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wiki:1985_sudan

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wiki:1985_sudan [2020/06/20 07:01] norbertwiki:1985_sudan [2021/04/08 11:55] norbert
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 Genau das war schon auf früheren Reisen mein Traum gewesen: Routen, Rastplätze und Richtungen im eigenen fahrzeug selbst bestimmen zu können anstatt sich in Bussen zu quälen. Über die //Deutsche Zentrale für Globetrotter// nahm ich Kontakt zu Reinhold auf: die Planungen steckten in der Endphase, Teilnehmer wurden gesucht, ich war dabei. Adieu Westafrika, vielleicht beim nächsten Mal. Genau das war schon auf früheren Reisen mein Traum gewesen: Routen, Rastplätze und Richtungen im eigenen fahrzeug selbst bestimmen zu können anstatt sich in Bussen zu quälen. Über die //Deutsche Zentrale für Globetrotter// nahm ich Kontakt zu Reinhold auf: die Planungen steckten in der Endphase, Teilnehmer wurden gesucht, ich war dabei. Adieu Westafrika, vielleicht beim nächsten Mal.
  
-Einige dieser Länder kannte ich von früheren Reisen, war schon einmal dort gewesen mit dem Rucksack und unterwegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und doch blieb immer der Eindruck zurück, nur die Oberfläche ertastet zu haben, nicht eingedrungen zu sein ins Land und lediglich von Stadt zu Stadt getrieben worden zu sein, eingeengt durch die Pfade der Zivilisation, durch Buslinien und Fahrpläne, ausgeliefert der scheinbaren Willkür des Fahrers, dessen Sprache ich nicht verstand, an Plätzen vorbei, an denen ich bleiben wollte.+Einige dieser Länder kannte ich von früheren Reisen, war schon einmal dort gewesen mit dem [[wiki:rucksack|Rucksack]] und unterwegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und doch blieb immer der Eindruck zurück, nur die Oberfläche ertastet zu haben, nicht eingedrungen zu sein ins Land und lediglich von Stadt zu Stadt getrieben worden zu sein, eingeengt durch die Pfade der Zivilisation, durch Buslinien und Fahrpläne, ausgeliefert der scheinbaren Willkür des Fahrers, dessen Sprache ich nicht verstand, an Plätzen vorbei, an denen ich bleiben wollte.
  
 Afrika aber bedeutet für mich Natur, wild und unerschlossen: Damit wollte ich mich auseinandersetzen, meine Kräfte messen, Grenzen kennenlernen und überschreiten. Das Selbstverständliche in Frage stellen - Hunger, Durst, Erschöpfung, Hitze und Kälte erfahren. Was kommt danach? Welche Bedürfnisse entstammen der menschlichen Natur, welche der deutschen Konsumgesellschaft? Kann ich freie Entscheidungen treffen, wenn die Notwendigkeiten des Lebens in Frage stehen? Habe ich die Kraft, mein Leben selbständig zu führen, das Nötige im rechten Augenblick zu tun? Ich werde die Städte vermissen, weil sie für mich sorgen; von ihnen erhalte ich alles, was bisher mein Leben ausgemacht hat: Kultur, Bildung, Unterhaltung, im Überfluß leben, Menschen kennenlernen und vergessen. Afrika aber bedeutet für mich Natur, wild und unerschlossen: Damit wollte ich mich auseinandersetzen, meine Kräfte messen, Grenzen kennenlernen und überschreiten. Das Selbstverständliche in Frage stellen - Hunger, Durst, Erschöpfung, Hitze und Kälte erfahren. Was kommt danach? Welche Bedürfnisse entstammen der menschlichen Natur, welche der deutschen Konsumgesellschaft? Kann ich freie Entscheidungen treffen, wenn die Notwendigkeiten des Lebens in Frage stehen? Habe ich die Kraft, mein Leben selbständig zu führen, das Nötige im rechten Augenblick zu tun? Ich werde die Städte vermissen, weil sie für mich sorgen; von ihnen erhalte ich alles, was bisher mein Leben ausgemacht hat: Kultur, Bildung, Unterhaltung, im Überfluß leben, Menschen kennenlernen und vergessen.
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 Was kann mir denn schon dabei passieren? Ich habe nichts zu verlieren; wenn ich heimkehre, besitze ich nichts mehr: Meine Wohnung habe ich aufgegeben, die Möbel verschenkt, meine Bücher liegen in Kisten verpackt in einem Keller. Das Studium ist abgeschlossen, ein Arbeitsplatz nicht in Sicht. Ein paar tausend Mark Gespartes wurde in Reiseschecks umgesetzt, alles, was ich noch besitze, trage ich am Körper. Zwei Dutzend Menschen vielleicht, die hin und wieder an mich denken, an die auch ich denke; sie werden dasein, wenn ich zurückkehre, geben mir Sicherheit. Was kann mir denn schon dabei passieren? Ich habe nichts zu verlieren; wenn ich heimkehre, besitze ich nichts mehr: Meine Wohnung habe ich aufgegeben, die Möbel verschenkt, meine Bücher liegen in Kisten verpackt in einem Keller. Das Studium ist abgeschlossen, ein Arbeitsplatz nicht in Sicht. Ein paar tausend Mark Gespartes wurde in Reiseschecks umgesetzt, alles, was ich noch besitze, trage ich am Körper. Zwei Dutzend Menschen vielleicht, die hin und wieder an mich denken, an die auch ich denke; sie werden dasein, wenn ich zurückkehre, geben mir Sicherheit.
  
-Mein Schneckenhaus ist nun der Rucksack: 20 kg sind noch zuviel, behindern das Reisen mehr, als sie es erleichtern. Aber was soll noch raus? Die Kleidungsstücke sind doppelt, manche dreifach; zwei Töpfe und eine Pfanne, die auch als Teller dient. Salz, Bundeswehr-Besteck, Sturmstreichhölzer, Kaffee, Reis, Trockengemüse, ein Kuppelzelt (2,4 kg), ein Daunenschlafsack, Wanderstiefel und Sandalen, Geldgürtel …200 kleine und kleinste Dinge bis runter zur Nähnadel faßt ein Rucksack vielleicht, alles will abgesichert sein: Wärme, Schlafen, Essen, Trinken, Gesundheit und die kleinen Geschenke für die Augenblicke, in denen ich ganz unten bin: Ein Kaugummi, ein Schokoladenriegel, ein Mini-Radio … Ich bin doch kein ''Rüdiger Nehberg''.+Mein Schneckenhaus ist nun der [[wiki:rucksack|Rucksack]]: 20 kg sind noch zuviel, behindern das Reisen mehr, als sie es erleichtern. Aber was soll noch raus? Die Kleidungsstücke sind doppelt, manche dreifach; zwei Töpfe und eine Pfanne, die auch als Teller dient. Salz, Bundeswehr-Besteck, Sturmstreichhölzer, Kaffee, Reis, Trockengemüse, ein Kuppelzelt (2,4 kg), ein Daunenschlafsack, Wanderstiefel und Sandalen, Geldgürtel …200 kleine und kleinste Dinge bis runter zur Nähnadel faßt ein Rucksack vielleicht, alles will abgesichert sein: Wärme, Schlafen, Essen, Trinken, Gesundheit und die kleinen Geschenke für die Augenblicke, in denen ich ganz unten bin: Ein Kaugummi, ein Schokoladenriegel, ein Mini-Radio … Ich bin doch kein ''Rüdiger Nehberg''.
  
 Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt, sagt ''Konfuzius''. Mein erster Schritt ist Athen. Fast dreitausend Kilometer liegen hinter mir, alle Veränderungen auf dem Weg habe ich Stück für Stück geschmeckt, gehört, gesehen: Die Natur macht keine Sprünge. Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt, sagt ''Konfuzius''. Mein erster Schritt ist Athen. Fast dreitausend Kilometer liegen hinter mir, alle Veränderungen auf dem Weg habe ich Stück für Stück geschmeckt, gehört, gesehen: Die Natur macht keine Sprünge.
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 Kairo war Treffpunkt für die Gruppe, dort führten unsere Wege zusammen; die Teilnehmer kannte ich aus verschiedenen Treffen flüchtig: Unsere Jüngste war ''Doro'', 18 Jahre, Tierpflegerin aus Münster. Sie wollte endlich mal die ihr aus Käfigen bekannten Tiere in Freiheit sehen. Kairo war Treffpunkt für die Gruppe, dort führten unsere Wege zusammen; die Teilnehmer kannte ich aus verschiedenen Treffen flüchtig: Unsere Jüngste war ''Doro'', 18 Jahre, Tierpflegerin aus Münster. Sie wollte endlich mal die ihr aus Käfigen bekannten Tiere in Freiheit sehen.
  
-''Theo'', frischgebackener Jurist, war an Kultur und Geschichte der Länder stark interessiert. Georg, Flugzeugingenieur, querschnittsgelähmt und Reisender aus Leidenschaft seit 20 Jahren, tilgte weiße Flecken von seiner persönlichen Landkarte.+''Theo'', frischgebackener Jurist, war an Kultur und Geschichte der Länder stark interessiert. Georg, Flugzeugingenieur, querschnittsgelähmt und Reisender aus Leidenschaft seit 20 Jahren, tilgte [[wiki:weisse_flecken|weiße Flecken]] von seiner persönlichen Landkarte.
  
 ''Ute'', wenige Tage nach dem Apothekerinnenexamen zusammen mit den anderen auf dem Weg nach Venedig, sucht neue Erfahrungen für ihren Lebensweg. Ulrike und Mathias, Studenten, werden von der Neugier getrieben und von der Langeweile des Semesters. Beide werden nach der Reise Afrikanistik studieren. Hardi, beurlaubter Lehrer, geht nach der Karriere zum ersten Mal hemmungslos seinem größten Hobby nach. Detlev ist Finanzbeamter, Anna hat ein Studium abgeschlossen; was sie bewegt, weiß ich nicht. Rainer, Werner, Richard, Manfred und Mathias sind Reisende aus Berufung. Etwas anderes kommt für sie nicht in Frage, nur der Stil unterscheidet sie. ''Ute'', wenige Tage nach dem Apothekerinnenexamen zusammen mit den anderen auf dem Weg nach Venedig, sucht neue Erfahrungen für ihren Lebensweg. Ulrike und Mathias, Studenten, werden von der Neugier getrieben und von der Langeweile des Semesters. Beide werden nach der Reise Afrikanistik studieren. Hardi, beurlaubter Lehrer, geht nach der Karriere zum ersten Mal hemmungslos seinem größten Hobby nach. Detlev ist Finanzbeamter, Anna hat ein Studium abgeschlossen; was sie bewegt, weiß ich nicht. Rainer, Werner, Richard, Manfred und Mathias sind Reisende aus Berufung. Etwas anderes kommt für sie nicht in Frage, nur der Stil unterscheidet sie.
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 Am 10. Dezember trafen wir zufällig einige unserer künftigen Reisekameraden im //Chan Al Chalili//, dem größten Bazar Kairos. Das abgesprochene System des Nachrichtenaustausches hatte nicht funktioniert. Großes Hallo und Wie gehts und Was gibts Neues in Deutschland. Wir tranken einen Kef zusammen und verabredeten uns für den nächsten Tag in Gizeh, bei den Pyramiden. Am 10. Dezember trafen wir zufällig einige unserer künftigen Reisekameraden im //Chan Al Chalili//, dem größten Bazar Kairos. Das abgesprochene System des Nachrichtenaustausches hatte nicht funktioniert. Großes Hallo und Wie gehts und Was gibts Neues in Deutschland. Wir tranken einen Kef zusammen und verabredeten uns für den nächsten Tag in Gizeh, bei den Pyramiden.
  
-Am Sonntagnachmittag, 15 Uhr. ging es los: Ich hatte meinen Rucksack gut verstaut, unerreichbar für alle Hände, die von außen über die Ladefläche tasteten, und mir einen Platz gesucht. Drei Leute konnten immer vorne sitzen, für weitere 16 boten die montierten Bussitze Platz. Die Pyramiden standen vor dem Hintergrund der Sandwüste, die hier am Rande von Kairo ihren Anfang zu nehmen scheint. Ägypter umstanden den Faun mit Kamelen und Pferden, sie wirkten klein, und wir schauten auf sie herab. Kalter Wind strich aus der Wüste, auch Kairo kennt manchmal eine Art von Winter, und wir verkrochen uns dick eingepackt in die Sitze. Der Motor dröhnte und alle Gespräche erstarben, als wir losfuhren. Die Straße führte uns um Kairo herum, dann am linken Nilufer über Sakkara bis nach Beni Suef. Freude erfüllte mich, obwohl Ungewißheit das Ziel war. Die Vibrationen des Motors waren für mich ein Maß für die unge heure Kraft, mit der ich diese Reise begann. Trotzig hielt ich dem Wind mein Gesicht entgegen.+Am Sonntagnachmittag, 15 Uhr. ging es los: Ich hatte meinen [[wiki:rucksack|Rucksack]] gut verstaut, unerreichbar für alle Hände, die von außen über die Ladefläche tasteten, und mir einen Platz gesucht. Drei Leute konnten immer vorne sitzen, für weitere 16 boten die montierten Bussitze Platz. Die Pyramiden standen vor dem Hintergrund der Sandwüste, die hier am Rande von Kairo ihren Anfang zu nehmen scheint. Ägypter umstanden den Faun mit Kamelen und Pferden, sie wirkten klein, und wir schauten auf sie herab. Kalter Wind strich aus der Wüste, auch Kairo kennt manchmal eine Art von Winter, und wir verkrochen uns dick eingepackt in die Sitze. Der Motor dröhnte und alle Gespräche erstarben, als wir losfuhren. Die Straße führte uns um Kairo herum, dann am linken Nilufer über Sakkara bis nach Beni Suef. Freude erfüllte mich, obwohl Ungewißheit das Ziel war. Die Vibrationen des Motors waren für mich ein Maß für die unge heure Kraft, mit der ich diese Reise begann. Trotzig hielt ich dem Wind mein Gesicht entgegen.
  
 Die Brücke, auf der wir bei Beni Suef den Nil überqueren wollten, existierte nicht. Dies war nur der Anfang. In den nächsten Wochen blieb kein Tag ohne Enttäuschung. Vorerst konnte noch einige Tage relaxt werden: Von der Töpferstadt Quena, 642 Kilometer südlich von Kairo, nahmen wir die breite Asphaltstraße nach Port Safaga am Roten Meer, fuhren dann weiter südlich bis //Marsa Alama//, dem südlichsten für Touristen erlaubten Ort, und genossen das Meer und die warme Sonne. Die Brücke, auf der wir bei Beni Suef den Nil überqueren wollten, existierte nicht. Dies war nur der Anfang. In den nächsten Wochen blieb kein Tag ohne Enttäuschung. Vorerst konnte noch einige Tage relaxt werden: Von der Töpferstadt Quena, 642 Kilometer südlich von Kairo, nahmen wir die breite Asphaltstraße nach Port Safaga am Roten Meer, fuhren dann weiter südlich bis //Marsa Alama//, dem südlichsten für Touristen erlaubten Ort, und genossen das Meer und die warme Sonne.
  
-Erfahrungen wurden ausgetauscht. Wünsche geäußert und Erwartungen beschrieben — war es doch das erste Mal, daß die Gruppe vollständig zusammen war. Auf der riesigen Ladefläche stapelten sich fünf Ersatzreifen, jeder 250 Kilogramm schwer, acht Fässer für Treibstoffvorräte und acht Kunststofftonnen für Trinkwasser. In Holzkisten waren die mitgebrachten Vorräte verstaut: Margarine, Marmelade, Wurst, Käse, Brot, Mehl, Fleisch, Zucker, Suppen ... Darüber kugelten während der Fahrt unsere Rucksäcke, Schlafsäcke und Unterlegmatten. Die seitlich unterhalb der Ladefläche angebrachten Fächer enthielten Ersatzteile und Werkzeuge.+Erfahrungen wurden ausgetauscht. Wünsche geäußert und Erwartungen beschrieben — war es doch das erste Mal, daß die Gruppe vollständig zusammen war. Auf der riesigen Ladefläche stapelten sich fünf Ersatzreifen, jeder 250 Kilogramm schwer, acht Fässer für Treibstoffvorräte und acht Kunststofftonnen für Trinkwasser. In Holzkisten waren die mitgebrachten Vorräte verstaut: Margarine, Marmelade, Wurst, Käse, Brot, Mehl, Fleisch, Zucker, Suppen ... Darüber kugelten während der Fahrt unsere [[wiki:rucksack|Rucksäcke]], Schlafsäcke und Unterlegmatten. Die seitlich unterhalb der Ladefläche angebrachten Fächer enthielten Ersatzteile und Werkzeuge.
  
 Pläne wurden gewälzt, jeder hatte noch Ideen für weitere Besorgungen, hier und da wurde Kritik an der Vorbereitung geäußert, doch insgesamt überwog bei allen die Freude am Aufbruch. Auch die Reiseroute wurde neu diskutiert, mußte geändert werden, da ein Gerücht, das schon heimkehrende Afrikafahrer im November in Deutschland verbreitet hatten und das sich hier im Gespräch mit anderen Reisenden bestätigte, wissen wollte, daß die Ägypter keine Einzelfahrten mehr in den Sudan genehmigten, allenfalls monatliche Konvois unter Militärbegleitung anboten. Doch wir wollten mehr, wollten die Wüste erleben abseits von allen Routen. Auch andere motorisierte Afrikafahrer hatten keinen Sinn für den Miliäarkonvoi, und so hatten wir uns mit vier anderen Gruppen außerhalb der Oase //El Kharga// verabredet, um uns von dort mit Karte und Kompaß auf eigene Faust durch die Libysche Wüste zu bringen, ägyptische Pisten und Militärstationen meidend. Pläne wurden gewälzt, jeder hatte noch Ideen für weitere Besorgungen, hier und da wurde Kritik an der Vorbereitung geäußert, doch insgesamt überwog bei allen die Freude am Aufbruch. Auch die Reiseroute wurde neu diskutiert, mußte geändert werden, da ein Gerücht, das schon heimkehrende Afrikafahrer im November in Deutschland verbreitet hatten und das sich hier im Gespräch mit anderen Reisenden bestätigte, wissen wollte, daß die Ägypter keine Einzelfahrten mehr in den Sudan genehmigten, allenfalls monatliche Konvois unter Militärbegleitung anboten. Doch wir wollten mehr, wollten die Wüste erleben abseits von allen Routen. Auch andere motorisierte Afrikafahrer hatten keinen Sinn für den Miliäarkonvoi, und so hatten wir uns mit vier anderen Gruppen außerhalb der Oase //El Kharga// verabredet, um uns von dort mit Karte und Kompaß auf eigene Faust durch die Libysche Wüste zu bringen, ägyptische Pisten und Militärstationen meidend.
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 Um vier machen wir Schluß. In zwei Stunden geht die Sonne unter, dann wird es sofort dunkel, ohne Dämmerung. Bis dahin haben wir Zeit, es uns gemütlich zu machen: Ein Zelt aufzuschlagen oder uns hinter Kisten in den weichen Boden einzugraben, geschützt vor dem ewig andauernden Wind. Die Aufgaben sind geteilt. Eine Gruppe entlädt den Lkw, eine andere beginnt mit den Vorbereitungen zum gemeinsamen Essen, Ulrike und Mathias bereiten ein Brot vor. Sie backen es noch kurz vor Mitternacht in einem Blechkasten auf dem Benzinkocher; es schmeckt von Tag zu Tag besser — eine Scheibe erhält jeder, ein größeres Brot paßt nicht in den geölten Bräler. Um vier machen wir Schluß. In zwei Stunden geht die Sonne unter, dann wird es sofort dunkel, ohne Dämmerung. Bis dahin haben wir Zeit, es uns gemütlich zu machen: Ein Zelt aufzuschlagen oder uns hinter Kisten in den weichen Boden einzugraben, geschützt vor dem ewig andauernden Wind. Die Aufgaben sind geteilt. Eine Gruppe entlädt den Lkw, eine andere beginnt mit den Vorbereitungen zum gemeinsamen Essen, Ulrike und Mathias bereiten ein Brot vor. Sie backen es noch kurz vor Mitternacht in einem Blechkasten auf dem Benzinkocher; es schmeckt von Tag zu Tag besser — eine Scheibe erhält jeder, ein größeres Brot paßt nicht in den geölten Bräler.
  
-Heilig Abend: In Deutschland wird Weihnachten gefeiert, mehr oder weniger gleich bei all unseren Verwandten. Aus Eiern, Milchpulver, Zucker und Rotwein kochen wir eine Art Pudding und feiern auch. Die Stimmung am klapprigen Tapeziertisch schwankt zwischen Euphorie und melancholischer Nachdenklichkeit. Der ehemals eingepackte Dresdner Christstollen hat mir schon vor drei Wochen den Rucksack vollgekrümelt, jetzt hätte ich ihn gerne.+Heilig Abend: In Deutschland wird Weihnachten gefeiert, mehr oder weniger gleich bei all unseren Verwandten. Aus Eiern, Milchpulver, Zucker und Rotwein kochen wir eine Art Pudding und feiern auch. Die Stimmung am klapprigen Tapeziertisch schwankt zwischen Euphorie und melancholischer Nachdenklichkeit. Der ehemals eingepackte Dresdner Christstollen hat mir schon vor drei Wochen den [[wiki:rucksack|Rucksack]] vollgekrümelt, jetzt hätte ich ihn gerne.
  
-Sonntag mittag fahren wir weiter, nach sechs Kilometern treffen wir auf das Camp unserer Konvoipartner. Wir bleiben heute in diesem Camp und besprechen abends den weiteren Weg. Dabei orientieren wir uns an Gerüchten, Vermutungen, [[wiki:illusionen|Annahmen]]; einzig solide Basis sind die alten englischen Militärkarten im Maßstab l: l 000 000. Aber auch darauf überwiegen die weißen Flecken; Gebiete von der Größe des Saarlandes werden beschrieben als: //Uneven plateau of very sharp rough limestone// oder eine Aussicht: //Hills visible to NNW// oder die Kennzeichen einer Piste: //Camel route one mile wide marked by white bones//.+Sonntag mittag fahren wir weiter, nach sechs Kilometern treffen wir auf das Camp unserer Konvoipartner. Wir bleiben heute in diesem Camp und besprechen abends den weiteren Weg. Dabei orientieren wir uns an Gerüchten, Vermutungen, [[wiki:illusionen|Annahmen]]; einzig solide Basis sind die alten englischen Militärkarten im Maßstab l: l 000 000. Aber auch darauf überwiegen die [[wiki:weisse_flecken|weißen Flecken]]; Gebiete von der Größe des Saarlandes werden beschrieben als: //Uneven plateau of very sharp rough limestone// oder eine Aussicht: //Hills visible to NNW// oder die Kennzeichen einer Piste: //Camel route one mile wide marked by white bones//.
  
 Montag morgen stehen wir um fünf Uhr auf, damit wir um acht fahrbereit sind, schneller geht es wohl nicht mit so vielen Leuten. Wir schaffen 71 km und überqueren am Nachmittag eine markierte Route, breit und voller Spuren. Um Entfernung zu dieser Piste zu bekommen, schwenken wir dienstags auf Kurs West und halten uns erst nach 30 Kilometern wieder südlich. Montag morgen stehen wir um fünf Uhr auf, damit wir um acht fahrbereit sind, schneller geht es wohl nicht mit so vielen Leuten. Wir schaffen 71 km und überqueren am Nachmittag eine markierte Route, breit und voller Spuren. Um Entfernung zu dieser Piste zu bekommen, schwenken wir dienstags auf Kurs West und halten uns erst nach 30 Kilometern wieder südlich.
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 Montag, der zweite Januar: Allen Berechnungen zufolge muß heute der Nil in Sicht kommen. Der Ost-Anteil unserer Route wird stärker, wir schaffen sogar 100 Kilometer, dennoch keine Anzeichen des Flusses. Galgenhumor schlägt in vielen Gespräche durch und wir übernachten in einer passenden Gegend: Aus einem Gebiet mit runden Hügelkuppen, die an stark miniaturisierte Vulkane erinnerten, kamen wir zwischen schlanke, spitze Hügel aus schwarzem Gestein, die Landschaftsformation erinnert an Ausschwemmungen durch abfließendes Wasser. Montag, der zweite Januar: Allen Berechnungen zufolge muß heute der Nil in Sicht kommen. Der Ost-Anteil unserer Route wird stärker, wir schaffen sogar 100 Kilometer, dennoch keine Anzeichen des Flusses. Galgenhumor schlägt in vielen Gespräche durch und wir übernachten in einer passenden Gegend: Aus einem Gebiet mit runden Hügelkuppen, die an stark miniaturisierte Vulkane erinnerten, kamen wir zwischen schlanke, spitze Hügel aus schwarzem Gestein, die Landschaftsformation erinnert an Ausschwemmungen durch abfließendes Wasser.
  
-Dienstag. Aus dem Galgenhumor wird Panikstimmung, nachmittags fahren wir direkt Richtung Ost. 111 Kilometer und immer noch kein Fluß. An jedem Hügel wird Halt gemacht, Angst in Aktion umgesetzt und von der Hügelkuppe Ausschau gehalten. Beim Abstieg von einem dieser schwarzen Hügel bei Kilometer 50 findet Werner zwischen dem Geröll unter einem Felsvorsprung ein menschliches Skelett mit einem Fetzen Tuch, daneben einen Stock und das Gerippe einer sehr kleinen Schlange. Schon bei der ersten Berührung fällt der Schädel auseinander. Mir wird die Gegend unheimlich, die Stille wirkt zunehmend bedrohlich, und ich gäbe was drum, diesem ständigen Wind nur eine Stunde entkommen zu können. Manchmal habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich muß hier weg.+Dienstag. Aus dem Galgenhumor wird Panikstimmung, nachmittags fahren wir direkt Richtung Ost. 111 Kilometer und immer noch kein Fluß. An jedem Hügel wird Halt gemacht, Angst in Aktion umgesetzt und von der Hügelkuppe Ausschau gehalten. Beim Abstieg von einem dieser schwarzen Hügel bei Kilometer 50 findet Werner zwischen dem Geröll unter einem Felsvorsprung ein menschliches Skelett mit einem Fetzen Tuch, daneben einen [[wiki:stab|Stab]] und das Gerippe einer sehr kleinen Schlange. Schon bei der ersten Berührung fällt der Schädel auseinander. Mir wird die Gegend unheimlich, die Stille wirkt zunehmend bedrohlich, und ich gäbe was drum, diesem ständigen Wind nur eine Stunde entkommen zu können. Manchmal habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich muß hier weg.
  
 Pro Kopf haben wir noch 20 Liter Wasser, gewaschen hat sich schon seit Tagen niemand mehr, allmählich trinke ich meine Rationen bewußter. Zähneputzen ist Luxus. Beim Tanken wechseln wir uns ab. Da die Pumpe defekt ist muß der Diesel über einen Schlauch mit dem Mund angesaugt werden. Der Dieselgeschmack bleibt tagelang im Mund, einige Tropfen geraten immer bis in den Magen und melden sich noch lange. Irgendwer hat einmal nach dem Tanken das Faß nicht verschlossen, seither schmecken auch die Kartoffeln nach Diesel. Wurst, Käse, Marmelade, Zucker. Fett, Kaffee werden in zwei Tagen alle sein, aber Mehl und Kartoffelpüree reichen noch Wochen, verhungern werden wir nicht. Pro Kopf haben wir noch 20 Liter Wasser, gewaschen hat sich schon seit Tagen niemand mehr, allmählich trinke ich meine Rationen bewußter. Zähneputzen ist Luxus. Beim Tanken wechseln wir uns ab. Da die Pumpe defekt ist muß der Diesel über einen Schlauch mit dem Mund angesaugt werden. Der Dieselgeschmack bleibt tagelang im Mund, einige Tropfen geraten immer bis in den Magen und melden sich noch lange. Irgendwer hat einmal nach dem Tanken das Faß nicht verschlossen, seither schmecken auch die Kartoffeln nach Diesel. Wurst, Käse, Marmelade, Zucker. Fett, Kaffee werden in zwei Tagen alle sein, aber Mehl und Kartoffelpüree reichen noch Wochen, verhungern werden wir nicht.
wiki/1985_sudan.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/30 06:13 von norbert

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