gehalten werden. Obst- und Ackerbau wurden zur Notwendigkeit. Arbeitsteilung war unvermeidlich, | ||
+ | |||
+ | James Suzman | ||
+ | Sie nannten es Arbeit. | ||
+ | Eine andere Geschichte der Menschheit. | ||
+ | Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber | ||
+ | 398 S., C. H. Beck München 2021 | ||
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+ | Scott, James C. | ||
+ | Die Mühlen der Zivilisation. | ||
+ | Eine Tiefengeschichte der frühesten Staaten. | ||
+ | Aus dem Englischen (Against the Grain) von Horst Brühmann | ||
+ | 329 S., Suhrkamp Frankfurt am Main 2020 | ||
+ | »Unsere Vorfahren wären besser Nomaden geblieben.« | ||
Alle weiteren Motive und Möglichkeiten der Reisen zu Fuß resultieren aus der Seßhaftigkeit. Ist die Bindung an einen Ort für den Nomaden ein Unglück, so wurde der Verlust der Heimat dem Seßhaften Fluch, Schande oder gottgesandtes Schicksal. Heimat ist ortsgebundener Be-//sitz// im Rahmen fester sozialer, materieller und geographischer Bindungen. Eine folgenschwere Festlegung: Arbeit wird zum Wert an sich, Religion ebenso. Erstere manifestiert sich in der Anhäufung von Besitztümern (Im-// | Alle weiteren Motive und Möglichkeiten der Reisen zu Fuß resultieren aus der Seßhaftigkeit. Ist die Bindung an einen Ort für den Nomaden ein Unglück, so wurde der Verlust der Heimat dem Seßhaften Fluch, Schande oder gottgesandtes Schicksal. Heimat ist ortsgebundener Be-//sitz// im Rahmen fester sozialer, materieller und geographischer Bindungen. Eine folgenschwere Festlegung: Arbeit wird zum Wert an sich, Religion ebenso. Erstere manifestiert sich in der Anhäufung von Besitztümern (Im-// | ||
- | Kain erschlägt Abel, der Bauer den Nomaden. Im Schweiße seines Angesichts, den Rücken gebeugt, die Hände in der Erde sichert der Bauer sein Leben. Der seßhafte Hirte zäunt seine Weiden ein, sein Zelt erstarrt zu festen Mauern, die Siedlung erhält einen Wall. Dörfer und Städte brauchen Wasser und fruchtbares Land. Macht wurde ausgeübt: verfügen über ... und besitzen von ..., Grenzen gesetzt, Anspruch erhoben, selbst auf Nomaden. Die wurden verdrängt in unfruchtbare Rückzugsgebiete. Der Konflikt wurde unausweichlich. Die Bibel erzählt, daß Nomaden Städte angreifen (Jericho) und die Stadtgründer verfluchen. Noch 1690 beschlossen die wandernden Don-Kosaken die Todesstrafe für jeden, der den Boden bebauen wollte. Kolonialismus hieß fast immer Krieg mit Nomadenvölkern. Und heute? Die Tuareg in Mali, die Polisario in Mauretanien wehren sich mit der Waffe gegen Grenzziehungen. | + | Kain erschlägt Abel, der Bauer den Nomaden. Im Schweiße seines Angesichts, den Rücken gebeugt, die Hände in der Erde sichert der Bauer sein Leben. Der seßhafte Hirte zäunt seine Weiden ein, sein Zelt erstarrt zu festen Mauern, die Siedlung erhält einen Wall. Dörfer und Städte brauchen Wasser und fruchtbares Land. Macht wurde ausgeübt: verfügen über ... und besitzen von ..., Grenzen gesetzt, Anspruch erhoben, selbst auf Nomaden. Die wurden verdrängt in unfruchtbare Rückzugsgebiete. Der Konflikt wurde unausweichlich. Die Bibel erzählt, daß Nomaden Städte angreifen (Jericho) und die Stadtgründer verfluchen. Noch 1690 beschlossen die wandernden Don-Kosaken die Todesstrafe für jeden, der den Boden bebauen wollte. Kolonialismus hieß fast immer Krieg mit Nomadenvölkern. Und heute? Die [[wiki: |
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==== Pilgerfahrten ==== | ==== Pilgerfahrten ==== | ||
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- | Mit Mühsal leben, die der Heimat entbehren. Ich habe es an mir erprobt: | + | * [[wiki:pilgerstab|Pilgerstab]] |
- | Ich fand nichts Liebes in dir, ich fand in dir nichts als Jammer und | + | |
- | ein schmerzerfülltes Herz und vielfältige Trauer.« | + | |
- | Otfrieds Evangelienbuch | + | |
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- | Bereits in der griechisch-römischen Antike war ein Philosoph kaum anders als wandernd vorstellbar. '' | + | |
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- | Im //[[wiki:itinerar|Itinerarium]] Burdigalense//, | + | |
- | Mit Bischof '' | + | |
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- | Die religiöse Einsicht, daß im Leben alles vorübergeht, | + | |
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- | Bereits das Alte Testament erwähnt den Pilger (Ps. 39,13), in Judentum, Buddhismus, Christentum und Islam wird gepilgert. //„Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.“// | + | |
- | Die Pilgerreise als Kniefall der Seßhaften vor dem ursprünglichen Leben, dem noch kaum entfremdeten, | + | |
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- | Wer wandert, lernt das Nötige schätzen und ist bereit, Überflüssiges loszulassen. | + | |
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- | weil sie dem Urzustand näher sind und ferner von den üblen Gewohnheiten, | + | |
- | die die Herzen der Seßhaften verdorben haben.“ | + | |
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- | Die Pilgerfahrt als Reinigung, Katharsis, das heißt, das Land von Ungeheuern befreien. Wer ins Unbekannte aufbricht, befreit den bereisten Raum von der [[wiki:angst|Angst]] vor dem Unbekannten, | + | |
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- | Am //Adam’s Peak// auf Ceylon wird den Pilgern ein heiliger Fußabdruck gezeigt, für die Christen ist es der Fuß Adams, für andere der Fuß Buddhas oder Shiwas. Verdienste für das Jenseits erwirbt, wer auf den Spuren der Religionsstifter wandelt, nach Mekka, Medina, Gom, Jerusalem, zum Kailash. Die Fußreise wurde religiös verbrämt zum Mittel schwärmerischer Bewegungen und zeitweise als »Laufsucht« abgetan, als »currendi libido«. Noch heute messen tibetische | + | |
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- | In jener Hochzeit des Glaubens verlangte die Kirche mit ihrem //»Vita mutandur, non tollitur«,// | + | |
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- | 1510 pilgerte '' | + | |
==== Fahrendes Volk ==== | ==== Fahrendes Volk ==== | ||
- | In der Renaissance schrumpft die Welt weiter. Wissen der Antike wurde wiedergefunden, | + | In der Renaissance schrumpft die Welt weiter. Wissen der Antike wurde wiedergefunden, |
- | Paradoxerweise wurde die Epoche zum Zeitalter der Entdecker und Erforscher hochgejubelt. Doch längst war die Welt zu Fuß entdeckt, viel gründlicher als „Eroberer“ das vermochten. Es ging vielmehr darum, das Wissen über die Wege rund um den Globus zu nutzen – nicht die Welt wurde entdeckt, sondern Kunden, nicht Länder wurden erobert, sondern Märkte. Nach der Seßhaftwerdung war dies die zweite Hinwendung zum Materialismus. | + | |
+ | Paradoxerweise wurde die Epoche zum Zeitalter der [[wiki: | ||
Gastfreundschaft und Herberge verlangen Gegenseitigkeit. Der Gast muß sich ausweisen, und sei es durch das bloße Wort: Wie heißt er? Woher kommt er? Was ist sein Ziel, der Zweck der Reise? Dafür erhält er Gastrecht: Essen, Trinken, Obdach, Auskunft über den Weg. Mißbrauch gibt es auf beiden Seiten, doch ist er nicht die Regel. Eine Steigerung erfuhr das Gastrecht innerhalb informeller Gruppen: Juden boten Glaubensbrüdern Unterkunft, Meister den wandernden Gesellen, Klöster standen allen offen, Spitäler und Hospitale den Pilgern. | Gastfreundschaft und Herberge verlangen Gegenseitigkeit. Der Gast muß sich ausweisen, und sei es durch das bloße Wort: Wie heißt er? Woher kommt er? Was ist sein Ziel, der Zweck der Reise? Dafür erhält er Gastrecht: Essen, Trinken, Obdach, Auskunft über den Weg. Mißbrauch gibt es auf beiden Seiten, doch ist er nicht die Regel. Eine Steigerung erfuhr das Gastrecht innerhalb informeller Gruppen: Juden boten Glaubensbrüdern Unterkunft, Meister den wandernden Gesellen, Klöster standen allen offen, Spitäler und Hospitale den Pilgern. | ||
Die Hauptmahlzeit war üblicherweise abends (wenn es denn etwas gab) - das französische Diner bedeutete ursprünglich „entfasten“: | Die Hauptmahlzeit war üblicherweise abends (wenn es denn etwas gab) - das französische Diner bedeutete ursprünglich „entfasten“: | ||
- | Ein Fußwanderer geht kaum langsamer als drei, kaum schneller als sieben Stundenkilometer. Eine Tagesstrecke von 25 Kilometern ist unter normalen Umständen problemlos, bei guten Wetter- und Straßenverhältnissen, | + | Ein Fußwanderer geht kaum langsamer als drei, kaum schneller als sieben Stundenkilometer. Eine Tagesstrecke von 25 Kilometern ist unter normalen Umständen problemlos, bei guten Wetter- und Straßenverhältnissen, |
- | Jahrzehntausende lang gab es keine Alternativen. Ein erstes Verkehrsmittel war das Tragetuch für die Kinder, das zweite die nachgezogene Astgabel, beladen mit Lasten, Alten, Schwachen. Daraus mag die getragene Sänfte entstanden sein. Das Tragen von „Häuptlingen“ verlangt Hierarchien, | + | Jahrzehntausende lang gab es keine Alternativen. Ein erstes Verkehrsmittel war das Tragetuch für die Kinder, das zweite die nachgezogene Astgabel, beladen mit Lasten, Alten, Schwachen. Daraus mag die getragene Sänfte entstanden sein. Das Tragen von „Häuptlingen“ verlangt Hierarchien, |
==== Auf der Walz ==== | ==== Auf der Walz ==== | ||
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- | Die Zünfte des ausgehenden Mittelalter modernisierten das wirtschaftliche Leben in den wachsenden Städten und schufen neuen sozialen Halt. Zunft kommt von ziemen – Sicherheit und Geborgenheit waren mit Disziplin und Gehorsam gegenüber den strengen Zunftregeln zu bezahlen. Die Zunft bot Ehrbarkeit, Außenstehende blieben ohne Ehre, unehrlich: Fahrende, Schausteller, | + | Die Zünfte des ausgehenden |
- | Der Zwang, zwischen Ausbildung und Meisterprüfung zu wandern, bewegte nicht nur den Arbeitsmarkt, | + | Der Zwang, zwischen Ausbildung und Meisterprüfung zu wandern, bewegte nicht nur den Arbeitsmarkt, |
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Es war der Sinn der Fremde, daß man sie annahm und verstand.« | Es war der Sinn der Fremde, daß man sie annahm und verstand.« | ||
- | Die Walzgesellen erkannten einander in der Schar der Reisenden: Im »Berliner«, | + | Die Walzgesellen erkannten einander in der Schar der Reisenden: Im »Berliner«, |
Die machtvolle Zeit der Zünfte war spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg vorbei — Armut und Hunger trieben eher mehr Gesellen zur Walz, erst nach der Biedermeierzeit sah man sie seltener. 1839 öffnete der türkische '' | Die machtvolle Zeit der Zünfte war spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg vorbei — Armut und Hunger trieben eher mehr Gesellen zur Walz, erst nach der Biedermeierzeit sah man sie seltener. 1839 öffnete der türkische '' | ||
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den biedern und guten Handwerksburschen die Lust am Wandern zu nehmen.« | den biedern und guten Handwerksburschen die Lust am Wandern zu nehmen.« | ||
- | Vereinzelt wandern noch heute Handwerksgesellen mit Ehrbarkeit (Halsbinde), | + | Vereinzelt wandern noch heute Handwerksgesellen mit Ehrbarkeit (Halsbinde), |
==== Straße als Ghetto ==== | ==== Straße als Ghetto ==== | ||
- | Die Straßen glichen zeitweise einem Jahrmarkt oder einem Tollhaus. Die Scharen der Wandernden machten jahrhundertelang etwa 10% der Bevölkerung aus, in Zeiten des Krieges, der Krankheiten, | ||
- | Städte und Dörfer versuchten sich vor den Wandernden zu schützen: Bestenfalls gab es Handlungspatente für Hausierer, Bettelerlaubnisse und aufsichtführende Bettelvögte, | ||
- | Auch die legitime Reise wirkt anarchisch: Hierarchien verfallen, Anerkennung, | ||
+ | Die Straßen glichen zeitweise einem Jahrmarkt oder einem Tollhaus. Die Scharen der Wandernden machten jahrhundertelang etwa 10% der Bevölkerung aus, in Zeiten des Krieges, der Krankheiten, | ||
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+ | Städte und Dörfer versuchten sich vor den Wandernden zu schützen: Bestenfalls gab es Handlungspatente für Hausierer, Bettelerlaubnisse und aufsichtführende Bettelvögte, | ||
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+ | Wer einmal auf der Straße war, blieb dort. Man lehrte einander das Überleben und grenzte sich ab: Zinken informierten über Seßhafte, über örtliche Chancen und [[wiki: | ||
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+ | Auch die legitime Reise wirkt anarchisch: Hierarchien verfallen, Anerkennung, | ||
===== Wandern - Die kultivierte Fußreise ===== | ===== Wandern - Die kultivierte Fußreise ===== | ||
- | //»Wer hat euch Wandervögeln\\ Die Wissenschaft geschenkt\\ Daß ihr auf Land und Meeren\\ Nie falsch den Flügel lenkt\\ Daß ihr die alte Palme\\ Im Süden wieder wählt\\ Daß ihr die alten Linden\\ Im Norden nicht verfehlt.«// \\ | + | |
- | Diese Grabinschrift auf dem Friedhof Berlin-Dahlem soll den wanderbegeisterten Jugendlichen in den 1890er Jahren den Namen **»Wandervögel«** eingebracht haben. Damals wurde das Wandern zur Mode, ein langer wirtschaftlicher Aufschwung brachte die nötige Leichtigkeit. Der Hamburger Bildhauer Alfred Pfarre sinniert 1912, nach vierwöchiger Ferienfahrt durch die Rhön und den Thüringer Wald: //»Ihr habt eine Ferienfahrt gemacht als sorglose Wandervögel, | + | |
- | Die Polizei beobachtet und kontrolliert die **Handwerksburschen**, | + | |
- | Der König der Vagabunden, '' | + | |
- | …Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. | + | |
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+ | Diese Grabinschrift auf dem Friedhof Berlin-Dahlem soll den wanderbegeisterten Jugendlichen in den 1890er Jahren den Namen **»Wandervögel«** eingebracht haben. Damals wurde das Wandern zur Mode, ein langer wirtschaftlicher Aufschwung brachte die nötige Leichtigkeit. Der Hamburger Bildhauer | ||
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+ | Die Polizei beobachtet und kontrolliert die **Handwerksburschen**, | ||
+ | Der König der Vagabunden, '' | ||
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+ | … Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. | ||
Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. | Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. | ||
Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? | Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? | ||
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aufgesetzt, von der Landstraße, | aufgesetzt, von der Landstraße, | ||
- | 1927 waren 70.000 Menschen auf den Straßen Deutschlands unterwegs, sechs Jahre später sind es 450.000, ein Hinweis auf die wachsende Unsicherheit, | + | 1927 waren 70.000 Menschen auf den Straßen Deutschlands unterwegs, sechs Jahre später sind es 450.000, ein Hinweis auf die wachsende Unsicherheit, |
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+ | ==== Eine Zeitschrift für Kunden und Vagabunden ==== | ||
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- | **Kunden** waren sie alle. Der altniederrheinische cunde war ein Späher und Kundschafter, | + | **[[wiki: |
1928 fand der erste öffentliche Vagabundenabend in Stuttgart statt, weitere folgten in Berlin, Mannheim, Hamburg, Dortmund. Pfingsten 1929 trafen sich in Stuttgart 600 Vagabunden aus Deutschland, | 1928 fand der erste öffentliche Vagabundenabend in Stuttgart statt, weitere folgten in Berlin, Mannheim, Hamburg, Dortmund. Pfingsten 1929 trafen sich in Stuttgart 600 Vagabunden aus Deutschland, | ||
+ | ==== Gehen und Wandern ==== | ||
»All sein hab und gut auf den buckel nehmen, nicht andere tragen lassen, | »All sein hab und gut auf den buckel nehmen, nicht andere tragen lassen, | ||
und deshalb … reduzieren und minimieren. … | und deshalb … reduzieren und minimieren. … | ||
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regen und trockenheit, | regen und trockenheit, | ||
die großen stunden des tages und der nacht, das wasser und die furcht …« | die großen stunden des tages und der nacht, das wasser und die furcht …« | ||
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- | Weit über 200 Jahre früher fand der aufklärende Denker '' | + | Die **Freiheit des Gehens** in der Wüste entdeckte und beschrieb '' |
+ | Weit über 200 Jahre früher fand der aufklärende Denker '' | ||
Der gesellschaftskritische Publizist und Pädagoge '' | Der gesellschaftskritische Publizist und Pädagoge '' | ||
- | Bedenkt man, daß zu dieser Zeit vielleicht 80% der Deutschen von der Landwirtschaft lebten und preußische Bauern noch als Leibeigene galten, daß in dieser Zeit etwa 10% der Deutschen auf den Landstraßen aus Not vagabundierend umherzogen, so ist das verträumte und romantische Ideal des Taugenichts, | + | Bedenkt man, daß zu dieser Zeit vielleicht 80% der Deutschen von der Landwirtschaft lebten und preußische Bauern noch als Leibeigene galten, daß in dieser Zeit etwa 10% der Deutschen auf den Landstraßen aus Not vagabundierend umherzogen, so ist das verträumte und romantische Ideal des //Taugenichts//, sein freies Sich-treiben-lassen eine Chimäre. Der deutsche Weg in eine bessere Welt führte weder in die gesellschaftliche Revolution wie in Frankreich, noch in eine industrielle Revolution wie in England, sondern auf Pegasus’ Flügel in »**kleine Fluchten**«, |
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»Ich halte den Gang für das Ehrenvollste und Selbständigste in dem Manne | »Ich halte den Gang für das Ehrenvollste und Selbständigste in dem Manne | ||
und bin der Meinung, daß alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge. … | und bin der Meinung, daß alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge. … | ||
Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.« | Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.« | ||
- | 1802 wanderte '' | + | 1802 wanderte '' |
- | Auf der anderen Seite wurde die Fußreise im **Spaziergang** kultiviert, doch weicht die freie Natur dem gestalteten Landschaftsgarten, | + | Auf der anderen Seite wurde die Fußreise im **[[wiki: |
+ | ==== Reiseführer und Wandervereine ==== | ||
Der gesellschaftlichen Revolution folgte die industrielle. Auch Reisen wurde beschleunigt, | Der gesellschaftlichen Revolution folgte die industrielle. Auch Reisen wurde beschleunigt, | ||
- | Doch das Proletariat holte auf und genoß einige Jahrzehnte die abgelegten Wandermoden des Bürgertums. In Wandervereinen zogen Arbeiter am arbeitsfreien Sonntag nach einer 80-Stunden-Woche in die stadtnahe Natur, »soziales Wandern« wurde angestrebt, die Jugend von »Kneipe und Kirmes« ferngehalten, | + | Doch das Proletariat holte auf und genoß einige Jahrzehnte die abgelegten Wandermoden des Bürgertums. Um 1900 wird das Wandern zur Massenbewegung und Ideologie, verbunden mit Körperkultur, |
+ | ==== Jugendherbergen ==== | ||
Der Volksschullehrer '' | Der Volksschullehrer '' | ||
Ȇberall soll der Wanderer ein sauberes, sicheres Heim vorfinden, | Ȇberall soll der Wanderer ein sauberes, sicheres Heim vorfinden, | ||
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1786 wurde der Montblanc erstmals erstiegen, 1953 der Mount Everest. Die Welt der Berge ist dem Mythos und der Poesie entrungen. Nichts bleibt übrig, das zu erobern wäre. Hier noch eine Nordwand, dort eine letzte Flanke — und dann? | 1786 wurde der Montblanc erstmals erstiegen, 1953 der Mount Everest. Die Welt der Berge ist dem Mythos und der Poesie entrungen. Nichts bleibt übrig, das zu erobern wäre. Hier noch eine Nordwand, dort eine letzte Flanke — und dann? | ||
- | Es bleibt der Rückzug auf das menschliche Maß, der Verzicht auf unnötige Technik. '' | + | ==== Die Grenzen des Wanderns ==== |
- | Wahres Reisen ist freiwillig und beendbar, darf Last sein und Mühe, ist jedoch weder Flucht noch Zwang. Alle Zeitalter boten ihren Ruhe- und Rastlosen legitimierte Wandermöglichkeiten. Reisende fanden ihren Weg zwischen den Polen Natur, Individuum und Gesellschaft: | + | Es bleibt der Rückzug auf das menschliche Maß, der Verzicht auf unnötige Technik. '' |
- | Um 1870 entstehen die europäischen **Alpenvereine**, in England der erste Camping-Club. Um 1900 wird das Wandern | + | Wahres Reisen ist freiwillig und beendbar, darf Last sein und Mühe, ist jedoch weder [[wiki: |
Der erste Weltkrieg, seine politische Folgen, die Weltwirtschaftskrise und ein weiterer Weltkrieg unterbrachen diese Entwicklung, | Der erste Weltkrieg, seine politische Folgen, die Weltwirtschaftskrise und ein weiterer Weltkrieg unterbrachen diese Entwicklung, | ||
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siehe auch: | siehe auch: | ||
- | * Quellen: [[wiki:Literaturliste zum Fussreisen|Literaturliste zum Fussreisen]]\\ | + | * Quellen: [[wiki:literaturliste_fussreisen|Literaturliste zum Fussreisen]]\\ |
- | * [[wiki:literaturliste_zur_reiseliteratur|Literaturliste zur Reiseliteratur]]\\ | + | * [[wiki:literaturliste_reiseliteratur|Literaturliste zur Reiseliteratur]]\\ |
* [[wiki: | * [[wiki: | ||
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