wiki:flucht
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wiki:flucht [2019/08/13 05:44] – [Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt] norbert | wiki:flucht [2020/06/05 06:58] – Externe Bearbeitung 127.0.0.1 | ||
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Am 24. Juni trafen Kopp und Harrer in Tibet wieder auf Aufschnaiter, | Am 24. Juni trafen Kopp und Harrer in Tibet wieder auf Aufschnaiter, | ||
- | In Gartok erhielten unsere drei Reisenden erstmals einen Reisepaß für Tibet, der die einzelnen Stationen ihrer Reise auswies und für die Ausreise nach Nepal galt. Alle drei schworen, sich daran zu halten und brachen am 13. Juli auf. Mehrere Wochen waren sie nun unterwegs mit '' | + | In Gartok erhielten unsere drei Reisenden erstmals einen Reisepaß für Tibet, der die einzelnen Stationen ihrer Reise auswies und für die Ausreise nach Nepal galt. Alle drei schworen, sich daran zu halten und brachen am 13. Juli auf. Mehrere Wochen waren sie nun unterwegs mit '' |
Als nach drei Monaten die Antwort eintraf, hatte sich Kopp bereits verabschiedet und war unterwegs nach Nepal. Harrer, der noch über genügend Geld verfügte, blieb mit dem erfahrenen und sprachkundigen Aufschnaiter zurück: | Als nach drei Monaten die Antwort eintraf, hatte sich Kopp bereits verabschiedet und war unterwegs nach Nepal. Harrer, der noch über genügend Geld verfügte, blieb mit dem erfahrenen und sprachkundigen Aufschnaiter zurück: | ||
==== Warten auf die Gunst des Schicksals ==== | ==== Warten auf die Gunst des Schicksals ==== | ||
- | Das Schreiben gab ihnen immerhin die Erlaubnis, noch bis in den Ort Kyirong zu ziehen, nur acht Kilometer von der nepalischen Grenze entfernt. Das nutzten die beiden aus und blieben zehn Monate in Kyirong: //„Einen guten Teil unserer Zeit und Energie verwendeten wir für die Beschaffung von Lebensmitteln zu optimal ausgehandelten Preisen und fürs Kochen. Ich muß sagen, daß ich eine solche Existenz gar nicht so unbefriedigend fand. Wir überlegten uns manchmal, wie wir hier einige Jahre verbringen könnten. Für jemanden, der in einer voll ausgefüllten Arbeit drinsteckt, wäre ein solches Dasein wahrscheinlich unvorstellbar gewesen und wäre als Abstieg angesehen worden, für uns jedoch war es besser, zumindest in dieser Weise zu existieren, statt über kommende Höllen brütend vor sich hinzustieren.“// | + | Das Schreiben gab ihnen immerhin die Erlaubnis, noch bis in den Ort Kyirong zu ziehen, nur acht Kilometer von der nepalischen Grenze entfernt. Das nutzten die beiden aus und blieben zehn Monate in Kyirong: //„Einen guten Teil unserer Zeit und Energie verwendeten wir für die Beschaffung von [[wiki: |
Harrer und Aufschnaiter legten sich während ihrer Zeit in Kyirong ein Depot außerhalb des Ortes an, um für eine eventuelle Flucht im Falle einer plötzlichen Ausweisung gerüstet zu sein, denn sie wollten keinesfalls nach Nepal. Nachts stahlen sie sich, als „Tote“ verkleidet, aus dem Dorf, denn die Einheimischen hatten Angst vor in der Nacht umherirrenden Gespenstern, | Harrer und Aufschnaiter legten sich während ihrer Zeit in Kyirong ein Depot außerhalb des Ortes an, um für eine eventuelle Flucht im Falle einer plötzlichen Ausweisung gerüstet zu sein, denn sie wollten keinesfalls nach Nepal. Nachts stahlen sie sich, als „Tote“ verkleidet, aus dem Dorf, denn die Einheimischen hatten Angst vor in der Nacht umherirrenden Gespenstern, | ||
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==== Der Legion entkommen ==== | ==== Der Legion entkommen ==== | ||
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1940 erklärte Frankreich den Waffenstillstand. Damit fehlte ihm dann auch die letzte Perspektive.// | 1940 erklärte Frankreich den Waffenstillstand. Damit fehlte ihm dann auch die letzte Perspektive.// | ||
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==== 3.4 Entkommen aus Sibirien ==== | ==== 3.4 Entkommen aus Sibirien ==== | ||
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Ihre Fluchtvorbereitungen waren relativ bescheiden, da die Umstände kaum mehr zuließen: Von ihrer Tagesration (1 kg Brot) trockneten sie täglich ein Viertel auf einem Ofen; organisierten sich ein wenig Mehl und Salz, Graupen und Tabak; jeden Tag stahlen sie von den zahlreichen Pelzen, die die sowjetischen Soldaten zum Trocknen aufhängten, | Ihre Fluchtvorbereitungen waren relativ bescheiden, da die Umstände kaum mehr zuließen: Von ihrer Tagesration (1 kg Brot) trockneten sie täglich ein Viertel auf einem Ofen; organisierten sich ein wenig Mehl und Salz, Graupen und Tabak; jeden Tag stahlen sie von den zahlreichen Pelzen, die die sowjetischen Soldaten zum Trocknen aufhängten, | ||
Aus Angst vor Entdeckung liefen sie die ersten Tage nur nachts und gruben sich tags in Schneehöhlen ein. Zeitweise mußten sie in einem Meter tiefem Neuschnee spuren und erst, als sie tagsüber marschierten, | Aus Angst vor Entdeckung liefen sie die ersten Tage nur nachts und gruben sich tags in Schneehöhlen ein. Zeitweise mußten sie in einem Meter tiefem Neuschnee spuren und erst, als sie tagsüber marschierten, | ||
- | In der zweiten Juni-Woche überschritten sie die mongolisch-russische Grenze und bewegten sich auf die Kentei-Shen-Berge zu: in sechzig Tagen hatten sie zweitausend Kilometer zurückgelegt. Weiterhin waren die Lebensmittel knapp, oft hungerten sie tagelang. Vor Verlassen der Sowjetunion gruben sie auf einem Acker einen Zentner Frühkartoffel aus, manchmal fanden sie Pilze und einmal hatten sie das Glück, einen Hirsch erlegen zu können, der sich mit dem Geweih in der Krone eines umgestürzten Baumes verfangen hatte.\\ | + | In der zweiten Juni-Woche überschritten sie die mongolisch-russische Grenze und bewegten sich auf die Kentei-Shen-Berge zu: in sechzig Tagen hatten sie zweitausend Kilometer zurückgelegt. Weiterhin waren die [[wiki: |
In der besiedelten äußeren Mongolei trafen sie auf gastfreundliche Bewohner, die ihnen öfters mit Lebensmitteln aushalfen. Zunehmend wurde die Gegend karger und sandiger, ein Anzeichen für die nahende Wüste Gobi, die sie zu Fuß durchquerten, | In der besiedelten äußeren Mongolei trafen sie auf gastfreundliche Bewohner, die ihnen öfters mit Lebensmitteln aushalfen. Zunehmend wurde die Gegend karger und sandiger, ein Anzeichen für die nahende Wüste Gobi, die sie zu Fuß durchquerten, | ||
Zu viert begegneten sie wenige Tage später einer indischen Militärpatrouille, | Zu viert begegneten sie wenige Tage später einer indischen Militärpatrouille, | ||
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==== Schiffbruch und Landurlaub ==== | ==== Schiffbruch und Landurlaub ==== | ||
- | In der vierten Nacht nach dem Auslaufen aus Freetown in Sierra Leone erlitt er Schiffbruch. Mit seinem Beiboot rettet er sich an Land, kann noch seine Papiere, Geld, Wasser und Lebensmittel an sich raffen, bevor die „Ruetli 650“ endgültig in der Nähe des Ufers sinkt. Mit einigen Tauchgängen holt er am nächsten Tag die wichtigsten Sachen aus dem Schiff heraus. Dann ging er zu Fuß nach Freetown: //„Mit einem improvisierten Rucksack auf dem Rücken, der nur Konserven und Trinkwasser in Flaschen enthielt und der mir in der Nacht als Decke diente, begann ich den Hundertmeilenmarsch.“// | + | In der vierten Nacht nach dem Auslaufen aus Freetown in Sierra Leone erlitt er Schiffbruch. Mit seinem Beiboot rettet er sich an Land, kann noch seine Papiere, Geld, Wasser und [[wiki: |
- | Acht Tage lief er, elf Monate saß er in Freetown fest, dann, im März 1943 konnte er auf einem Frachter nach Kapstadt fahren. Dachte er. Denn nach zwei Tagen drehte der Frachter und fuhr stattdessen nach England. Nach einigen Tagen erfolgte ein Luftangriff, | + | Acht Tage lief er, elf Monate saß er in Freetown fest, dann, im März 1943 konnte er auf einem Frachter nach Kapstadt fahren. Dachte er. Denn nach zwei Tagen drehte der Frachter und fuhr stattdessen nach England. Nach einigen Tagen erfolgte ein Luftangriff, |
==== Alles im Lot auf'm Boot ==== | ==== Alles im Lot auf'm Boot ==== | ||
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Wichtiger als die unterschiedlichen Ziele ist das Maß der Selbstbestimmtheit, | Wichtiger als die unterschiedlichen Ziele ist das Maß der Selbstbestimmtheit, | ||
- | Reisende werden in Kriegszeiten wie Soldaten, Gefangene, Spione behandelt (Aram, Harrer, Sattler). Reisende sind in Kriegszeiten nun einmal häufig nicht mehr selbstbestimmt, | + | Reisende werden in Kriegszeiten wie Soldaten, Gefangene, Spione behandelt (Aram, Harrer, Sattler). Reisende sind in Kriegszeiten nun einmal häufig nicht mehr selbstbestimmt, |
Ein Flüchtiger wandelt auf der Grenze zwischen beiden Extremen. Have bemerkt das bereits auf der Flucht: // „Erst jahrelang als Gefangener reines Objekt, das alles mit sich geschehen läßt, dann plötzlich, das Geschick an sich reißend, selbstbestimmter, | Ein Flüchtiger wandelt auf der Grenze zwischen beiden Extremen. Have bemerkt das bereits auf der Flucht: // „Erst jahrelang als Gefangener reines Objekt, das alles mit sich geschehen läßt, dann plötzlich, das Geschick an sich reißend, selbstbestimmter, | ||
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Wer sich derart unvermittelt in Feindesland wiederfand konnte mit etwas Glück, Papieren, Geld und schneller Entschlußkraft noch in neutrale Länder ausreisen. Walter-Eberhard Freiherr von Medem hat soviel Glück, als er kurz vor der Kriegserklärung Englands noch an Bord eines deutschen Dampfers kommt. John Hagenbeck empört sich über seine Ausweisung aus Ceylon, wo er schon viele Jahre lebte, doch die zurückgebliebenen Deutschen wurden entgegen aller Zusagen interniert. Nur selten gelang es Reisenden, im jeweiligen Aufenthaltsland zu bleiben und normal zu leben: Hans Helfritz war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Südamerika, | Wer sich derart unvermittelt in Feindesland wiederfand konnte mit etwas Glück, Papieren, Geld und schneller Entschlußkraft noch in neutrale Länder ausreisen. Walter-Eberhard Freiherr von Medem hat soviel Glück, als er kurz vor der Kriegserklärung Englands noch an Bord eines deutschen Dampfers kommt. John Hagenbeck empört sich über seine Ausweisung aus Ceylon, wo er schon viele Jahre lebte, doch die zurückgebliebenen Deutschen wurden entgegen aller Zusagen interniert. Nur selten gelang es Reisenden, im jeweiligen Aufenthaltsland zu bleiben und normal zu leben: Hans Helfritz war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Südamerika, | ||
- | Wer es nicht schaffte, sich rechtzeitig abzusetzen, dem drohte neben dem Unwillen der Bevölkerung Hausarrest, die Internierung in Gefängnis, Zuchthaus oder Konzentrationslager. Concentration camps gab es bei den Engländern bereits im Ersten Weltkrieg - allerdings waren diese nicht mit den Konzentrationslagern der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Auch die Vichy-Regierung im besetzten Frankreich richtete Konzentrationslager ein: //„In diesen Lagern ... werden gespeist, gekleidet und zu nützlicher Arbeit angehalten alle jene unerwünschten und nicht anpassungsfähigen Elemente, die sich anders nicht weiterhelfen könnten: alle jene, die sonst in die Fremdenlegion eingetreten wären, Landstreicher und Heruntergekommene, | + | Wer es nicht schaffte, sich rechtzeitig abzusetzen, dem drohte neben dem Unwillen der Bevölkerung Hausarrest, die Internierung in Gefängnis, Zuchthaus oder Konzentrationslager. Concentration camps gab es bei den Engländern bereits im Ersten Weltkrieg - allerdings waren diese nicht mit den Konzentrationslagern der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Auch die Vichy-Regierung im besetzten Frankreich richtete Konzentrationslager ein: //„In diesen Lagern ... werden gespeist, gekleidet und zu nützlicher Arbeit angehalten alle jene unerwünschten und nicht anpassungsfähigen Elemente, die sich anders nicht weiterhelfen könnten: alle jene, die sonst in die Fremdenlegion eingetreten wären, Landstreicher und Heruntergekommene, |
Die Lagersysteme glichen sich überall auf der Welt und machten den Internierten das Leben mal mehr, mal weniger schwer. Zunächst einmal waren es tatsächlich „Konzentrationslager“: | Die Lagersysteme glichen sich überall auf der Welt und machten den Internierten das Leben mal mehr, mal weniger schwer. Zunächst einmal waren es tatsächlich „Konzentrationslager“: | ||
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==== Wer konnte reisen? ==== | ==== Wer konnte reisen? ==== | ||
- | Bei der ersten und zweiten Situation war es mit der Freiheit des Reisens dann auf einige Zeit vorbei, in der dritten Situation war zumindest ein fremdes Land zum „Gefängnis“ geworden. Nur für wehruntaugliche Bürger (z.B. Kurt Faber) und Frauen der kriegführenden Nationen bestand zumindest theoretisch die Möglichkeit zu reisen, und dann nur in befreundeten Ländern. Selbst offiziell neutrale Länder waren häufig nicht wirklich souverän in ihrer Neutralität; | + | Bei der ersten und zweiten Situation war es mit der [[wiki: |
- | Weitergehende Reisefreiheit hatten Bürger der neutralen Länder und so ist es kein Zufall, daß das einzige Beispiel eines freiwillig während des zweiten Weltkriegs Reisenden von einem Schweizer stammt (Hans von Meiss-Teuffen). Da aber auch diese Länder eine Armee unterhielten, | + | Weitergehende Reisefreiheit hatten Bürger der neutralen Länder und so ist es kein Zufall, daß das einzige Beispiel eines freiwillig während des zweiten Weltkriegs Reisenden von einem Schweizer stammt ('' |
- | Bei einigen der durch Krieg jahrelang von der Heimat ferngebliebenen Deutschen hatte die lange Abwesenheit den Effekt, daß sie sich nach der [[wiki: | + | Bei einigen der durch Krieg jahrelang von der Heimat ferngebliebenen Deutschen hatte die lange Abwesenheit den Effekt, daß sie sich nach der [[wiki: |
==== Strategien der Flucht ==== | ==== Strategien der Flucht ==== | ||
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Schlußendlich geht es um eine passende Ausrüstung, | Schlußendlich geht es um eine passende Ausrüstung, | ||
- | In jedem Fall müssen Ausstattung, | + | In jedem Fall müssen Ausstattung, |
Selbst wenn die Flucht gelingt, befindet man sich meist noch nicht in Sicherheit: Magener und von Have benötigen einen Monat für ihre Flucht durch Indien, verbringen danach aber drei Monate in japanischen Gefängnissen, | Selbst wenn die Flucht gelingt, befindet man sich meist noch nicht in Sicherheit: Magener und von Have benötigen einen Monat für ihre Flucht durch Indien, verbringen danach aber drei Monate in japanischen Gefängnissen, |
wiki/flucht.txt · Zuletzt geändert: 2024/05/02 03:08 von norbert