Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


wiki:flucht

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.

Link zu der Vergleichsansicht

Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige Überarbeitung
Nächste ÜberarbeitungBeide Seiten, nächste Überarbeitung
wiki:flucht [2023/06/05 15:45] norbertwiki:flucht [2023/07/09 15:15] norbert
Zeile 208: Zeile 208:
 === Auch Flieger müssen fliehen === === Auch Flieger müssen fliehen ===
 ''Gunther Plüschow'' war Offizier und bei Kriegsanfang als (einziger) Marineflieger in der damals deutschen Kolonie Tsingtau in China eingesetzt. Das Ultimatum der Japaner vom 15.8.1914 ging den Kampfhandlungen voraus. Kurz vor dem Fall der Stadt hatte Plüschow den Auftrag, das Flugzeug in Sicherheit zu bringen und sich selbst abzusetzen. Er flog, so weit er kam, und landete am 6.11.1914 auf einem Acker in der Nähe der chinesischen Stadt Hai-Dschou, ließ den Motor bei den Behörden in Sicherheit bringen und entging, obwohl auf neutralem Gebiet, selbst nur durch Flucht einer Internierung in Nanking. Damit begann sein Leben als Reisender, der sich irgendwie nach Deutschland durchzuschlagen versuchte. Freunde halfen ihm, sich als Nähmaschinenfabrikant ''McGarvin'' in Schanghai nach Amerika einzuschiffen. Bei den Kontrollen in fünf angelaufenen japanischen Häfen halfen ihm der Schiffsarzt, eine vorgetäuschte Krankheit und die luxuriöse Erste-Klasse-Umgebung - die Papiere wurden nicht kontrolliert. In Honolulu und San Francisco stürzten sich die Reporter auf ihn, seine Flucht und seine Fliegereinsätze hatten sich bereits herumgesprochen. Aber trotz ihrer Neutralität im Krieg hatten Presse und Öffentlichkeit Partei ergriffen gegen Deutschland, Plüschow bekam das zu spüren.\\  ''Gunther Plüschow'' war Offizier und bei Kriegsanfang als (einziger) Marineflieger in der damals deutschen Kolonie Tsingtau in China eingesetzt. Das Ultimatum der Japaner vom 15.8.1914 ging den Kampfhandlungen voraus. Kurz vor dem Fall der Stadt hatte Plüschow den Auftrag, das Flugzeug in Sicherheit zu bringen und sich selbst abzusetzen. Er flog, so weit er kam, und landete am 6.11.1914 auf einem Acker in der Nähe der chinesischen Stadt Hai-Dschou, ließ den Motor bei den Behörden in Sicherheit bringen und entging, obwohl auf neutralem Gebiet, selbst nur durch Flucht einer Internierung in Nanking. Damit begann sein Leben als Reisender, der sich irgendwie nach Deutschland durchzuschlagen versuchte. Freunde halfen ihm, sich als Nähmaschinenfabrikant ''McGarvin'' in Schanghai nach Amerika einzuschiffen. Bei den Kontrollen in fünf angelaufenen japanischen Häfen halfen ihm der Schiffsarzt, eine vorgetäuschte Krankheit und die luxuriöse Erste-Klasse-Umgebung - die Papiere wurden nicht kontrolliert. In Honolulu und San Francisco stürzten sich die Reporter auf ihn, seine Flucht und seine Fliegereinsätze hatten sich bereits herumgesprochen. Aber trotz ihrer Neutralität im Krieg hatten Presse und Öffentlichkeit Partei ergriffen gegen Deutschland, Plüschow bekam das zu spüren.\\ 
-Schwierig war es, einen Platz auf einem Schiff nach Europa zu bekommen. Das gelang ihm erst mit einem gefälschten Paß, der ihn als Schweizer ausgab, und ihm die Passage auf einem italienischen Schiff ermöglichte. Bei der Durchfahrt durch die Meerenge von Gibraltar wurden sie von Engländern kontrolliert:  //„Der englische Offizier ließ sich auf nichts mehr ein, er sagte bloß, es seien bereits so viel Schweizer durch Gibraltar durchgefahren, so viele gäbe es in der ganzen Welt nicht.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 112)) \\ +Schwierig war es, einen Platz auf einem Schiff nach Europa zu bekommen. Das gelang ihm erst mit einem gefälschten Paß, der ihn als Schweizer ausgab, und ihm die [[wiki:passage|Passage]] auf einem italienischen Schiff ermöglichte. Bei der Durchfahrt durch die Meerenge von Gibraltar wurden sie von Engländern kontrolliert:  //„Der englische Offizier ließ sich auf nichts mehr ein, er sagte bloß, es seien bereits so viel Schweizer durch Gibraltar durchgefahren, so viele gäbe es in der ganzen Welt nicht.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 112)) \\ 
 Fünf „Schweizer“, darunter auch Plüschow, wurden verhaftet und interniert, nachdem sie nicht in der Lage waren, mit einem echten Schweizer Schwyzerdütsch zu reden. Wenig später wurden alle Lagerinsassen nach England überführt. Während die Behandlung in den Überführungslagern sehr schlecht war, besserten sich die Umstände erheblich, nachdem Plüschow in das Offizierslager von Dorchester kam: freie Bewegung innerhalb aller Gebäude und des Geländes, Sportmöglichkeiten, eigene Wäscherei und Schneider; ein Streichquartett und ein Gesangverein wurden gegründet. Die Gefangenen erhielten ein Gehalt von einhundertzwanzig Mark monatlich, abzüglich sechzig Mark für Verpflegung. Die Post von Deutschland funktionierte tadellos, außerdem konnte man sich Geld und Pakete schicken lassen. Allerdings durfte man nur begrenzt nach Deutschland schreiben.\\  Fünf „Schweizer“, darunter auch Plüschow, wurden verhaftet und interniert, nachdem sie nicht in der Lage waren, mit einem echten Schweizer Schwyzerdütsch zu reden. Wenig später wurden alle Lagerinsassen nach England überführt. Während die Behandlung in den Überführungslagern sehr schlecht war, besserten sich die Umstände erheblich, nachdem Plüschow in das Offizierslager von Dorchester kam: freie Bewegung innerhalb aller Gebäude und des Geländes, Sportmöglichkeiten, eigene Wäscherei und Schneider; ein Streichquartett und ein Gesangverein wurden gegründet. Die Gefangenen erhielten ein Gehalt von einhundertzwanzig Mark monatlich, abzüglich sechzig Mark für Verpflegung. Die Post von Deutschland funktionierte tadellos, außerdem konnte man sich Geld und Pakete schicken lassen. Allerdings durfte man nur begrenzt nach Deutschland schreiben.\\ 
 Mit der Zeit packte ihn die Gefangenenkoller:  //„Die Krankheit der furchtbarsten Verzweiflung, der vollständigsten Hoffnungslosigkeit.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 143))  Er blieb aufmerksam, sammelte Informationen und plante die Flucht mit einem Kameraden. Am 4.7.1915 meldeten sie sich krank und bei der abendlichen Musterung legten sich zwei informierte Kameraden stellvertretend für die Flüchtigen ins Bett. Nachts überkletterten sie, geschützt mit Lederhandschuhe, Ledergamaschen und Wickelgamaschen, die zwei elektrisch gesicherten Stacheldrahtzäune und eine Mauer und befanden sich (vorläufig) in Freiheit. Als wichtigste Ausrüstung hatten sie sich Rasierapparate, Nähnadeln, Kragen, Schlips und eine Kleiderbürste mitgenommen - gepflegte Menschen fallen weniger auf! So erreichten sie London, allerdings auf getrennten Wegen, doch sein Kamerad wurde noch in den ersten 24 Stunden gefaßt. Anderntags hingen überall Steckbriefe und Plüschow entschied sich für ein neues Image: Hut, Kragen, Schlips und Mantel flogen ins Wasser, die blonden Haare wurden mit Vaseline, Schuhwichse und Kohlenstaub schwarz,  //„die Hände sahen bald aus, als wenn sie niemals mit Wasser in Berührung gekommen wären, und zu guter Letzt wälzte ich mich auf einem Kohlenhaufen tüchtig herum, und schon war der streikende Dockarbeiter G. Mine fertig. ... Mit meiner Mütze frech im Genick, vor Schmutz starrend, die Jacke offen, den blauen Seemannssweater und als einzige Zierde den Kragenknopf zeigend, mit den Händen in den Taschen, pfeifend und spuckend und mich überall herumlümmelnd, wie ich es zu tausenden Malen in allen Hafenstädten der ganzen Welt gesehen hatte, trieb ich mich tagelang in London herum, ohne auch nur jemals den leisesten Verdacht bei irgendeinem Menschen zu erwecken, daß ich etwas anderes sei, als wonach ich aussah. Darauf beruhte mein ganzer Plan.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 160)) Er übernachtete im Hafen in einem Holz- und Gerümpellager und wartete auf einen passenden Dampfer mit Ziel Holland. Das dauerte einige Tage, in der Zwischenzeit suchte er ein verlassenes Ruderboot und an anderer Stelle passende Ruder, um nachts zu einem Dampfer hinüberwricken ((Da Plüschow nur ein Ruder besitzt, bewegte er das Boot am Heck stehend, den Riemen hin und her bewegend: wricken oder wriggen genannt.)) zu können. Einmal an Bord der //„Prinzeß Juliana“// gelangte er so nach Vlissingen, von da aus mit dem Zug nach Deutschland. Neun Monate dauerte die Odyssee von Tsingtau nach Goch am Niederrhein. Mit der Zeit packte ihn die Gefangenenkoller:  //„Die Krankheit der furchtbarsten Verzweiflung, der vollständigsten Hoffnungslosigkeit.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 143))  Er blieb aufmerksam, sammelte Informationen und plante die Flucht mit einem Kameraden. Am 4.7.1915 meldeten sie sich krank und bei der abendlichen Musterung legten sich zwei informierte Kameraden stellvertretend für die Flüchtigen ins Bett. Nachts überkletterten sie, geschützt mit Lederhandschuhe, Ledergamaschen und Wickelgamaschen, die zwei elektrisch gesicherten Stacheldrahtzäune und eine Mauer und befanden sich (vorläufig) in Freiheit. Als wichtigste Ausrüstung hatten sie sich Rasierapparate, Nähnadeln, Kragen, Schlips und eine Kleiderbürste mitgenommen - gepflegte Menschen fallen weniger auf! So erreichten sie London, allerdings auf getrennten Wegen, doch sein Kamerad wurde noch in den ersten 24 Stunden gefaßt. Anderntags hingen überall Steckbriefe und Plüschow entschied sich für ein neues Image: Hut, Kragen, Schlips und Mantel flogen ins Wasser, die blonden Haare wurden mit Vaseline, Schuhwichse und Kohlenstaub schwarz,  //„die Hände sahen bald aus, als wenn sie niemals mit Wasser in Berührung gekommen wären, und zu guter Letzt wälzte ich mich auf einem Kohlenhaufen tüchtig herum, und schon war der streikende Dockarbeiter G. Mine fertig. ... Mit meiner Mütze frech im Genick, vor Schmutz starrend, die Jacke offen, den blauen Seemannssweater und als einzige Zierde den Kragenknopf zeigend, mit den Händen in den Taschen, pfeifend und spuckend und mich überall herumlümmelnd, wie ich es zu tausenden Malen in allen Hafenstädten der ganzen Welt gesehen hatte, trieb ich mich tagelang in London herum, ohne auch nur jemals den leisesten Verdacht bei irgendeinem Menschen zu erwecken, daß ich etwas anderes sei, als wonach ich aussah. Darauf beruhte mein ganzer Plan.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 160)) Er übernachtete im Hafen in einem Holz- und Gerümpellager und wartete auf einen passenden Dampfer mit Ziel Holland. Das dauerte einige Tage, in der Zwischenzeit suchte er ein verlassenes Ruderboot und an anderer Stelle passende Ruder, um nachts zu einem Dampfer hinüberwricken ((Da Plüschow nur ein Ruder besitzt, bewegte er das Boot am Heck stehend, den Riemen hin und her bewegend: wricken oder wriggen genannt.)) zu können. Einmal an Bord der //„Prinzeß Juliana“// gelangte er so nach Vlissingen, von da aus mit dem Zug nach Deutschland. Neun Monate dauerte die Odyssee von Tsingtau nach Goch am Niederrhein.
Zeile 223: Zeile 223:
  
 === Von China nach Amerika === === Von China nach Amerika ===
-Dann beginnt die Vorbereitung für die Flucht aus China: Ihm bleibt nur die Passage mit einem Schiff über Japan nach Amerika, denn sich durch Zentralasien nach Persien durchzuschlagen, ist zu aufwendig und zeitraubend; die [[wiki:fahrt|Fahrt]] mit dem Schiff um Indien wiederum ausgeschlossen wegen der zahlreichen englischen Kontrollen. Killinger entscheidet sich, eine französische Identität anzunehmen:  //„Jetzt hieß es, sich einen französischen Paß zu besorgen; Anzüge, wenn möglich mit französischen Firmen im Futter; Koffer, denen man an ihren aufgeklebten Zetteln, wie: „Hotel du Louvre, Lyon“, „Hotel de la Paix, Paris“, ansah, daß sie viel in Frankreich gewesen waren. Ein paar französische Briefe, Fotografien und Zeitungen mußten ebenfalls beigebracht werden.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 133))\\ +Dann beginnt die Vorbereitung für die Flucht aus China: Ihm bleibt nur die [[wiki:passage|Passage]] mit einem Schiff über Japan nach Amerika, denn sich durch Zentralasien nach Persien durchzuschlagen, ist zu aufwendig und zeitraubend; die [[wiki:fahrt|Fahrt]] mit dem Schiff um Indien wiederum ausgeschlossen wegen der zahlreichen englischen Kontrollen. Killinger entscheidet sich, eine französische Identität anzunehmen:  //„Jetzt hieß es, sich einen französischen Paß zu besorgen; Anzüge, wenn möglich mit französischen Firmen im Futter; Koffer, denen man an ihren aufgeklebten Zetteln, wie: „Hotel du Louvre, Lyon“, „Hotel de la Paix, Paris“, ansah, daß sie viel in Frankreich gewesen waren. Ein paar französische Briefe, Fotografien und Zeitungen mußten ebenfalls beigebracht werden.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 133))\\ 
 Er verbessert sein Französisch und Englisch, läßt sich in Sprachstunden seinen Akzent austreiben, paukt die bei Seeleuten üblichen Redewendungen. Dann besorgte er sich Kataloge, Geschäftspapiere und Briefbogen einer Schweizer Maschinenfabrik. Einen abgelaufenen französischen Paß kaufte er auf dem Schwarzmarkt, den Stempel des französischen Vizekonsuls in Che-foo schnitzte ein Chinese aus Holz, die Unterschrift des Vizekonsuls wurde durchgepaust, eine passende Legende für seinen Lebenslauf und seine jetzige Reise zurechtgestrickt. Am 1. Januar 1916 verließ er mit einem japanischen Dampfer Shanghai.\\  Er verbessert sein Französisch und Englisch, läßt sich in Sprachstunden seinen Akzent austreiben, paukt die bei Seeleuten üblichen Redewendungen. Dann besorgte er sich Kataloge, Geschäftspapiere und Briefbogen einer Schweizer Maschinenfabrik. Einen abgelaufenen französischen Paß kaufte er auf dem Schwarzmarkt, den Stempel des französischen Vizekonsuls in Che-foo schnitzte ein Chinese aus Holz, die Unterschrift des Vizekonsuls wurde durchgepaust, eine passende Legende für seinen Lebenslauf und seine jetzige Reise zurechtgestrickt. Am 1. Januar 1916 verließ er mit einem japanischen Dampfer Shanghai.\\ 
-Während der einen Monat dauernden Passage suchte er sich mit möglichst vielen Passagieren bekanntzumachen, um in deren Reisegruppen „unterzutauchen“. Doch die [[wiki:fahrt|Fahrt]] nach San Francisco verläuft gefahrlos. Ein Schiff nach Europa konnte er nur in New York finden und machte sich mit der Eisenbahn auf den Weg.+Während der einen Monat dauernden [[wiki:passage|Passage]] suchte er sich mit möglichst vielen Passagieren bekanntzumachen, um in deren Reisegruppen „unterzutauchen“. Doch die [[wiki:fahrt|Fahrt]] nach San Francisco verläuft gefahrlos. Ein Schiff nach Europa konnte er nur in New York finden und machte sich mit der Eisenbahn auf den Weg.
  
 === Von New York nach Norwegen === === Von New York nach Norwegen ===
wiki/flucht.txt · Zuletzt geändert: 2024/05/02 03:08 von norbert

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki